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Der von Donald Trump angekündigte Abzug der (ohnedies nur 2000) US-Truppen aus Syrien ist ein schlimmer Fehler. Auch wenn man gleich zwei Motive dafür ausmachen kann. Und auch wenn sogar mindestens drei Diktatoren darüber jubeln. Die größte, die einzige Hoffnung ist, dass die Ankündigung Trumps nie realisiert wird.
Hat doch dieser amerikanische Präsident schon so viel angekündigt, was sich dann später in der Realität nicht wiedergefunden hat. Weil er trotz des definitiven Tons seiner Ankündigungen in Wahrheit sehr – sagen wir: flexibel ist. Weil er auch durchaus bereit ist, dazuzulernen. Und weil das amerikanische Parlament dem Präsidenten oft erfolgreich Widerstand leistet und keineswegs ein so ergebener Exekutor des Regierungswillens ist wie fast alle europäischen Parlamente. Deswegen wird noch immer nicht die von Trump schon oft angekündigte Mauer gegen Mexiko gebaut. Deswegen ist die umstrittene Gesundheitsreform Obamacare noch immer in Kraft. Und deswegen sind viele der von Trump Monate vorher überschwänglich gepriesenen Stabschefs und Minister inzwischen schon wieder gefeuert.
Aber dennoch bleibt die zentrale Frage: Warum? Warum verkündet Trump den ersten wirklichen Fehler seiner Außenpolitik? Noch dazu im Alleingang! Vieles andere, was von den hauptberuflichen Trump-Hassern ebenfalls als Fehler dargestellt wird, ist hingegen kein solcher, zumindest kein eindeutiger. Viele seiner außenpolitischen Akzente waren sogar eindeutig richtig:
Aber der Abzug der US-Soldaten aus Syrien ist im Gegensatz zu all dem ein gefährlicher Unsinn in einer erstmals ein wenig stabilisierten Region. Diese ist instabil und kann jederzeit wieder ins totale Chaos zurückstürzen. Daher ist auch der unmittelbar auf die Syrien-Ankündigung Trumps folgende Rücktritt des amerikanischen Verteidigungsministers mehr als verständlich.
Dieser Abzug ist schon allein deshalb gefährlicher Unsinn, weil der "Islamische Staat" noch keineswegs ausgelöscht ist, sondern nur dank der USA! – weitgehend in schwer kontrollierbare Wüstengebiete zurückgedrängt worden ist. Der IS kann aber von dort aus nach Abzug der Amerikaner sehr rasch wieder zumindest einzelne Offensivoperationen starten.
Warum tut Trump das? Nur aus falscher Einschätzung der Realitäten in einem komplizierten Konfliktfeld? Nur aus einem Wunschdenken heraus, das viele unerwünschte Fakten beiseiteschiebt?
Es scheint ziemlich sicher, dass das erste Motiv ein sehr simples ist: Trump wollte knapp vor Weihnachten ins Kleid eines Friedensengels schlüpfen. Trotz der geschlossenen Kritik aller Nahost- und Sicherheitsexperten ist das wählertaktisch durchaus dienlich. Bei vielen Amerikanern, vor allem jenen, die wenig Ahnung von den Vorgängen im Nahen Osten und in der sonstigen Weltpolitik haben, wird ihm das durchaus Pluspunkte bringen.
Nur eine Minderheit der sich an einem unreflektierten "Und Friede den Menschen auf Erden" erfreuenden Menschen sind imstande zu begreifen, dass ein einseitiger Truppenabzug nicht immer eine Vermehrung, sondern oft eine Reduktion von Frieden bedeutet. So wie es ja auch zweifellos nicht mehr, sondern weniger Sicherheit für jeden Bürger bedeutet, würde die Polizei aus einer Stadt abgezogen.
Man denke nur daran, welch dominante Rolle in den nächsten Tagen in Tausenden Predigten aller christlichen Kirchen das Wort Frieden spielen wird. Da passt es ganz hervorragend, wenn der mächtigste Politiker der Welt das siegreiche Ende eines Krieges und das Heimbringen der Soldaten verkündet. Das werden zumindest sehr viele Gläubige sehr erfreut sehen, auch wenn sich ein guter Teil der Prediger lieber die Zunge abbeißt, als etwas Gutes über Trump zu sagen.
Das zweite Motiv Trumps geht weit über den kurzfristigen Friedensengel-Aspekt hinaus, wenn es auch mit diesem verwandt ist. Es heißt in einem Satz: Trump will die USA zum einstigen Isolationismus zurückführen.
Isolationismus war über einen Großteil der amerikanischen Geschichte das dominante Leitmotiv. Die USA haben sehr bewusst sehr lange nur ihre eigenen Interessen verfolgt, die sie meist nur auf dem eigenen Kontinent gesehen haben. Höhepunkt dieser Politik war die Monroe-Doktrin mit ihrem Hoheitsanspruch über ganz Lateinamerika. Und eine besonders prominente Verkörperung des interessenorientierten Isolationismus war Theodore Roosevelt, der Präsident in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts.
Erst Woodrow Wilson brachte dann die totale Umkehr der Einstellung – und führte die USA in den ersten Weltkrieg: Er glaubte zutiefst, dass die USA berufen seien, überall eine friedliche und gerechte Weltordnung durchzusetzen, die er vor allem durch die Schaffung des Völkerbundes nach dem Krieg zu realisieren hoffte.
Aber bei den Verhandlungen über die Pariser Vororteverträge zeigt sich das weitgehende Scheitern dieser idealistischen Globalpolitik. Wilson kann sich gegen die beinharte Interessenspolitik vor allem der Franzosen und Italiener, aber auch der Serben und Briten nicht durchsetzen. Von diesem Scheitern und der neuerlichen Rückkehr der USA in einen frustrierten und angewiderten Isolationismus führt ein kausaler und direkter Weg in den nächsten Weltkrieg. Erst der doppelte Angriff der Japaner und Deutschen rüttelte sie aus diesem Isolationismus wieder heraus.
Nach 1945 agierten die Amerikaner dann – bis zu Trump – völlig anders als nach 1918: Sie blieben in Europa, emotional und militärisch. Sie erkannten, wie sehr es von ihrem globalen Engagement als Weltpolizist abhängt, dass möglichst überall Stabilität, echter Friede und Wohlstand einkehren kann.
Die amerikanische Weltpolizisten-Politik, der verantwortungsbewussten Einmischung während der letzten 80 Jahre war in Summe zwar nicht immer erfolgreich, aber sie brachte ganz eindeutig vor allem für Europa eine sensationell positive Bilanz.
Heute aber ist Amerika dieses Weltpolizistentums müde. Es ist alles andere als ein Zufall, dass die US-Bürger einen Präsidenten gewählt haben, der stärker denn je seit Pearl Harbour eine Rückkehr Amerikas zum Isolationismus will. Heute ist in Amerika die Frage überlaut geworden: Was haben wir in all diesen Konflikten verloren? Warum sollen unsere Soldaten denn dort sterben? Geht es uns nicht viel besser, wenn wir nur unsere eigenen Interessen verfolgen, statt uns nachher oft unbedankt, oft beschimpft in allen Kontinenten regelmäßig als Weltpolizist holen lassen? Ist es nicht zehn Mal mehr Aufgabe der regionalen Mächte, etwa in Syrien für Ordnung zu sorgen, als die unsrige, die wir auf der anderen Seite des Globus daheim sind?
Man sollte verstehen, dass das "America First" des Donald Trump eben viel mehr bedeutet als einen griffigen Wahlkampfslogan. Auch Trump wäre es zwar lieber, wenn es überall auf der Welt demokratische und friedliche Rechtsstaaten gäbe – aber US-Truppen einzusetzen, um dieses Ziel zu erreichen, ist ihm ein viel zu hoher Preis dafür. Diese Truppen will er eigentlich nur dann in Marsch setzen, wenn die USA selbst bedroht sind, etwa durch islamistische Dschihadisten irgendwo in der Welt. Aber das Schicksal Syriens selbst ist ihm ziemlich wurscht. So wie das anderer Länder.
Freilich, kaum macht Trump ernst mit "America First", wird ringsum aufgejammert: "Die Amerikaner sind doch notwendig!" Das wirft ein pikantes Schlaglicht auf die Glaubwürdigkeit des linken wie rechten Antiamerikanismus: Die selben Leute, die professionell über jede amerikanische Einmischung in andere Länder jammern, jammern jetzt über das Gegenteil.
Laut jubeln können über den amerikanischen Abzug drei regional aktive Diktatoren: aus Syrien, aus Russland und aus der Türkei. Die Herrscher über Iran können hingegen nur sehr leise jubeln.
Die Kurden drohen zum großen Schlachtopfer zu werden. Dabei haben sie wahrscheinlich mehr als alle anderen getan, um den "Islamischen Staat" zu besiegen. Es wäre daher eine besonders bittere und zynische Wendung, wenn sie nun zum Opfer des türkischen Imperialismus werden sollten.
Die Kurden haben auch eine – für regionale Verhältnisse – halbwegs funktionierende Verwaltung aufgezogen. Bei ihnen haben die Christen (eigentlich die Urbevölkerung des Nahen Ostens!) volle Gleichberechtigung bekommen, was sie sonst kaum mehr wo in der islamischen Welt haben. Sie haben sich auch mit Syriens Assad arrangiert, der den anderen, größeren Teil Syriens unter Kontrolle hat. An diesem positiven Urteil über die Kurden kann auch der Umstand nichts ändern, dass dort relativ viel kommunistische Rhetorik zu hören ist. Aber die Kurden haben in keiner Weise ein totalitäres System aufgezogen. Sie waren vielmehr die tapfersten und erfolgreichsten Kämpfer gegen den Fundamentalismus. Jetzt aber sollen sie - während sie noch immer in einem Zweifrontenkrieg mit dem IS stecken - dem (nicht zuletzt mit westlichen Waffen) aufgerüsteten türkischen Chauvinismus geopfert werden! Zynisch und widerlich.
Es gibt aber auch noch ganz andere Länder, die jetzt erkennen müssen, das amerikanische Sicherheits- und Beistandszusagen nicht mehr viel wert sind. Dazu gehört insbesondere die Ukraine.
Dazu gehören aber auch europäische Nato-Länder. Es kann kein Zufall sein, dass Tschechien jetzt angekündigt hat, die eigenen Verteidigungsanstrengungen alljährlich um zehn Prozent anzuheben. Dabei geben die Tschechen heute schon einen deutlich höheren Anteil des BIP für Verteidigung aus als Österreich …
PS: Sorry, habe vergessen, dass Österreich neutral ist, da braucht es sich ja nicht um die eigene Sicherheit zu kümmern. So meinen zumindest viele Landsleute.
PPS: Sorry, habe vergessen, die Türkei ist ja ein offizieller EU-Beitrittskandidat. Da muss es zweifellos ein Irrtum sein zu glauben, ein solches Land hätte aggressive Ansichten außerhalb der eigenen Grenzen. So denkt man zumindest in Brüssel.