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Jetzt steht die EU-Kandidatenliste der Volkspartei. Sie versucht damit, Unmögliches möglich zu machen – nämlich die ganze Spannbreite dessen, was einmal Volkspartei ist oder war, auf einer Liste zusammenzuführen. Man darf zweifeln, ob das Erfolg haben wird.
Aus Angst, dass Othmar Karas mit einer eigenen Liste oder bei den Neos für die Wahl zum EU-Parlament kandidiert, hat ihn Sebastian Kurz an die Spitze der ÖVP-Liste gestellt. Karas hatte dem ÖVP-Obmann mehrfach ganz klar signalisiert: Entweder ich bin die Nummer eins und gleichzeitig "der" österreichische Kandidat für einen Job als EU-Kommissar, oder ich kandidiere anderswo.
Karas hatte bei seiner politischen Erpressung damit beeindrucken können, dass er einst – vor allem als Gegenpol zu dem von Josef Pröll an die Spitze katapultierten Unglückskandidaten Ernst Strasser – viele Vorzugsstimmen bekommen hatte. Er erweckte so in der verunsicherten ÖVP-Spitze den Eindruck, dass viele dieser einstigen Karas-Wähler mit ihm wo auch immer hinziehen würden.
Dabei ist eindeutig das Gegenteil richtig: Viele dieser einstigen Vorzugsstimmen-Wähler sind überhaupt nicht mehr bereit, eine ÖVP- (oder sonstige) Liste anzukreuzen, wenn Karas an der Spitze stehen sollte. Und vieles deutet darauf hin, dass Karas in Summe mehr ÖVP-Wähler vertreiben als gewinnen wird.
Denn Karas hatte in den letzten Jahren keine Gelegenheit ausgelassen, all das, weshalb Kurz seine Triumphe feiert, anzupatzen. Er war ein geradezu militanter öffentlicher Kritiker der Wiener Regierungskoalition. Er war ein vehementer Befürworter der zwangsweisen Umverteilung von "Flüchtlingen" auf alle europäischen Länder. Er attackierte aggressiv den erfolgreichsten Christdemokraten und Migrationsgegner Europas, den Ungarn Orban. Er beschimpfte öffentlich den Koalitionspartner. Er unterstützte in allen Disputen zwischen Österreich und der EU den zentralistischen Standpunkt Brüssels (etwa bei der Anpassung der Familienbeihilfe für nicht in Österreich lebende Kinder an die jeweiligen Lebenshaltungskosten). Er verteidigte begeistert sowohl den französischen Präsidenten Macron wie auch die deutsche Bundeskanzlerin Merkel und deren Europapolitik. Er war ein noch begeisterter Anhänger des Kommissionspräsidenten Juncker. Und er zeigte nie auch nur ansatzweise diese Begeisterung für Kurz.
Warum um Himmels willen soll da die große Mehrheit jener Österreicher, die von der schwarz-blauen Regierung eine gute Meinung hat, Karas wählen? Sie wären ja schizophren.
In diesem Dilemma versucht Kurz eine raffinierte Doppelstrategie: Einerseits hat er jetzt mit der durchaus öffentlichkeitswirksamen Staatssekretärin Karoline Edtstadler eine Kandidatin aufgestellt, die für das absolute Gegenteil dessen steht, was Karas verkörpert. Andererseits hat er zu einem Vorzugsstimmenwahlkampf aufgerufen: Die ÖVP werde beim Einzug ins Parlament ihre Kandidaten strikt nach der Zahl der Vorzugsstimmen reihen.
Damit versucht die ÖVP sowohl die Pro- wie auch die Anti-Kurz-Stimmen bei der Stange zu halten, sowohl die Pro-Karas wie auch die Anti-Karas-Wähler zu erobern.
Es soll also ein Wahlkampf ÖVP gegen ÖVP werden. Die Volkspartei gleichsam als bürgerliche Einheitspartei, die alle Gegensätze in sich vereint. Ob diese mehr als kühne Strategie aufgeht? Man darf zweifeln.
Regierungsunterstützer werden nämlich – vor allem auch, solange die Regierung nach außen weiterhin recht geschlossen auftritt, – eher jenen Kandidaten wählen, der diese Regierung eindeutig unterstützt, und das ist heute der routinierte Freiheitliche Vilimsky, auch wenn dieser keine sonderlich charismatische Persönlichkeit ist. Vilimsky darf noch dazu mit einem starken Jet-Stream an Dynamik rechnen, weil er aller Voraussicht nach auf der gleichen Liste antreten wird wie der Italiener Salvini – die derzeit weitaus ausstrahlungsstärkste Persönlichkeit Europas. Salvini hat mit dem Stopp der Massenmigrationsroute über Italien noch mehr begeisterte Unterstützer gefunden als Kurz einst mit seiner wichtigen Rolle beim Schließen der Balkanroute.
Regierungsgegner und Merkel/Juncker/Macron/EU-Begeisterte werden erst recht nicht die Regierungspartei ÖVP wählen, sondern Neos, SPÖ oder Grüne. Die Linke wirkt in ihrer verbal europabegeisterten Linie konsistent – niemand erinnert sich mehr an die lange Anti-EU-Tradition der Linken, die bei den Grünen sogar noch beim EU-Referendum total dominiert hat.
Diese Polarisierung wird ab sofort in einer für die ÖVP unangenehmen Weise den ganzen Wahlkampf beherrschen. Edtstadler wird ununterbrochen investigativ die lange Liste der Äußerungen des Kandidaten-"Kollegen" abgefragt werden: Steht sie zu Karas oder Kurz? Und Karas wird ununterbrochen gefragt werden, ob er all die Kritikpunkte an der eigenen Partei aufrechterhält – oder ob er komplett umgefallen wäre.
Sebastian Kurz riskiert aber auf Grund dieser Konstellation noch viel mehr als eine ÖVP-Niederlage bei der EU-Wahl. Er riskiert auch einen deutlichen Verlust an persönlicher Glaubwürdigkeit. Galt er doch bisher als ein Politiker der klaren Worte, mit einem gleichzeitig brillanten Gespür dafür, was die Österreicher bewegt. Durch den ÖVP-internen Wahlkampf Karas-Edtstadler jedoch wird er in die alte ÖVP-Falle der Beliebigkeit, des Weder/Noch, das Sowohl/Als-auch fallen. All die für Medien so lustigen Farbenspiele sind nun zu Ende, dass die ÖVP nicht mehr schwarz, sondern türkis wäre, dass sie etwas ganz anderes wäre als die Volkspartei der rot-schwarzen Koalition.
Zwar sind Vorzugsstimmenwahlkämpfe an sich durchaus mobilisierend, wenn der eine Kandidat diese, der andere jene Region oder Interessengruppe anspricht. Sie können aber nicht funktionieren, wenn sie eine direkte, aber unausgetragene Konfrontation zwischen dem Listenersten und dem Listenzweiten bedeuten. Noch dazu, wenn diese Konfrontation nicht nur eine zwischen zwei alternativen Persönlichkeiten, sondern darüber hinaus zwischen zwei absolut unvereinbaren inhaltlichen Positionen ist.
Es ist eine alte politische Weisheit: Eine Positionierung der Schizophrenie und Unklarheit funktioniert nicht.