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Ethik – was ist denn das?

Welche Modelle weit sinnvoller sind als das gegenwärtige Kirchenbeitragssystem. Warum eine Alternative zum Religionsunterricht notwendig ist. Welche vier total divergierenden Inhalte eines ersatzweisen "Ethik"-Unterrichts möglich sind, und mit welchen Problemen jede einzelne dieser Varianten gespickt ist.

Schrittweise wird jetzt in Österreichs Schulen der "Ethik"-Unterricht eingeführt. Das ist im Prinzip eine richtige Maßnahme. Diese sollte aber erst gesetzt werden, wenn klar ist, was in diesem Unterricht überhaupt stattfinden soll. Da stehen Schulen und Regierung jedoch vor jeder Menge vorerst völlig unbeantworteter Fragen, derer sie sich wohl noch gar nicht richtig bewusst sind.

Seit Religionsunterricht in den Schulen stattfindet, seit er dort ein ganz normales Fach ist, in dem man theoretisch sogar durchfallen kann, seit man sich aber von diesem Fach auch beliebig – also auch ohne die einst drohende soziale Isolierung – abmelden kann, hätte es längst eine Antwort auf die banale Frage geben müssen: Was tun mit jenen Kindern, die sich vom Religionsunterricht abmelden?

Ohne solche Antwort war de facto vielfach das Kaffeehaus oder die Straße eine verführerische Alternative. Das war aufsichtsmäßig, disziplinär und sicherheitsmäßig oft ein Problem. Das war insbesondere für den Religionsunterricht selbst ein Riesenproblem. Viele Religionslehrer haben sich nur noch getraut, wollig weiche Wohlfühlstunden abzuhalten, damit sich nicht noch mehr abmelden. Sie haben damit aber oft das Gegenteil erreicht.

Dahinter steht aber auch noch ein viel grundsätzlicheres Problem: Ist es wirklich sinnvoll, den Religionsunterricht an die staatlichen Schulen zu knüpfen? Die österreichischen Kirchen haben jedoch stets bewusst die Frage nach Alternativen vermieden: Wie schaut es in anderen Ländern aus, gibt’s da nicht erfolgreichere Beispiele?

Die gibt es durchaus. In vielen Ländern müssen die Schüler für den Religionsunterricht prinzipiell in die Pfarren kommen, meist an Nachmittagen. Das schafft eine viel engere Bindung an die Kirche, das ermöglicht bei den Christen einen nahtlosen Übergang zu Erstkommunion und Firmung, und das stellt für die Jahre nach der Schule eine bessere Anknüpfung an die Heimatpfarre her. Für junge Menschen ist es psychologisch jedenfalls suboptimal, wenn ihnen die Religion auf zwei völlig getrennten Schienen entgegenkommt, wenn sie auch durch völlig verschiedene Personen verkörpert wird, die auch örtlich nichts miteinander zu tun haben.

In Wahrheit gibt es nur einen Grund, warum die Kirchen und Religionslehrer in Österreich dieses anderswo erfolgreiche System nicht diskutieren: Das ist die finanzielle Frage. Es wäre sehr fraglich, ob die Republik auch dann die Religionslehrer zahlen würde, wenn diese in irgendwelchen Pfarrräumlichkeiten unterrichten würden.

Das ähnelt dem von den Nationalsozialisten als vergiftetes Geschenk zurückgelassene  Kirchenbeitrags-System. Genauso wie sich jedermann seit der NS-Zeit durch Austrittserklärung von der Zahlungspflicht und damit aber auch gleich der Kirche lösen kann, so kann sich jeder Oberstufen-Schüler durch einfache Erklärung vom Religionsunterricht lösen und sich dafür zwei wöchentliche Kaffeehaus-Stunden erkaufen.

In Italien oder der Schweiz beispielsweise ändert ein Kirchenaustritt gar nichts an der Steuerpflicht. Dort ist ein nicht weg-optierbarer Anteil der ganz normalen Steuer fix für kirchliche oder ähnliche Zwecke reserviert. Die Steuerpflichtigen können nur frei darüber entscheiden, wem dieser Anteil zukommt. Sie ersparen sich jedoch gar nichts, wenn sie austreten.

In der Schweiz sind die Kirchen als Folge sehr gut finanziert – auch deshalb, weil dort auch Kapitalgesellschaften diesen Anteil zahlen müssen. Davon können die Kirchen selbst sehr gut den Unterricht finanzieren. Und haben große finanzielle Unabhängigkeit.

In Österreich bleibt dieses Thema Kirchenbeitragsthema jedoch tabu. Dafür wird hier jetzt wenigstens das Problem der Abmeldungen vom Religionsunterricht angegangen und der Alternativen dazu.

Aber das eröffnet eben wieder ein anderes Problem: Was genau macht man mit den von Religion Abgemeldeten unter der völlig vagen Überschrift "Ethik"? Das ist in Wahrheit eine große Black Box. Wird jeder Lehrer machen, was er will? Wird es nur ein Pseudo-Unterricht zur Verhinderung des Kaffeehaus-Besuches sein?

Im Grund gibt es inhaltlich vier völlig unterschiedliche Ideenstränge, was da geschehen könnte, von denen aber jeder andere Fragen aufwirft:

  1. Herausarbeitung eines "Weltethos", also der ethischen Gemeinsamkeit aller Religionen und Wertsysteme.
  2. Historische und philosophische Vermittlung der Inhalte aller wichtigen Weltreligionen.
  3. Ökonomische Grundkenntnisse.
  4. Vermittlung der Rechte und Pflichten eines Staatsbürgers.

Ad 1: Am Weltethos hat sich etwa der frühere katholische Universitätsprofessor und spätere Kirchenkritiker Hans Küng jahrelang versucht. Es hat zwar dicke Bücher geschrieben. Aber als harter Kern eines Weltethos ist dennoch kaum mehr zu finden als die uralte Goldene Regel ("Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst") oder der ihr ähnliche Kategorische Imperativ Immanuel Kants ("Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde").

Tolle Lebensregeln – aber letztlich ist es schwer sich vorzustellen, wie daraus ein ganzes mehrjähriges Unterrichtsfach werden soll, das nicht voll von Redundanzen, Beliebigkeiten und Phrasen ist.

Ad 2: Die Vermittlung der Inhalte aller Weltreligionen als eigenes Fach wäre gewiss interessant und gibt viel Stoff her. Es dürfte aber relativ schwierig werden, ein solches Projekt mit einer Gruppe deklarierter Atheisten oder Agnostiker in den Schulbänken konstruktiv anzugehen.

Ad 3: Natürlich steckt in der Ökonomie Ethik. Behaupten doch Marxisten ständig, dass Gleichmacherei ethisch richtig sei (und haben sie doch zuletzt vor allem im Klerus viele Anhänger gefunden). Und können doch Marktwirtschaftler nachweisen, dass nichts mehr zur Eliminierung der Armut und Vergrößerung der Freiheit beigetragen hat als die Marktwirtschaft. Ein Unterricht, der ökonomische Zusammenhänge vermittelt, wird daher zum Roulette-Spiel, ob die Schüler von einem eingefleischten Marxisten oder einem überzeugten Vertreter der freien Marktwirtschaft unterrichtet werden.

Ad 4: Schließlich bleibt die Vermittlung von juridischen Kenntnissen. Das Rechtssystem ist ja eindeutig Konsequenz ethischer Überzeugungen der Gesetzgeber. Die Vermittlung dieser Kenntnisse ist vor allem in Hinblick auf Bildung und Ausbildung der jungen Menschen absolut sinnvoll wichtig und notwendig. Sie hätte daher auch schon längst stattfinden sollen.

Nur sei mit Verlaub gefragt: Sollen die Teilnehmer am Religionsunterricht selbst weiterhin als juristische Nackerpatzerl durchs Leben gehen? Sie würden ja diesen für jeden wichtigen Rechtsunterricht versäumen. Sie brauchen jedoch genauso wie alle anderen für diese tagtäglich komplizierter werdende Welt dringend mehr diesbezügliche Grundkenntnisse als frühere Jahrgänge.

  • Damit sie Menschenrechte und all ihre Pflichten kennen.
  • Damit sie nicht allzu leicht Betrügern auf den Leim gehen.
  • Damit sie wenigstens eine Ahnung haben, dass beispielsweise Aktien und Anleihen etwas Verschiedenes sind.
  • Damit sie etwas über Testamente oder Eheverträge wissen.
  • Damit sie von Prozessen nicht nur in US-Filmen etwas hören.
  • Damit sie den komplizierten Rechtsaufbau Gemeinde–Bezirk–Bundesland–Republik–Europa und die zahllosen internationalen Organisationen von der UNO bis zum Internationalen Strafgerichtshof kennen.
  • Damit sie eine minimale Ahnung bekommen, dass andere Staaten ganz anders organisiert und dennoch rechtsstaatliche Demokratien sein können. Und so weiter, und so fort.

Kommt am Schluss eine wilde Mischung aus allen vier Bereichen heraus? Also von allem ein bisschen was. Halt wie jeder einzelne Lehrer mag …

Aber dass man all die hier aufgezeigten wichtigen Fragen eigentlich schon vorher überlegen, diskutieren und entscheiden hätte müssen, wird man wohl erst in fünf oder zehn Jahren entdecken …

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