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Der beginnende EU-Wahlkampf stellt gleich fünf Parteifamilien vor ziemlich genau das gleiche inhaltliche Problem. Sowohl bei der Europäischen Volkspartei, den Sozialdemokraten, den Rechtspopulisten, den Grünen wie auch den Liberalen treten de facto in einem gemeinsamen Parteienverbund jeweils mehrere völlig verschiedene Ideologien und Identitäten an, die überhaupt nicht (mehr) zusammenpassen. Man kandidiert aber dennoch gemeinsam, weil man jeweils glaubt, als Mischgemüse vereint im EU-Parlament zu einer stärkeren Fraktion zu werden. Der EU-Wahlkampf wird als Folge eine ziemlich verlogene Angelegenheit werden. Noch viel verlogener, als es Wahlkämpfe ohnedies generell sind.
All diese fünf Doppel-Lager werden wohl die gleiche Wahlkampf-Taktik versuchen. Sie werden die Unterschiede zwischen den widersprüchlichen Gruppierungen durch nebulose Phrasen zu verwischen versuchen.
Sie sind wohl am tiefsten gespalten. Man betrachte beispielsweise die spanischen und die slowakischen Genossen. Die einen haben im letzten Jahr bewusst die anderswo inzwischen halbwegs geschlossenen Pforten für weitere illegale Immigranten aus Afrika und Asien weit geöffnet. Die anderen haben hingegen von Anfang an – so wie die rechtsregierten Nachbarn in Polen oder Ungarn – konsequent Nein zur außereuropäischen Immigration gesagt.
Es gibt aber auch noch eine zweite, ältere und mindestens ebenso tiefe Bruchlinie quer durch die Sozialdemokratie. Was ist diese Bewegung heute? Ist sie noch wie einst die Partei jener, die um sechs Uhr aufstehen, um in die Arbeit zu fahren? Die Partei jener, die sich um sechs das erste Bier holen (O-Ton über die innerparteiliche Sichtweise Christian Kern)? Die Partei jener, die um sechs Uhr noch immer in irgendwelchen Beisln diskutieren, wie die marxistische Weltrevolution endlich ausgelöst werden könnte? Oder die Partei jener, wo die Eltern in der Hängematte üppiger Mindestsicherung die Kinder in der Früh in die Schule schicken und selbst weiterschlafen, wie immer mehr Österreicher meinen?
Eine andere Kluft ist inzwischen durch eine 180-Grad-Richtungsänderung zugekleistert. Sie ist aber dennoch noch immer sehr erstaunlich, auch wenn die meisten Journalisten und "Experten" sie aus Sympathie totzuschweigen versuchen: Das ist die Haltung der Sozialdemokraten zur EU. Waren doch viele von ihnen lange geradezu militant gegen sie, während sie heute alle genauso militant so tun, also ob sie die Erfinderin des Europagedankens wären.
Während diese Polarität also durch geschickt gesteuerte Geschichtsumschreibung vom Tisch ist, belasten die ersten beiden Spaltungen das rote Lager sehr. Diese Spaltungen können auch längst nicht mehr vor den Wählern verheimlicht werden. Und werden daher wohl ein weiteres Debakel verursachen.
Auch sie sind binnen weniger Jahre von flammenden EU-Gegnern zu begeisterten Anhängern der Europäischen Union geworden. Das mag ja noch mit der starken inhaltlichen Änderung der EU-Politik auf vielen Ebenen zusammenhängen. Ist doch diese in den letzten zwanzig Jahren viel linker, viel grüner geworden.
Heute gibt es bei den Grünen vor allem in jenem Land, wo sie am stärksten sind, andere inhaltliche Differenzen. Diese Spannungen lodern schon seit langem unter dem Titel Fundis vs. Realos. Seit Beginn der Völkerwanderung sind sie noch viel ärger geworden. Denn ein Teil der Grünen befürwortet ganz radikal die Migration. Der andere, vor allem im Süden Deutschlands, steht hingegen heute sehr kritisch zur Massenzuwanderung, und wirkt zunehmend wie eine konservativ-ökologische Partei.
Seither ist absolut nicht mehr erkennbar, was da noch die gemeinsame grüne Linie wäre. (Ganz ähnlich geht es übrigens auch bei den ursprünglich eng verwandten deutschen "Linken" zu, wo der Bogen von engsten Sympathien für linksextremistische Gewalttäter bis zur Migrationskritik einer Sahra Wagenknecht reicht, die dafür weiterhin für radikalen Klassenkampf steht.)
Bei ihnen klafft eine tiefe Kluft vor allem in Sachen Immigration und bei der Haltung gegenüber den Grünen. Auf der einen Seite stehen da die linksliberalen Neos in Österreich, die immigrationsbegeistert und die in allen gesellschaftspolitischen Fragen ganz weit links auftreten. Auf der anderen die FDP, die keineswegs migrationsbegeistert ist und die sich vor allem als wirtschaftsorientierte neoliberale (rechtsliberale) Partei versteht.
Diese Unterschiede sind auch Folge der jeweiligen Innenpolitik. Die Neos hoffen, das durch die Kernspaltung bei den österreichischen Grünen freigewordene Wählerpotential aufsaugen zu können. Daher positioniert man sich in fast allen Fragen genau dort, wo früher die Grünen waren, und hat sogar gewisse Chancen, weil Grünwähler ohnedies schon seit Jahren nicht mehr so ideologisch anti-marktwirtschaftlich verhärtet sind wie einst.
Während die Neos mit den Grünen verwechslungsfähig geworden sind, hat es hingegen die Schwesternpartei FDP im Vorjahr sogar abgelehnt, mit den Grünen auch nur eine Koalition einzugehen. Und bleibt lieber in Opposition. Was wählt man da, wenn man liberal wählt?
Bei ihnen ist zur Stunde zwar nicht einmal klar, welche Parteien aus welchen Ländern überhaupt dabei sein werden. Aber jedenfalls müssen Parteien wie die FPÖ oder die deutsche AfD vor allem europapolitisch zwei sehr unterschiedliche Lager ansprechen: Jene, die nur viele Fehlentwicklungen in der EU korrigieren wollen, und jene, die für ein Ende der EU beziehungsweise einen baldigen Austritt ihres Landes nach dem Muster der Briten sind.
Zwar haben sich zumindest AfD und FPÖ inzwischen klar festgelegt: Sie sind keine Partei des EU-Austritts. Aber beide wissen genau, dass sie auch die Austrittsanhänger gewinnen müssen, wenn sie wirklich den erhofften Stellenwert bekommen wollen. Außerdem haben sich früher da wie dort auch manche Exponenten für einen Austritt ausgesprochen. Die Turbulenzen des britischen Brexits haben diese Stimmen aber vorerst eindeutig gedämpft. Nunmehr verlangt die AfD nur ein Aus für das EU-Parlament. Das bedeutet den Traum einer Rückkehr zur ursprünglichen EWG.
Dennoch ist es zur Stunde noch völlig unklar, ob sich die rund um AfD, FPÖ und italienische Lega zu erwartende Fraktion scharf all jenen Parteien aus anderen EU-Ländern versagen wird, die nicht so deutlich einen EU-Austritt ausschließen, wie es diese drei heute tun. Das kann noch haarig werden, vor allem in Hinblick auf die französische Le-Pen-Partei, die früher schon mehrmals dezidiert einen EU-Austritt befürwortet hat – dies derzeit aber auch nicht mehr tut –, die aber viele Mandate in eine gemeinsame Fraktion einbringen würde.
Haarig ist auch der Umstand, dass dieses Lager bis heute nicht einmal ein gemeinsames Adjektiv der Selbstbeschreibung gefunden hat. Daher wird es wohl bei der Fremdbeschreibung als "Rechtspopulisten" bleiben.
Weniger relevant ist hingegen die Kritik der diversen politischen Gegner an den Rechtspopulisten. Sie besteht im Vorwurf, dass diese untereinander uneinige Nationalisten seien, und dass man doch nicht für ein Europaparlament kandidieren könne, wenn man zugleich die Macht dieses Parlaments einschränken oder überhaupt ganz an den EU-Rat aus nationalen Regierungsvertretern übertragen wolle.
Da liegt die Antwort auf der Hand. Zum einen kann man ja rechtskonform eine Änderung der EU nur von drinnen erreichen, nicht von draußen. Zum anderen gibt es auch sehr linke Nationalisten (siehe etwa Spanien, wo die Linksregierung katalanische und baskische Unabhängigkeitskämpfer so wie die Vorgängerregierung unverändert inhaftiert hält – auch wenn diese zum Teil völlig gewaltfrei vorgegangen sind). Es ist nur dumme linke Polemik, jemanden als Nazi zu diffamieren, nur weil er für das Subsidiaritätsprinzip ist, weil er im Zweifel immer nationale oder regionale Lösungen gegenüber europäisch-zentralistischen vorzieht.
Um die unangenehme Frage "Wie hältst du es mit der EU?" werden FPÖ&Co aber jedenfalls nicht herumkommen.
Die in der Europäischen Volkspartei zusammengefassten Parteien haben nach etlichen Umfragen die besten Chancen, zur europaweiten Nummer Eins zu werden, weil die linken Parteien als Folge der Migrationskrise schwer abstürzen werden.
Diese Krise ist aber gleichzeitig auch die Ursache der allergrößten inneren Spaltung einer antretenden Parteigruppe überhaupt. Um den Sieg nicht zu gefährden, wird da nämlich völlig Gegensätzliches unter einen EVP-Hut gestülpt. Denn auf der einen Seite gehört mit Angela Merkels CDU ein Hauptschuldiger an der Völkerwanderung zur EVP. Auf der anderen Seite gehört aber gleichzeitig mit der ungarischen Regierungspartei Fidesz auch der schärfste Kritiker der unter Angela Merkel eingeschlagenen CDU-Linie dazu.
Auf der einen Seite üben sich EVP-Exponenten in blinder EU-Begeisterung, auf der anderen finden sich überzeugte Anhänger des Subsidiaritätsprinzips, demzufolge die EU nur jene Bereiche regeln soll, wo es wirklich gemeinsame Regeln braucht, die nicht mehr wie unter Juncker einen zentralistischen Einheitsstaat ansteuern wollen.
Wie das zusammenpassen kann?
Natürlich gar nicht. Das hält freilich keinen Politiker davon ab, im Wahlkampf so zu tun, als ob das alles kein Problem wäre. Dabei geht es nicht nur um die Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien, etwa der recht linken Bürgerplattform in Polen oder der CDU auf der einen Seite und betont national orientierten Parteien in Spanien, Malta, Kroatien oder beispielsweise Ungarn auf der anderen Seite. Da geht es auch nicht nur darum, dass die EVP in manchen Ländern sogar drei durchaus unterschiedliche Mitgliedsparteien hat. Da geht es vielmehr auch um dramatische Differenzen innerhalb ein und derselben Landespartei.
Man höre etwa, wie der Beinahe-CDU-Vorsitzende Friedrich Merz jetzt wieder die Europapolitik von Angela Merkel angreift: Diese habe "schwere Fehler" gemacht. Deutschland habe seine Entscheidungen von der Energiepolitik – also dem Atomausstieg – bis zur Flüchtlingspolitik nicht abgestimmt. "Dann dürfen wir uns über das Bild des hässlichen Deutschen in vielen anderen Ländern Europas nicht wundern." Ebenso deutlich kritisiert Merz die EZB-Geldpolitik, "die die Mehrheit der Deutschen zwar nicht so will, die im Ergebnis aber dazu führt, dass wir eine Währung haben, die für unsere Volkswirtschaft gegenwärtig zu schwach ist und gleichzeitig für fast alle anderen in der Europäischen Union immer noch zu stark."
Nie hat man in den letzten Jahren von einem hochrangigen CDU-Politiker so deutliche, ganz an die AfD erinnernde Worte und einen so scharfen Kontrast zur Merkel-Politik gehört. Aber auch die als CDU-Vorsitzende knapp über ihn obsiegende Kramp-Karrenbauer signalisiert – etwas vorsichtiger – inzwischen erstaunliche Distanz zum Kurs Merkels. Sie will sämtliche migrationspolitische Maßnahmen seit Beginn der Flüchtlingskrise 2015 auf den Prüfstand stellen. Merkel selbst hat hingegen gleichzeitig das Reden über das Jahr 2015 als "verplemperte Zeit" bezeichnet. Was für ein Kontrast!
Der ebenfalls wie Merz und AKK aus der deutschen Unionsfraktion kommende neue EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber jedenfalls übt sich nach wie vor in Merkel-Begeisterung. Besonders skurril ist auch, dass Weber soeben von der linkssozialistischen griechischen Regierungspartei Tsipras ein Ende der Koalition mit den griechischen Rechtspopulisten verlangt hat (die ohnedies gerade wegen des Mazedonien-Namensstreits zerfällt). Der eher schlicht wirkende Mann hat dabei aber irgendwie übersehen, dass von Österreich bis Andalusien EVP-Mitgliedsparteien völlig problemlos mit den jeweiligen Rechtspopulisten kooperieren. Verlangt er auch dort ein Koalitionsende?
In Italien ist die EVP-Mitgliedspartei Forza Italia bei den Wahlen des Vorjahres sogar in einer gemeinsamen Wahlkoalition mit den Rechtspopulisten von der Lega und den Nationalkonservativen (Fratelli d’Italia) angetreten! Das ist mehr als eine bloße Regierungskoalition (auch wenn diese Wahlkoalition dann mangels absoluter Mandatsmehrheit auseinandergebrochen ist).
Genauso schwierig, wie an eine Einheitlichkeit der EVP zu glauben, ist es auch, sich bewusst zu machen, dass Sebastian Kurz und Othmar Karas noch immer der gleichen Partei angehören. Und dass dieser Karas sogar der Spitzenkandidat der ÖVP im EU-Wahlkampf sein könnte. War und ist doch Karas der lautstärkste Kritiker der von Kurz geführten österreichischen Koalition, und war und ist er doch der weitaus engagierteste Verfechter des Merkel-Juncker-Kurses. Während Kurz diesem immer wieder klar widersprochen hat.
Alle fünf großen Fraktionen werden also in den nächsten Monaten das Problem haben, glaubwürdig zu bleiben. Das wird bei allen sehr schwierig sein.
Gewiss verstehen es die Wähler, dass Partei-Kollegen nicht wie ein Klon in allen Fragen deckungsgleich denken. Das ist aber ganz etwas anderes als fundamentales Auseinanderklaffen in zentralen Fragen. Wenn solche Differenzen durch Phrasen zugedeckt werden, ist der Vertrauensverlust viel größer und vor allem dauerhafter als der erhoffte Zugewinn durch Eroberung unterschiedlich denkender Wählergruppen. Wer das bezweifelt, sollte nur die langfristige Entwicklung der Sozialdemokraten anschauen, wo eine mächtige und verantwortungsbewusste Arbeiterpartei durch ideologietrunkene und linksradikale 68er-"Intellektuelle" sowie Radikalfeministen übernommen worden ist.
Wähler tolerieren vieles, aber nicht, wenn man sie für blöd verkaufen will.