Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Eigentlich glauben ja viele Europäer und insbesondere auch ihre Medien, dass sie demnächst die Führung der EU wählen. Aber ganz offensichtlich ist dem ganz und gar nicht so. Denn in Wirklichkeit hat die politische Führung EU-Europas mit dieser Wahl so gut wie nichts zu tun. In den EU-Verträgen steht es zwar nicht so. Aber die Realität ist so.
Die Schwäche, wie auch die verwirrende Vielfalt der EU-Institutionen, sowie die Schwäche, wie auch die Uneinigkeit der übrigen Nationen Europas haben die EU in allen wichtigen politischen Fragen weitgehend auf ein deutsch-französisches Zweipersonenstück reduziert. Während EU-Kommission und Parlament sich über Unwichtigkeiten wie die Sommerzeit streiten, wird Europa heute de facto von einem Direktorat Merkel-Macron im Alleingang geführt. Es geschieht nichts Gravierendes in der EU, was die beiden nicht wollen, solange sie sich einig sind. Und in der Außenwahrnehmung besteht Europa überhaupt nur noch aus Merkel und Macron.
Der Rest Europas ist irrelevanter denn je. Und das wird wohl auch nach den Wahlen so sein. Unabhängig davon, wie diese ausgehen.
Wie unwichtig auch diese beiden selbst die Wahlen einschätzen, zeigt derzeit insbesondere Angela Merkel. Die deutsche Bundeskanzlerin will maximal an einer einzigen Wahlveranstaltung teilnehmen, und das auch nur, weil an dieser auch mehrere andere Regierungschefs teilnehmen sollen. Alle anderen Termine hat sie abgelehnt.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Merkel ist die Regierungschefin des (köpfemäßig und wirtschaftlich) stärksten EU-Landes. Sie kommt aus jener – deutschen wie europäischen – Fraktionsgemeinschaft, die nach der EU-Wahl den Kommissionspräsidenten stellen will. Der Kandidat dieser Fraktionsgemeinschaft für den obersten Kommissions-Job ist überdies ein Deutscher, ist geradezu ein Klon Merkels. Und zugleich werden die Aufforderungen ihrer Speichellecker immer heftiger, dass doch Merkel gleich selber diese Funktion übernehmen sollte – also nach der theoretisch entscheidenden Wahl, die aber Merkel total egal ist, die an den Bürgern Europas, an Begegnungen mit ihnen nicht mehr interessiert ist.
Kann man den Wählern eigentlich brutaler zeigen, wie sehr man sie verachtet, für wie irrelevant man sie hält?
Die Motive Merkels für dieses provozierende Verhalten sind klar: Sie ahnt, dass das Wahlergebnis für ihre Fraktion alles andere als triumphal sein wird (selbst wenn die Europäische Volkspartei als Folge der noch ärgeren Verluste der Sozialdemokraten die Nase vorne haben könnte). Sie will danach nicht schon wieder eine Wahlniederlage rechtfertigen, beziehungsweise kleinreden müssen. Überdies ist ein Teil der europäischen Bürger heute über vieles so aufgebracht, dass es bei Veranstaltungen mit Merkel auch zu gröberen Protesten kommen könnte. Die Randale der (von einer bürgerlichen Massenbewegung zu einer linksextremistischen Gewalttätergruppe mutierten) Gelbwesten könnten ja auch in Deutschland stattfinden.
Es ist freilich keineswegs so, dass die Frau mit der Raute an Europa oder der Außenpolitik desinteressiert wäre. Ganz im Gegenteil. Sie macht fast nur noch europäische Politik. Als Zweipersonenstück mit Emmanuel Macron. Ohne dass es irgendeinen Beschluss, einen Vertrag darüber gäbe, hat sich gerade in der Außenpolitik diese Regression EU-Europas auf die beiden schon sehr verfestigt.
Neben diesem ununterbrochenen Paarlaufen der beiden geraten die eigentlichen EU-Gremien für die Außenwelt völlig ins Abseits. Das gilt für Rats- wie Kommissionspräsident genauso wie für die Außenkommissarin. Und dass derzeit Rumänien die halbjährige EU-Präsidentschaft ausübt, hat wohl überhaupt niemand mehr in der Welt mitbekommen (was freilich angesichts der rumänischen Zustände noch ein Glück für die EU ist).
Die Mutation der EU zu einem deutschfranzösischen Reich wird freilich auch von den beiden hauptberuflichen EU-Präsidenten keineswegs bekämpft. Der Pole Tusk träumt von der Achse Paris-Berlin-Warschau, bei der Warschau in seiner Perspektive nur deshalb derzeit abgehängt ist, weil dort die (seiner Meinung) falsche Partei amtiert. Und der Luxemburger Juncker kommt aus einem zwischen den beiden großen Staaten liegenden Kleinststaat, der komplett deutsch-französisch denkt und spricht und handelt. Aus einem Land, das seine eigene Identität widerspruchslos wie die einer Doppelkolonie der beiden Nachbarn sieht.
Juncker hat diese Luxemburger Perspektive komplett in die EU transferiert. Er hat sich in seiner gesamten Amtszeit immer nur nach den beiden Metropolen orientiert. Er hat nie etwas gegen den Willen der beiden großen Nachbarn Luxemburgs unternommen. Und er ist in den Ostertagen nun sogar so weit gegangen, Merkel – obwohl sie ja bei den Wahlen gar nicht auf- oder antritt – als seine eigene Nachfolgerin vorzuschlagen.
Beklemmend. Aber eigentlich nicht überraschend, wenn man die Geschichte Luxemburgs kennt.
Henry Kissinger, der berühmteste US-Außenminister der letzten Jahrzehnte, würde jedenfalls seinen Ausspruch wohl nicht mehr wiederholen, dass er nicht wüsste, wer in Europa eigentlich anzurufen ist. Es genügen inzwischen ganz offensichtlich zwei Telefonnummern.
Nur Donald Trump scheint sie nicht zu kennen. Genauer gesagt: Natürlich kennt er sie, aber er kann mit Merkel überhaupt nicht und ruft sie daher nicht an. Umgekehrt kann auch sie nicht mit ihm. Sie posiert lieber mit Vorgänger Obama. Trump ist freilich fast der einzige, der im Vorjahr noch geglaubt hat, dass es überhaupt noch einen Sinn hat, sich mit Juncker statt mit dem Duo Merkel-Macron zu treffen, wenn man mit Europa reden will. Das Treffen Trump-Juncker schien auch gut zu klappen – inzwischen ist aber Ernüchterung eingekehrt, weil seine Beschlüsse nicht realisiert werden. Vor allem die Franzosen wollen den Amerikanern keine Konzessionen machen.
Zwar sind auch die zuvor erwähnten Begegnungen anderer Staatschefs mit Merkel und Macron bisher nicht sonderlich erfolgreich gewesen. Aber dass sich China & Co nur noch an die beiden halten, ist mehr als nachvollziehbar. Sie können nichts mit 27 Staatenrepräsentanten gleichzeitig anfangen. Die Brüsseler Institutionen nimmt man nicht ernst. Und sie spüren den Geruch der Macht.
Die übrigen Europäer sind freilich in hohem Ausmaß selber schuld, dass sie in der Weltpolitik kaum mehr vorkommen, dass sie – wie auch Österreich – von Moskau, Peking und Washington nur noch als Bauern im globalen Schach angesehen werden, die China etwa mit "Seidenstraßen"-Gaukelei gefügig macht. Lediglich die vier Visegrad-Staaten haben es unterhalb der EU-Ebene einigermaßen zu einer relevanten Kooperation gebracht. Aber auch sie sind noch in vielerlei Hinsicht zu heterogen, um wirklich relevant zu werden. Hörbarer Widerstand gegen die beiden selbsternannten Führer Europas kommt nur bisweilen aus Budapest und Rom. Aus Wien schon lange nicht mehr.
Da ist es eigentlich kein Wunder, dass sich die Briten – eigentlich zweitwichtigste Macht Europas – gerade angewidert von dem deutsch-französischen Klub abzuwenden versuchen. Sie haben sich dort nie wirklich wohlgefühlt. Umgekehrt hat Frankreich die Briten nie wirklich in der EU gemocht.
Gewiss: Angesichts der europäischen Geschichte gibt es gewiss Schlimmeres als deutsch-französische Kungelei. Gerade in Österreich kann man sich ja noch gut daran erinnern, dass Frankreich mehr als tausend Jahre fast ständig eifersüchtig gegen jene intrigiert hat (diplomatisch wie auch militärisch), die östlich des Rheins wichtig waren, wie eben lange die Habsburger in Wien.
Nur darf man halt schon verwundert anmerken, dass es eigentlich keinerlei demokratische Legitimation in der EU für dieses Duumvirat gibt. Dass sich insbesondere Merkel auch nicht im Geringsten um eine solche bemüht. Dass Macrons Partei wohl nur in der viertstärksten Fraktion des künftigen Parlaments sitzen wird, was ja auch kein wirklicher Führungsauftrag ist.
Zurück zu Merkel und ihrem auch für die Deutschen selbst demokratiepolitisch seltsamen Verhalten: Dieses zeigt ein historisch schon oft beobachtbar gewesenes Phänomen. Wie schon so viele Menschen vor ihr, die an der Spitze eines Staates gestanden sind, hat sie nach einigen Jahren so weit wie möglich begonnen, die Niederungen der Innenpolitik zu meiden und sich in die noblen Etagen der internationalen Politik zurückzuziehen. Dort begegnet man den dummen Wählern nicht mehr. In Staatskanzleien, bei Brüsseler Ratssitzungen und bei internationalen Konferenzen ist man unter seinesgleichen. Da wird nur klug geredet. Da benehmen sich alle sehr distinguiert.
Subjektiv ist das ja verständlich. Aber Demokratie heißt eigentlich etwas ganz anderes, als dass die Politik nur durch Gipfeltreffen oder durch Küsschen-Küsschen zwischen Macron und Merkel gemacht wird.
Wenn die Großen dieser Welt allzu weit abheben, dann geraten sie in einen luftleeren Raum, wo man abzustürzen droht. Wo die Kleinen nicht mehr mittun. Wo das Volk nicht mehr mittut.