Pamela Rendi-Wagner könnte einem fast leid tun
22. September 2018 00:25
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 7:00
Es ist gewiss Privatsache der SPÖ, wen sie in den Parteivorsitz befördert. Bei der Blitzeinigung auf die einstige Gesundheits- und Frauenministerin Joy Pamela Rendi-Wagner war nach dem maximalen Schaden, den Christan Kern angerichtet hat, nur eines wichtig: Das Tempo. Man wollte sich vor allem rasch auf irgendjemanden einigen. Bei der Eilkür von Rendi-Wagner dürfte die SPÖ in ihrer Panik freilich etliches übersehen haben.
Und zwar gar nicht wenig - auch wenn eindeutig zuzugeben ist, dass Rendi-Wagner äußerlich um ein paar Dimensionen sympathischer wirkt als Kern. Vielleicht war das Äußere ja auch mit ein Motiv, um ausgerechnet sie gegen den beliebtesten Wunsch-Schwiegersohn der Republik ins Rennen zu schicken.
- Nach einer Reihe von Absagen aller SPÖ-Schwergewichte blieb sie die einzige, die nicht gleich Nein sagte. Schon das riecht nach Notlösung, nicht nach Ideallösung.
- Rendi-Wagner war vor zwei Jahren noch gar nicht Parteimitglied. Das ist nicht gerade motivierend für alle jene Genossen, die seit langem brav für die Partei laufen und den Schädel hinhalten.
- Es wird zwar in den ersten Reaktionen behauptet, sie wäre eine Wiederholung des Quereinsteiger-Falls Christian Kern. Aber in Wahrheit ist sie politisch weit unerfahrener als Kern es bei Antritt als SPÖ-Chef gewesen ist. Dieser ist nicht nur schon lange Parteimitglied gewesen. Kern hat als Assistent des SPÖ-Klubobmanns Kostelka schon jung politische Erfahrung sammeln können. Er ist dann von der Partei in zwei Staats-Unternehmen (Verbund und ÖBB) untergebracht worden, wo er naturgemäß ebenfalls ständig mit der Parteipolitik in Kontakt geraten ist. Und schließlich hat er sich schon etliche Jahre, bevor er es letztlich wurde, als SPÖ-Chef im Gerede gebracht, war also vorbereitet. Aber selbst all das hat nicht gereicht, wie seine katastrophale Performance beweist.
- Rendi-Wagner war bis zu ihrer Ministerbestellung nicht nur nicht Parteimitglied, sondern auch in keiner Weise politisch tätig gewesen. Es gibt zwar keine formalen Voraussetzungen, um Politiker zu werden. Aber dennoch ist das einer der allerschwierigsten Berufe. Sie war bis zum Ministerjob Ärztin, Impf-Spezialistin und Sektionschefin im machtlosesten Ministerium des Landes, aber nie mit Politik in Berührung gewesen. Dagegen war Sebastian Kurz bei Amtsantritt als Parteichef trotz seiner Jugend geradezu schon ein Methusalem an politischer Erfahrung: als mehrjähriger Chef der Jungen ÖVP, als Landesparteiobmann, als Staatssekretär, als Außenminister.
- Der angehenden SPÖ-Chefin fehlt jede inhaltliche Erfahrung in allen zentralen Feldern wie Wirtschafts- und Finanzpolitik, Migration und Islamisierung, Außen- und Europapolitik, Föderalismus und Pensionsproblem. Lediglich in der Gesundheitspolitik kennt sie sich aus. Dort hat sie einen inhaltlichen Vorsprung gegen die in Gesundheitsthemen schwach aufgestellte Regierung. Freilich ist sie auch in diesem Bereich nie für die eigentlich entscheidenden Fragen zuständig gewesen, also die Sozial- und Krankenversicherungen (Sache des Sozial- und des Finanzministers, der Sozialpartner und der Ärztekammer) und die Spitäler (überwiegend Landes- und Ordenssache sowie des Wissenschaftsministers).
- Niemand erwartet auch deshalb eine inhaltlich starke Parteiführerin in ihr, weil sie während ihrer kurzen Zeit in der Regierung oder im ersten Oppositionsjahr keinen einzigen politischen Akzent gesetzt hat. Sie war brave Teamspielerin.
- Mit dem SPÖ-Parteisekretär hat sie einen ähnlichen Anfänger an ihrer Seite, der erst vor kurzem aus der steirischen Landes- in die Bundespolitik gewechselt ist.
- Damit droht ein Szenario, in dem sich der geschäftsführende Klubobmann Andreas Schieder und Ex-Minister Drozda, also die ärgsten Scharfmacher der letzten Jahre, in den Vordergrund schieben dürften. Damit bringt sich die Partei freilich schon gar nicht zurück in die politische Relevanz. Diese beiden Routiniers dürften die Parteichefin in der Wirkung zerquetschen.
- Die Auswahl der künftige SPÖ-Chefin war ganz offensichtlich das Werk Kerns, der ja nicht nur offiziell mit der Suche nach dem eigenen Nachfolger beauftragt war, sondern der Rendi-Wagner auch schon im Wahlkampf an zweite Stelle hinter sich positioniert hatte. Das ist aber in Wahrheit eine weitere Hypothek für sie, weil ja Kern zum Abschied zum tollpatschigen Minusmann geworden ist.
- Ihre Kür signalisiert also: Der Kern-Kurs geht weiter, da kommt nichts Neues außer dem Gesicht, außer dem Geschlecht, und außer noch mehr Unerfahrenheit. Es kommt vor allem kein neues Feuerwerk an Ideen, Veränderungswillen und Führungsstärke, wie es Kurz schon beim Antritt verkörpert hat.
- Dabei hat ihr Kern nicht nur durch die katastrophale Inszenierung seines eigenen Rücktritts schon vor Amtsantritt geschadet. Das hat er auch durch die seltsame Behauptung, er trete nur deswegen zurück, weil er ungeeignet sei, als Oppositionspolitiker ständig den Bihänder zu schwingen (statt es einzig mit Lust auf Europa zu begründen, was ihm jeder gute Berater empfohlen hätte). Das bedeutet für die Nachfolgerin: Kaum versucht sie einen Akzent zu setzen, werden alle amüsiert bis gelangweilt sagen "Aha, sie muss wieder einmal den Bihänder schwingen".
- Ihre Position wird auch dadurch nicht gerade gestärkt, dass insbesondere nach den Ereignissen der letzten Tage jetzt jeder davon ausgeht: Sie ist eine Platzhalterin, die der Partei ein nettes Gesicht geben soll. Aber der Kandidat, der die Partei in die nächsten Wahlen führen wird, heißt Peter Kaiser.
- Dazwischen war vor allem einmal eines ausschlaggebend: Jetzt muss einmal eine Frau ran. Ob dieses schon reichlich abgenutzte Motiv auch nur eine Wählerin für Rot gewinnen wird?
- Rendi-Wagner hat durch ihren Namen mit einem zusätzlichen Problem zu kämpfen: Doppelnamen sind zwar in feministischen Kreisen absolute Pflicht geworden, daher wird sie wohl auch nicht den Verzicht darauf wagen; für Kommunikations- und Werbekampagnen ist ein Doppelname jedoch denkbar ungeeignet.
- Sieben Silben im offiziell geführten Namen hat bisher überhaupt noch kein einziger österreichischer Parteichef gehabt. Alfred Gusenbauer war der längste Namen mit sechs Silben und verkörpert keine wirkliche Erfolgsstory. Verkürzt man die SPÖ-Chefin jetzt deshalb werbestrategisches auf ein "Pam"? Durchaus möglich. Aber das macht sie noch mehr zum netten Mädel von nebenan, nicht zu einer kraftvollen und seriösen Parteiführerin. Das klingt überdies nach US-Schauspielerin.
- Ihr eigentlicher erster Vorname "Joy", ihre achte Silbe, den ihr ihre Hippie-Eltern verpasst haben, wird zugleich gewiss noch für viele Späße und Scherze sorgen.
- Das allergrößte Problem für Rendi-Wagner liegt aber nicht in ihrer Person oder ihrem Namen, sondern im totalen inhaltlichen Zerfall der Sozialdemokratie, wo – nicht nur in Österreich – die Klüfte immer tiefer werden. Derer gibt es genug: Zwischen Ideologen und Pragmatikern. Zwischen den drei roten Landeshauptleuten, die sich schon in den letzten Jahren einen Dreck um die Bundes-SPÖ und deren Wünsche oder gar um politische Einheitlichkeit gekümmert haben und den restlichen kleinen Landesorganisationen. Zwischen den traditionellen Arbeitern und den studierten Alt-68ern. Zwischen den tonangebenden Kultur-Bobos, Schwulen und Radikalfeministinnen einerseits sowie den stimmenstarken Pensionisten, Gemeindebeamten und Eisenbahnern andererseits. Zwischen durch Leistung aufgestiegenen Arbeitern und den von der Partei zuletzt hofierten Menschen in der Mindestsicherungs-Hängematte. Zwischen internationaler Solidarität und Heimat-Orientierung. Zwischen "Welcome"-Fanatikern und Rufern nach einem Stopp der Immigration. Zwischen jenen, die islamische Stimmen gewinnen wollen, und jenen, die den Kampf gegen die Islamisierung als notwendig erkannt haben. Zwischen denen, die die Wirtschaft bekämpfen, und jenen, die um deren Notwendigkeit wissen und sie fördern wollen.
- Diese Klüfte und Widersprüche kann – wenn überhaupt – nur eine sehr starke Persönlichkeit überbrücken. Einer politischen Anfängerin, vor der niemand so richtig Respekt haben dürfte, kann das mit Sicherheit nicht gelingen.
- Und schon gar nicht in der Oppositionsrolle. Man denke nur an die vielen Parteichefs der deutschen Sozialdemokraten, seit Gerhard Schröder das Kanzleramt verloren hat: Müntefering, Platzeck, Beck, Steinmeier, Gabriel, Schulz, Scholz, Nahles hießen die einzelnen Sternschnuppen – und dazwischen war auch noch ein Steinbrück Kanzlerkandidat. Ergebnis: Keiner hat die Füße auf den Boden gebracht, viele sind nach Kurzem weg gewesen, und zwar komplett weg aus der Politik. Die SPD steht heute mit bloßen 16,5 Prozent nur noch an dritter Stelle, und ist bloß deshalb noch in der Regierung, weil Angela Merkel noch immer nicht mit FDP und AfD regieren will. Und bald könnten die deutschen Sozialdemokraten erstmals auch auf Bundesebene an vierte Stelle zurückfallen (in etlichen Ländern liegt neben CDU und AfD auch schon die Linkspartei vor den Sozialdemokraten, auf Bundesebene droht ein Überholen auch durch die Grünen).
- Das Schicksal der diversen SPD-Chefs macht aber auch einen großen Vorteil für Rendi-Wagner klar: Sie ist österreichische Beamtin und kann daher - wenns einmal aus wird sein mit der Politik - jederzeit auf einen Beamtensessel zurückkehren. Sie braucht dann nicht die oft peinliche Hilfe von politischen Freunden bei Siemens oder Volkswagen wie frühere SPÖ-Größen. Das ist zwar ein ärgerliches Privileg der Beamten, das könnte aber auch mehr Gelassenheit ermöglichen. Das ist also wenigstens ein positiver Aspekt.
Insgesamt muss man aber jedenfalls davon ausgehen: In Rendi-Wagner wird mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit eine nette junge Frau verheizt, die im Gegensatz zu klügeren Politikern nicht im richtigen Moment Nein gesagt hat. Aus Ehrgeiz? Aus Ahnungslosigkeit?
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