Nachhilfe für Juncker: Freiheit aus dem Osten

In einer Mischung aus Unwissenheit und dreister diplomatischer Dummheit lieferte EU-Kommissionsprädient Juncker einen Affront, der aber von gleichgeschalteten Medien totgeschwiegen wurde. Ausgerechnet anlässlich einer Debatte zur "Zukunft Europas" (mit dem rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis im EU-Parlament) kramte der (öfters alkoholisiert wirkende) EU-Kommissionspräsident in seinem historischen Nähkästchen – und leistete einen chauvinistischen Offenbarungs-Eid.

"Am 1. Dezember feiert Rumänien den hundertsten Jahrestag ,der großen Einigung‘, wie unsere rumänischen Freunde sagen. … Dies ist natürlich … auch ein europäischer Feiertag, weil alles, was Rumänien betrifft, auch Europa betrifft. … Wir werden an diesem Tag diesen großen Moment der rumänischen und europäischen Geschichte feiern." (Juncker, 23.10.2018)

"Es war schlimmer als ein Verbrechen, es war eine Dummheit." (Talleyrand)

"Ein Kluger bemerkt alles. Ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heine)

Mit dieser Geschichtsklitterung gelang Juncker das außenpolitische Kunststück, dass sich 15 Millionen Magyaren (inklusive der gesamten ungarischen Opposition – außer der Sozi-Gyurcsany-Fraktion) mit Ministerpräsident Orban solidarisieren.

Hat doch der Begriff "große Einigung" einen stalinistischen Beigeschmack im Sinne von Panzer-Kommunismus. "Große Einigungen" entstehen immer durch Unterdrückung anderer. Deshalb identifiziert sich der luxemburgische Schelm in der Brüsseler Einigungs-Zentrale ja auch so innig damit. Sie endeten aber alle in Abspaltungen.

Historischer Nachhilfeunterricht

Der rumänische Nationalfeiertag der "großen Einigung" (in einem von ethnischen Minderheiten bewohnten Teil Osteuropas) war von Anfang an umstritten. Unter anderem stand auch der 16. Dezember 1989 (Beginn der Anti-Ceausescu-Revolution) zur Wahl, den die ungarische Minderheit wollte. 1990 entschied sich freilich der Postkommunist Iliescu für den 1. Dezember 1918. Dieses Datum mündete in ein nationales Trauma, den "ungarischen Versailler Vertrag" von Trianon (ethnische Karte zur Volkszählung von 1910).

Genau auf diesen national-chauvinistisch verpatzten, post-kommunistischen "Neuanfang" Rumäniens aber möchte Juncker nun mit ganz Europa inklusive der Ungarn (also auf ihre eigene "Ex-Patriierung") anstoßen. Nur der belgische König Leopold II. (Junckers Vorgänger in Brüssel) übertraf diese kolonisatorische Arroganz (betreffend der Kolonie Belgisch-Kongo) noch. Die Ungarn für Juncker als "Neger" Europas …

Am selben Tag, am 23.10.2018, hielt aus Anlass der antikommunistischen 1956-er-Revolte Viktor Orban eine Rede im osteuropäischen Machtzentrum in Budapest:

"Aus Brüssel wurden nur Kolonien verwaltet, aber wir waren weder Kolonie noch waren wir Kolonisatoren. Wir haben niemandem die Heimat weggenommen, aber wir werden unsere auch nicht verschenken." (Orban-Rede)

Im Übrigen: Osteuropäische Geschichte reicht weiter zurück (als Junckers Gedächtnis bis 1968) und umfasst in etwa 1.000 Jahre. Genauso gut hätte übrigens Junckers Heimat, die historische Grafschaft Luxemburg, in einer "großen Einigung" Deutschland zugeschlagen werden können. An historischen Parallelen würde es nicht fehlen…

Im November 1918 annektierten rumänische Streitkräfte Gebiete des ehemaligen k.u.k-Ungarns. Siebenbürgen (ungarisch Erdély, rumänisch Transilvania) war seit Ende des 9. Jahrhunderts im Besitz der ungarischen Krone. Inklusive der angrenzenden Gebiete lebten 5,275 Millionen Einwohner auf einem 103.000 km² großen Territorium (welches Ungarn dann für "die große Einigung" abtreten musste). 1,66 Millionen davon waren ethnische Ungarn (ca. 31 Prozent), 2,9 Millionen Rumänen (etwa 40%), der Rest (29%) Siebenbürger Sachsen (zu denen auch der rumänische Staatspräsident Johannis gehört) sowie andere Nationalitäten.

Am 1. Dezember 1918 hielten die Rumänen in Gyulafehérvár (ungarisch / Alba Iulia: rumänisch / Karlsburg: deutsch) eine Nationalversammlung ab: 1228 rumänische Delegierte beschlossen dabei den "Beitritt" Siebenbürgens an Rumänien, wodurch sich dessen Staatsgebiet verdoppelte. Ungarn und Deutsche hatten weder Mitbestimmungsrecht noch das Referendum mitinitiiert. 1920 sanktionierte der Vertrag von Trianon die vollendeten Tatsachen jener militärischen Annexion.

In österreichischen Geschichtsbüchern wir heute noch der Verlust Ödenburgs / Soprons beklagt:

"Das Burgenland verlor damit seine Hauptstadt, Österreich einen Verkehrsknotenpunkt und Wien seinen ‚Gemüsegarten‘. Nach dem Verlust Südtirols und des Kanaltals, … (der) deutschsprachigen Gebiete Böhmens und Mährens, war dies nun der vorerst letzte Tiefschlag für das … kleine Land." (Die Presse – 2011)

Erinnert sich Juncker noch an die Rede Hitlers am 15.3.1938: "Als Führer des Reichs melde ich … hiermit den Eintritt meiner Heimat in das deutsche Reich." - "Große Einigungen" haben viele Namen.

Durch "Trianon" musste das ehemalige k.u.k-Ungarn (mit insgesamt 282.000 km² – ohne Kroatien) 103.000 km² an Rumänien abtreten, um so als Opfer die "große Einigung" zu bewerkstelligen. Insgesamt verlor Ungarn zwei Drittel seines Staatsgebietes und knapp 60 Prozent seiner Gesamtbevölkerung (vorher 18,2 Millionen – danach 7,6 Millionen). In allen abgetretenen Gebieten (heute Slowakei, Serbien, Ukraine) lebten insgesamt 10 Millionen Menschen; 3,2 Millionen, also 30,5 Prozent waren Ungarn. In Siebenbürgen gibt es Gebiete, die zu über 90 Prozent nur von Ungarn bewohnt werden (z. B. das Szeklerland), andere waren es mehrheitlich von Siebenbürger Sachsen. ("Fremde Heimat: Ungarn in Siebenbürgen" – faz) Diesen nationalen Amputations-Schmerz Ungarns verhöhnt Juncker.

"Bringst du einen Dummkopf zu Einfluss, so wird ein Schurke draus." (Grillparzer)

Denn die Folgen von "Trianon" sind (anders als die von "St. Germain" für Österreich) nicht tote Geschichte (Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem 2. Weltkrieg), sondern als ethnische Diskriminierung für die ungarische Minderheit täglich spürbar. (Hier aktuelle ethnische Konflikte: Slowakei, Ukraine, Rumänien)

Ethnische Autonomie und nationale Minderheitenrechte (ansonsten so hochgehaltene EU-Ideale) werden den Ungarn in den Trianon-Gebieten bis heute verwehrt oder beschnitten. Die Kultur der Siebenbürger Sachsen wurde durch Auswanderung ausgelöscht. Am Überlebenswillen der Ungarn und der ungarischen Szekler biss sich allerdings selbst Dracula-Kommunist Ceausescu die Zähne aus. Am Schluss wurde er exekutiert…

"Die am meisten Zwietracht säen, sind jene, die am lautesten nach Frieden schreien." (Th.L. Lutter, 1962)

Von Budapest aus überschüttete derweil Orban den (in seinen Augen) geschichtslosen Brüsseler Nihilisten-Teufel mit nationalem Weihwasser:

"Wir lieben unsere Kultur, … wir betrachten unsere Traditionen und Geschichte als außergewöhnlich, und vor allem lieben wir unser Land. Europa ist die Heimat der Nationen und kein Schmelztiegel." (Orban-Rede)

Verstehen wird Juncker diese Weltsicht zwar nie: Beherrscht er doch nicht einmal rudimentäres zeitgeschichtliches Basiswissen, geschweige denn versteht er historische Zusammenhänge oder osteuropäische Kulturen.

"Solange wir leben, wird unser Geist niemals besiegt werden. Mögen wir überall auf der Welt geboren werden, mag unser Schicksal gut oder hart sein." (aus: Hymnus der ungarischen Szekler in Rumänien)

Im Moment ist in Ungarn eine Diskussion im Gange: Ob Junckers unbedarfte Geschichtslosigkeit verursacht wurde durch: Dummheit, geistige Amnesie, Bildungslücken, Ischias-Schmerzen oder aber doch nur durch Alkoholismus.

Oder ob nicht doch mehr dahintersteckt: Nämlich eine Provokation, um zwischen den östlichen Visegrad-4- und Trianon-Nachfolgestaaten Zwietracht zu säen: Um Ungarn und Polen endlich von linker Transgender-EU-Rachejustiz (EU-Sanktionsverfahren) unterwerfen zu lassen, indem beide Länder von ihren östlichen Nachbarstaaten verraten werden könnten.

Zu dieser "Divida-et-impera"-Strategie ("Teile und herrsche!") passt auch der Staatsbesuch von Merkel und Macron in der Slowakei und der Tschechischen Republik (am 25.10.2018) anlässlich "der Unabhängigkeitserklärung der Tschechoslowakei (am 28.10.1918)." (ORF) (Eine Folge von Trianon: In der Slowakei leben ca. 458.500 Magyaren, also fast 8,5 %)

"In der Politik geschieht nichts zufällig. Wenn etwas geschieht, kann man sicher sein, dass es auch auf dieser Weise geplant war." (US-Präsident Roosevelt)

Juncker: ein "Mann ohne Eigenschaften" (Robert Musil) ohne Tradition zur "Welt von gestern" (Stefan Zweig)

Als hätte Juncker wie bei Musil als "Mann ohne Eigenschaften" eine groteske "Parallelaktion" geplant:

"Man ist früher mit besserem Gewissen Person gewesen als heute. Die Menschen glichen den Halmen im Getreide; sie wurden von Gott, Hagel, Feuersbrunst, Pestilenz und Krieg wahrscheinlich heftiger … bewegt als jetzt, aber im Ganzen, … ließ sich das verantworten … Heute dagegen hat die Verantwortung ihren Schwerpunkt nicht im Menschen, sondern in den Sachzusammenhängen. … Die Erlebnisse haben sich vom Menschen unabhängig gemacht… Sie sind aufs Theater gegangen, … in die Gesinnungsgemeinschaften, die … Arten des Erlebens auf Kosten der anderen ausbilden wie in einem sozialen Experimentalversuch; … Wo ihm so viele Leute dreinreden und es besser verstehen als er." (Robert Musil)

In Budapest freut sich Orban ob der dauernden konzeptlosen Wahlhilfe aus dem fernen Straßburg-Brüssel. Denn "große Brüder" aus realitäts-abgeschotteten imperialistischen Zentren entledigen sich letztlich von selbst und stärken überdies den nationalen Zusammenhalt.

In Hollywood’s Blockbuster antwortet ein Gladiator dem verdutzten Kaiser im Kolosseum: "Mein Name ist Maximus". Ehemals historisch Gescheiterte übernehmen so die Rolle der Sieger: Juncker als pervertierter römischer Imperator – Orban als Gladiator: "Und ich werde mich dafür rächen. In diesem Leben oder in einem anderem!"

Imre Nagy (1896-1958), Sandor Marai (1900-1989), Stefan Zweig (1881-1942): Hat sich das Warten gelohnt?

Der große ungarische Exil-Schriftsteller Sandor Marai (geboren im heutigen slowakischen Košice) lehnte eine Veröffentlichung seiner Werke im kommunistischen Ungarn stets mit dem Junktim ab: "Wenn die sowjetischen Truppen aus dem Land abgezogen sind und wenn das ungarische Volk … in freien, demokratischen Wahlen entschieden hat, unter welchem politischen System es zu leben wünscht."

Marais letzter Tagebucheintrag: "Ich warte auf den Stellungsbefehl, bin nicht ungeduldig, will aber auch nichts hinauszögern. Es ist Zeit." (15.1.1989) Einen Monat später folgte er, 89-jährig, in San Diego dem Tod ins Feld (kurz nachdem dieser seiner Frau, seinem Bruder und Adoptivsohn die Richtung voraus gewiesen hatte). (22.1.1989)

Nagy, Marai, Zweig: Allen erlosch der Atem frühzeitig beim Warten auf das Ende zweier Diktaturen, des Nationalsozialismus und des Kommunismus. War es Zufall, dass beide Literaten, als Verkörperung einer "Welt von gestern" fast genau am gleichen Tag (am 22. Februar 1989 Marai, am 23. Februar 1942 Zweig), nur 47 Jahre auseinanderliegend eine gottverlassene Welt frühzeitig verließen?

"Ehe ich … aus dem Leben scheide, drängt es mich … diesem wundervollen Lande Brasilien innig zu danken, das mir … gastliche Rast gegeben. … Nachdem  meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet.... Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus." (Zweig - Petropolis 22.2.1942)

Nur ein knappes Jahr hätte Zweig noch zu warten gehabt bis zum ersten Strahl, der den Funken zur Morgenröte entflammte: Am 31. Januar 1943 kapitulierte die deutsche Wehrmacht in Stalingrad.

Noch knapper: Nur vier Monate hätte Marai noch zu warten gehabt, ehe ein junger, unbekannter Student auf dem Budapester Heldenplatz eine historische Rede hielt (16. Juni 1989). Anlass: Die Umbettungsfeierlichkeiten des (von den Stalinisten ermordeten) ungarischen 1956er Ministerpräsidenten Imre Nagy: Viktor Orban forderte die Sowjettruppen auf, aus Marai’s Heimat zu verschwinden. (Rede mit deutschen Untertiteln).

Imre Nagys letzte Rede trotzte (am 4. November 1956 ab 5h19) übermenschlich dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen:

"Sowjetische Truppen haben im Morgengrauen zu einem Angriff auf unsere Hauptstadt angesetzt, (um) die gesetzmäßige demokratische Regierung der Ungarischen Volksrepublik zu stürzen. Unsere Truppen stehen im Kampf. Die Regierung ist auf ihrem Platz."

"Engel, trag die Nachricht vom Himmel herab: Dass immer neues Leben wird werden aus Blut. (…) Weil der Stern leuchtet, bricht die Morgendämmerung an: Sag es ihnen allen – Engel, vom Himmel herab." (S. Marai / New York 1956)

Imre Nagys Hilferuf an die freie westliche Welt wurde von dieser achselzuckend verraten. Dann ging der Schrei nach Freiheit für 33 Jahre in den geistigen Untergrund, verstummen ließ er sich nie… Heute ertönt er erneut gegen Junckers nihilistischen, post-kommunistisch-postmodern-entarteten Alptraum einer "großen Einigung" zum "neuen Menschen", "ein schleichender Prozess der Gleichschaltung" (Marai): So wie die kommunistische Geheimpolizei 1946 nicht nur übergangslos das Foltergefängnis der faschistischen "Pfeilkreuzler" bezogen hatte, sondern sogar aus demselben Personal bestand…

"In Ungarn wird über Wachablöse gesprochen. Was nur bedeutet, dass ein Kommunist einen anderen aus dem Weg schafft, damit deren Herrschaft weiterbesteht. Denn weil deren System gescheitert ist, wollen sie nicht einmal mehr dieses retten, sondern nur ihre Diebesbeute." (Marai, Tagebuch 24.7.1988)

Stefan Zweig’s Werk "Die Welt von gestern", Marai‘s "Bekenntnisse eines Bürgers" waren ein abklingender Schwanengesang auf die Kultur des alten Europa. Wären sie beide heute in Junckers links-nihilistischer EU glücklich geworden?

Zweig, Marai, Nagy, aber auch Musil und Joseph Roth widme ich eine Begegnung mit einem heute 75-jährigen Ungarn:

Nachdem kommunistische Schergen in einer stalinistisch-entseelten Nacht dessen Vater verschleppt hatten, blieb der Junge in seiner Angst damals allein gelassen, denn auch seine Mutter war im Krankenhaus. Nur eine Ziege nahm er sich als Trost aus dem Stall zu sich mit ins Bett, mit ans Herz, um dieses vor dem Erstarren zu bewahren.

Jener Überlebende des Stalinismus blickt heute, beinahe 30 Jahre nach vollzogener 89er-Wende, noch einmal desillusioniert-hoffnungsvoll zurück nach vorne: "Vielleicht war es für uns alle damals sogar doch besser, gelitten zu haben. Denn selbst in seiner schlimmsten Form hat selbst der finsterste Stalinismus die Menschen nicht so zerstört wie der dekadente, nihilistisch-entleerte Westen mit all seinem geistigen Dreck."

"Jeder Schatten ist im letzten doch auch Kind des Lichts, und nur wer Helles und Dunkles, Krieg und Frieden, Aufstieg und Niedergang erfahren, nur der hat wahrhaft gelebt." (St. Zweig: "Die Welt von gestern")

Juncker und alle seine links-nihilistischen "großen Brüder und Schwestern": Keiner von ihnen hat je eine einzige ihrer selbstgefällig-groß-tönende Reden unter der Herausforderung von welthistorischer Zivilcourage halten müssen. Vielleicht mögen sie von Conchita Wurst die Hand gedrückt bekommen an seinen Slip…

"Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit." (M.v. Ebener-Eschenbach)

"Von ihnen wird bleiben: Der durch sie hindurchging: Der Wind." (B. Brecht)

Imre Nagy’s letzte Worte besiegelten seine Hinrichtung. Sie sollten einen Orkan überstehen: "Ich bitte nicht um Gnade.

Und doch ist Geschichte voller subtiler Gerechtigkeit: Der vergreiste ungarische Kommunist János Kádár (1912-1989), Nagy’s stalinistischer Nachfolger, musste noch erleben, wie Imre’s Gebeine in der Erde seines Mutterlandes, in Budapest, endlich zur Ruhe finden sollten. Nur drei Wochen später stellte der Tod auch Kadar den Stellungsbefehl zu (am 6. Juli 1989). Marai hat ihm, dem kommunistischen Despoten, und dem Schicksal um 12 längere Jahre auf dieser Welt seine Stirn erhoben…

Als Nietzsche vor dem europäischen Nihilismus im Wahnsinn seine Augen schloss, erblickte Marai das Licht der Welt, dessen Hoffnung seither nie erlosch, sondern als Morgenröte wieder erwachte: Man schrieb das Jahr 1900.

Als hätte Imre Nagy aus dem Jenseits damals Kadar (wie die Prinzessin und ehemalige Geliebte des schottischen Revolutionärs "Breaveheart" dem mit dem Tode ringenden König) ins Ohr geflüstert: "Du siehst! Der Tod kommt zu uns allen! … Euer Blut stirbt mit euch. Ein Kind wächst in meinem Leibe heran, das nicht von euerm Stamm ist. Euer Sohn wird sich nicht lange auf dem Thron halten."

Mit welchem Gefühl wird wohl Juncker aus seinem Traum vom nihilistisch-beliebigen EU-Groß-KaKanien erwachen?

"Es gibt Schlimmeres als das Leiden und den Tod… Schlimmer ist es, seine Selbstachtung zu verlieren." (Sandor Marai)

PS.: Marai schrieb das Gedicht "Vom Himmel, ein Engel herab" zu Weihnachten 1956 in seinem Exil in New York: Verzweifelt-zerrissen zwischen dem gleichgültig-monoton-schweigenden Frieden im freien Westen und dem mit Blut getränktem Schweigen aus Sehnsucht nach Freiheit in Budapest. Im Angesicht einer unerträglichen Hoffnungslosigkeit hielt Marai die letzte noch glimmende Glut mit einer ultimativ christlichen Hoffnung aus eigener Kraft am Leben: Er verstand 1956 als christliches Opfer und Wunder für die Welt zugleich. Es ist das Geheimnis des Ostens: Mit seiner Nähe zu Tod, und Hoffnung auf Freiheit, und: Dass das Schicksal trotz allen Leids voller Sinn ist und das Leiden hinter sich zurücklässt…

"Engel, eile, vom Himmel herab, ins brandig-schwelende, eisige Budapest. Wo russische Panzer den Glocken lauschen. Wo zur Weihnacht nichts funkelt, und keine Silbernüsse hängen an den Bäumen. Nichts anderes dort: Als Frost, Zittern und Hunger. Sag es ihnen allen so, dass alle verstehen. Sprich es nur laut aus der Nacht heraus aus: Engel, überbring die Kunde vom Wunder.

Schlag deine Flügel forsch zusammen, Flieg, flattere los, denn alle warten schon ungeduldig auf die Kunde vom Wunder. Nicht erzähle ihnen von einer Welt, wo jetzt Kerzenschimmer brennt, wo sich in warmen Häusern ein Tisch bereitet, Ein Priester tröstende Worte findet, … Engel, du: Gib Kunde vom Wunder.

Sprich es aus, denn dies ist das Wunder der Welt: Eines armen Volkes sein Weihnachtsbaum ging in der Stillen Nacht in Flammen auf - Und viele bekreuzigen sich jetzt.

Aller Welten Länder Völker, (…) Sie beten oder erschauern, Weil nicht am Baum hängt Zuckerwerk: Sondern Ungarn, des Christus sein Volk.

Und viele schreiten vor Christus einher: Der Soldat, der das Herz durchbohrte, … Jener, der ihn dreimal verleugnete, Der seine Hand in die Schüssel tauchte, Der dreißig Silbermünzen geboten bekam. Und während er schmähte, prügelte, lästerte: Aß er von seinem Fleische und trank von seinem Blut. Jetzt stehen und starren so viele. Aber mit ihm zu sprechen, wagt keiner.

Weil ES weder spricht, noch klagt an, Schaut es herab wie Christus vom Kreuz. Seltsam ist dieser Weihnachtsbaum, Gebracht muss ihn haben der Teufel oder ein Engel. Diejenigen, die um seinen Mantel würfeln, - denn sie wissen nicht, was sie tun - Sie murren, rätseln, vermuten nur: Das Geheimnis der Nacht.

Sehr seltsame Weihnachten sind diese: Denn an den Bäumen hängt jetzt das ungarische Volk.

Und die Welt spricht vom Wunder: Priester predigen von Tapferkeit, Staatsmänner von Beistand, Gesegnet durch des Papstes Eminenz. Und alle nur erdenklichen Völker und Regime Sich fragen, worum alles schlussendlich so gekommen sein musste... "Warum dieses Volk nicht ausgelöscht wurde, wie sie es begehrten? Warum hat es nicht in Stille sein Ende erduldet? Warum nur bloß ist der Himmel aufgebrochen, indem ein Volk erklärte: Es reicht!‘ ?"

Nur wenige verstehen das alles, Was hier, wie das Meer, überflutet hat alles. Warum erbebte der Weltmächte Regime? Ein Volk schrie auf. Danach nur mehr Stille. Nun fragen auf einmal viele, was war: "Wer machte aus Knochen und Fleisch ein Gesetz?" Das fragen auf einmal sich immer mehr.– Stammelnd, weil sie überhaupt nichts verstehn, Sie, die dieses Erbe geschenkt bekamen -: "Ist Freiheit denn wirklich ein solch großes Ding?"

Engel, du! Überbring endlich die Kunde vom Himmel herab, Dass immer neues Leben wird werden aus Blut. Einige Male waren sie schon zusammen: Das Kind, der Esel, der Hirte, im Stall, neben der Krippe. Wenn das Leben Lebendiges gebärt: Dieses Wunder beschützen sie jetzt, Nur mit ihrem Atem halten sie Wache.

Wenn der Stern brennt, bricht die Morgenröte an, Sag es ihnen alle – Engel, vom Himmel herab." (Versuch einer freien Übersetzung durch den Autor)

 

"Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will." (Rousseau)

Dr. Elmar Forster ist Lehrer und lebt(e) seit 1992 als Auslandsösterreicher in Ungarn, Prag, Bratislava, Polen, Siebenbürgen (Rumänien). 

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