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Reinhold Mitterlehner hat in den letzten Stunden viele Österreicher in ihrem einstigen Urteil über ihn bestätigt. Mit seiner – ausgerechnet mit Hilfe einer Linksaußen-Journalistin vom "Falter" zu Papier gebrachten – Autobiographie und mit seinen diversen Auftritten in den letzten Stunden hat der ehemalige Vizekanzler und ÖVP-Obmann nicht, wie zweifellos beabsichtigt, Sebastian Kurz vernichtet, sondern sich selbst. Und das wohl für den Rest seines Berufslebens.
Denn kein Arbeitgeber, kein Verein, keine Organisation, in der auch nur ein Minimum an Intelligenz regiert, wird einen Mann noch für irgendetwas engagieren, der imstande ist, nach seinem Ausscheiden die Firma öffentlich so rachegetrieben zu attackieren, wie es Mitterlehner nun in Hinblick auf die ÖVP tut. Er hat damit das kritische Urteil über seine politische Intelligenz bestätigt, das viele schon während seiner aktiven Tätigkeit über ihn gehabt haben. Und er hat nun zusätzlich auch ebenso kritische Urteile über seinen Charakter ausgelöst, den viele eigentlich bisher nicht negativ eingestuft hatten.
Es bleibt letztlich rätselhaft, was ihn dazu getrieben hat. Ging es darum, einmal noch für ein paar Stunden im Scheinwerferlicht zu stehen? Hat er sich von falschen Freunden aufhetzen lassen? Ist er so voll Hass, Frust- und Rachegefühlen, dass diese einmal explodieren mussten? Unprofessionell ist es in jedem Fall.
Jedenfalls haben schon viele Politiker unfreiwillig ihren Job verloren, ohne dass sie sich dann nachher voll Selbstmitleid weinerlich hingestellt und über ihren Abschuss geklagt hätten. Sie täten das klugerweise vor allem dann nicht, wenn noch das ganze Land und insbesondere die eigenen (Ex-?)Parteifreunde in guter Erinnerung haben, was sich vor zwei Jahren wirklich abgespielt hatte. Und sie hätten doppelt davor zurückgeschreckt, wenn ganz Österreich in der Buchveröffentlichung primär eine vordergründige Rache dafür sähe, dass Mitterlehner den offenbar versprochenen – oder zumindest als Abfindung in den Raum gestellten – Job in der Nationalbank nicht bekommen hat.
Mitterlehner fehlt jedes Gespür dafür, wie sehr er jetzt selbst in der Meinung fast aller sinken wird, die ihn als zwar politisch überforderten, aber eigentlich harmlos-netten Mann in Erinnerung hatten. Er wird sich jetzt nur noch zusammen mit Christian Konrad, Christian Kern und Norbert Darabos im Kreis der Frustrierten bewegen können. Aber auch diese drei waren zu klug, als dass sie ihren Abgangszorn über Raiffeisen beziehungsweise SPÖ in einem Rachebuch nach außen getragen hätten. Sie wussten im Gegensatz zu Mitterlehner: Das tut man einfach nicht.
Seine jetzigen Auftritte erinnern an jenes Wort, das Michael Spindelegger öffentlich verwendet hat, als er selbst 2014 den ÖVP-Pilotensessel verlassen musste: Die "Intriganten" hätten gewonnen. Und jeder wusste, wer als der oberste Intrigant gegen Spindelegger gemeint war: ein gewisser Reinhold Mitterlehner, der prompt sein Nachfolger wurde ...
Allerdings war Spindelegger in der Folge viel zu klug, um nach diesem einen Satz in seiner Abschiedspressekonferenz noch jemals auszupacken oder seinen Nachfolger anzupinkeln. Das haben davor auch die Herren Mock oder Riegler oder Molterer nicht gemacht, als sie abgeschossen worden sind. Bei Wolfgang Schüssel war es anders: Er ist nach dem Wahlergebnis 2006 sofort selbst freiwillig gegangen – weil er wusste, was sonst passieren würde. Ähnlich handelte einst auch Josef Klaus. Spindelegger-Vorgänger Josef Pröll wiederum hat aus privaten Gründen das Handtuch geworfen, bevor ihn noch jemand loswerden wollte.
Trotz der Unterschiede beim Abgang haben sich alle genannten Herren ähnlich verhalten: Keinem kam jemals öffentlich ein böses Wort über Nachfolger oder Partei über die Lippen (obwohl sie genug im Herzen hatten). Sie blieben professionell. Sie blieben parteiloyal. Und – ja, sie wollten auch gewiss weiterhin interessante Aufgaben bekommen. Die nun Mitterlehner sicher niemals erhalten wird. Wohl nicht einmal von Othmar Karas, den er als einzigen ÖVP-Politiker gut wegkommen lässt. Denn eine Mitterlehner-Unterstützung wird Karas jetzt nur zusätzlich schaden.
Ganz ähnlich wie die schwarzen Ex-Parteichefs haben sich auch die meisten abservierten SPÖ-Obmänner nachher total diskret verhalten. Auch sie haben nicht nachgetreten, sondern sind öffentlich völlig verstummt, sobald sie gegangen sind – fast immer unfreiwillig nach zum Teil heftigen Intrigen. Man denke etwa an den Abgang von Kern, Faymann, Gusenbauer oder Klima. Da gab es keine Interviews mehr und schon gar kein Beschimpferbuch. Fast schien es, als wären sie am nächsten Tag aus den Geschichtsbüchern gelöscht.
Lediglich die Herren Kreisky und Busek haben nachher wie Muppets öffentlich auf die Nachfolger geschimpft, was ihren Nachruf prompt massiv beschädigt hat. Die beiden sind freilich auch schon zu Aktivzeiten in ihrer intellektuellen Überheblichkeit immer wieder öffentlich über Parteifreunde hergezogen (die Opfer hießen etwa Androsch oder Mock). Aber Mitterlehner übertrifft beide mit seinem nunmehrigen Frust-Auftritt bei weitem.
Man könnte ihn ja noch verstehen, hätte er wenigstens irgendwelche konkreten Enthüllungen über arge Skandale auspacken können. Aber da ist nichts. Denn dass in einer Partei intrigiert wird, oder dass sich Intrigen-Gespräche an Sonntagen abgespielt hätten oder dass sich vor Sitzungen Teilnehmer regelmäßig vorbesprochen hätten, zählt nicht wirklich in die Kategorie echter Skandale.
Besonders absurd ist die Mitterlehner-Behauptung, in Österreich ginge es heute autoritär zu. Zwar wären die jüngsten Zensur-Regelungen durch EU und durch die geplante Klarnamenpflicht Indizien in diese Richtung, aber das wird jedenfalls durch den Verhetzungsparagraphen weit übertroffen, der Erregung von Hass mit schweren Haftstrafen bestraft. Der ist aber beschlossen worden, als Mitterlehner in der Regierung war ...
Aber all das meint der Buchschreiber mit seiner Kritik ohnedies nicht, sondern er meint den Umgang mit Flüchtlingen. Und da ist es nur noch schwachsinnig, jene Politik als autoritär zu bezeichnen, die der große Teil der Österreicher will. Der Umgangston zwischen Koalition und Opposition beziehungsweise Gewerkschaft ist von beiden Seiten gewiss nicht freundlich. Aber er ist nicht "autoritär". Und er unterscheidet sich nicht einmal marginal von dem genauso schroffen Umgang jener Regierung, deren Vizekanzler Mitterlehner gewesen ist, mit der damaligen Opposition. Der Mann sitzt also voll im Glashaus, aus dem er nun mit Steinen wirft.
Und im Glashaus sitzt Mitterlehner aber auch deshalb, weil er intensiv selbst als Intrigant aktiv war. So etwa bei der Abhalfterung von Leo Maderthaner als Wirtschaftskammer-Präsident, also als damaliger Chef von Mitterlehner (wodurch Christoph Leitl Kammerpräsident geworden ist und als Dank sein Nationalratsandat an Mitterlehner abgetreten hat). So seine Rolle im Aufsichtsrat der Pleite-Plakatfirma Epamedia (samt Raiffeisen-Connection). So seine Kooperation mit den Herren Maier (ebenfalls Raiffeisen) und Raidl, die schon 2013(!) eine Ablösung von Spindelegger durch Mitterlehner in die Wege zu leiten versuchten.
Ich selbst hatte Mitterlehner noch im Herbst 2015 helfen wollen und bei einem langen Frühstück unter vier Augen lange zugeredet, in der Flüchtlingsfrage massiv auf Kontrast zu Faymanns und Merkels "Welcome"-Euphorie zu gehen. Der Versuch war freilich vergeblich, wie rasch offensichtlich wurde. Bei unserer letzten Begegnung vor etlichen Wochen konnte ich nicht umhin, ihm zu sagen: "Hätten Sie damals auf mich gehört, wären Sie heute noch ÖVP-Obmann." Auch wenn ich da nicht ganz so sicher bin, denn Strahlemann wäre Mitterlehner auch dann nicht geworden ...
Tatsache ist jedenfalls, dass Mitterlehner nicht deshalb gescheitert ist, weil Sebastian Kurz so erfolgreich gegen ihn intrigiert hatte, sondern
Das alles will Mitterlehner aber nicht begreifen (wer akzeptiert schon das eigene Versagen). Daher akzeptiert er auch nicht: Sein Ende kam aus Gründen, die einzig an ihm selbst gelegen sind.
Heute muss man hinzufügen: Hätte er sich damals schon öffentlich so total links positioniert, wie er das nun tut, dann wäre die ÖVP mit ihm sogar bei einstelligen Wählerprozenten gelandet, sofern sie überhaupt noch ins Parlament gelangt wäre.
Was er offenbar auch nicht begreift: Ein Parteiobmann hält sich immer nur solange, solange er Erfolge bringt. Und es ist nur lächerlich, wenn Mitterlehner sich jetzt darauf beruft, dass er in seinen allerersten Tagen im Amt gute Umfragewerte gehabt hat – aber damals hat ihn halt noch kaum jemand gekannt.
Und jedenfalls ist klar: Sobald ein Parteiobmann Misserfolge bringt, beginnt unweigerlich ein kollektives Intrigieren, Sesselsägen und die Suche nach einem Nachfolger. Denn jede Partei besteht ja überwiegend aus Menschen, denen der Verlust ihres eigenen Postens, ihres eigenen Mandats droht, wenn die Partei verliert. Daher werden Parteifunktionäre immer ganz unerbittlich, sobald eine Wahlniederlage droht. Da gibt es keine Loyalität, keine Freundschaft, keine Cartellbrüderschaft mehr.
Mit anderen Worten: Mitterlehners Schicksal wäre auch dann besiegelt gewesen, hätte es Kurz gar nicht gegeben. Denn er hatte die ÖVP zum absoluten Tiefpunkt ihrer ganzen Geschichte geführt gehabt. Ohne Kurz hätten die verzweifelten ÖVP-Menschen halt einen Sobotka oder einen Schelling oder einen Haslauer zur Übernahme gedrängt – in der Überzeugung, dass es jeder besser machen würde als der Oberösterreicher.
Daher kann man ob einer solchen sinnlosen Selbstzerstörung nur noch Mitleid haben.
PS: Enthüllend ist, dass Mitterlehner jetzt neben Kurz besonders scharf den damaligen Innenminister Sobotka als Sprengmeister der rot-schwarzen Koalition attackiert. Aber auch da haben halt allzuviele Menschen noch in Erinnerung, dass es in Wahrheit zuerst der SPÖ-Chef Kern gewesen ist, der als Bundeskanzler den Innenminister der eigenen Regierung öffentlich verhöhnt hatte, bevor Sobotka dann in den Gegenangriff gegangen ist. Aber an Kern übt Mitterlehner interessanterweise in keiner Weise Kritik – er wird mit ihm wohl eher die Selbsthilfegruppe der Opfer des Sebastian Kurz gründen …
PPS: Einen besonders deutlichen Kontrast zu Mitterlehner bildet übrigens sein Vorvorgänger Willi Molterer. Auch diesem war vom Nachfolger ein attraktiver Posten versprochen worden, den Molterer dann nicht erhalten hat: An seiner Stelle wurde Johannes Hahn österreichischer EU-Kommissar. Molterer biss aber, wenn auch leicht verbittert, die Zähne zusammen und schwieg – und konnte so etliche Zeit später doch noch interessante europäische Funktionen übernehmen, nämlich in der Europäischen Investitionsbank und im Europäischen Fonds für Strategische Investitionen. Die er jetzt wohl auch länger behalten wird als Hahn seinen Kommissionssitz. Molterer war halt ein etwas klügerer und charaktervoller Oberösterreicher …