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Das Schweigen am Rathausplatz

Je mehr geredet wird, umso vielsagender ist, was nicht gesagt wird. Das war auch beim Mai-Aufmarsch der Wiener Sozialisten so.

Fünf Redner – doch keiner nahm die Worte "Flüchtlinge, Zuwanderer, Migranten" in den Mund (das "Team Haltung" besteht offensichtlich nur mehr aus Reinhold Mitterlehner). Sogar wenn gegen die Regierungs-Reform der Sozialhilfe polemisiert wurde, ging es nur um arme Kinder, nicht mehr um arme Asylanten.

Natürlich, die Wiener SPÖ ist im anlaufenden Wahlkampfmodus – und Michael Ludwig hat zumindest verstanden, dass die eigenen Parteigänger mit den Zuwanderer-Massen, die das Klima der Stadt vollkommen verändert haben, nicht mehr zurechtkommen wollen. Also umschweigt er das Thema, um weder den rechten, noch den linken Parteiflügel zu vergraulen. Ob das reicht, um die zur FPÖ abgewanderten Genossen "heim" zu holen, und ob es genug ist, die bei der letzten Nationalratswahl geliehenen Grün-Stimmen zu halten, sei dahingestellt. Eher werden es beide Gruppen als das einordnen, was es ist: als Feigheit, Stellung zu beziehen.

Forsch hingegen Ludwigs Ansage: Keine Koalition mit der FPÖ in Wien. Bei allem Regierungs-Malus, den Strache und Co. nun einstecken müssen, wird ihm vielleicht gar nichts anderes übrigbleiben. Denn die Wiener ÖVP bewegt sich kaum vom Fleck, die Grünen haben die eigenen Leute vergrault (man erinnere sich an das flott übergangene Anti-Heumarkt-Aufbegehren der Basis) und eine mehr als schwache neue Frontfrau, und mit Neos wird sich wohl auch nichts ausgehen. Freilich: In der Not kann man dann immer noch den ominösen Kriterienkatalog hervorkramen und feststellen, dass die Wiener Freiheitlichen ja ganz anders sind. Was Hans-Peter Doskozil im Burgenland diagnostizieren kann, bringt doch auch ein Michael Ludwig zusammen. Auch Ideologie darf man nicht so eng sehen. (Und wie im Roten Wien nach 130 Jahren der ideologische Schwerpunkt zum Tiefpunkt geworden ist, lässt sich bei Andreas Schieder nachhören, der die Massen am Rathausplatz mit der tiefgründigen Frage hypnotisierte: Welche Farbe hat der Feuerlöscher?)

Ebenfalls beredt umschwiegen wurde das eigentliche Thema dieser Tage: die Steuersenkungs-Pläne der Regierung.

Und das ist kein Wunder. Denn da passt die vorgefertigte Munition über wirtschaftshörige Freunde des Großkapitals, die mit böser sozialer Kälte zu Werk gehen, nicht. Im Gegenteil, der Faktor Arbeit wird entlastet.

Drei Viertel des Volumens von 8,3 Milliarden sollen etappenweise bis 2022 den Arbeitnehmern zugutekommen – und da den drei unteren Steuerstufen sowie (über die Reduktion der Krankenversicherungsbeiträge) den Kleinverdienern, die gar keine Steuern zahlen. Damit nähert sich die Abgabenquote bis auf einen halben Prozentpunkt den von Sebastian Kurz im Wahlkampf versprochenen 40 Prozent an – was ein echter Fortschritt ist und eine spürbare Entlastung.

Mit der steuerlichen Begünstigung von Mitarbeitererfolgsbeteiligungen von bis zu 3000 Euro pro Person und Jahr erhalten wiederum Arbeitnehmer ein Stück vom Erfolgskuchen.

Wenn den Menschen somit mehr Geld bleibt, könnte das einer Abkühlung der Konjunktur, mit der gerechnet wird, entgegenwirken. Wahrscheinlich besser als die meisten staatlichen Krisen-Investitionspakete, die immer nur neue Budgetlöcher aufreißen.

Gegen all das kann man nicht gut sein, auch wenn man sich im 1.Mai-Fieber befindet. Gegen die Senkung der Körperschaftssteuer in zwei Schritten von 25 auf 21 Prozent natürlich schon, auch wenn es wider jede wirtschaftliche Vernunft ist, weil es den Wirtschaftsstandort stärkt. Aber Vernunft ist noch selten auf Kundgebungen mitmarschiert.

Die Vernunft scheint diesmal eindeutig im Regierungslager geblieben zu sein. Denn diese Entlastung unterscheidet sich grundlegend von allen Vorgängermodellen: Sie soll weder mit neuen Steuern, noch mit neuen Schulden finanziert werden. Im Gegenteil, der angekündigte Schuldenabbau soll weitergehen. Budget-Überschüsse und Systemeinsparungen sollen das möglich machen – auch wenn der Finanzminister hier bedauerlicherweise noch sehr vage bleibt. Trotzdem ist dieser Ansatz, sich nicht mit der rechten Hand aus den Taschen der Bürger das zu holen, was man ihnen zuerst mit der linken zugesteckt hat, mehr als erfreulich.

Und wenn Hartwig Löger Probleme hat, diese Zusage einzuhalten, kann er sich vertrauensvoll an Pamela Rendi-Wagner wenden: Sie hat nämlich hunderte Milliarden auf der Straße liegen sehen, die nur aufgehoben werden müssen. Vielleicht verrät sie uns ja die genaue Adresse.

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