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Brigitte Bierlein ist eine überraschende, aber völlig unspektakuläre Persönlichkeit für den Job eines Übergangskanzlers. Sie erregt höchstens durch ihr Geschlecht Aufsehen. Dadurch hat die Verfassungsgerichtshof-Präsidentin bei aller politischen Unerfahrenheit jedenfalls einen großen Vorteil und eine gewisse Chance, in Ruhe gelassen zu werden.
Sie ist mit absoluter Garantie keine Person, welche die Übergangszeit dazu nutzen wird, um sich selbst zu profilieren, um mit der Brechstange etwas durchzusetzen, um aus der überraschend erklommenen Spitzenposition heraus eine neue Karriere zu starten.
Die eher bürgerlich geprägte Ex-Staatsanwältin wird vor allem eines tun: vorsichtig agieren. Womit sie zweifellos richtig handelt. Sie hat zwar keinen einzigen Abgeordneten hinter sich. Aber auch vorerst keinen einzigen gegen sich. Die bekämpfen sich lieber gegenseitig. Das gibt ihr etliche Stärke.
Obwohl sie unter Schwarz-Blau die großen Karrieresprünge gemacht hat, obwohl sie eher ÖVP und FPÖ nahe steht, kann die SPÖ sie nicht attackieren. Denn dort gilt ja seit einiger Zeit das schlichte Prinzip: Hauptsache, eine Frau. Durch diese Positionierung hat Bierlein gute Chancen, friedlich durch die politische Schlangengrube zu kommen. Die Regierung dürfte mit ihr in den nächsten Monaten ein eher ruhiger Ort werden, der politische Nahkampf findet im Parlament, in den Medien und in der Öffentlichkeit statt.
Mit ihrem Avancement zur Bundeskanzlerin muss Bierlein nun sofort als Richterin abtreten. Was sie allerdings in wenigen Monaten sowieso tun hätte müssen. Ihr Abgang öffnet vorzeitig den Weg für den eigentlich schon seit langem feststehenden Nachfolger Christoph Grabenwarter, bisher Vizepräsident hinter ihr. Das Avancement des 52-jährigen steirischen Universitätsprofessors mit schon intensiver internationaler Reputation und ebenfalls leicht bürgerlichem Anstrich, der aber auch mit der Linken sehr gut auskommt, wird mit Sicherheit langfristig viel bedeutungsvoller sein als die jetzige, so viele Schlagzeilen machende Übergangsregierung. Er wird schon auf Grund seines niedrigen Alters eine ganze Generation der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit prägen können.
Das größte Positivum für Bierlein liegt aber wohl darin, dass all die schlimmen Namen, über die zuletzt in den Medien als neue Bundeskanzler spekuliert worden war, nicht zum Zug kommen. Das waren vor allem als dauerkeppelnde Muppets auftretende Ex-Politiker wie die Herren Fischler und Fischer, oder auch der Vorgänger Bierleins im Verfassungsgericht, der zum eifrigen SPÖ-Unterstützer mutierte Christdemokrat Gerhart Holzinger.
Mit dem – eindeutig der SPÖ nahestehenden – Clemens Jabloner, den Bierlein bereits als Vizekanzler und Justizminister nominiert hat, und dem – eindeutig der ÖVP und insbesondere Sebastian Kurz nahestehenden – Alexander Schallenberg als Außen- und Europaminister hat sie zwei durchaus renommierte Persönlichkeiten gefunden, die auch die Waagschale zwischen Rot und Schwarz symbolisieren. Wobei bei Schallenberg interessant ist, dass es hier um keinen pensionierten, sondern einen durchaus noch aktiven Diplomaten geht, was nach seiner Regierungszeit seine Rückkehr in Reih und Glied wohl erheblich erschweren wird. Jabloner ist hingegen schon seit sechs Jahren als Präsident des Verwaltungsgerichtshofs in Pension. Bei ihm liegt das Problem auf einer anderen Ebene: Er ist in der Vergangenheit mehrmals als juristischer Erleichterer der Migration aufgefallen. Wobei freilich auch der Verfassungsgerichtshof diesbezüglich keine positive Bilanz hat.
Wenn Jabloner da weitere Akzente in diese Richtung setzen sollte, könnte es jedenfalls rasch sehr laut um die Regierung werden.
Eher skurril ist in den letzten Stunden aufgefallen, wie begeistert sich der Bundespräsident und einige Journalisten ausgerechnet an der "Eleganz" der Verfassung begeilt haben. Nun ja, eine Verfassung, die dem Bundespräsidenten bei der Ernennung eines Bundeskanzlers volle Freiheit gibt, ist für ihn selbst in den Stunden dieser Freiheit gewiss "elegant". Ist er doch bei sämtlichen anderen Aktionen seiner Tätigkeit ja strikt an Vorschläge der Regierung gebunden (wobei trotz aller "Eleganz" stets umstritten war, wieweit er dabei die Freiheit hat, Nein zu Regierungsvorschlägen zu sagen).
Aber jedenfalls war es ganz und gar nicht elegant, wie sich der Bundespräsident selbst in den Stunden der Regierungskrise verhalten hat. Er hat eindeutig nicht auf die Stabilität des Landes geschaut. Denn sonst hätte er seine ganze Energie auf eine Überwindung der Krise und die Forderung gesetzt, dass die Regierung weiterregieren solle. Er hat jedoch ganz eindeutig den Bundeskanzler nicht auf dem Weg in vorzeitige Neuwahlen gebremst, sondern ihn darin bestärkt, wenn nicht gar hineingetrieben.
Die Pflicht, solche Versuche zu bremsen und zerstrittene Parteien zu versöhnen, steht zwar in keiner Verfassung der Welt, weder den eleganten noch den uneleganten. Aber die allermeisten Präsidenten dieser Welt sehen dennoch genau im Verhindern allzu leichtfertig ausgeschriebener Neuwahlen ihre oberste Aufgabe und weniger in der Eleganz. Sie nehmen im Interesse ihrer Staaten auch in Kauf, dabei möglicherweise zu scheitern. Van der Bellen hätte daher das Lob nur dann verdient, das ihm jetzt so viele zubilligen, wenn er dieses Risiko eingegangen wäre.
Zurück zur Regierungsneubildung: Bei den restlichen Ministerposten herrscht jetzt noch ein paar Tage Rätselraten, welche der vielen gerüchteweisen Namen ernst gemeint sind. Unter den Genannten gäbe es auch einige, die nicht nur interessant, sondern auch extrem geeignet wären, zumindest in einer Übergangsregierung für ein halbes Jahr ihre Fähigkeiten zu zeigen.
Für diese Tätigkeit kommen naturgemäß primär ältere Kandidaten, erfahrene "Ex-" in Frage, die völlig unabhängig sind, die meist schon in Pension oder knapp an der Schwelle zu ihr sind. Eher nicht zum Zug im Kabinett der 70-Jährigen werden jüngere Persönlichkeiten, die bald wieder in den Beruf zurückmüssten, kommen. Einige interessante Ältere:
Aber ich halte mich besser zurück: Schließlich habe ich beim letzten Anlass einer Regierungsbildung einen Josef Moser empfohlen. Und das hat sich halt als gar kein guter Rat erwiesen.
Eines muss aber klar sein: Bierlein wäre ganz schlecht beraten, wenn sich ihre Übergangsregierung schlicht als eine simple Wiedergeburt der Großen Koalition von einst erweisen sollte. An die erinnern sich nämlich noch allzu viele Österreicher allzu traumatisch. Gerade daher sollte sie zumindest einen Freiheitlichen aufnehmen.
PS: Einer der vielen von vielen Seiten ausgestreuten Propaganda-Spins hat sich jetzt schon als Unsinn erwiesen: nämlich die Behauptung der ÖVP, dass Rot und Blau identische Ministerempfehlungen deponiert hätten. Die drei nun bekannt gewordenen Namen widerlegen das eindeutig.