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In der schwarz-blauen Koalition ist aus eher marginalem Anlass der bisher tiefste Zwist entstanden, der möglicherweise letal enden wird. Dessen Kern besteht gar nicht in unterschiedlichen Bewertungen des eher unbedeutenden Minivereins der "Identitären", sondern im geänderten Umgangston zwischen den Koalitionsparteien. Sebastian Kurz hat das für die Koalitionshygiene so entscheidende Prinzip der gleichen Augenhöhe zwischen den beiden Parteien aufgegeben und kehrt plötzlich öffentlich den Chef heraus. Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit mittelfristig zu einem neuen Knittelfeld führen, zu einem Zerreißen oder Absprung der Freiheitlichen. Das wird Kurz zwar kurzfristig den Beifall der Mainstreammedien eintragen – aber auch das Ende seiner Regierungsformel. Und die Rückkehr der Linken zur halben Macht, die gerade einem (im Gegensatz zu den Identitären) wirklich zur Gewalt aufrufenden Linksextremisten namens Ziegler zugejubelt haben.
Was Kurz im Gegensatz zu den Kontakten zwischen Freiheitlichen und Identitären bisher mit keiner Silbe widerlich gefunden hat. Und was ORF& Co schon gar nicht als berichtenswerte Sauerei empfinden.
Zur Erinnerung für jene, die es vergessen haben, oder die damals zu jung gewesen sind (wie auch Kurz selber): Zwischen 2000 und 2002 war die schwarz-blaue Regierung Schüssel ungemein erfolgreich gewesen. Sie ist trotz heftigen Gegenwindes aus vielen Medien und den anderen EU-Staaten mutig wichtige Reformen angegangen und hat sich großer Sympathien erfreut, nicht zuletzt auf Grund des engen Zusammenhalts zwischen den Koalitionsparteien. Dieser war weit enger und vertrauensvoller als er je zwischen Schwarz und Rot gewesen ist (mit Ausnahme der Besatzungsjahre nach 1945 und der Zeit rund um das EU-Referendum 1994).
Das alles kommt einem heute wieder sehr aktuell vor. Auch die Frist bis zum Ablauf der Flitterwochen: Diese dauern offensichtlich zwischen Schwarz und Blau regelmäßig nicht ganz zwei Jahre. Dann schmeißt immer jemand die Nerven weg. Erstaunlicherweise tut das jedes Mal einer der talentiertesten Politiker des Landes.
Damals war es eindeutig Jörg Haider, der, obwohl gemeinsam mit Schüssel Vater der Koalition, inzwischen gelb vor Neid über den Erfolg dieser Regierung geworden war. Der FPÖ-Chef war 2000 freiwillig nicht in diese Regierung gegangen, sondern Landeshauptmann in Klagenfurt geblieben. Aber er ertrug es in der Folge nicht, dass Schüssel trotz seiner emotionsarmen Art (oder gerade deswegen?) inzwischen sensationelle Popularitätswerte errungen hat und dass auch Haiders einstige Pressesprecherin Susanne Riess-Passer als Vizekanzlerin erstaunlich strahlend dagestanden ist, während er zum provinziellen Bösewicht geworden ist.
Bei einer FPÖ-Versammlung in Knittelfeld zündete Haider dann die Bombe gegen die eigene Regierungsmannschaft. Das gelang ihm relativ leicht, denn die FPÖ war und ist eine Partei mit einer überaus heterogenen Mitglieder- und auch Wählerschaft (bestehend vor allem aus vielen ins Kleinbürgertum aufgestiegenen Arbeitern, altliberalen Akademikern, deutschnationalen Nostalgikern, heimlichen NS-Sympathisanten, schlagenden Burschenschaftern, ideologisch ungebundenen Karrieristen und Dissidenten, die sich im Zorn einmal von einer anderen Partei abgewendet hatten). Die FPÖ war und ist auch eine Partei mit sehr wenig Erfahrung in Sachen Regieren und Kompromisseschließen sowie mit sehr wenig fürs Regieren geeignetem Personal.
Die weitere Geschichte von Schwarz-Blau I. sei übersprungen, sowohl die damaligen Sachfragen (wie Jahrhundert-Hochwasser, Abfangjäger, Pensionsreform und Haiders Linkspopulismus, der dann viele weitere Reformen blockierte) wie auch die parteipolitischen Wendungen (großer Schüssel-Sieg 2002, Haiders Rückkehr zu Schüssel, neuerliche Koalition mit den Blauen – aber mit viel weniger Dynamik als die erste –, endgültige Spaltung der FPÖ entlang neuer Bruchlinien, Wahlniederlage Schüssels 2006, weil er, statt Wahlkampf zu machen, sich schon als der sichere Sieger fühlen musste, Ende der schwarz-blauen Epoche, weil dann auch Schüssel in den Fehler einer Ausgrenzung Straches verfallen war und weil sich Haider und Strache nicht mehr versöhnten, obwohl Strache einst ein begeisterter Anhänger Haiders gewesen war).
Strache hat bei seinem Neuaufbau der FPÖ drei Fehler Haiders vermieden:
Andererseits zeigte sich in den ersten beiden Jahren der Regierung Kurz-Strache zunehmend: Strache ist halt bei weitem nicht das politische Kaliber, das Haider oder auch Riess-Passer gewesen sind. Sport und Rauchen sind auch sachlich bloße Leichtgewichtsthemen, die ihm nicht viel weiterhelfen.
Dennoch ist es diesmal nicht wie 2002 der blaue, sondern der schwarze Teil der Regierung, der dabei ist, die Zündschnur für die Koalition zu ziehen. Sebastian Kurz versuchte in den letzten Wochen schon mehrmals den FPÖ-Innenminister Kickl öffentlich abzukanzeln. Und er diktiert nun öffentlich der FPÖ, dass sie selbst unter ihren Mitarbeitern niemanden haben dürfe, der bei den Identitären angestreift ist, einer aktionistischen Anti-Migrationsgruppe. Was umso erstaunlicher ist, als die Identitären ein zugelassener Verein sind, der – mit Ausnahme des Greenpeace-artigen Aktionismus – im Grund dasselbe will, was die Österreicher eigentlich auch als Ziel der Koalition angesehen haben.
Der ÖVP-Chef begeht damit einen schweren Fehler – einmal angenommen, er will nicht insgeheim über die Bande einen Koalitionswechsel und damit einen Sprung in unbekannte Tiefen vorbereiten:
Wenn Kurz nicht seine neoautoritäre Haltung rasch wieder beendet, dann wird Strache nicht umhin können, noch vor der EU-Wahl auch öffentlich ein ebenso scharfes Kontra zu setzen. Auch wenn ihm vorerst keine klare Reaktion eingefallen ist, weil er Kurz noch nicht von dieser Seite erlebt hat. Denn wenn er das nicht tut, ist Strache selber weg vom Fenster.
Es sei denn, die FPÖ kommt zu dem Schluss, dass alle, die Ähnliches wollen wie sie selbst, gefährliche Konkurrenten und nicht potenzielle Verbündete sind, die man dann wild bekämpfen muss. Dieses taktische Denken ist in Parteizentralen durchaus üblich – bei Funktionären und Wählern jedoch nicht.
Dann könnte sich die Geschichte wirklich Richtung eines Knittelfeld II. wiederholen, was vorerst nur dadurch verhindert wird, dass es keine von außen erkennbaren persönlichen Aversionen zwischen Strache und Kickl gibt. Aber der FPÖ-interne Widerstand kann auch über einen Dritten zur Explosion führen, wobei insbesondere der hochtalentierte (und zum Unterschied von Strache und Kickl) auch von Wirtschaft etwas verstehende Oberösterreicher Haimbuchner in Frage käme, der auch als Erster öffentlich den Kurz'schen Rügen widersprochen hat.
Warum aber tut Kurz das? Nur aus Mangel an Erfahrung?
Wie auch immer: Man kann der linken Opposition trotz der Schwäche aller drei Oppositionsparteien nur gratulieren. Sie haben durch ihre ständige und in Wahlkampfzeiten regelmäßig vervielfachte Denunziationspolitik (vor allem über ihre Hauptgeschütze "Falter" und ORF) nun einen großen Erfolg erzielt. Auch wenn man ihn im Interesse Österreichs und der mit dem letzten Wahlergebnis verbunden gewesenen Hoffnungen bedauern muss.