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Die europäischen Wahlen haben begonnen. Aber noch immer sind viele Europäer unschlüssig, wen sie wählen sollen. Auch ich. Zu viele widersprüchliche Probleme, Notwendigkeiten und Anliegen gehen da durcheinander. Deswegen habe ich bei zwei Plattformen durchgespielt, bei denen man den Grad der Übereinstimmung der eigenen Position mit denen der Parteien messen kann – und bin zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen. Freilich: Dass ich wählen werde, gültig wählen werde, habe ich auch schon vorher gewusst.
Beide Plattformen empfehlen mir FPÖ und ÖVP als de facto für mich annähernd gleichwertig: Mit beiden Parteien habe ich rund 80 Prozent Übereinstimmung, bei der einen Wahlbörse liegt die eine Partei voran, bei der anderen die andere. Deutlich dahinter kommen erst die Neos. Und weit abgeschlagen am Ende stehen Rot und Grün. Ich lerne: Ich werde also noch bis Sonntag die Qual der Wahl haben.
Diese Qual bestätigt aber auch sehr konkret und anschaulich, wie sehr das bloß repräsentative Wahlsystem jeden Bürger entmündigt. Ich kann ja nur eine einzige der beiden mir gleichermaßen nahestehenden Parteien wählen. Diese bekommt dadurch 100 Prozent meiner Stimme – also meines einzigen Mitspracherechts, während die andere Null Prozent bekommt.
Wie viel gerechter, demokratischer, logischer, menschenwürdiger wäre es, wenn das anders, wenn das direktdemokratischer wäre. Also wenn ich bei Referenden immer so abstimmen könnte, wie es meinen Überzeugungen entspricht: einmal ähnlich den Schwarzen, und bei anderen Fragen so wie die Blauen. In manchen anderen Punkten wieder so wie die Pinken. Und in vielen Fragen so wie zwei davon oder alle drei.
So aber bin ich hilfloses Opfer dessen, was dann fünf Jahre lang von einer Partei mit meinen hundert Prozent als angeblich umfassender Wählerauftrag gemacht wird. Das macht oft schmerzhaft bewusst, wie sehr man im Wortsinn meine Stimme abgegeben hat. Und nie zurückbekommt.
Zusätzliche Qual entsteht, wenn ich daran denke, dass Schwarz wie Blau mir eigentlich vor der letzten Wahl die Einführung der direkten Demokratie versprochen haben. Und dieses Versprechen nicht eingehalten haben.
Die noch viel größere Qual besteht jedoch darin, dass eine künftige Zusammenarbeit jener beiden Parteien unwahrscheinlich geworden ist, mit denen beiden ich so große Übereinstimmung habe. Und die offenbar auch zueinander inhaltlich sehr deckungsgleich sind, wie mein Wahlbörsen-Ergebnis zeigt, und wie auch die letzten eineinhalb Jahre zeigen.
In Hinblick auf Österreich gibt es diese Qual, dass diese beiden nicht zusammenarbeiten wollen, erst seit einer Woche. EU-weit hingegen schon seit Monaten. Dafür ist vor allem der Linkskurs von CDU/CSU verantwortlich, die ja als größte Partei in der Europäischen Volkspartei tonangebend sind. Und denen auch der Othmar-Karas-Teil der ÖVP hündisch folgt. Lediglich der Ungar Viktor Orbán spricht sich für dasselbe aus wie ich, also eine Zusammenarbeit der beiden rechten Parteifamilien, gegen die dann kein europäisches Regieren möglich wäre.
Ich habe hier in diesem Blog inhaltlich schon in mehreren Texten meine konkreten Analysen, Sorgen und Hoffnungen in Hinblick auf die EU darzulegen versucht (etwa allein im letzten Monat hier und hier und hier und hier und insbesondere hier), will das daher nicht mehr wiederholen, sondern sehr subjektiv meine aktuelle Wahlentscheidung analysieren.
Dass sich sowohl FPÖ wie ÖVP zuletzt gar nicht mit Lorbeeren bekränzt haben, bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung nach der letzten Woche. Auf der einen Seite war da die Widerlichkeit des Strache-Benehmens in Ibiza, auf der anderen die schlecht durchdachte Kurz-Entscheidung, ohne Rücksicht auf die Folgen wegen einer offenbaren Aversion gegen den Innenminister eine Regierungskrise auszulösen. Dennoch werde ich eine dieser beiden Parteien ankreuzen – und mich weiterhin als zwischen den beiden bürgerlichen EU-Lagern Zerrissener fühlen. Wie die folgenden Punkte meiner Wahlüberlegungen zeigen:
Jeder bürgerliche Wähler ist zu beglückwünschen, der sich angesichts dieser Widersprüche mit seiner Wahlentscheidung leicht tut. Dennoch bin ich absolut sicher, dass ich eine gültige Stimme abgeben werde. Entweder für Edtstadler oder für Vilimsky. Entweder für Vilimsky oder für Edstadler.
Der Grund ist klar: Würde ich daheimbleiben, anders oder ungültig wählen, dann würde das die Linke stärken. Und diese ist praktisch in allen Fragen so katastrophal positioniert, dass es das Allerletzte wäre, was Europa oder Österreich gut täte:
Diese inhaltliche Ablehnung linker Politik auf praktisch allen thematischen Feldern wird noch gesteigert durch die Empörung über die ständige Einseitigkeit der Rot und (noch mehr) Grün unterstützenden Medien. Diese sind nicht mehr imstande, Bericht und (immer in die gleiche Richtung gehende) Meinung zu trennen. Diese berichten über viele Dinge einfach nicht, die ihnen ideologisch nicht passen.
So hat man in den Medien zwar (zu Recht) alles über die Verkommenheit des FPÖ-Ex-Obmannes erfahren, so hat man dort von Beginn an (zu Unrecht) jede Aktion des FPÖ-Ex-Innenministers hasserfüllt verhöhnt. Aber fast nirgends habe ich gelesen, dass eine SPÖ-Ex-Bundesrätin vor einer Woche zu zehn Monaten bedingter Haft wegen schweren Betrugs verurteilt worden ist (während es ja sehr offen ist, ob Strache ein für eine Verurteilung ausreichendes Delikt gesetzt hat). So habe ich nur in einer einzigen Zeitung gelesen, dass jetzt unmittelbar vor der EU-Wahl ein niederländischer Minister zurücktreten hat müssen, weil er die schwere Kriminalität von Migranten durch Manipulationen an der offiziellen Statistik zu vertuschen versucht hat, um den Rechtsparteien zu schaden.
Bei allem Ärger über FPÖ wie ÖVP: Nie war aus all diesen Gründen ein Signal gegen linke Politik wichtiger. Auch wenn mein Stimmzettel gewiss nur ein schwaches Signal ist. Aber es ist das einzige, das ich habe.