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Viele Österreicher versuchen derzeit, die politischen Ereignisse der letzten Wochen einzuordnen und die kommende Entwicklung abzuschätzen. Dabei taucht immer öfter der Vergleich mit einer der Wahlen der Vergangenheit auf. Jeder denkt dabei freilich an eine andere Wahl – ganz besonders rumoren in den Hinterköpfen die drei Wahlen des ersten Jahrzehnts dieses Jahrtausends.
Die Vergleiche sind in der Tat spannend und lehrreich. Nur bedeutet jeder Vergleich eigentlich etwas völlig anderes.
Am häufigsten wird die Ähnlichkeit zu 2008 diskutiert. Damals haben – vor allem – SPÖ und FPÖ in den allerletzten Parlamentssitzungen vor der Wahl durch diverse Wählerbestechungsaktionen (wie Abschaffung der Studiengebühren) die Steuerzahler mit jährlich rund vier Milliarden belastet. Und das ausgerechnet in die damals ausgebrochene große Weltwirtschaftskrise hinein! Es brauchte ein Jahrzehnt, bis sich der Staatshaushalt von all dem erholte.
Dies geschah, obwohl die rot-schwarze Regierung an sich noch geschäftsführend im Amt war – zum Unterschied von heute, wo ein rot-blaues Misstrauensvotum die gesamte Regierung gestürzt hat. Aber dennoch stimmten auch damals die Parteien ganz ohne Koalitionsbindung wild gegeneinander. Und auch die ÖVP blieb in der Panik des Wahlkampfes keineswegs unschuldig und stimmte einem Teil der vor allem von den Sozialisten ausgehenden Verschwendungsorgie zu.
Im nun anlaufenden Wahlkampf haben zwar vorerst alle Parteien (bis auf die Pilz-Grünen) versprochen, Ähnliches nicht mehr zu tun. Aber angesichts der hasserfüllten Stimmung zwischen den Parteien würde es sehr überraschen, wenn diese Versprechen wirklich bis zum Schluss hielten. Denn sogar die am meisten als Hüterin der Staatsfinanzen auftretende ÖVP hat mit der Ankündigung, die schwarz-blaue Nichtraucherregelung hebeln zu wollen, einen Beschluss gefasst, der wegen der Entschädigungsansprüche der betroffenen Wirte zu – wenn auch geringen – Budgetbelastungen führen wird.
Die zweite evidente Parallele zu 2008 ist Termin und Ursache von verfrühten Neuwahlen. Auch damals kam es in den Wochen vor dem Sommer zur Eskalation. Auch damals wurde Ende September (am 28.) gewählt. Auch damals löste ein ÖVP-Obmann (Willi Molterer) die Neuwahlen aus.
Der Anlass war allerdings damals besonders lächerlich. Er war eine sich inzwischen als völlig irrelevant erweisende Kursänderung der SPÖ unter ihrem neuen Chef Faymann in Sachen EU. Damals waren die Sozialisten unter dem Druck der Kronenzeitung auf Anti-EU-Kurs gegangen – etwas, woran sie sich heute gar nicht gern zurückerinnern: Sie forderten plötzlich, dass es bei allen künftigen EU-Vertragsänderungen Volksabstimmungen geben müsse. Heute ist eine solche Forderung wohl nur bei der FPÖ vorstellbar. Und würde zu der üblichen Großaufregung der linken Empörungsgesellschaft führen.
2008 formulierte Molterer die Empörung über die SPÖ-Forderung und die daraus seiner Ansicht nach folgende Neuwahlnotwendigkeit mit den Worten "Es reicht". 2019 klingt das "Genug ist genug" des gegenwärtigen ÖVP-Obmanns Sebastian Kurz bei seinem Verlangen nach Neuwahlen frappant ähnlich.
Nicht nur deshalb hat auch diesmal wieder die ÖVP große Probleme, die Wähler zu überzeugen, dass die Neuwahl-Entscheidung unausweichlich gewesen wäre. Und dass sie nicht eine unüberlegte Erstreaktion auf den Schock des Ibiza-Videos gewesen ist. Allerdings gibt es auch einen großen Unterschied: Heuer ist die problematische Entscheidung für Neuwahlen in der Öffentlichkeitswirkung ganz von der folgenden Misstrauensentscheidung von Rot und Blau gegen die gesamte Regierung überlagert worden. Diese gilt für noch mehr Wähler als Auslöser einer überflüssigen Destabilisierung der Republik.
Gleich ist jedoch, dass seither, so wie 2008, im Parlament das freie und nur von Parteitaktik und nicht mehr von Staatsverantwortung geprägte Spiel der Parteien Platz hat.
Das Ergebnis fiel 2008 jedenfalls anders aus als von Rot wie Schwarz erwartet. Es gab nämlich schwere Verluste sowohl für die ÖVP (sie fiel von 34 auf 26 Prozent), als auch für die SPÖ (von 35 auf 29). Hingegen stiegen die Freiheitlichen von 11 auf 18 und das BZÖ von 4 auf 11 (dieser Erfolg des BZÖ war zugleich der letzte des plötzlich wieder auf staatstragend gepolten Jörg Haiders).
Ob auch das Wahlergebnis 2019 dem von 2008 gleichen wird? Danach schaut es derzeit nicht aus (wobei freilich mehr als drei Monate Wahlkampf noch viel verändern können). Lediglich das schlechte Ergebnis der SPÖ dürfte schon feststehen. Die ÖVP hingegen befindet sich dank der überragenden Strahlkraft ihres Spitzenmannes auf Höhenflug. Die FPÖ würde nach den Umfragen etliches verlieren, während die Grünen deutliche Gewinne erwarten können, die 2008 ja leicht verloren haben.
Völlig aus dem Gedächtnis verschwunden ist hingegen die auf die Wahl folgende damalige Koalitionsbildung. Diese führte trotz der katastrophalen Verluste beider Parteien neuerlich Rot und Schwarz zusammen. Möglich wäre allerdings auch eine Koalition der drei Parteien der Rechten gewesen. Diese waren ja (auch 2008) mit 54 Prozent zusammen deutlich stärker als die Linksparteien. Insbesondere Haider arbeitete hinter den Kulissen auch sehr darauf hin, diese Mehrheit zu einer Koalition zu formen. Aber sein Gesprächsdraht zu H.C. Strache war als Langfristfolge von Knittelfeld und BZÖ-Bildung nicht mehr wiederherstellbar. Und auch in der ÖVP behielt der Raiffeisen+Wirtschaftskammer-Flügel, der damals noch sehr großkoalitionär gestimmt gewesen ist, die Oberhand. Was beide (ohne Konrad und Leitl) heute nicht mehr sind.
Auch das Jahr 2002 taucht oft in der Erinnerung auf. Mit ebenfalls erstaunlichen Parallelen: Auch damals war es ein ÖVP-Obmann, der vorzeitige Neuwahlen gewollt hat. Auch damals ging mit diesen Neuwahlen eine der besten politischen Perioden Österreichs zu Ende. Dies galt sowohl in Hinblick auf die ökonomischen Erfolgszahlen, wie auch auf die substanziellen Reformen in etlichen Bereichen, wie auch auf die geradezu freundschaftliche Atmosphäre in der Koalition.
Der große Unterschied zwischen 2002 und 2019 ist aber unbestreitbar: Damals war praktisch ganz Österreich einig, dass die Schuld an Neuwahlen bei der FPÖ lag, bei ihrem chaotisch-populistischen Basisaufstand von Knittelfeld sowie den ständigen eifersüchtigen Querschüssen und dem Zick-Zack-Kurs des Jörg Haider. Heute ist die Schuldverteilung für viele Österreicher viel weniger eindeutig.
Zwar liegt eindeutig das freiheitliche Ibiza-Desaster am Beginn der Neuwahlkrise 2019 – das ja auch trotz der kriminellen Methoden, mit denen "zivilgesellschaftliche" Linke eine mafiaartige Falle aufgestellt haben, ein Desaster bleibt. Aber zum Unterschied von 2002 hat die FPÖ binnen Stunden reinen Tisch mit allen Involvierten gemacht, weshalb die Entlassung von Innenminister Kickl für viele eine Überreaktion der ÖVP gewesen ist.
Eine weitere Ähnlichkeit zu 2002 ist zwar noch nicht eingetreten, aber sehr wahrscheinlich: Damals kam es nach der Wahl letztlich wieder zu Schwarz-Blau, das dann nahtlos in ein Schwarz-Orange überging. Aber es war eine zähe und total lustlose Wiederholung. Die Dynamik der Jahre 2000 bis 2002, die Aufbruchsstimmung und Bereitschaft, sich der aggressiven Linken entgegenzustellen (siehe Sanktionen der 2000 mehrheitlich links regierten EU-Länder, siehe linke Demonstrationen in Wien mit anfangs recht großem Zulauf) waren dahin. Sie waren auch nicht mehr reproduzierbar. Dies freilich nicht nur wegen der 2002 erlittenen Traumata, sondern auch weil das nun agierende blau-orange Personal zum Unterschied von vorher sehr schwach gewesen war.
Und wie wäre es heuer, wenn trotz allem auch diese Krise in ein neuerliches Schwarz-Blau münden sollte? Sicher ähnlich wie nach der Wahl 2002: Die positive Dynamik scheint nicht mehr möglich. Das 2019 verbliebene FPÖ-Personal ist zwar qualitativ besser als die FPÖ-Mannschaft 2002ff. Aber ein neuerliches Schwarz-Blau wäre dafür zwangsläufig von heftigen Rachegefühlen und Misstrauen gegen den Koalitionspartner beherrscht.
Hingegen wird sich eines sicher nicht wiederholen, was sich manche in der ÖVP vielleicht erhoffen: dass wieder weit mehr als die Hälfte der FPÖ-Wähler (die Partei fiel 2002 von 27 auf 10 Prozent!) fast geschlossen zur ÖVP überläuft. Diese hat damals (mit 42 statt 27 Prozent) den absolut höchsten Zugewinn der österreichischen Geschichte erzielt. Es spricht sogar viel dafür, dass sich die FPÖ weitgehend stabilisieren kann (sollte nicht H.C. Strache ihre jetzige Geschlossenheit zerstören).
Am spannendsten ist aber der Vergleich mit 2006 – obwohl den kaum jemand anstellt. Das sollte man aber vor allem in der ÖVP tun – bei aller Begeisterung über die Beliebtheit von Sebastian Kurz. Eigentlich sogar genau deswegen.
Denn (auch) 2006 ging der amtierende Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zusammen mit seinem wichtigsten Minister, dem nach 2002 von Blau auf Schwarz gewechselten Karl-Heinz Grasser, als haushoher Favorit in die Wahl. "Er mit wem?" titelten schon die Zeitungen, die auch auf Grund der Umfragen den Wahlerfolg Schüssels als sicher angenommen haben.
Aber genau diese vermeintlich feststehende Sicherheit eines ÖVP-Erfolges hatte ihr dann den Donnerschlag eingebracht, am Wahlabend nur, wenn auch knapp, als Zweite hinter der Gusenbauer-SPÖ aufzuwachen (obwohl diese selbst sogar einen Prozentpunkt verloren hatte!). Was war passiert? Die Schüssel-Wähler von 2002 wollten zwar eigentlich schon, dass Schüssel bleibt, aber den emotionalen Zwang, dies auch durch den Stimmzettel zu unterstützen, gab es nicht mehr. Man musste nicht mehr gegen das Knittelfeld einer mediokren und verantwortungslosen Funktionärskaste protestieren. Und der Sieg des erwünschten Kanzlers schien ohnedies schon festzustehen. Nirgendwo gab es das Gefühl, dass es "arschknapp" werden würde, das Parteien eigentlich regelmäßig vor Wahlen zu verbreiten versuchen.
Und da Schüssel selbst schon 2002 Koalitionsüberlegungen mit allen drei anderen Parteien (Rot, Blau, Grün) angestellt und damit alle drei ja selbst als regierungstauglich geadelt hat, war die Entscheidung vieler Wähler: Da such ich mir den Koalitionspartner jetzt selber unter diesen drei aus. So verteilten sich die acht von Schüssel wieder verlorenen Prozentpunkte auf Blau, Orange und Grün (sowie die Kronenzeitungs-Liste Martin mit drei Prozent), weniger auf Rot, das ja ebenfalls verlor.
Heuer ist die Situation erstaunlich ähnlich: Jeder glaubt zu wissen, dass der nächste Bundeskanzler nur wieder Kurz heißen kann. Und sehr viele finden das auch gut. Es gibt aber keinen wirklich emotional starken Grund, ihn deswegen auch zu wählen. Kurz scheint sich auch selbst alle Koalitionsvarianten offen zu halten. Die Umfragen lassen es sogar als möglich erscheinen, dass die ÖVP wie auf einer Speisekarte zwischen Rot, Blau, Pink und Grün wählen wird können. Das wäre mit Pink sogar eine Alternative mehr, als sie Schüssel 2002 hatte. Und wenn sich doch nicht alle vier Varianten ausgehen sollten, dann hätte Kurz immer noch durch die Dreierkombination mit Pink und Grün drei Möglichkeiten.
Es ist völlig klar, dass sich ein Teil der potenziellen Kurz-Wähler, sobald sie einmal diese Situation erfasst haben, so wie jene des Jahres 2006, im letzten Augenblick für jenen Koalitionspartner der ÖVP entscheiden wird, den sie vorziehen.
Wird das Kurz durchschauen? Fällt ihm eine Gegenstrategie ein? Führt er am Ende gar einen zwar motivierenden, aber unglaubwürdigen Wahlkampf "Ich will die Absolute, damit konfliktfrei regiert werden kann"? Wird er den Mut haben, sich schon vor der Wahl gegen bestimmte Varianten zu entscheiden? Derzeit schließt er ja nicht einmal Schwarz-Rot aus.
Und werden die Freiheitlichen durchschauen, dass ihre einzige Chance nicht in den jetzigen völlig unglaubwürdigen Vorwürfen gegen die ÖVP liegt (die etwa der gekränkte Kickl mit seinen wirren Andeutungen gestartet hat, dass die ÖVP hinter der Ibiza-Falle stecken könnte)? Sondern in der Aussage: "Eine Stimme für uns ist der beste Garant, dass es wieder zu einer bürgerlichen Koalition kommt. Wir sind bereit dazu. Eine Stimme für uns ist vor allem auch das beste Mittel, um die linksradikalen Grünen mit ihrer wohlstandszerstörenden Klimapanikmache von der Macht fernzuhalten"? Vorerst aber hat Parteiobmann Hofer selbst die Klimapanikmache übernommen. Deren radikalste Variante in den Vorstellungen der heiligen Greta ja bedeutet: keine Autos, keine Flugzeuge und keine Computer und Handys als die am schnellsten wachsenden Stromverbraucher. Ob das für die FPÖ ein Wahlkampfhit sein kann?
Der Wahlkampf wird spannend. Und er wird unter dem Motto stehen: Die Geschichte wiederholt sich – nur weiß man nie, welche Geschichte.