Hundert Jahre und kein bisschen weise
13. November 2018 00:10
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 6:00
Viel hohles Geschwätz zum hundertsten Jahrestag des Kriegsendes gibt Anlass für ein paar Anmerkungen.
International ist da etwa aufgefallen:
- So waren die dümmsten Äußerungen jene, die aktuellen innenpolitischen Profit aus dem menschenvernichtenden Weltkrieg ziehen und die so gar keine Gewissenserforschung betreiben wollen. Der französische Präsident schwadronierte gar von der Bedrohung durch "Dämonen". In Wahrheit bestehen diese in nichts anderem als der ganz normalen demokratischen Herausforderung an die gegenwärtigen Machthaber.
- So wäre auch und gerade dem französischen Präsidenten als Gastgeber mehr historische Selbstkritik gut angestanden, auf die er aber ganz verzichtet hat. War doch Frankreich schon lange vor dem Weltkrieg jahrelang vom Gedanken an eine kriegerische Revanche an Deutschland für die Niederlagen von 1815 und 1870/71 beherrscht, an eine Rückeroberung von Elsass und Lothringen und an die dafür benötigte Aufrüstung Russlands, was Frankreich insbesondere auch durch die Finanzierung Dutzender Eisenbahnlinien aus der Tiefe Russlands an die Grenzen zu Deutschland und Österreich umsetzte.
- So waren erst recht nach dem Krieg die vor allem von Frankreich durchgesetzten verheerenden Bedingungen der Friedensverträge eindeutig eine – freilich gewiss nicht die einzige – kausale Ursache des zweiten Weltkrieges.
- So war mehr als auffällig (es ist aber in Österreich überhaupt nicht kommentiert worden), dass sich Großbritannien demonstrativ nicht an den Feiern in Frankreich beteiligt hat. Immerhin gibt es in Großbritannien bis heute eine Diskussion, ob man nicht an der völlig falschen Seite an diesem Krieg teilgenommen hatte. Immerhin hat sich gerade Frankreich in den letzten Monaten als härtester Opponent der Briten bei den Brexit-Verhandlungen erwiesen.
- So ist nirgendwo in Europa der entscheidende Beitrag der USA zum Kriegsausgang herausgearbeitet worden, deren Präsident sich wohl auch deshalb sehr bald von den französischen Feiern wieder verabschiedete.
- So ist noch weniger die große Tragödie herausgearbeitet worden, dass nach dem Krieg der US-Präsident Wilson mit seinen Ideen einer Lösung der nationalen Konflikte durch das Selbstbestimmungsrecht gescheitert ist (oder genauer gesagt: Er hatte sich nur dort durchsetzen können, wo dieses Selbstbestimmungsrecht den anderen Siegermächten genützt hat). Das ist die Ursache vieler nachfolgender Konflikte, die mancherorts, etwa am Balkan oder im Nahen Osten, bis heute andauern.
- So machten sich die französischen Gedenkveranstalter geradezu lächerlich durch etliche der Projekte, die bei ihrem "Friedensforum" diskutiert worden sind, wie etwa jenes zum Schutz der Schildkröten.
- So bedeuteten die deutschen und französischen Verbalattacken auf aktuellen staatlichen "Isolationismus" als Wiederkehr einer großen Gefahr das Gegenteil der historischen Wahrheit. Hätten sich damals nämlich alle Staaten wie etwa die Schweiz oder Schweden oder in den ersten Kriegsjahren auch die USA isolationistisch abseits gehalten, wäre der Welt viel Unheil erspart geblieben. Der Krieg war auch nicht Folge des Nationalismus an sich (den es ja auch in den isolationistischen Staaten oder in den durch den Krieg befreiten baltischen Ländern gegeben hatte), sondern der Ansprüche vieler Länder auf Territorien anderer Staaten, die sie mit Krieg durchsetzen wollten.
Die wirklichen Lehren aus jenem Krieg müssten also weit über das platte "Nie wieder Krieg" hinausgehen. Sie müssten herausarbeiten,
- dass es vor allem anderen immer ein klares, auf Selbstbestimmung und Minderheitenschutz aufbauendes Rechtssystem zur Lösung zwischenstaatlicher Konflikte braucht, wenn man wirklich künftige Kriege vermeiden will;
- dass keine nationale wie supranationale Lösung funktionieren kann, wenn sie nicht die Zustimmung der beteiligten Völker hat;
- dass eine Berufung auf althergebrachten Territorialbesitz oder dynastische Erbansprüche zwangsläufig zu Konflikten führen muss, sobald sie nicht vom Willen der beteiligten Volksgruppen getragen wird, wie etwa im alten Österreich-Ungarn oder im heutigen Spanien oder im heutigen Südtirol;
- dass auch anfangs eindeutig freiwillige supranationale Zusammenschlüsse wie die EU in den Untergang kippen können, wenn sie sich – etwa durch zentralistische Überregulierung und willkürliche Rechtsauslegung – dauerhaft in Widerspruch zum Willen und Wollen der beteiligten Völker setzen;
- dass also das Verlangen nach noch mehr Mehrheitsbeschlüssen in der EU eine absolute Katastrophe für die friedliche Zukunft Europas wäre.
Aber auch innerösterreichisch muss man zum Hundertjahr-Gedenken etliche kritische Fragezeichen setzen.
- So etwa dazu, dass ausgerechnet ein Heinz Fischer der (insbesondere vom ORF hofierte) Mister Hundert Jahre gewesen ist. Ist doch dieser Fischer selbst für einen der übelsten antisemitischen Vorfälle im Parlament der zweiten Republik verantwortlich gewesen, nämlich durch seine Attacken auf Simon Wiesenthal.
- So war es auch eine besondere Dummheit, schon wieder eine Schriftstellerin als Rednerin zu einem Staatsakt einzuladen. Die Dame zeigte nicht nur die Ungezogenheit, den Vizekanzler dieser Republik demonstrativ nicht zu begrüßen. Sie erregte sich auch allen Ernstes darüber, dass den Österreichern erklärt werde, "dass wir endlich erwachsen werden und für uns selbst sorgen sollen". Blöder geht’s wohl nimmer, als sich über diese beiden Notwendigkeiten zu erregen. Diese Schriftstellerin steht offensichtlich für die Kinder des Wohlfahrtsstaates, die immer Kinder und immer lebensunfähig bleiben werden, die ernstlich daran glauben, dass das Geld einfach aus der Steckdose kommt, dass ihre Wohlfahrt einfach immer von den anderen finanziert wird.
- So gibt es – jenseits der spannenden, aber nicht besonders wichtigen Historiker-Diskussion, an welchem Tag die Republik eigentlich wirklich gegründet worden ist, – an den Vorgängen vor 100 Jahren ehrlicherweise wenig zu feiern. Das einzig Positive war, dass ein furchtbarer Krieg zu Ende gegangen ist. Die restliche Bilanz jener Tage ist deprimierend:
- Linksextremisten rissen das Weiß aus den rot-weiß-roten Fahnen heraus, damit nur noch Rot von den Masten weht;
- es wurde der Anschluss an Deutschland beschlossen, weil alle großen Parteien dieses verbliebene Österreich nicht mehr für lebensfähig hielten. Dieser Anschluss ist nur am Desinteresse Berlins und am Njet der Siegermächte gescheitert. Jedenfalls ist also auch dieser Aspekt kein sonderlich des Feierns würdiger Anlass für das heutige Österreich mit seiner zum Glück so selbstverständlich gewordenen nationalen Österreich-Identität;
- Millionen deutschsprachige Österreicher in geschlossenen Siedlungsgebieten von Südtirol bis zu großen Teilen Böhmens und Mährens wurden gegen ihren Willen und mit Gewalt von ihrer österreichischen Heimat getrennt;
- der Umgang mit jener Familie, die von Wien aus Jahrhunderte regiert und die diese Stadt zu dem gemacht hatte, was heute noch alljährlich Millionen Touristen nach Wien kommen lässt, war mehr als schmachvoll und würdelos;
- der Zivilbevölkerung stand die ärgste Not durch Hunger und Epidemien 1918 sogar noch bevor;
- dem Land standen zwei Jahrzehnten mit Auseinandersetzungen bewaffneter Parteiarmeen, Unversöhnlichkeit, parteiprogrammatischem Verlangen nach der erträumten "Diktatur des Proletariats" und realpolitischer Ausrufung der Diktatur des Ständestaates bevor;
- die vor dem Krieg so blühende Wirtschaft erholte sich überhaupt erst in den 50er Jahren wieder;
- und von der damaligen Saat, die dann später zu den Verbrechen des Nationalsozialismus führte, gar nicht zu reden.
Die eigentliche Republiksgründung - das was formell gefeiert wird - ist hingegen in einer parlamentarischen Verfassung ziemlich irrelevant. Jene europäischen Demokratien, die bis heute Monarchen haben, sind damit offensichtlich recht zufrieden, auch wenn solcherart manchesmal sehr minderbemittelte Menschen an die Macht kommen (man denke etwa an den österreichischen Kaiser Ferdinand ...). Bei gewählten Präsidenten hat man als eindeutigen Nachteil einen alle paar Jahre die Nation spaltenden Wahl-Konflikt - und bekommt auch nicht immer sehr ideale Kandidaten.
Aber Österreich feiert dennoch das Jahr 1918. So wie seit längerem das ganze Jahr über wegen aller möglichen und unmöglichen Jahrestage ständig gefeiert, gedacht, bedacht, getrauert, gefordert wird.
Vielleicht, so bleibt als bescheidenes Restchen Hoffnung, wird es jenseits all dieser rückblickenden Tage irgendwo auch wenigstens ein winziger Platz für einen Tag der Zukunft geben, für einen Tag, an dem Österreich einmal kraftvoll nach vorne blickt.
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