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Der Doppelpass: ein außenpolitischer Patzer bringt die FPÖ in die Zwickmühle

Vom Gerechtigkeitsstandpunkt her ist es keine Frage: Die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Südtiroler ist legitim. Dennoch hat man inzwischen in Wien wie Bozen Bauchweh bekommen und schiebt die Geschichte auf die lange politische Bank, nicht nur bis nach dem Ende der österreichischen EU-Präsidentschaft, auch wenn das vor den Südtiroler Wahlen nicht so deutlich zugegeben wird. In dieser Frage Doppelstaatsbürgerschaft gibt es einen direkten Konflikt zwischen der Gerechtigkeits-Emotion auf der einen Seite und der rationalen Überlegung auf der anderen. Das Ergebnis sind starke und ernstzunehmende Argumente gegen den Doppelpass – jedoch deutet viel darauf hin, dass Österreich und Südtirol aus einem ganz anderen Grund das Projekt wieder schubladisieren, aus dem einzigen, der keinesfalls entscheidend sein dürfte.

An sich ist es eindeutig: die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien ist auch nach 100 Jahren durch nichts anderes begründet als durch das Faustrecht und eine blindwütige Siegerjustiz. Dazu kommt, dass Italien die Südtiroler bis tief in die 60er Jahre wie eine Kolonialmacht unterdrückt und als minderwertig behandelt hat. Zwar hat diese Unterdrückung durch das – mit einer Reihe von Bombenanschlägen erkämpfte – Südtirolpaket aufgehört; und die Südtiroler haben durch ihre Autonomie viele wirtschaftliche Rechte und einen sie gegen weitere Italienisierung schützenden ethnischen Proporz bei allen öffentlichen Ämtern und Sozialwohnungen bekommen. Das hat viel vom Schmerzensdruck weggenommen.

Jedoch: Wirklich heimisch fühlen sich die meisten bis heute nicht in Italien, dazu ist das Land seit jeher viel zu nationalistisch gewebt. Die Südtiroler haben auch nach hundert Jahren mehrheitlich das akkumulierte Unrecht nicht vergessen. Sie haben mit großer Konsequenz an Sprache, Kultur und Herkunft festgehalten, wobei sie unter Heimat übrigens mehr noch als Österreich Tirol verstehen. Man kann jedenfalls ziemlich sicher sein, dass bei einem freien Selbstbestimmungsreferendum die Mehrheit nicht für einen Verbleib bei Italien votieren würde.

Da wäre der österreichische Pass zweifellos eine Anerkennung für hundert Jahre enger geistiger Verbundenheit trotz Trennung und ein Bekenntnis zur langen gemeinsamen Geschichte. Nennenswerte zusätzliche Rechte erhalten die Südtiroler hingegen dadurch nicht. Ein Pass wäre für sie eher angesichts der Erfahrungen der Vergangenheit eine demonstrative Geste, und angesichts der heutigen katastrophalen Überschuldung des italienischen Staates eine Art Versicherung für die Zukunft.

Es spricht aber vieles dagegen: So die Frage: Wer genau hat Anspruch auf diesen Pass? Kann man da noch ganz scharf zwischen den deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolern auf der einen Seite und den italienischsprachigen auf der anderen trennen? Was ist mit den vielen Mischehen? Was ist mit Menschen, die eine deutsche Großmutter haben, sonst aber nur italienische Vorfahren? Was ist mit den alten deutschen Sprachinseln im Trentino? Was ist überhaupt mit den vielen Italienern, die sich emotional als Tiroler fühlen? Hat doch auch das Trentino vor 1918 zu Tirol gehört, obwohl es seit jeher überwiegend italienisch besiedelt ist.

Lauter ungelöste, explosive Fragen.

Ein zweiter Grund, der für mehr Vorsicht in Wien spricht, ist das Verhalten Bozens. Von der Südtiroler Volkspartei wird das Doppelpass-Projekt von der Südtiroler Volkspartei nur recht zaghaft unterstützt. Möglichweise hat man auch Angst, dass Italien aus Rache den gerade im Bau befindlichen Brenner-Tunnel nicht mehr weiterbaut. Es sind mehr die beiden deutschen Oppositionsparteien, die das Projekt betreiben – die freilich jetzt bei den Südtiroler Wahlen etliches dazugewinnen werden.

Ein dritter rationaler Grund, der ziemlich deutlich gegen den Doppelpass spricht, sind dessen innerösterreichische Auswirkungen. Österreich ist ein Land, das selbst an sich sehr strikt in jeder Hinsicht gegen Doppelstaatsbürgerschaften ist. Mit gutem Grund haben gerade ÖVP und FPÖ solche immer abgelehnt. Man braucht sogar eine einstimmige Zustimmung durch den Ministerrat, damit in Einzelfällen (Künstler, Sportler, Investoren) bei großem österreichischem Interesse so ein Doppelpass ausgestellt werden kann, ohne dass der andere zurückgegeben werden muss.

Juristisch kann man das zwar sicher auflockern. Man kann auch die entsprechenden internationalen Abkommen kündigen.

Nur: Ist das auch klug? Denn es muss jedem klar sein, dass dann der Druck der österreichischen Linken (und wohl auch aus Ankara oder vielleicht sogar von europäischen Gerichtshöfen) wachsen wird, dass Österreich auch anderen Nationen den Doppelpass gewährt. Irgendwann könnten ja sogar die Linken wieder Wahlen gewinnen. Dabei geht es vor allem um die in Österreich lebenden Türken. Diese haben nämlich seit langem Interesse an einer Doppelpasslösung. Denn einerseits leben sie hier. Andererseits übt Ankara enormen Druck auf sie aus, dass diese Menschen zumindest heimlich doch türkische Bürger bleiben (oder den schon abgegeben türkischen Pass zurückholen). Wer nicht Türke ist, wird zum Beispiel bei Erbschaften deutlich diskriminiert.

Ein Doppelpass für alle Türken wäre aber extrem problematisch. Erstens würden das die österreichischen Bürger massiv ablehnen. Zweitens würden Rekruten mit Doppelpass im Wehrdienst ein noch viel größeres Sicherheitsproblem darstellen, als es die jetzigen Austrotürken ohnedies schon sind. Drittens würde das Integration und Assimilierung der Türken noch mehr erschweren, die von Österreich ja oft nur die vielen Wohlfahrtsleistungen konsumieren und gute Jobs haben wollen, die aber mit einem türkischen Pass in der Hosentasche nie echtes Interesse an Österreich entwickeln werden.

Alle diese Aspekte sind bei der vor allem im freiheitlichen Lager ausgebrochenen Hurra-Stimmung nicht ordentlich durchdacht worden.

Keiner dieser ernstzunehmenden Einwände hat jedenfalls Österreich vom Doppelpass-Projekt abbringen können. Jedoch hat das offenbar ein ganz anderes Hindernis geschafft. Das aber hätte keinesfalls akzeptiert werden dürfen.

Das ist nämlich die heftige Ablehnung durch Italien.

Doch Italien hat absolut kein Recht, den Südtirolern den Doppelpass zu verbieten. Gewährt es doch selber Auslandsitalienern in Slowenien und Kroatien einen Doppelpass. Daher hat Italien weder juristisch noch moralisch irgendeinen Anspruch, das österreichische Doppelpassprojekt zu stoppen.

Daher ist es absolut demütigend, dass Österreich jetzt allem Anschein nach vor Italien in die Knie geht. Dass es jetzt ständig Erklärungen abgibt, dass man nichts ohne Absprache mit Rom tun werde. Damit gerät Österreich geradezu in die Rolle eines Vasallen oder einer italienischen Kolonie, Motto: Quod licet Iovi non licet bovi.

Daran ändert auch die Tatsache nichts mehr, dass es gute Gründe gibt, das Doppelpass-Projekt für falsch zu halten. Daran hätte man früher denken sollen, bevor man damit hinausgeht. Jetzt wirkt jeder Rückzieher wie ein Akt der Feigheit.  

Besonders peinlich wird die Sache für die FPÖ. Denn es ist ausgerechnet der italienische Vizepremier Salvini, der besonders aggressiv den Südtirolern den Doppelpass zu verbieten versucht. Zugleich ist aber Salvini der aussichtsreichste Kandidat der diversen – und derzeit so erfolgreich agierenden – europäischen Rechtspopulisten als europäischer Spitzenmann nach den EU-Wahlen. Die FPÖ kann aber schlecht Salvini da voll unterstützen und dort voll gegen ihn kämpfen.

PS: Peinlich ist das Thema aber auch für die Sozialdemokratie, insbesondere die SPD. Diese hat natürlich sofort gegen die Doppelpass-Forderungen gestänkert (Justizministerin Barley: Doppelpass-Debatte zeige, dass Populismus "nicht klappt"). Dabei gewährt Deutschland seit sehr langem Deutschen in oder aus Osteuropa die sofortige Doppelstaatsbürgerschaft. Seit einigen Jahren ist diese aber auch für Türken in Deutschland möglich.

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