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"Wir werden vereint durch dick und dünn gehen." Phrasen dieser Qualitätsklasse erinnern stark an die Sprüche, die man zuletzt beim Bundesheer von nicht sonderlich intelligenten Ausbildnern gehört hat. Liest man sie aber in einer großangelegten Gipfelerklärung der EU-Regierungschefs, kann man nur noch entsetzt den Kopf schütteln. Ist der gemeinsame Nenner aller 27 (oder doch 28?) nur noch eine Mischung aus heißer Luft und Durchhalteparolen aus der Endphase schon verlorener Kriege? Nein, das ist er nicht – hinter diesen scheinbaren Phrasen versteckt sich noch viel Schlimmeres.
Denn die wahre, wenn auch getarnte Aussage dieses Satzes heißt ja: Wir lassen uns durch die Wähler nicht beirren, was auch immer diese bei der EU-Wahl sagen mögen. Wir machen so weiter wie bisher. Durch dick und dünn.
Zwar werden es die Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament unmöglich machen, dass es ganz einfach so wie bisher weitergehen kann. Denn zum ersten Mal in der Geschichte der EU und all ihrer Vorgänger wird es wohl keine gemeinsame "GroKo"-Mehrheit für Schwarz und Rot geben. Aber man will dennoch so weitermachen wie bisher. Durch dick und dünn.
Immer mehr Exponenten dieser beiden Lager machen inzwischen auch ungeschminkt deutlich, wie das gehen soll: Je mehr sich die Wähler nach rechts bewegen, umso mehr wird die De-Facto-Koalition nach – links erweitert. Keinesfalls nach rechts.
Ein bisschen pervers und undemokratisch? Ja. Sogar sehr. Aber dennoch nahezu gewiss. Als erstes will man jedenfalls die Linksliberalen (Neos & Co) in die Mehrheitsmannschaft dazunehmen (die in dieser ohnedies schon bisher mitgespielt haben). Aber längst plant man auch schon für den immer wahrscheinlicher werdenden Fall, dass selbst das nicht mehr für eine sichere Mehrheit reichen wird: Dann nimmt man halt auch die Grünen herein. Das wird von immer mehr EU-Politikern ganz offen zugegeben, auch wenn man es nicht direkt in ein Protokoll hineinschreibt, sondern vorerst nur mit "durch dick und dünn" umschreibt.
Dass man sich über die neue Machtstruktur schon weitgehend einig ist, wird jetzt auch durch das Ansetzen des nächsten Gipfeltermins geradezu schamlos deutlich: Schon zwei Tage nach der EU-Wahl tritt man wieder zusammen, um die Führungsfunktionen auszuschnapsen.
Das ist atemberaubend. In keiner einzigen Demokratie, die den Willen der Wähler noch irgendwie ernst nimmt, ist so etwas so knapp nach der Wahl möglich. Es sei denn, eine Partei schafft die absolute Mehrheit. In einer normalen Demokratie wird ansonsten immer lange und mühsam gerungen, zuerst innerhalb der Parteien und erst dann zwischen ihnen.
Dieser offensichtlich schon gefundene Koalitionskonsens bezieht sich freilich nur auf die Frage, auf welche drei – oder eben vier – Parteien sich die künftige EU-Führung stützen will. Bei der Personenfrage ist hingegen doch noch Sand ins Getriebe gekommen. Denn im Grund gibt es weit und breit keinen überzeugenden Kandidaten irgendeiner Fraktion für die zwei Präsidentenjobs in Kommission oder Rat.
Manfred Weber, der bayrische Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, gilt zwar in vielen Medien noch immer als leichter Favorit, aber er hat sich im Wahlkampf bisher keineswegs überzeugend präsentiert. Zugleich ist mehr als frappierend, dass Weber zwar in allen politischen Inhalten für den Angela-Merkel-Kurs steht, dass aber ausgerechnet die deutsche Bundeskanzlerin ihn nicht unterstützt. Ihr ist wichtiger, den deutschen Bundesbankchef Jens Weidmann auf den Chefposten der Europäischen Zentralbank zu hieven.
Da aber gleich zwei Deutsche in den drei wichtigsten EU-Positionen (also als Chefs von Kommission, Rat und EZB) undenkbar sind, hat sich Merkel mit der Entscheidung für ihren ehemaligen Mitarbeiter Weidmann automatisch gegen den CSU-Mann Weber entschieden. Da kann dieser noch so viel Merkel-Speichel lecken, wie er will – er dürfte als Leichtgewicht beim Personalringelspiel hinausfliegen.
Zwar muss man Merkel bei dieser Prioritätensetzung recht geben: Die EZB ist wichtiger und Weidmann ist besser. Aber es ist dennoch ärgerlich, dass der Merkel-Wille mehr zu zählen scheint als ein paar hundert Millionen Wähler. Offen bleibt freilich, wer dann statt Weber zum Zug kommen wird.
Wie auch immer die Personalfragen entschieden werden: Noch empörender ist, dass die Linksbewegung der EU trotz der zu erwartenden Rechtsbewegung der Wähler ganz offensichtlich ausgemachte Sache ist, und dass der kluge Vorschlag des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban einfach vom Tisch gefegt worden ist, die EU möge doch den erfolgreichen österreichischen Weg einschlagen: also entsprechend dem – wahrscheinlichen – Wählerwillen mit einer Rechtskoalition zwischen Christdemokraten, Konservativen und Rechtspopulisten, statt ohne Rücksicht auf die Wähler mit einem Linkskurs "durch dick und dünn".
Was vor allem die schon abgesegnete Hereinnahme der Grünen ins EU-Machtspiel bedeuten wird, kann man sehr konzentriert am jüngsten Cover des (ja immer für Linkskoalitionen eintretenden) Magazins "Profil" ablesen. Der dort stehende Wortlaut:
"Klimawandel
Wenn wir die Welt retten wollen, dürfen wir …
Das erscheint unmöglich. Oder?"
Soweit das "Profil". Gewiss, ein im Auflagenkeller befindliches Magazin muss durch drastische Titelseiten versuchen, doch noch ein paar Hefte zu verkaufen. Aber im Grund sind alle diese Forderungen schon ganz intensiv von grünen und linken Exponenten erhoben worden, also keineswegs eine "Profil"-Erfindung.
Für die plakative Zusammenstellung dieser Forderungen muss man dem Magazin durchaus dankbar sein – auch wenn sie nicht gerade in abschreckender Absicht erfolgt ist. Dieses Ideengemisch ist geradezu die perfekte Vorlage für eine ökofaschistische Diktatur. Unter dem Vorwand, die Welt retten zu müssen, soll totalitärer regiert werden, als es sämtliche bisherigen Vorläufer in Sachen Beschränkung der Freiheit der Menschen getan haben, die sich auf absurde Ideen wie Klasse oder Rasse konzentriert haben - was katastrophal und mörderisch genug geworden ist. Aber, wenn die Ideologie die Rettung der ganzen Welt als angebliches Ziel hat, dann darf man ja wirklich alles.
Auch die Gipfel-Erklärung von Hermannstadt (Sibiu) atmet genau diesen paternalistischen Geist, demzufolge allein die Obrigkeit weiß, wo es lang geht. Diese Anmaßung ist auch an anderen Passagen des Textes ablesbar.
Wie um Himmels willen will die Union glaubwürdiger und bürgernäher werden, wenn sie so denkt und nicht einmal mehr versucht, ihre Machtanmaßung und Ignorierung der Bürgerwünsche zu camouflieren?
Inhaltlich spannend und an sich eher positiv sind die Vorschläge einzelner Gipfelteilnehmer, insbesondere jener aus Frankreich und Österreich, die eine grundlegende EU-Reform fordern. Aber zu keinem einzigen Punkt gibt es auch nur annähernd einen Konsens:
Mit anderen Worten: In den nächsten Wochen wird viel Nettes, aber Irrelevantes zum Fenster hinausgeredet werden. Hinter den Vorhängen hat man hingegen schon viel weniger Nettes beschlossen. Die europäischen Bürger sind gut beraten, in dem unspezifischen "durch dick und dünn" nichts anderes als eine Kampfansage gegen sie zu erblicken.
PS: Nur damit kein Missverständnis bei den obenstehenden Zitaten entsteht: "Natürlich" hat die EU im deutschen Text gegendert. Was ich hier – wie immer – der besseren Lesbarkeit halber weglasse.