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Mein Gott, Europa!

Dass die Verhandlungen über den Brexit nun einen ausverhandelten Vertragstext gebracht haben, ist zweifellos eine sehr gute Nachricht – auch wenn bis zum Inkrafttreten noch hohe politische wie rechtliche Hürden drohen. Diese positive Entwicklung wird freilich gleich von vier anderen sehr negativen in den Schatten gestellt, die zum Teil absolut gleichzeitig mit dem Durchbruch zwischen London und Brüssel eingetreten sind. Sie alle zeigen die EU als zunehmend lächerlich werdender Papiertiger, der fast nur noch aus Rhetorik besteht. Sie alle zeigen, dass die europäischen Zentrifugalkräfte nicht nur in London die Oberhand gewinnen. Das ist angesichts der Wichtigkeit des EU-Binnenmarktes für unseren Wohlstand absolut tragisch. Das beweist, dass allzu viele faule Kompromisse letztlich immer zur Fäulnis selbst eines anfangs wirklich exzellenten Projekts führen.

Das Positive zuerst: Wenn die zwischen EU-Kommission und Großbritannien nun ausverhandelte Lösung alle in den nächsten Wochen mit Sicherheit vor allem in London bevorstehenden Attacken überstehen sollte, wäre das auch für Österreich erfreulich. Denn dadurch würden die britischen Inseln mit ihrer starken Wirtschaft nun doch nicht zum feindlichen Ausland. Das wäre besonders für die vielen Briten auf dem Kontinent wie auch die vielen EU-Bürger auf den Inseln gut, selbst wenn naturgemäß viele Details erst im Laufe der nächsten Wochen wirklich seriös bewertet werden können.

Letztlich war im Grund immer klar: Für beide Seiten wäre ein Brexit ohne Deal viel schlimmer als selbst ein noch so schlechter Deal. Ebenso klar ist aber auch, dass das Ausscheiden der Briten auf jeden Fall und zwar für alle 28 eine Katastrophe ist.

Dieser Brexit ist jedoch nicht nur dem insularen Isolationismus der Briten anzulasten, sondern auch vielen verheerenden, die Menschen europafeindlich machenden Entwicklungen in Brüssel. Vom unheilvollen Zentralismus und Regulierungswahn bis zum völligen Versagen der EU angesichts der Bedrohung durch die Migration.

Obwohl die Verhandlungsführung eindeutig primär bei Chefverhandler Barnier gelegen ist, so ist es im übrigen doch eine schöne Feder, die sich da auch Österreich als gegenwärtiger EU-Präsident an den Hut stecken kann. Viel spricht dafür, dass hinter den Kulissen auch die vielen Reisen des Sebastian Kurz in der EU an diesem Ergebnis mitgewirkt haben. Das wird es der innerösterreichischen Opposition erschweren, die schon vorbereiteten Aussendungen "Österreichs Präsidentschaft ein übler Fehlschlag" zu veröffentlichen.

Das führt uns unmittelbar zu den vielen Negativ-Entwicklungen in der EU.

1. EU-Desinteresse an der politischen Kriminalität in Rumänien, Slowakei und Malta

Gerade diese halbjährlich wechselnde Ratspräsidentschaft war im Hintergrund der Brexit-Verhandlungen wohl für viele Beteiligte besorgniserregend. Denn der nächste Präsident, unter dem Großbritannien die EU endgültig verlässt, ist ausgerechnet Rumänien. Also das derzeit zweifellos am chaotischsten und korruptesten geführte EU-Land, wo jetzt knapp vor der Präsidentschaft sogar der Europa-Minister aus Protest zurückgetreten ist, und wo auch der Präsident offen und massiv die Regierung wegen ihrer kriminellen Verwicklungen und ihrer Unfähigkeit kritisiert.

Die EU-Kommission unter ihrem unglückseligen Präsidenten Juncker geht jedoch nur gegen die Rechtsregierungen in Polen und Ungarn energisch vor. Wofür sie zum Teil nur lächerliche Vorwände verwendet. Die zehnmal schlimmeren Vorgänge im sozialistisch regierten Rumänien hat sie hingegen lange überhaupt nicht beachtet. Das ist einfach nur noch eine Schande.

Die Bezeichnung Schande verdient aber auch das weitgehende Desinteresse der Kommission an politischen Morden in den ebenfalls sozialistischen regierten und von Korruption gebeutelten Ländern Slowakei und Malta. Dieses Desinteresse steht in abenteuerlichem Kontrast zur lächerlichen Aufregung des Kommissionspräsidenten, weil etliche EU-Länder den Migrationspakt nicht unterzeichnen, und zu seiner absurden Behauptung, dass diese Länder nur deshalb nicht unterzeichnen, weil sie den Pakt nicht gelesen hätten.

2. Spanien öffnet Europas Tore – und Juncker schläft

Als noch katastrophaler erweist sich das ebenfalls auffallende Desinteresse der Kommission an den Vorgängen in Spanien. Soeben hat der Rat – der offenbar neuerdings Aufgaben der Kommission übernimmt – einen absolut devastierenden Bericht über das iberische Land veröffentlicht. Dabei ging es vor allem um das völlige Versagen Spaniens in der Migrationsfrage, seit dort eine Linksregierung die Macht übernommen hat. Der Rat hat dabei in nicht weniger als 66 Punkten spanische Fehler aufgelistet.

Der weitaus gravierendste: Spanien registriert nicht die übers Meer nach Europa gekommenen "Flüchtlinge" aus Afrika. Es nimmt ihnen keine Fingerabdrücke ab – weil es sie Richtung Norden weitersickern lassen will. Und weil man dann die Spuren der illegalen Migranten nicht bis Spanien zurückverfolgen können soll.

Deshalb hat nun das benachbarte Frankreich empört reagiert (das früher übrigens überhaupt keine Sympathien für Ungarns und Österreichs Bemühungen zur Sperre der Balkanroute gezeigt hat …). Die Zahl der nach Frankreich eingesickerten Migranten habe "stark" zugenommen, klagt man jetzt in Paris.

Damit verletzt Spanien ganz massiv zahllose rechtliche Verpflichtungen gegenüber Europa. Das müsste – würde sich Europa noch ernstnehmen – eigentlich Anlass zu Sondergipfeln und sofort eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren sein. Müsste. Jedoch die Juncker-Kommission erregt sich lieber über ein polnisches Gesetz, weil es das Richter-Pensionierungsalter gesenkt hat, und über Ungarn, weil es die "Zivilgesellschaft" (=die Linke) nicht um Erlaubnis für rechtlich korrekt vorgenommene Verfassungsänderungen gefragt hat.

Man fasst es nicht, was da derzeit in Europa abgeht.

In Sachen Spanien ist auch eindeutig die österreichische Präsidentschaft gefordert, Klartext zu reden, wenn sich schon die Kommission, die angebliche "Hüterin der Verträge", als unfähig erweist. Europa kann es doch nicht schweigend hinnehmen, dass Spanien, nur weil dort jetzt eine Regierung von den extremen Linken abhängig ist, die vorher jahrelang dicht verschlossen gewesenen Einwanderungstore nach Europa weit aufgerissen hat. Dass Spanien heute "die" weitaus größte Einfallspforte nach Europa ist, nachdem es den jeweils geographisch beteiligten Ländern mühsam gelungen ist, die anderen Ströme via Balkan und via Italien halbwegs zu unterbinden.

Wohlgemerkt: Das ist einzig einigen mittelosteuropäischen Staaten gelungen. Sie sind dabei von der Kommission vollkommen allein gelassen worden. Obwohl diese eigentlich den EU-vertraglichen Auftrag hätte, mit allen Migranten-Export-Ländern Rücknahme-Abkommen zu schließen. Aber sie setzt keinerlei Bemühungen, diesen Auftrag zu erfüllen. Damit versagt die EU in der größten Herausforderung der letzten Jahre.

3. Italien verletzt alle Sparpflichten – und Europa ist hilflos

Damit sind wir bei Italien gelandet. Dieses Land kann nicht hoch genug gelobt werden. Und es kann gleichzeitig nicht laut genug kritisiert werden.

Zu preisen ist es, weil es weitaus am effektivsten von allen EU-Ländern Maßnahmen gegen den Migrantenstrom setzt. Italien scheut dabei auch vor Maßnahmen nicht zurück, an die viele andere europäische Politiker unter den Scheuklappen des linken Mainstreams nicht einmal zu denken wagen. Und es hat Erfolg damit, was Innenminister Salvini zum populärsten Mann Italiens und weit darüber hinaus gemacht hat.

In einem anderen Politikfeld ist Italien hingegen nicht laut genug zu kritisieren: bei seiner Schulden- und Defizitpolitik, mit der es alle Pflichten, Verträge und Sparsamkeitszusagen – wieder einmal – bricht. Rom hat jetzt auch die drohend klingenden Ultimaten der EU zurückgewiesen, sein Budget zu ändern. Die römischen Regierungsparteien sonnen sich derzeit geradezu als mutige Herausforderer der übel beleumundeten EU-Kommission.

Jedoch wird die italienische Defizitpolitik – und vor allem die Tatsache, dass das Geld für Aberwitzigkeiten wie eine Senkung des Pensionsantrittsalters vergeudet wird, – unweigerlich schlimme Folgen haben. Sowohl für Italien, wie auch die übrigen Euro-Länder und die (bald von zwei Italienern geleitete!) Europäische Zentralbank.

Im Punkt Italien schreit die EU-Kommission zwar Zeter und Mordio. Man kann aber fast sicher sein, dass sie letztlich nichts tun wird. Denn die theoretisch möglichen Geldstrafen gegen Italien werden mit ziemlicher Sicherheit nie verhängt werden. Sie würden ja die italienischen Leiden nur noch mehr verschlimmern.

Gewiss: Kurzfristig wird vor allem Italien selbst unter den stark steigenden Zinsen leiden, die es für seine Kreditaufnahmen zahlen muss. Das wird bald auch die italienischen Banken enorm ins Schleudern bringen, die in Sachen fauler Kredite (Kredite, für die die vorgeschriebenen  Rückzahlungsraten nicht gezahlt werden) ohnedies schon jetzt die schwächsten Europas sind, die auf Bergen alter Staatsanleihen sitzen, und die bei steil steigenden Zinsen für neue Anleihen und einem fragwürdig gewordenen Schuldner rapid an Wert verlieren werden. Aber auch die Banken anderer Länder, vor allem die französischen, werden schwer erschüttert werden, halten doch auch sie viele italienische Anleihen.

Mit großer Sicherheit werden jedenfalls bald einige italienische Banken konkursreif werden. Und dann wird halt wohl doch Europa einspringen. Offen ist nur, ob durch die EZB, durch den ESM, durch nationale Hilfen, durch eine andere Konstruktion. Denn alle wissen: Größere Bankenpleiten würden tsunamiartig auch weit über das Land hinaus Schaden verursachen. Das war ja auch der Grund, warum Europa wider alle Verträge einst Griechenland und Zypern gerettet hat. Denn man wollte mit aller Gewalt verhindern, dass sich der Fall Lehmann wiederholt: Vor ziemlich genau zehn Jahren hat ja die Pleite dieser US-Bank globales Unheil angerichtet.

Für den Euro-Raum wird die Katastrophe Italien noch viel schlimmer werden, weil Italien in jeder Hinsicht weit größer ist als Griechenland. Womit sich die traurige Erkenntnis bestätigt: Die gemeinsame Währung hat nur als Schönwetterkonstruktion funktioniert, sie hat sich als Papiertiger erwiesen. Die Märkte, also die ökonomischen Naturgesetze der Folgen von Angebot und Nachfrage wirken immer.

Es ist völlig klar: Weil die EU wider alle Vertragspflichten Griechenland gerettet hat, hat man zwar damals etliche negative Folgen verhindert, aber zugleich ein schlimmes Exempel gesetzt, das das italienische Verhalten und die große Katastrophe geradezu provoziert hat. Es hat die Erkenntnis verbreitet: Europäische Währungsverpflichtungen sind nicht weiter ernst zu nehmen.

Der Zerfall des Euro-Raumes ist heute wahrscheinlicher denn je. Das wird einige Herrschaften in Washington, Moskau und London geradezu diebisch freuen. Und das wird hunderte Ökonomen zum Herauskramen aller Aufsätze veranlassen, in denen sie schon vor Jahren genau vor den jetzt eintretenden Folgen gewarnt haben.

4. Macron und Merkel spielen Europa-Armee – und alle Welt lacht

Noch jemand anderer kramt alte Dinge hervor. Der französische Präsident Macron und die deutsche Kanzlerin Merkel – beide ja innenpolitisch schwer angeschlagen – haben in 60 Jahre alten Ordnern die Königsidee gefunden, mit der sie von ihrem sonstigen Scheitern ablenken wollen: Das ist die Gründung einer europäischen Armee. Der Gedanke klingt zwar an sich sehr interessant – er ist jedoch völlig unrealistisch, solange nicht eine Reihe wichtiger Fragen geklärt sind:

  1. Die wichtigste ist die scheinbar banalste: Wer bekommt die Kompetenz, den Befehl zum Einsatz dieser Armee zu geben? Das ist bei jeder Armee der Welt klar, nicht aber bei einer solchen europäischen. Die ist ohne diese Klärung freilich nur gut für die Abhaltung von Manövern.
  2. Wer garantiert, dass diese Armee mit absoluter Sicherheit nur zum Außenschutz eingesetzt wird? Das fürchten etliche vor allem osteuropäische Länder.
  3. Wird Frankreich seine Atommacht dem Oberbefehlshaber dieser Armee unterstellen – oder geht es gar davon aus, dass das immer ein Franzose sein muss? Alles andere würde aber von 80 Prozent der Franzosen abgelehnt werden.
  4. Glauben Macron und Merkel, als Folge einer solchen Europa-Armee noch weniger für die Verteidigungszwecke ausgeben zu brauchen, als ihre Länder im Zeichen der "Friedensdividende" schon seit 1989 tun?
  5. Ist ihnen klar, dass sie in Wahrheit viel mehr für diese Armee ausgeben müssten als bisher für die eigenen, wenn sie die Amerikaner aus Europa hinausdrängen?
  6. Warum präsentieren sie jetzt so ein Luftschloss, während sie sogar schon meilenweit daran scheitern, das oft beschworene Nato-Ziel von zwei Prozent für Sicherheitsausgaben aufzubringen?
  7. Wie soll sich diese Armee-Bildung zur Nato verhalten, die ja 73 Jahre Frieden für Europa gebracht hat? Es war ja die Nato, die sicherheitspolitisch die Amerikaner bis heute an Europa bindet, während sich die USA nach dem ersten Weltkrieg blitzschnell wieder von Europa abgewandt hatten, was die katastrophale Entwicklung in den folgenden 27 Jahren nach 1918 überhaupt erst ermöglicht hatte.
  8. Würde eine solche Armee eine Fortsetzung der Megafehler vor allem Frankreichs bringen, das sich von Libyen bis Syrien katastrophalerweise beim Sturz der dortigen Diktatoren engagiert hat, das aber militärisch völlig tatenlos geblieben ist, als in der Folge von Libyen aus die Migranten-Invasion nach Europa gespült ist, obwohl das für Europa viel schlimmer ist als die Untaten der Herren Assad und Gadhafi?

Ohne klare Antwort auf all diese Fragen wäre das einzige erkennbare Positivum wohl, dass Österreich endlich entscheiden müsste, wie es mit dem überholten historischen Relikt der Neutralität umgeht. Entweder die Republik ist bei einer solchen europäischen Armee (wie eigentlich alle österreichischen Parteien zumindest indirekt einmal gesagt haben) oder sie ist draußen. Das unerträgliche Herumreden und Herumlügen gibt’s dann nicht mehr.

Aber abgesehen von diesem österreichischen Aspekt ist die "europäische Armee" eine so leicht diagnostizierbare Totgeburt, für die selbst der Ausdruck "Papiertiger" ein Euphemismus ist, dass sich die beiden angeblichen Toppolitiker Europas eigentlich für solche lächerlichen Ablenkungsmanöver schämen müssten. Letztlich zeigt das ganze Armee-Gerede nur, wie schlecht es ihnen und Europa geht.

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