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Es ist abenteuerlich, wie zielgerichtet sich die "Europäische Volkspartei" in den letzten Tagen selbst beschädigt hat. In einem Serienunfall der konservativ-christdemokratischen EU-Partei blieb auch Österreichs Sebastian Kurz verletzt zurück; er hatte im Getümmel um Ungarns Viktor Orban alles andere als Leadership gezeigt, sondern sich hinter den Herren Weber und Karas versteckt.
Statt sich nachbarschaftlich – so wie etwa jüngst Wolfgang Schüssel bei einer seiner seltenen Wortmeldungen – an die Seite des ungarischen Ministerpräsidenten zu stellen, statt neuerlich Mut zum Dissens mit Angela Merkel zu zeigen (die ja der Mastermind hinter Juncker ist), hat Kurz zugelassen, dass die ÖVP wieder auf einen bedeutungslosen Appendix der deutschen Union reduziert worden ist. Das ist traurig. Das ist aber fast automatische Folge seiner vorherigen Fehlentscheidung, den Regierungs-Kritiker und Juncker-Fanatiker Othmar Karas an die Spitze der ÖVP-Kandidatenliste für die EU-Wahl zu setzen, womit er von allem Abschied genommen hat, was ihm bisher Erfolg gebracht hat.
Dabei schien die Kurz-Strategie zuletzt doch wenigstens ansatzweise zu gelingen, den verbreiteten Unmut über Karas durch die Verlagerung der Entscheidung, wer ÖVP-Spitzenvertreter sein wird, auf die Zahl der Vorzugsstimmen am Wahltag abzufangen. Immerhin hat sich die gezielt als Anti-Karas gesetzte Listenzweite Karoline Edtstadler in den letzten Wochen ganz gut präsentieren können. Aber jetzt ist es unumstößlich: EVP, CDU, ÖVP erteilen all jenen konservativen Wählern eine brüske Absage, die sich in der Politik des ungarischen Ministerpräsidenten weit stärker wiederfinden können als in der von Merkel und Jean-Claude Juncker.
Denn:
Aber die Juncker-Kommission hat jahrelang auf eine Umverteilung der Immigranten auf alle EU-Mitgliedsländer hingearbeitet. Sie ist hauptverantwortlich für die Flottenmission "Frontex" gewesen, die vorgeblich zur Schlepperbekämpfung gedient hat, die aber in Wirklichkeit das Geschäft der Schlepper sehr wirksam unterstützt hat, indem sie von diesen nicht weniger als 45.000 der illegalen Migranten übernommen und in der EU abgesetzt hat. An diesem Sachverhalt ändert es gar nichts, wenn die EU nun behauptet, sie habe die 45.000 nicht geschleppt, sondern "gerettet". Die EU-Kommission hat auch mehrfach Initiativen gesetzt, um die legale Migration von Afrika nach Europa zu fördern. Und zugleich hat sie nichts unternommen, um effiziente Rückführungsabkommen mit Herkunftsstaaten der Migranten zustandezubringen.
Es ist daher ungeheuerlich, wenn die Juncker-Kommission, wenn die ihr ergebenen Medien und nun auch die EVP plötzlich so tun, als ob das alles nicht wahr, als ob das alles eine Erfindung oder gar Lüge wäre. Aber Hunderte Millionen Europäer haben das nicht geträumt, sondern tagtäglich mitverfolgen können – großteils empört.
Gewiss: Es mag die Eitelkeit des Herr Juncker schmerzen, dass er jetzt ausgerechnet von einer Partei als Negativ-Figur plakatiert wird, die zu seiner einstigen Fraktion gehört, der er seinen Sprung an die Spitze der EU-Kommission verdankt. Aber Juncker hat dafür ja auch umgekehrt der ungarischen Fidesz-Partei nie Dankbarkeit gezeigt, er hat gerade den ungarischen Ministerpräsidenten mehrfach öffentlich verächtlich-herablassend behandelt. Das war also von beiden Seiten keineswegs der Umgang, wie er unter Parteifreunden mit ihrer üblichen, aber oft verlogenen Freundlichkeit üblich ist.
Für die EVP sollte es aber nicht primär um die Sorgen des angehenden Pensionisten Juncker gehen, einen guten Nachruf zu haben, sondern um ihre eigene Zukunft. Denn diese Zukunft sieht katastrophal aus. Was nur nicht so deutlich wird, weil die Sozialdemokraten europaweit derzeit noch belämmerter dastehen. Es sieht jedoch auch für die EVP vielerorten gar nicht gut aus, vor allem in den großen Ländern, in Deutschland, Italien und Frankreich. Sie kann sich nur dort halten, wo sie für eine klare Anti-Migrationspolitik steht, wie etwa in Spanien und Österreich. Also im Grund haargenau für das, wofür auch Viktor Orban steht!
Dabei sollte statt der ungarischen Fidesz eigentlich der spanische Partido Popular für Kritik in der EVP sorgen. Denn diese Partei verstößt wirklich gegen das, was man unter den europäischen Werten verstehen sollte. Muss doch unter diesen Werten die Freiheit ganz an der Spitze stehen, in all ihren Ausprägungen von der Meinungsfreiheit (auch für Katalanen) bis zum Selbstbestimmungsrecht (auch für Katalanen). Hingegen zählt nicht zu den gemeinsamen Werten, was in der spanischen Verfassung steht. Diese stempelt nämlich Katalonien zu einer rechtlosen von Spanien eroberten Kolonie. Der PP ist noch mehr als die momentan in Madrid derzeit regierende Linke hauptverantwortlich für die chauvinistische und intolerante Unterdrückung der (völlig gewaltlos agierenden!) katalonischen Freiheitsbewegung. Die Partei steht diesbezüglich damit ganz in der Erbschaft der Franco-Faschismus.
Aber das alles haben die auf eine Kränkung des Herrn Juncker so lächerlich überreagierenden EVP-Kollegen überhaupt nie kritisiert. Das ist beschämend. Das lässt jedes Werte-Gerede der EVP als das erkennen, was es auch bei anderen Fraktionen ist: als leeres Gewäsch.
Offen mag lediglich bleiben, weshalb der PP bald wieder zur Regierungsmacht zurückgewählt werden dürfte: Wegen seines nationalistischen anti-katalonischen Kurses? Wegen seiner Antimigrationspolitik? Oder wegen seiner Bereitschaft, mit einer (auch in Spanien neuentstandenen) rechtspopulistischen Antimigrationspartei zu koalieren – was zwar in Österreich oder Italien schon eine Selbstverständlichkeit ist, was aber in Deutschland, Frankreich, Schweden oder gerade jetzt in Estland, wo eine neue rechtspopulistische Partei (ebenfalls) von Null gleich an die dritte Stelle gekommen ist, für manche Bürgerliche noch eine Todsünde ist?
Mit der Causa Ungarn hat sich in der EVP eines erwiesen: Der neue Spitzenmann Manfred Weber ist um drei Schuhnummern zu klein für eine gesamteuropäische Aufgabe. Er war völlig unfähig, die Fraktion zusammenzuhalten, in der Orban ja ganz offensichtlich nicht nur Hasser wie einen Karas, sondern auch viele Freunde hat. So hat Orban erst im November beim letzten EVP-Kongress großen Jubel bekommen, als er ausrief: "Wir müssen Verantwortung dafür übernehmen, dass wir nicht in der Lage gewesen sind, die Briten drinnen zu halten und die Migranten draußen." Dabei war zu diesem Zeitpunkt schon die antiungarische Kampagne des EU-Parlaments voll in Gang, das auf einen Bericht einer niederländischen Grünen(!) gestützt Ungarn – ohne echte Beweise – Rechtswidrigkeit vorwirft.
Weber hat sich in den letzten Tagen auch noch durch eine andere – hierzulande bisher nirgendwo vermerkte – Dummheit disqualifiziert. Er hat ausgerechnet Papst Franziskus ausdrücklich als sein Vorbild in Sachen Migrationspolitik erklärt. Das ist nun wirklich schlimm. Denn Franziskus übertrifft Merkels, Faymanns und Junckers "Wir schaffen das" noch bei weitem an Naivität in Sachen illegaler Migration.
Intelligent ist diese Überreaktion auf Orban noch aus einem anderen Grund nicht. Denn jetzt muss die EVP sogar darum bangen, ob sie aus der Wahl als relativ größte Fraktion hervorgehen wird. Denn jetzt ist nicht auszuschließen, dass noch einige kleine andere Parteien die EVP verlassen und sich rund um die ungarische Fidesz, die italienische Lega, die deutsche AfD, den französischen Front National, die polnische PiS und die österreichische FPÖ sammeln werden.
Zu diesem Kreis könnten auch manche der komplett neu entstandenen Parteien aus Osteuropa stoßen, die bisher noch nicht klar zugeordnet sind. Dieser rechtspopulistische Parteienkreis kann jetzt wohl einen noch größeren Erfolg erwarten als derzeit prophezeit.
Dieser Aufwärtstrend und die schweren Fehler der EU-Machthaber überdecken völlig die vielen überaus problematischen Aspekte, die es auch in diesem gemeinhin als rechtspopulistisch bezeichneten Lager gibt. Dessen Probleme zeigen sich etwa schon daran, dass es nicht einmal weiß, wie es sich selbst bezeichnen soll, weil es noch kein Ersatzadjektiv für "rechtspopulistisch" gefunden hat, diese Bezeichnung aber selbst nicht verwendet. Sie zeigen sich daran, dass die Parteien dieses Lagers noch immer keine geschlossene Fraktionseinheit gefunden haben (obwohl sie einander sehr ähnlich sind). Sie zeigen sich an der abenteuerlichen Finanz- und Sozialpolitik, die die Lega in Italien mitträgt (auch wenn diese Politik primär auf den linkspopulistischen Koalitionspartner "Cinque Stelle" zurückgeht). Sie zeigen sich an dem noch immer bestehenden (wenn auch weitgehend stillgelegten) Freundschaftspakt der FPÖ mit der russischen Regierungspartei, die alles ist, aber nicht demokratisch. Oder am zeitweiligen Kokettieren der Französin Le Pen mit einem EU-Austritt.
Die Orban-Vertreibung ist vermutlich das letzte Danaer-Geschenk, das Juncker und seine Patin Angela Merkel vor ihrem Abgehen hinterlassen. Die beiden sind ja geradezu die Verkörperung der alten und nicht lebensfähigen Christdemokratie. Juncker hat stets peinlich genau die Politik der deutschen Kanzlerin exekutiert. Er hat mit ihr im Gegensatz zu allen anderen Regierungschefs nicht einmal eine einzige erkennbare Differenz gehabt.
PS: Noch lächerlicher als ihre Überreaktion ist die Darstellung von CDU&Co, dass man Orban ja eine goldene Brücke gebaut hätte, um in der EVP zu bleiben. Das Ultimatum, Orban solle sich öffentlich entschuldigen, war aber eine geradezu absurde Zumutung. Selbst jemand mit der eher durchschnittlichen Intelligenz des nunmehrigen EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber konnte keine Sekunde geglaubt haben, irgendein Parteichef dieser Welt würde eine solche demütigende Bedingung akzeptieren. Oder gar der stolze und auf einer Erfolgswelle schwimmende Ungar. Täte Orban das, würde er ja selbst seine eigenen Wahlaussichten zertrümmern.
PPS: Die Kritiker der Fidesz aus der europäischen Sozialdemokratie hingegen machen sich in Sachen Ungarn in einem anderen Punkt lächerlich: Sie üben kein Wort der Kritik an der Kooperation zwischen der schwächelnden ungarischen Linken und der Jobbik-Partei. Dabei sind bei dieser im Gegensatz zu Orban (der mit dem israelischen Premier Netanyahu sogar eng befreundet ist) massiv antisemitische Ausritte nachweisbar, wie etwa die unglaubliche Forderung, Juden als Risiko namentlich in Listen zu erfassen.
PPPS: Was in der EVP – hätte dort noch irgendjemand ein strategisches Hirn – wenigstens zu Zeiten des Brexits bedacht werden sollte: Orban hat exzellente Beziehungen sowohl zu Russland wie auch den USA. Ungarn war das einzige Land, das so wie die USA gegen den UN-Flüchtlingspakt gestimmt hat (der Flüchtlingen mehr Rechte bringen soll, und der im Schatten des auch von Österreich abgelehnten UN-Migrationspaktes relativ unbeachtet durchgewinkt worden ist). Will man ein Land nach dem anderen aus der EU vertreiben?
PPPPS: Warum attackiert Orban eigentlich nicht Merkel direkt? Nun, er ist Politiker und sucht sich seine öffentlich im Wahlkampf beschossenen Pappkameraden taktisch selber aus. Sich mit Deutschland anzulegen, käme aber bei vielen Ungarn gar nicht gut an. Mit Merkel muss Orban außerdem im Europäischen Rat noch eine Zeitlang zusammensitzen, mit Juncker bald nie wieder.