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Sebastian Kurz hat – wohl angesichts eines suboptimal laufenden ÖVP-Wahlkampfs – sehr kämpferisch in diesen eingegriffen. Dabei hat er insbesondere die Überregulierung durch die Europäische Union attackiert. Diese ist ebenso wie Willkür bei der Rechtsanwendung in der Tat ein Riesenproblem. Nur haben er und die ÖVP erstaunlicherweise auch auf Nachfragen kaum konkrete Beispiele dafür genannt. Dabei gibt es die zuhauf. Auch besonders aus letzter Zeit. Man muss nur wissen, wo man zu suchen hat. Und den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen.
Das Hauptproblem, das letztlich hinter all den im Folgenden konkret aufgelisteten (und in vielen anderen) Fällen eines völlig unnötigen Eingreifens der EU in nationale Bereiche steckt, ist ein psychologisches: So gut wie jeder, der irgendwo in der EU eine noch so kleine Rolle bekommen hat, wird – selbst wenn er mit den saubersten Intentionen nach Brüssel gereist wäre – bald von der Regulierungslust befallen, die nichts anderes als die klassische Lust an der Macht ist.
Warum etwas ungeregelt lassen, womit man sich doch als Regler und Gleichschalter ins Geschichtsbuch eintragen könnte? Warum sollte etwas für die acht Millionen Österreicher eigens geregelt werden, oder gar nur für ein bis zwei Millionen Niederösterreicher, Wiener oder Oberösterreicher, wenn man es doch gleich für 500 Millionen anordnen, bestimmen, oktroyieren, diktieren, dekretieren, gleichschalten könnte? Solche Gedankengänge drängen sich umso mehr auf, wenn man sich – pardon: Wenn man die eigene Verordnung, Richtlinie, Gerichtsentscheidung doch für weit weiser hält als das, was die in Wien, Stockholm oder Lissabon, in Linz, Graz oder St. Pölten zustande brächten.
Außerdem ist man geistig – und physisch sowieso – dem lästigen Wähler viel ferner als die zweifellos provinziellen Politiker und Journalisten und Beamten, die daheimgeblieben sind ...
Wer leugnet, dass solche Motivationen ein ganz entscheidender Antrieb sind, der hat keine Ahnung von den Menschen. Diese Lust, diese Selbstüberheblichkeit ist bei fast allen Menschen im EU-Getriebe spürbar. Bei Beamten, Kommissaren, Abgeordneten, Brüssel-Korrespondenten, Richtern.
Die Freude daran, einen vereinheitlichenden Rasenmäher zu bedienen, zeigt sich ja auch eine Stufe darunter auf österreichischer Ebene: Jeder in Wien sitzende Journalist, jede Bundesbehörde und fast jeder Politiker hat doch schon Sätze formuliert wie: "Wozu brauchen wir neun verschiedene …" Jugendschutzgesetze, Bauordnungen, Jagdrechte usw. Was für die Burgenländer recht ist, muss doch auch den Tirolern passen.
Auch die Regierung Kurz hat erst vor kurzem (so wie ihre Vorgänger) einen klaren Hang zum überregulierenden Eingreifen in die individuelle Freiheit und Autonomie gezeigt. Wenn irgendetwas nicht gefällt, soll es verboten oder zumindest bürokratisiert werden, obwohl man es eigentlich als liberaler und toleranter Staat aushalten müsste, wie etwa drastische oder ungustiöse Formulierungen in Internet-Postings. Auch der völlig überflüssige Gebührenzwang fürs Fernsehen trotz vieler erfolgreicher privater Angebote, an dem die Regierung noch immer festhalten will, ist ja eindeutig Folge einer zentralistischen Macht- und Regulierungs-Gier.
Sie alle, linke sowieso, aber offensichtlich auch rechte Politiker, möchten regeln, regeln, regeln, wie wenn sie für den Haarschnitt auf einer Kadettenakademie zuständig wären.
Die Bekenntnisse zu Föderalismus, zu Subsidiarität, zu Autonomie, zu "liberaler Regelungsaskese", zu "mehr Raum für die Freiheit", zu einem "den Menschen Näherkommen" kann man sich ja dann wieder für die nächste Sonntagsrede, den nächsten Leitartikel, den nächsten Wahlkampf aufheben. Ein solches widersprüchliches Verhalten ist zwar verlogen, aber menschlich (verlogen sind Menschen ja bekanntlich auch in ganz anderen Bereichen: Es soll ja auch schon Priester gegeben haben, die in Sachen Sexualität ganz anders gepredigt als gehandelt haben. Oder Polizisten in Hinblick auf Alkohol am Steuer ...)
Zurück zur EU. Diese Lust am Regulieren paart sich in der Union mit ein paar Strukturfehlern, die dort noch viel leichter als innerstaatlich zum Überregulieren führen. Es gibt daher eine ganze Reihe von Ursachen, die zu der von Kurz zu Recht getadelten Überreguliererei führen, die er aber leider bisher nicht konkret angesprochen hat (vielleicht auch weil er als noch unfertiger Jurist automatisch Scheu hat, sich mit juristischen Großstrukturen anzulegen, denen gegenüber Wolfgang Schüssel der letzte mutige Kritiker gewesen war).
Dabei geht es um
Im Einzelnen:
Das ist zweifellos der öffentlich am wenigsten bewusste Überregulierungsmechanismus – jedoch der potenziell gravierendste und folgenreichste. Offenbar wagen viele nicht, das problematische Verhalten, beziehungsweise die zu weitreichenden Kompetenzen eines Gerichtshofs zu thematisieren. Sind doch Oberstgerichte für Nichtjuristen stets von einem Nimbus der Weisheit und Allwissenheit umgeben.
Oder begreifen Politiker und Medien noch gar nicht, wie gefährlich weit sich vor allem seit dem letzten EU-Vertrag für das Gericht riesige Tore zu einer völlig willkürlichen Einmischung in die kleinsten nationalen Details geöffnet haben? Die Aufnahme der Grundrechte ins EU-Recht und die extensive Gleichheitsjudikatur des EuGH haben das Zeug, die Mitgliedsstaaten und ihre nationalen Gerichthöfe zu kastrieren.
Dieses fundamentale Problem kann allerdings nur mit einer Neugestaltung des EU-Vertrags geändert werden. Diese wäre auch dringend nötig, soll Europa nicht zu einem Richterstaat werden, wo jeder demokratischen Kontrolle entzogene Richter hemmungslos Recht bis auf die kleinste Ebene herunter nicht nur sprechen, sondern auch gestalten.
Die deutschen Oberstgerichte protestieren schon sehr heftig dagegen (so Ferdinand Kirchhof, der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts: Der EuGH fälle "einseitige Entscheidungen ohne Rücksicht auf gewachsene nationale Rechtsinstitute").
Die jüngsten Beispiele:
Auch hier ist neuerlich der EuGH der Hauptübeltäter. Er ist immer mehr auch in jene Bereiche hineingegangen, die ohnedies schon der (zum Europarat gehörende) Menschenrechtsgerichthof sehr extensiv zugunsten der "Flüchtlinge" judiziert hat. Dadurch gibt es im Lauf der Jahre nun schon eine Unzahl von Urteilen beider Gerichtshöfe, deren Auflistung ganze Bücher füllt, die Hauptschuld an der Völkerwanderung tragen. Und die in Summe weit über die eigentlichen Ansprüche der Genfer Flüchtlingskonvention hinausgehen. Die es so extrem schwer machen, illegale Migranten wieder abzuschieben.
Jüngstes völlig unerträgliches Beispiel aus den allerletzten Stunden: Der EuGH hat dekretiert, dass EU-Staaten Migranten selbst dann als Flüchtlinge behandeln müssen, wenn diesen rechtskräftig der Flüchtlings-Status abgesprochen worden ist. Unfassbar, aber wahr.
Hier ist – noch? – nicht der Gerichtshof der Schuldige. Das sind Kommission, Parlament und der Rat der Minister, die mit dieser Begründung viele Richtlinien und Verordnungen erlassen haben.
Selbst wenn man alles für richtig und zwingend erachten würde, was die Klima-Paniker in diesem Zusammenhang behaupten, so ist jedenfalls Tatsache, dass noch so drastische Regelungen durch die EU alleine praktisch überhaupt nichts in Hinblick auf das Klima bewirken können. Denn Klimaveränderungen finden jedenfalls nur global statt. Daher ist es völlig sinnlos, wenn die EU mit ihrem global unbedeutenden Energieverbrauch alleine die Welt zu retten vermeint, wenn sie reihenweise drastische Maßnahmen setzt, bei denen der Rest der Welt aber nicht mitmacht.
Diese Maßnahmen schikanieren nicht nur die Bürger Europas sinnlos, sie schaden auch enorm der Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit Europas. Dabei ist die EU eigentlich einst genau zur Sicherung und Verbesserung dieser Fähigkeiten gegründet worden!
Der Beispiele sind Legion, wie etwa:
Insbesondere die Anti-Ungarn-Hatz der europäischen Linken und des (eigentlich christdemokratischen) Jean-Claude Juncker gegen Ungarn ist skandalös.
Im – eigentlich für die EU zentralen – wirtschaftlichen Bereich ignoriert man aus politischem Opportunismus oder Feigheit die Einhaltung der eigenen Regeln. Das ist genauso Willkür wie die genannten Bestrafungsversuche ohne rechtliche Basis.
Es ist völlig klar, dass es zu umso mehr Regulierungen kommt, je leichter diese beschlossen werden können. Und Mehrheiten sind immer viel leichter zu finden als Einstimmigkeit.
Dieser Mechanismus führt dazu, dass Lobbys auf EU-Ebene viel leichter Regelungen durchsetzen können als national. Denn – beispielsweise – ein Umweltminister muss in der EU nur eine ausreichende Mehrheit unter 27 anderen Umweltministern finden, um eine neue Regelung durchzubringen.
Auf staatlicher Ebene würde er hingegen den einstimmigen Konsens der ganzen Regierung benötigen. Das bedeutet, dass national immer auch die anderen Fachressorts – etwas Finanzen oder Wirtschaft oder Verkehr – mitsprechen können. Diese haben hingegen im Kreis der 28 Umweltminister keinerlei Stellenwert, kommen bei Umwelt-Richtlinien gar nicht zu Wort.
Diese Fehlkonstruktion wirkt auch in allen anderen Fachbereichen.
Das ist die zusätzliche Verschärfung des Inhalts von EU-Richtlinien bei der Erlassung der nationalen Durchführungsgesetze. Diesen Überregulierungsaspekt hat die österreichische Regierung schon als Problem erkannt und einige Golden-Plating-Gesetze novelliert.
Natürlich führt jede Rücknahme (praktisch immer sehr teurer!) von Golden-Plating-Maßnahmen zum Aufheulen der jeweiligen Profiteure. Die meisten stammen aus dem Eck der Grün- oder Soziallobby.
Sebastian Kurz hat also völlig Recht, wenn er die Überregulierung geißelt. Aber deren Behebung ist eine Riesenaufgabe, die durch Wahlkampf-Slogans nicht zu bewältigen ist. Da aber derzeit die Regelungsenergie ganz in diesen vielen kleinen Fragen aufgeht, hat Europa keine Energie mehr für die großen. Das kann nur durch eine große Vertragsreform gelingen.
Eine solche – den Konsens aller Mitgliedsstaaten erfordernde – Reform hat aber angesichts der geistigen und politischen Interessenlage in Europa praktisch keine Chance. Dabei wäre sie wahrscheinlich entscheidend für die Überlebensfähigkeit der EU und all der vielen unverzichtbaren Positiva, die es durch Wirtschaftsgemeinschaft und Binnenmarkt zweifellos gibt.