Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Sebastian Kurz will übers Wasser gehen – wenn er‘s nur könnte

Da hat der Bundeskanzler den Mund sehr voll genommen: Er will in den nächsten Wochen einen "Masterplan" für eine "Generallösung der Pflegefrage" vorlegen und die "unwürdigen Finanzdebatten in diesem Bereich" beenden. Wenn ihm das wirklich gelingen sollte, dann kann man sicher sein, dass Sebastian Kurz auch übers Wasser gehen kann. Denn so wünschenswert eine solche "Generallösung" auch wäre, so unwahrscheinlich, so unmöglich ist sie – zumindest wenn Kurz auch alle seine sonstigen Versprechungen halten will.

Gewiss: Die Menschen lieben Politiker, die Lösungskompetenz ausstrahlen, und verachten jene, die sagen "Es ist alles sehr schwierig" – ungeachtet dessen, dass die Zweitgenannten sehr oft Recht haben.

Gewiss: Es ist extrem erfreulich, dass sich der Bundeskanzler einem der zentralen Zukunftsprobleme des Landes zuwendet (vor dem auch viele andere Länder Europas stehen, nicht jedoch die Staaten Afrikas und Asiens mit ihren viel jüngeren Bevölkerungen).

Gewiss: Die persönliche Selbstverpflichtung von Kurz – ohne den sich ja in der Politik derzeit kaum etwas bewegt – in einem der schwierigsten Politikfelder ist doppelt erfreulich: einerseits angesichts seiner gegenwärtigen Doppelbelastung EU-Vorsitz/Brexit; andererseits nachdem zuletzt im Bereich Gesundheit, also einer anderen Mega-Herausforderung der Sozialpolitik, die Hervorbringungen des Duos Hartinger-Wöginger nicht gerade weltbewegend gewesen sind. Wobei man fairerweise sagen muss, dass sich ihre Leistungen dabei in keiner Weise von denen ihrer Vorgänger unterscheiden (und sich immer noch positiv von den gesundheitspolitischen Katastrophen im Bereich des Landes Wien abheben).

Aber dennoch sollte sich auch Kurz bewusst sein, eine "Generallösung" für das Problem der Pflege einer rapide alternden Bevölkerung kann es nur geben:

  • entweder mit einer weiteren gewaltigen Zusatzbelastung im Sektor Steuern-Abgaben-Schuldenlast – womit Kurz alle Versprechungen brechen würde, die er diesbezüglich bisher gegeben hat,
  • oder aber durch eine dramatisch größere Inanspruchnahme der Eigenverantwortung der pflegebedürftigen Menschen und ihrer Angehörigen – wobei Kurz ebenfalls den Kurs der letzten Jahre um 180 Grad wenden müsste.

Natürlich ist ihm zuzubilligen, dass gerade im Megabereich Pflege und Pensionen der Populismus der SPÖ schon seit Kreisky und Vranitzky hemmungslos tobt. Die Sozialdemokraten haben stets nachhaltige Lösungen torpediert und statt dessen immer weiter den Staatshaushalt belastet. Sie werden das künftig noch viel mehr tun wollen, sind doch die Pensionisten neben den Migranten ihre letzte relevante Wählergruppe. Schon seit dem Hinauswurf von Hannes Androsch hat die SPÖ keinen Exponenten der ökonomischen Vernunft und Beherrscher der Grundrechnungsarten mehr in ihren Reihen, wie es in der SPD immerhin noch 30 Jahre länger Spitzenpolitiker a la Schröder oder Müntefering gewesen sind (die dann freilich auch dort von den Wünsch-dir-was-Politikern hinausgedrängt worden sind).

Aber auch die ÖVP hat sich stets recht leicht von diesen Forderungen treiben lassen. Und die FPÖ hat bei allen linkspopulistischen Lizitationen sogar besonders lautstark mitgetan.

Daher wird in Österreich seit Wolfgang Schüssel und Martin Bartenstein nicht einmal mehr darüber diskutiert, was anderswo im schwierigen Problemkreis Pension/Pflege an sinnvollen Schritten unternommen worden ist. In Österreich hat es statt nachhaltiger Reformen sogar dramatische Verschlechterungen gegeben, die eine Problemlösung noch viel schwieriger machen. Diese von Politik wie Medien mitgetragenen Verschlechterungen haben dafür gesorgt, dass Österreich heute in internationalen Studien in Hinblick auf die Nachhaltigkeit – also Zukunftstauglichkeit – der Altersversorgung an vorletzter Stelle steht.

Die durch den Linkspopulismus ausgelösten Verschlechterungen haben vier Hauptelemente:

  1. Die jüngste war die Abschaffung des Pflegregresses im letzten Wahlkampf. Diese Abschaffung war von der SPÖ als verantwortungsloser Wahlkampfknüller erfunden, von Schwarz wie Blau aber sofort übernommen worden, um sich den sicheren Sieg nicht entreißen zu lassen. Seither brauchen Pflegebedürftige nicht mehr ihre eigenen Ersparnisse für ihre Pflege aufzuwenden. Auch wenn sie eigentlich mehr als genug Geld haben. Auch wenn sie in gesunden Lebensjahren darauf verzichtet haben, eine Pflegeversicherung abzuschließen.
    Erbärmliche Folge: Aufs Erbe happige Familienangehörige haben sofort begonnen, ihre Vorfahren in öffentliche Pflegeheime abzuschieben (zu Weihnachten werden sie diese dort ja eh besuchen …). Und in den nächsten Jahren werden wir sehen, dass viele private Pensionsverträge auf Einmal- statt monatlicher Zahlung umgestellt werden, damit die öffentliche Hand keinen Zugriff mehr darauf hat.
  2. Schon davor hat man in einer ähnlich populistischen Aktion die Pflicht der Angehörigen abgeschafft, für die Pflege ihrer Eltern im Alter aufzukommen. Was wiederum zur reihenweisen vorzeitigen Übertragung von Immobilien und Sparbüchern auf die nächste Generation geführt hat.
  3. Europaweit fast einmalig ist mittlerweile, dass in Österreich Frauen nach wie vor ein viel niedrigeres Pensionsantrittsalter als Männer haben. Obwohl Frauen eine deutlich höhere Lebenserwartung haben. Obwohl Frauen keine Lebenszeit durch Präsenzdienst/Zivildienst im Interesse der Allgemeinheit verlieren. Auch hier war es einst die SPÖ, die diese Ungleichbehandlung in der Verfassung abgesichert hat. Und wiederum war der Widerstand der anderen Parteien dagegen vorsichtig ausgedrückt endenwollend.
  4. Und schon gar kein Echo in Österreich hat das gefunden, was in anderen Ländern in den letzten Jahren im Bereich Pensionen/Pflege alles stattgefunden hat. In immer mehr Ländern gibt es einen Automatismus, der Pensionshöhe und damit das mögliche Pensionsantrittsalter flexibel an die im Moment des Pensionsantritts zu erwartende durchschnittliche Lebenserwartung knüpft. Was ja auch eine logische Folge der medizinischen Verbesserungen ist. Folge: Die sozialdemokratisch(!) regierten Schweden gehen im Schnitt vier Jahre später als die Österreicher in Pension.

Zwei Zahlen machen drastisch deutlich, wie sehr das von der österreichischen Politik in ihrer Verantwortungslosigkeit ignorierte Problem von Jahr zu Jahr größer werden wird: Während es derzeit 440.000 Über-80-Jährige gibt, werden es in 32 Jahren schon mehr als 1,190.000 sein. Das bedeutet fast eine Verdreifachung!

Allein die Kosten für Pflege werden in dieser Zeit um rund fünf Milliarden steigen. Jährlich. Zusätzlich zu den schon heute anfallenden Kosten. Schon dieser prognostizierte Kostenzuwachs macht weit mehr als das Doppelte dessen aus, was die Republik heute insgesamt fürs Bundesheer ausgibt. Und für die Pensionen selber wendet der Staat bereits heute fast ein Viertel des gesamten Bundesbudgets auf – wohlgemerkt zusätzlich zu den Einnahmen der Sozialversicherung aus den Versicherungsbeiträgen.

Zusätzlich ist das Problem durch die – aus anderen Gründen – verantwortungslos gewordene Europäischen Zentralbank verschärft worden. Mit ihrer alle Marktregeln verletzenden Politik des Nullzinses und des hemmungslosen Gelddruckens werden (zur Rettung der Schuldenstaaten wie Italien) Sparer schwer bestraft. Das sind aber vor allem jene Menschen, die erkannt haben: "Die Pensions- und Pflegezusagen des Staates sind langfristig Lüge und Täuschung. Sie können nicht halten. Da sorgen wir halt selbst vor und sparen für ein Alter ohne Armut." Blöd gelaufen: Sie werden durch die EZB jedes Jahr um zwei Prozent beraubt, was inzwischen schon einen guten Teil des Wertes der angesparten Altersvorsorge schrumpfen hat lassen. So wie halt vor hundert Jahren die Kriegsanleihen verschwunden sind ...

Selbst Wladimir Putin – an sich ja auch ein hemmungsloser Populist – hat erkannt, dass man da dringend etwas tun muss und hat das Pensionsantrittsalter deutlich erhöht. Er hat dafür zum ersten Mal heftigen Gegenwind der russischen Bürger in Kauf genommen, und unter Druck dieser Proteste nur einen Teil der Pensionsreform zurückgenommen.

Zurück nach Österreich: Jede "Generallösung" des Pflegeproblems ist zum Scheitern verurteilt, wenn dabei nicht alle zuvor genannten vier Punkte angegangen werden, und wenn nicht gleichzeitig in der EZB ein energischer Kampf für die Interessen der Sparer aufgenommen wird. Den ja der Sozialdemokrat Ewald Nowotny, der schwächste Nationalbank-Chef seit Menschengedenken, nie wirklich geführt hat.

Es ist aber völlig unwahrscheinlich, dass diese oder irgendeine andere Regierung auch nur eine dieser vier Notwendigkeiten angeht. Das wird wohl erst dann passieren, wenn Österreich am Rande der Staatspleite steht wie etwa Griechenland. Und wenn, wie schon einmal in den 20er Jahren, die internationalen Gläubiger das Kommando in die Hand nehmen und dann noch viel drastischere Dinge anordnen werden.

Aber vorerst glaubt jede Partei, dass sie Wahlen verlieren würde, wenn sie irgendetwas davon angreift. Was vielleicht sogar stimmen könnte. Denn viele Menschen halten Pensionsreformen für Sadismus, wenn man ihnen die Zusammenhänge nicht gut erklärt, und wenn die populistische Propaganda lauter ist.

Im Grunde ist das ein typisches Thema, wo die Vernunft nur dann eine Chance hätte, wenn man die Bürger intensiv informiert und dann in juristisch korrekter Form fragt: Wollt ihr eine auch langfristig sichere Vorsorge für Alter und Pflegebedürftigkeit? Oder glaubt ihr wider alle Experten den populistischen Versprechungen?

Die einzige Chance auf eine Lösung dieser Fragen ist also die direkte Demokratie. Auch sie bietet zwar keine Erfolgsgarantie, aber eben eine Chance. Nur in der direkten Demokratie verlieren populistische Parteien (also mehr oder weniger alle) den Anreiz, den Bürgern das Blaue vom Himmel zu versprechen, um Wahlen zu gewinnen.

Die Chance auf eine Lösung des Pflegethemas ist durch die Besonderheiten der österreichischen Verfassungskonstruktion zusätzlich schwierig: Denn die Pflege alter Menschen ist laut der Verfassung Aufgabe der Bundesländer. Die Abschaffung des Pflegeregresses ist hingegen vom Bund beschlossen worden. Seither tobt der Streit, auf wieviele Kompensationen für diesen Wahlkampfschlager die Länder jetzt Anspruch haben. Bei jeder Berechnung des dadurch der Allgemeinheit aufgelasteten Betrags wird die Summe noch größer. Zuerst waren es 100, dann 300, dann 340 Millionen. Und schon heißt es überall, auch das wird nicht reichen. Warum auch soll irgendjemand sparen, wenn man das Geld eh vom Bund refundiert bekommt …

Wohin müsste aber der Weg gehen, wenn er in eine gute Richtung führen sollte, wenn wir nicht in eine dramatische Altersarmut und einen gewaltigen Pflegenotstand steuern wollen?

Einerseits muss es um eine Rücknahme ALLER vier genannten Fehlentwicklungen gehen.

Andererseits muss es zu einer großen Rückbesinnung auf das Prinzip Eigenverantwortung gehen, auf individuelle und kollektive Eigenverantwortung. Dabei geht es aber nicht nur um die Abwälzung für die Allgemeinheit nicht mehr tragbarer Lasten, sondern auch um Förderung der Eigenverantwortung: Es ist ja – beispielsweise – absurd, wenn etwa Pflege im öffentlichen Heimen den Steuerzahler immer teurer kommt, während die private und familiäre Pflege weitgehend privat zu tragen ist.

Aber freilich: In einer Epoche, wo alle Parteien sozialdemokratisch bis sozialistisch geworden sind, hat das Prinzip Eigenverantwortung keine Chance.

Auch wenn die Verstaatlichung der Pflege mit Sicherheit so scheitern wird, wie überall die Verstaatlichung gescheitert ist.

Auch wenn Sebastian Kurz noch so oft über den See Genezareth zu gehen verspricht.

PS: Das Prinzip "Die Pflege soll auch bei vermögenden Menschen die Allgemeinheit zahlen" ist ja völlig deckungsgleich mit einem anderen links wie rechts vertretenen Vorschlag: Auch vermögende Menschen sollen eine "Mindestsicherung" bekommen, für die sie nie etwas einbezahlt haben. 

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung