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Erwachsene Menschen sollten nach zwei Wochen des kollektiven Wahnsinns langsam wieder zur Vernunft zurückkehren. Es wäre zwar von Politikern zu viel erwartet, wenn man glaubt, dass sie jemals Fehler und Überreaktionen eingestehen und zugeben würden, unbedacht, emotional und parteiegoistisch gehandelt zu haben, statt auf die wahren Interessen dieser Republik zu schauen. Und im konkreten Fall auf das für diese Republik so wichtige und notwendige bürgerliche Projekt. Aber man sollte zumindest erwarten können, dass sie nach ein paar Tagen des Nachdenkens wenigstens insgeheim Fehler erkennen und vorsichtig wieder gutzumachen versuchen. Und nicht, dass sie diese noch vertiefen.
Jedoch: Schwarz und Blau zeigen sich wild entschlossen, den Weg der letzten 14 Tage seit Bekanntwerden des Ibiza-Videos fortzusetzen. Den Weg zur Selbstzerstörung – nein, nicht der beiden Parteien, aber des Projekts, für das sie eineinhalb Jahre gemeinsam gestanden sind, vorgegeben haben, gestanden zu sein, das von einer klaren Mehrheit der Österreicher für gut geheißen worden ist.
Denn das ist ein Projekt, das sie nur gemeinsam verwirklichen können. Das geht mit keinem anderen Partner. Das ist ein Projekt der Inhalte, wie sie in der gemeinsamen Regierungserklärung und etlichen realisierten Maßnahmen aufgelistet sind (und noch mehr in den Wahlprogrammen zu finden waren, die beide im letzten Nationalratswahlkampf ziemlich ähnlich formuliert haben). Das sind Inhalte, die von einem konsensualen Kampf gegen die illegale Migration über ein familienfreundlicheres Steuersystem und ein Zurückdrängen der Schleier wenigstens aus den Volksschulen bis zu etlichen Verbesserungen des Wirtschaftsstandortes reichen.
Aber nein. Ihnen ist es nicht primär um die Inhalte gegangen. Sie sind ganz stinknormale Parteipolitiker, Schwarz wie Blau. Das hat der widerliche Auftritt zweier FPÖ-Spitzenpolitiker von Ibiza genauso gezeigt wie die leichtfertige Auflösung der Koalition aus momentaner Emotion und parteitaktischer Überlegung durch den ÖVP-Obmann, und wohl auch aus Einknicken gegenüber dem Geheul der Medien.
Die jüngsten Absurditäten hat Herbert Kickl gesetzt, als er ohne jeden Beweis behauptet hat: "Sowohl was Herstellung als auch Verbreitung des Videos betrifft, könnten Spuren zur ÖVP führen." Mit Verlaub: Mit der Formulierung "könnten" und ohne irgendeinen Beweis kann man auch den Papst oder jeden sonstigen Menschen zwischen Portugal und Wladiwostok beschuldigen.
Alle bekannten Beweise führen nach links, allein die Verantwortungslinie des einst aus der Kanzlei Lansky gekommenen hauptverdächtigen Rechtsanwalts, dass er aus "zivilgesellschaftlicher" (also auf Deutsch: eindeutig linker) Motivation gehandelt habe, und viele andere Indizien sprechen eine klare Sprache. Ein britischer Journalist hat sie hier in der bisher umfassendsten Zusammenstellung aller Fakten zu Ibiza aufaddiert (die zwar auch einige unbewiesene Spekulationen enthält, die aber viele Zusammenhänge zu erklären scheint, die auch weiter zurückliegende Verbrechen und Intrigen umfasst).
Damit schadet sich Kickl – zweifellos bisher einer der intelligentesten und mutigsten Minister der implodierten Regierung, der sich auch vor dem Hass der Medien nicht gefürchtet hat, – primär selbst. Er hat zwar Recht mit der Beobachtung, dass die Wiener Staatsanwaltschaft die Untersuchung über die Täterschaft hinter der mafiösen Falle sehr, sehr träge begonnen hat, während die Korruptionsstaatsanwaltschaft sehr intensiv und blitzschnell bei allen Verdachtsmomenten aktiv geworden ist, die durch Strache gegen die FPÖ sprechen.
Aber wirklich jeder, der die Zustände in der Justiz kennt, weiß, dass sich viele Staatsanwälte in ihrem Innersten als die Exekutoren der linken Political Correctness fühlen und massive psychologische Beißhemmungen haben, wenn sie gegen Linke erheben müssen. Wie schlagseitig die Staatsanwaltschaft verkommen ist, zeigt ja die Tatsache, dass jetzt von einem unabhängigen Gericht ein Anklagepunkt nach dem anderen eingestellt wird, mit dem Staatsanwälte die Existenz des populärsten Finanzministers der letzten Jahrzehnte de facto auch ohne eine einzige Verurteilung ruiniert haben.
Die Annahme ist geradezu absurd, dass das einseitige Agieren der Staatsanwälte im Fall Ibiza auf Anordnung oder Wunsch des Justizministers erfolgt wäre: Denn hätte es auch nur die Andeutung eines solchen Wunsches gegeben, dann wäre das binnen weniger Stunden bekannt geworden. Sebastian Kurz hat mehrfach sogar ausdrücklich die intensive Aufklärung auch dieser Seite Ibizas verlangt (ohne dass er als Bundeskanzler da ein Weisungsrecht gehabt hätte). Und wie sehr der Justizminister in Sachen Strafrecht hilflos überfordert und unsicher ist, ist ja nicht gerade eine Neuigkeit. Der Mann ist höchstens zu peinlich-hilflosen Rufen nach Mediatoren imstande, wenn dort Staatsanwältinnen Amok laufen.
Wenn sich Kickl also als beweisfreier Verschwörungstheoretiker zu etablieren beginnt, dann gewinnt er zwar den Jubel von ein paar ähnlich strukturierten Menschen, dann verliert er aber den Respekt all jener, die in ihm lange einen wichtigen und mutigen Kämpfer gegen die illegale Migration gesehen haben, der da endlich auch wirklich konkret etwas macht und nicht nur redet.
Kickls Überreaktion ist zwar zweifellos Rache für den ungerechtfertigten Hinausschmiss durch den (Ex-)Bundeskanzler. Aber sie ist genauso falsch und emotional wie dieser.
Und so wird ein Hindernis nach dem anderen für ein eventuelles Wiederzusammenfinden von Schwarz und Blau nach der Wahl aufgebaut. Ein weiteres – gewaltiges – Hindernis scheint schon in Vorbereitung zu sein: Die Rückkehr des H.C. Strache in den Schoß der Partei, entweder im EU-Parlament oder in Wien.
Diese Rückkehr wäre ein starker Beweis, dass jene doch rechthaben dürften, die meinen, die FPÖ sei weder lern- noch besserungsfähig. Dabei hatte sich skurrilerweise Strache selbst in den letzten Jahren durch viele Aktionen sehr bemüht gehabt, um genau diese Lernfähigkeit der Partei unter Beweis zu stellen (und damit auch die moralische Überlegenheit beider bürgerlicher Parteien über eine SPÖ, wo man ohne Genierer und Reue Massenmördern von einem Guevara bis zu Lenin zujubelt). Aber kaum geht es darum, dass Strache keine Einkünfte aus einem öffentlichen Mandat mehr haben könnte, hat er alles vergessen.
Und so agieren beide (Ex)-Koalitionsparteien immer weiter an ihren Wählern vorbei. Jetzt geht es ihnen vier Monate lang nur noch darum, sich gegenseitig Stimmprozente abzujagen, statt darum zu zeigen, wie gut ein bürgerliches Projekt funktioniert hat und auch nach einem heftigen Gewitter funktionieren könnte. Nur sehr naive Geister können noch glauben, dass die gegenseitigen Verwundungen der letzten zwei Wochen und der nächsten vier Monate ohne schwere dauerhafte Folgen bleiben könnten.
Die Wähler jedoch denken anders. Das zeigt jetzt auch eine neue Umfrage des (durchaus SPÖ-nahen) Sora-Instituts. Während erwartungsgemäß 72 beziehungsweise 86 Prozent der roten und grünen Wähler über das Koalitionsende jubeln – genauer gesagt: "erleichtert" sind, sind das bei der FPÖ nur 4 Prozent und bei den ÖVP-Wählern nur 17 Prozent (damit ist übrigens auch erstmals die ganze Relevanz des Mitterlehner/Konrad/Karas/Fischler-Flügels gemessen, der ja immer lieber mit der Linken koaliert hätte). 59 Prozent der schwarzen und 67 Prozent der FPÖ-Wähler – also erstaunlich ähnliche Größenordnungen – sind hingegen jetzt tief enttäuscht.
Gegenseitige Aggressionen zwischen den beiden Parteien werden die Enttäuschung nur noch größer machen. Diese Aggressionen wird es aber mit Sicherheit in den nächsten Monaten geben. Wahlkampfzeiten sind ja sowieso die Zeiten der Aggression und Unvernunft. Zwischen den Ex-Partnern einer zerbrochenen Koalition ganz besonders. Dort wo eineinhalb Jahr jeder Hauch der Kritik verpönt war, explodiert sie jetzt umso heftiger.
Deshalb haben viele bürgerliche Wähler innerlich beschlossen, in den nächsten vier Monaten keine Zeitung mehr zur Hand zu nehmen, und keinen Fernsehapparat, kein Radio mehr aufzudrehen. Sie wollen ja keine Masochisten sein. Und sie werden den wählen, der ihnen dann im September am ehesten doch noch eine Wiedergeburt von Schwarz-Blau zu versprechen scheint.