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Alexander van der Bellen hat in den letzten Tagen viel falsch gemacht. An diesem Faktum kann die Begeisterung der linken Medien für ihn nichts ändern. Ist er doch trotz seines ständigen Geredes von Stabilität einer der Hauptverantwortlichen für die Eskalation der Instabilität. Hat er sich doch insgeheim über Regierungskrise und Neuwahlen gefreut, diese sogar betrieben, statt sich als ein ans Staatsganze Denkender dem allen vehement und beruhigend entgegenzustellen. Aber in einem Punkt hat er absolut Recht: als er in einer seiner Predigten gesagt hat, dass Politik eine "längere Lernzeit" brauche.
Ganz Ähnliches sagte in diesen Stunden auch der französische Präsident Macron (in Hinblick auf die EU und seine Ablehnung von Manfred Weber): Es brauche Persönlichkeiten mit "Erfahrung und Glaubwürdigkeit".
Nie hat man die Richtigkeit dieses Satzes deutlicher gemerkt als in den vergangenen Tagen. Und bei keiner anderen Person hat man es deutlicher gemerkt als bei Pamela Rendi-Wagner, der seit 2018 amtierenden sozialdemokratischen Parteichefin.
Ihr öffentliches Agieren hat schon Kult-Status gewonnen, freilich durchwegs als Exempel peinlicher Auftritte, die schon Anlass unzähliger Witze geworden sind. Über ihr nervöses Lachen zu völlig falschen Zeitpunkten; über die ihrem Gesicht ständig ablesbare Angst; über ihr völliges Untertauchen in Krisenzeiten; über ihre Hilflosigkeit gegenüber Rülpsern von Partei-"Freunden" aus Kärnten, Tirol, Burgenland und Wien; über ihren gespenstischen Nachtauftritt vor dem Hintergrund einer steinernen Männerriege mit der begründungslosen Verkündigung des Misstrauensvotums gegen die ganze Regierung, bei dem sie sich krampfhaft mit beiden Händen an einem Mikrophon festhielt, als ob sie ein ORF-Redakteur wäre. Und so weiter.
Fall es noch jemanden gibt, der zu ihrer Verteidigung antreten sollte, wird er vermutlich darauf hinweisen, dass Frau Rendi mit 48 Jahren doch um fast genau 50 Prozent älter ist als der 32-jährige Sebastian Kurz, also doch viel mehr Erfahrung haben muss. Jedoch: Es geht nicht um allgemeine Lebenserfahrung, sondern eben, wie der Bundespräsident gesagt hat, um politische Erfahrung, um Gewandtheit im wohl härtesten Hand-, Mund- und Kopfwerk, das es gibt. Und da zeigt sich: Sie hat als Medizinerin, als Impfspezialistin, als Diplomaten-Gattin, als Beamtin zwar honorige Tätigkeiten ausgeübt, aber keinerlei politische Erfahrung gesammelt. Und auch als (vorher nicht einmal der sie nominierenden Partei angehörende) Gesundheitsministerin auf neun Monate des Jahre 2017 ist sie noch keineswegs im Zentrum des politischen Sturms gestanden, um wettererprobt zu werden.
Das ist kein moralischer Vorwurf an sie, das ist nüchterne Feststellung von Unfähigkeit. Demgegenüber hatte Kurz schon eine viel längere politische Erfahrung gesammelt, als er ein Jahr vor ihr ÖVP-Obmann geworden war. Das vier Jahre von ihm geleitete Außenministerium ist zusammen mit Finanz- und Innenressort zweifellos das weitaus politischste und universellste Ressort einer Regierung. Er war vor seiner Außenministerzeit schon 2011 Staatssekretär im Innenministerium geworden, wo er den Mut hatte, sich in Sachen Integration zu profilieren, also bei einem Thema, dem alle anderen ÖVP-Politiker aus dem Weg gegangen sind, um nur ja nicht bei Gutmenschen anzuecken. Und er war noch davor schon in Wien Gemeinderat gewesen und in der Jungen ÖVP heftig aktiv (bei der er auch durchaus die Gelegenheit nutzte, Fehler zu begehen).
Es war aus allen erwähnten Gründen im Vorjahr grob fahrlässig vom SPÖ-Vorstand gewesen, Rendi-Wagner zur Parteivorsitzenden zu machen. Es war bereits damals absehbar gewesen, dass das schief gehen würde. Schon bei ihrer Wahl stand im Tagebuch: "Pamela Rendi-Wagner könnte einem fast leid tun".
Eine andere Prophezeiung von mir hat sich freilich nicht erfüllt, nämlich dass der Kärntner Landeshauptmann Kaiser noch vor der nächsten Wahl die Partei übernehmen werde. Dazu kommen die Wahlen jetzt viel zu früh. Dazu hat sich Kaiser durch den Nepotismus-Skandal der EU-Kandidatur seines eigenen Sohnes auch zu sehr selbst beschädigt. Dazu ist das Kärntner Wahlergebnis für die Genossen auch viel zu schlecht – vor allem im Vergleich zu Wien, der letzten roten Hochburg, wo es Zugewinne statt spürbarer Verluste gab, wo freilich ebenfalls kein Fan Rendis sitzt.
Jeder Sozialdemokrat zittert angesichts des anlaufenden Wahlkampfs schon davor, wenn Frau Pam in TV-Diskussionen Herrn Basti gegenübersitzt, der selbst gegen Armin Wolf, den Erzfeind aller nichtlinken Politiker, regelmäßig KO-Siege erzielt. Falls hingegen Rendi bei ihren Auftritten in irgendeiner Hinsicht Punkte erzielen kann, werden es wohl nur solche des Mitleids sein. Auch gegen die (mutmaßliche) pinke Spitzenkandidatin Meinl-Reisinger und gegen den auf einer Wiederauferstehungseuphorie schwimmenden Grünen Kogler wird sie fast mit Sicherheit absinken.
Warum ist das so? Aus vielen Gründen. Einer ist sicher, dass Kurz die SPÖ zumindest derzeit taktisch völlig in die Ecke getrieben hat. Er wirkt wie ein souveräner Schachspieler, der immer drei Züge vorausdenkt, während seine Gegner schon am nächsten Zug verzweifeln und gleichzeitig ob tausend irrelevanter Details total die Konzentration verlieren.
Ein noch mehr gravierender Grund ist, dass europaweit die Epoche der Sozialdemokratie weitestgehend vorbei scheint. Die Sozialisten haben sich (mit Ausnahme Dänemarks, Rumäniens und der Slowakei) fast überall in den letzten Jahren als fanatische Unterstützer der Migration und Islamisierung diskreditiert. Genderismus, Schwulismus, Gesamtschul-Begeisterung, Wirtschaftsfeindschaft, plötzlicher EU-Fanatismus als gesellschaftspolitische Hauptbotschaften sind alles andere als mehrheitsfähig.
Und auch die ständige Gebetsmühle "Aber das Soziale!" lockt angesichts eines überbordenden und die Zukunft unserer Kinder belastenden Wohlfahrtssystems keinen Wähler mehr hinter dem Ofen hervor. Angesichts der in sämtlichen österreichischen Betrieben nachweisbaren Realität ruft es nur noch Gelächter hervor, wenn die SPÖ ständig den Eindruck erwecken will, dass jetzt alle Arbeiter tagtäglich zwölf Stunden und jede Woche 60 Stunden arbeiten müssen. Die wenigen, die das tun, haben sich darum gerissen, damit sie ihre Freizeit (oder die Pfusch-Betätigung) optimieren können, damit sie mehr Geld verdienen, weil sie gerade Haus bauen. Aber in rotgrünen Politologie-Seminaren und in noblen Innenstadt-Beisln glaubt man halt immer noch, die Welt in verstaubten und oft gescheiterten, aber edel klingenden Theorien aus dem vorletzten Jahrhundert wiederzufinden. Und klammert die Realität völlig aus.
Ein Blick über die Grenzen zeigt: In der großen Mehrzahl der Länder in Ost und West sind die Sozialdemokraten – mit zwei, drei landesspezifischen Ausnahmen – in steiler Talfahrt. Mancherorts haben sie nicht einmal ein einziges Mandat errungen. In diesem Vergleich nimmt sich der beständige Abstieg der SPÖ fast noch harmlos aus, liegt sie doch zum Unterschied von der SPD noch über 20 Prozent.
Man muss Rendi-Wagner auch persönlich zugute halten, dass sie als einzige nicht Nein gesagt hat, als die Partei angesichts des von Christian Kern angerichteten Scherbenhaufen verzweifelt einen Chef gesucht hat. Die damals (noch) starken SPÖ-Männer in Kärnten und Eisenstadt wollten nicht. Sie hingegen als einzige Ja gesagt hat. Dass sie davor von Christian Kern aus eher niedrigen Beweggründen in die Kronprinzessinnen-Rolle gedrängt worden war, hatte sie ja nicht durchschaut gehabt: Der hat sich dadurch selbst abzusichern versucht, indem er eine schwache Person an die zweite Stelle gehievt hat, die ihm nicht gefährlich werden konnte, gegen die aber zugleich auch niemand etwas sagen konnte, weil Rendi außer für ein hübsches Gesicht für nichts stand.
Heißt ihr Scheitern, dass halt doch Frauen für so schwierige Spitzenfunktionen nicht geeignet sind? Dafür scheint auch zu sprechen, dass in England gerade eine Frau nach einem krachenden Scheitern als Regierungschefin abtreten muss; dass auch die Parteichefinnen beider deutscher Koalitionsparteien in einer schweren, möglicherweise letalen Krise stecken. Diese Doppelkrise ist durch etliche Eigenfehler und vor allem die schweren Niederlagen beider Parteien bei der EU-Wahl gewaltig eskaliert. Die Parallele wird dadurch noch augenfälliger, dass sowohl die CDU-, wie die SPD-Parteichefin im gleichen Jahr 2018 wie Rendi an die Spitze ihrer Parteien gekommen sind.
Dennoch wäre es allzu simpel, ihr kollektives Scheitern mit ihrem Geschlecht zu erklären. Die Galerie gescheiterter männlicher Spitzenpolitiker ist ja noch immer viel, viel umfangreicher. Außerdem gibt es auch weibliche Spitzenpolitiker, die – zumindest derzeit – im Aufwind sind. Siehe Angela Merkel, die nach jahrelanger Krise (angesichts der fehlenden Alternativen) derzeit wieder erstaunliche Zustimmungswerte hat. Siehe die Neos-Chefin, die mit ihrem einem Maschinengewehr gleichenden Mundwerk trotz Jungmutterschaft zur gewichtigsten Oppositionspolitikerin aufgestiegen ist. Siehe Karoline Edtstadler, die einen sensationellen Vorzugsstimmenerfolg auf der ÖVP-Liste erzielt hat.
Der Edtstadler-Erfolg hat viele Gründe (etwa die Unterstützung durch Sebastian Kurz, ihre eigene Loyalität zu Schwarz-Blau, die Aversion vieler Wähler gegen die jahrelange regierungskritische Politik des männlichen ÖVP-Listenführers, die durchaus überzeugenden Edtstadler-Auftritte). Aber nie habe ich in diesem Wahlkampf gehört: Man müsse für Edtstadler sein, weil sie eine Frau ist.
Und genau das ist das Problem von Rendi-Wagner. Bei ihrer Kür ist nämlich sehr oft von Genossen als Hauptmotiv gesagt worden: "Es ist Zeit für eine Frau." Viele Rote haben geglaubt, sich dadurch billig als progressiv zu erweisen. Und haben daher völlig ignoriert, was für eine blutige Anfängerin Rendi-Wagner ist.
Aber im Grund war und ist dieses Argument "Zeit für eine Frau" frauenverachtend. Man nimmt eine Frau nicht, weil sie die Beste ist, sondern weil es halt einmal eine Frau sein soll. Das ist für all die vielen tüchtigen Frauen diskriminierend. Das kommt erst recht bei all jenen Frauen nicht gut an, die sich primär für die Rolle als Mutter und Familienmanagerin entschieden haben (eine mindestens ebenso wichtige Aufgabe). Die meisten Frauen sind viel zu klug, um nur deshalb für eine andere Frau zu sein, weil sie eine Frau ist. Sehr oft entsteht sogar der Eindruck, dass Frauen andere Frauen hinter schwesterlicher Freundlichkeit besonders kritisch beobachten.
Dieses "Zeit für eine Frau" ist lediglich ein Argument für städtische Bobos beiderlei Geschlechts, die sich fortschrittlich geben wollen, die aber im Grund überzeugt sind, dass Frauen es eben nur über Quoten, und kampffeministische Pseudo-Argumente schaffen, weil sie es in Wahrheit durch ihre Fähigkeiten alleine nicht schaffen können.
Genau das ist am meisten für die Katastrophe Rendi-Wagner verantwortlich. Und sie selbst, weil sie sich (aus falscher Selbsteinschätzung? aus Eitelkeit? aus Pflichtbewusstsein?) nicht Nein zu sagen getraut hat.
PS: Die Bedeutung der von Van der Bellen und Macron so betonten und bei Rendi vermissten Erfahrung zeigt in diesen Tagen auch noch ein anderer internationaler Politiker, der absolut ohne Erfahrung plötzlich in einer Spitzenposition gekommen ist: Der vom Komiker zum ukrainischen Präsidenten avancierte Wolodymyr Selenskyi. Er gab offen zu, dass die ersten Tage im Amt "ein bisschen schockierend" seien.