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Die ÖVP-Staatssekretärin und EU-Kandidatin Karoline Edtstadler hat offenbar als erste außerhalb der FPÖ erkannt, wie sehr die hysterische Angriffswelle gegen Innenminister Herbert Kickl bloß wegen einer falschen Formulierung für alle Angreifer kontraproduktiv ist, wie sehr Kickl mit seiner Kritik an der europäischen Menschrechts-Judikatur genau die Stimmung eines Großteils der Österreicher trifft. Dabei ist es letztlich egal, ob sie das selbst erkannt hat oder ob es ihre Partei war, die inzwischen aus Meinungsumfragen weiß: Kickl hat mit seiner Forderung breite Unterstützung, es gehe nicht an, dass man illegale Migranten kaum abschieben kann, weil die heutige Interpretation einer alten Konvention das sogar dann verbietet, wenn die Migranten straffällig werden.
Diese Forderung Kickls ist den Österreichern jedenfalls zehnmal wichtiger als der Ärger über seine unrichtige Formulierung, dass "die Politik" Vorrang vor dem Recht haben solle (denn das trifft ja rechtlich nur auf jenen Teil der Politik zu, der gemäß Verfassung bei der Gesetzgebung mitwirkt, aber nicht auf alle anderen Teile – die als Exekutive die Gesetze zu befolgen haben; oder die gar nur Parteiarbeit machen).
Edtstadler hat jedenfalls erkannt, was für die Bürger – für das "Volk", wie sie von der Bundesverfassung genannt werden, – das wichtigere Thema ist, und sich voll hinter den Minister gestellt (mit Ausnahme eben jenes Satzes vom Vorrang der Politik). Sie hat damit auch die dummen Reaktionen ihrer Parteikollegen Moser und Karas zu korrigieren versucht, die im Chor mit den drei Linksparteien gegen Kickl losgeheult haben.
Sie hat damit auch weit klarer Stellung bezogen als ihr Parteichef Sebastian Kurz, der in einer ersten Reaktion nur eher kryptisch gesagt hat, dass er Kickl deutlich seine Meinung gesagt habe. Ohne aber zu präzisieren, was denn eigentlich seine Meinung ist.
Aber man kann stark vermuten: In den nächsten Tagen und Wochen wird sich auch Kurz aus der Deckung wagen und sich sehr ähnlich wie die Staatssekretärin positionieren. Dann er hat ein ziemlich kluges politisches Riechorgan. Denn er will Edtstadler im EU-Wahlkampf helfen. Hoffentlich wird er dabei auch seine – wohl mit seinem unabgeschlossenen Studium zusammenhängende – Beißhemmung in Sachen Jurisprudenz ablegen. Denn auch Richtervertreterinnen wie einer Frau Matejka wäre eigentlich klar zu vermitteln: Das Recht in diesem Land geht (im Unterschied etwa von den USA) nicht von den Richtern aus, sondern einzig und allein von Volk und Gesetzgebern.
Und während Politiker zum Teil auch Teile der Gesetzgebung sind, sind Richter ausschließlich dazu da, um das vom Volk und von den dieses Volk repräsentierenden Gesetzgebern gesatzte Recht anzuwenden. Es wäre eine letale Katastrophe für dieses Land, würde wieder wie bis 1867 eine abgehobene Schicht herrschen (egal, ob sie feudal-aristokratisch oder richterlich-elitär ist).
Zweifelhaft bleibt freilich, ob Kurz auch noch den schwereren Fehler wieder gutmachen kann, dass er einen Herrn Karas an die Spitze der EU-Kandidatenliste gesetzt hat. Aber das nur am Rande.
Um korrekt zu bleiben: Auch wenn es nur eine Detailfrage ist, so ist doch auch ein inhaltlicher Fehler von Edtstadler anzumerken (selbst wenn er dem linksradikalen ORF-Interviewer gar nicht aufgefallen ist, der ja nur Hassbotschaften Richtung FPÖ provozieren wollte). Sie hat nämlich behauptet, dass die Menschenrechtskonvention "Meilenstein und Errungenschaft der Europäischen Union" wäre. Das ist aber Unsinn. Diese EMRK ist älter als die EU und deren Vorläufer EG, EWG oder Montanunion. Die Konvention hat in Österreich auch schon vor dem EU-Beitritt gegolten. Und sie gilt in vielen anderen Ländern – wie etwa auch Russland und der Türkei.
Schon allein diese schlechte "Gesellschaft" zeigt aber jedenfalls, dass die Vergötzung der EMRK reiner Unsinn ist, wie sie zuletzt etwa von Alexander Van der Bellen oder Othmar Karas betrieben worden ist. Sie hatten behauptet, die Konvention sei die "Antwort auf den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust", sie sei die "Grundlage des Zusammenhalts der Gesellschaft".
Diesen Herrschaften kann man nur raten: Lernen Sie Geschichte! Weitaus wichtigste und vor allem erste Grundlage der Grundrechte in Österreich ist nicht die 1950 unterzeichnete Menschenrechtskonvention, sondern das 1867 beschlossene und mit Unterbrechung der totalitären Jahre bis heute geltende Staatsgrundgesetz. Daran ändert es auch nichts, dass Linke nur ungern zugeben wollen, dass schon in der Monarchie die Grundfreiheiten garantiert und durchsetzbar geworden sind.
Zweifellos war und ist die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des Staatsgrundgesetzes und anderer Verfassungsgesetze mit Grundrechtscharakter durch den österreichischen Verfassungsgerichtshof weit relevanter als die Kontrolle der Menschenrechte durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) – auch wenn in letzter Zeit viel Kritik am VfGH zu üben war. Zwar hatte man lange gehofft, dass ein nichtösterreichischer Gerichtshof ein besserer Garant solcher Rechte werden könnte als ein heimischer. Jedoch hat sich das leider als totale Enttäuschung herausgestellt:
Wer also die Menschrechtskonvention so auf den Thron hebt, wie es manche derzeit tun,
Wer die Menschenrechtskonvention für völlig unantastbar und unveränderbar erklärt, wie manche es derzeit tun, der riskiert damit die Abwendung von immer mehr Menschen vom gesamten Rechtsstaat. Bewusst oder unbewusst.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass – viel später! – auch die EU der EMRK beigetreten ist. Dieser Beitritt macht es jetzt zwar für jedes EU-Mitglied viel schwieriger, Änderungen der EMRK und insbesondere der Judikatur deren Gerichtshofs durchzusetzen. Deswegen ist aber ein solches Verlangen dennoch in vielen Punkten legitim, wichtig und richtig. Nicht nur weil doch niemand ernsthaft wollen kann, dass Richter aus der Türkei und den anderen genannten Ländern wirklich das letzte Wort haben sollen.
PS: Inzwischen dürfte auch die SPÖ solche Umfragen wie die ÖVP haben. Denn sie ist deutlich leiser geworden und sucht schon wieder einen Themenwechsel. Lediglich bei Neos und ORF scheint es an der einschlägigen Demoskopie zu mangeln. Bei Ihnen überschlägt sich weiterhin der Hass.