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Gewissheiten und Vergleiche: Dönmez, Kern und Meinl-Reisinger

Deutlich schneller als nach den Aktionen des Tiroler Abgeordneten Schrott, die mit gutem Grund auch den Staatsanwalt interessieren, hat ÖVP-Chef Sebastian Kurz auf einen geschmacklosen Zwölf-Worte-Tweet eines anderen seiner Abgeordneten reagiert und diesen kurzerhand hinausgeworfen. Obwohl dessen Worte eindeutig kein Strafrechtsdelikt gewesen sind. Aber nicht nur dieser Vergleich macht mehr als nachdenklich. Dies tut noch viel mehr eine ganze Reihe anderer Vergleiche, die sich da jetzt aufdrängen (Mit nachträglicher Ergänzung).

Gewiss: Kurz und die ÖVP sind durch den Hinauswurf von Efgani Dönmez aus dem Parlamentsklub wieder für ein paar Stunden den Druck kritischer Kommentare losgeworden (So haben sie vermutlich zumindest selbst geglaubt).

Gewiss: Der Dönmez-Sager auf Twitter in Hinblick auf die Frage eines anderen Users, wie eine SPD-Staatssekretärin namens Swsan Chebli zu ihrem Amt gekommen sei, war mehr als seltsam und wahrscheinlich sexistisch gemeint: "Schau dir mal ihre Knie an, vielleicht findest du da eine Antwort."

Gewiss: Kurz hat den Fehler beim Fall Schrott jetzt offensichtlich auszubügeln versucht. Er tat dies offenbar in der Annahme, da sei genauso Schlimmes passiert. Er wollte daher nicht nochmals als Zögerer dastehen.

Gewiss: Es ist edelmütig von Kurz, auf die Wählerschaft zu verzichten, die durch Dönmez angesprochen wird: Dieser ist zwar ein Moslem mit Migrationshintergrund, aber explizit anti-islamistisch und anti-Erdogan, er stellt sich pointiert jeder Auseinandersetzung auf einem Gebiet, wo die ÖVP ohnedies nicht viele Mutige hat, ist sprachlich und kulturell voll integriert. Kurz hat mit dieser Aktion gerade diese antiislamistischen und (ein bisschen naiv) an eine europäische Meinungsfreiheit glaubenden Zuwanderer vor den Kopf gestoßen. Diese wollen nämlich bei aller Ablehnung von Erdogan&Co genauswenig flugs in ein feministisch-puritanisches Political-Correctness-Umerziehungs-Pensionat hineingeraten, in dem es für einen gelegentlichen verbalen Ausrutscher gleich die politische Todesstrafe gibt. Selbst wenn man sich sofort entschuldigt. Die Gruppe dieser Erdogan- und Islamismus-Gegner unter den islamischen Zuwanderern hat zwar ohnedies – und leider – nur eine Minderheit dargestellt. Jetzt hat Kurz auch diese verloren.

Aber ebenso gewiss ist, dass sich Kurz nicht allzuviele Hoffnungen machen sollte, dass er im Gegenzug dafür jetzt viele feministische Stimmen erobert. Die große Mehrheit der Frauen hat überhaupt erst durch den Fraktionsausschluss von dem Dönmez-Sager erfahren. Und dass von den linken Medien jetzt erst recht gegen die ÖVP gehetzt wird (siehe etwa die ZIB1 und ZIB2 am Montagabend), braucht sich der ÖVP Obmann nur in der Videothek anzusehen.

Aber ebenso gewiss ist auch, dass Kurz bald ohne Klub dastehen könnte, sollte er dieselben strengen Maßstäbe wie bei Dönmez an alle Sager eines ÖVP-Politikers in Gegenwart und Vergangenheit anlegen. Oder dass er höchstens nur noch solche Klub-Mitglieder hat, die außer bei Abstimmungen aufzustehen nichts von sich geben. Denn fast jeder interessante Politiker hat einmal überaus unpassende und geschmacklose Sager oder Aktionen auf seinem Konto. Zum Beispiel jener Politiker, der einmal einen ganzen Wahlkampf mit einem "Geilomobil" gemacht hat. Ich bin sicher, die strengen Gouvernanten, die jetzt das Todesurteil über Dönmez verlangt und durchgesetzt haben, können auch dieses Wort als eindeutig sexistisch identifizieren.

Ebenso gewiss ist, dass routiniertere Politiker ganz anders argumentiert hätten als Kurz, auch dann, wenn sie ebenfalls einen Fraktionsausschluss vorgenommen hätten. Etwa auf der Linie: "Wir schließen ihn strafweise auf ein halbes Jahr aus. Und Dönmez wird nur dann wieder aufgenommen, wenn er sich in diesem Halbjahr keine Fehler leistet."

Ebenso gewiss ist, dass jetzt der eigentliche Anlass des Dönmez-Tweets völlig unter den Tisch gekehrt wird (das erinnert in diesen Tagen übrigens ganz an die "Bericht"-Erstattung zu Chemnitz): Das war nämlich seine Kritik an der islamistischen Politikerin, die sich öffentlich für das Tragen von Kopftüchern ausgesprochen hat und erklärtermaßen nur deshalb selber keines trägt, weil Deutschland dafür noch nicht reif sei.

Gar nicht so gewiss wie für Kurz ist für mich freilich, dass der Dönmez-Tweet von den Knien der Dame hundertprozentig eine Anspielung auf einen sexuellen Akt ist, der geschmackvollerweise im ORF detailliertest beschrieben wird. Wenn ich nur diesen Satz zu lesen bekomme, dann könnte ich unbefangen darin genauso einen Hinweis auf die knieende Dauerposition in islamischen Moscheen sehen (der natürlich auch nicht politisch-korrekt wäre ...).

Gewiss aber ist, dass ein Parteiobmann eigentlich die Aufgabe hätte, sich vor sein Team zu stellen und nicht automatisch die schlechtestmögliche Interpretation einer Aussage als Faktum anzunehmen.

Damit ist wohl auch gewiss, dass Kurz zunehmend weniger Loyalität in seiner Partei finden wird, sollte auch ihm selbst einmal ein Fehler, eine blöde Formulierung unterlaufen. Dass sich dort langsam das Gefühl breitmachen dürfte: Der steht nicht vor uns, dann müssen wir ja auch nicht hinter ihm stehen. Ist doch auch der Fall der EU-Abgeordneten Claudia Schmidt in ganz frischer Erinnerung. Sie ist wegen einer um ein paar Millimeter unkorrekten Formulierung öffentlich von der Parteiführung niedergemacht worden. In beiden Fällen geht es um üble Meinungszensur – was etwas ganz anderes ist als die üblen Tricks des Herrn Schrott.

Noch gewisser aber ist, dass es in anderen Parteien zum Teil viel schlimmer zugeht. Das geht jedoch medial völlig unter. Zum einen deshalb, weil ORF und die Mehrheit der Medien Sünden oder angebliche Sünden von Schwarz und Blau generell viel breiter treten als die Sünden der Linksparteien. Zum anderen, weil diese Sünden ja nicht einmal von der ÖVP selbst – und auch nur zum Teil von der FPÖ – thematisiert werden.

Diese Ungleichbehandlung bleibt aber vor allem ein Medienskandal. Gleich mehrere Vergleiche machen einen sicher, dass das eine Sauerei ist:

  1. Erstens der Vergleich mit Peter Pilz. Dieser hat Frauen gegenüber nicht bloß unpassend geredet, sondern auch so gehandelt. Und das ist offenbar bloß verjährt, also nur deswegen nicht vor Gericht gelandet.
  2. Zweitens der Vergleich mit dem grünen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen und Spar-Chef Drexel: Diese hatten sich ja in der Vorwoche in einer – natürlich mit Hilfe des ORF – gewaltig inszenierten Aktion für den Verbleib eines afghanischen Lehrlings in Österreich auch ohne Asylanspruch eingesetzt. Jetzt aber hat sich herausgestellt, dass der Afghane auf Facebook die libanesische Terrororganisation Hisbollah unterstützt. Natürlich ohne dass der ORF auch dieses Faktum melden oder der Bundespräsident sich entschuldigen würde.
  3. Drittens der Vergleich mit Christian Kern: Da ist nicht nur die ganz üble Affäre Silberstein – liegt erst ein Jahr zurück! – von den Medien sehr rasch weggewischt und nie wieder thematisiert worden. Da wird auch mit ganz wenigen Ausnahmen fast nirgendwo erwähnt, dass der Herr Fußi genau wegen dieser Affäre jetzt in wenigen Tagen einen Strafprozess hat. Dabei war Fußi einer von Kerns engsten Mitarbeitern und Redenschreibern. Fußi hat jene Zeugin, die den Silberstein-Skandal auffliegen hat lassen, mit Worten im Stil eines Mafiabosses via SMS bedroht: "Sie (die SPÖ, Anm.) haben deine Telefonprotokolle. Und klagen dir den Arsch weg. Anna, beweg dich. Sie werden nie eine Ruhe geben. Morgen Deal oder ich kann dir nicht mehr helfen." Doch der ORF ist im sogenannten Sommergespräch mit Kern imstande, diesen eine Stunde lang schwadronieren zu lassen, ohne dass die Namen Fußi und Silberstein auch nur gestreift würden.
  4. Viertens der Vergleich mit dem sozialdemokratischen deutschen Bundespräsident Steinmeier. Dieser rief öffentlich zu einem Pop-Konzert in Chemnitz (angeblich für Rechtsstaat und Demokratie, zu dem Linke aus ganz Deutschland angereist sind) auf, an dem aber auch eine eindeutig linksextremistische Band teilgenommen hat. Die in der Vergangenheit Liedtexte von sich gegeben hat wie: "Die nächste Bullenwache ist nur ein Steinwurf entfernt", "Unsere Herzen brennen und der Hass, der steigt." oder: "Wir stellen unseren eigenen Trupp zusammen und schicken den Mob dann auf euch rauf. Die Bullenhelme – sie sollen fliegen. Eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein und danach schicken wir euch nach Bayern, denn die Ostsee soll frei von Bullen sein." Diese Formulierungen sind strafrechtlich extrem bedenklich. Die Teilnahme einer Band, die solche Texte von sich gegeben hat, wird – natürlich – im ORF nicht erwähnt. Ganz im Gegenteil, dieser ergeht sich in jeder Sendung in schlachtenbummlerischer Begeisterung für dieses Konzert. Und er macht ansonsten in allen Sendungen schnappatmend die Dönmez-Worte zum wichtigsten Thema der Nation (wenn manche meinen: "Aber die Band hat sich doch entschuldigt", dann kann man nur sagen: Genau das hat Dönmez auch!).
  5. Und fünftens der Vergleich mit der neuen Neos-Chef Beate Meinl-Reisinger. Die Dame hat wörtlich Bundes- und Vizekanzler vorgeworfen: "Gemeinsam mit der Gang der Rechts-Nationalisten um Seehofer, Salvini und Orban arbeiten sie daran, Europa zu spalten." Diese Beschimpfung – oder war es gar eine Verleumdung? – als "Gang", also als krimineller Zusammenschluss, ergibt einen erstaunlichen Kontrast zu den Dönmez-Äußerungen:
    • Dönmez hat sich sofort entschuldigt, Meinl nicht.
    • Dönmez hat eine deutsche Politikerin der dritten Reihe beleidigt, Meinl hingegen gleich drei absolute Spitzenpolitiker und Parteichefs der drei wichtigsten Nachbarländer Österreichs, einen Regierungschef, einen Vizeregierungschef und einen Innenminister.
    • Was Dönmez im Falle der negativsten Interpretation vorgeworfen werden kann, ist Sexismus und schlechtes Benehmen, aber eher nicht strafbar; Meinls Sager ist eine eindeutig klagbare Beleidigung wichtiger europäischer Politiker (wenn sich Orban&Co auf eine Frau Meinl herablassen würden) und grenzt sogar an das strafrechtliche Delikt einer Verleumdung.
    • Dönmez hat seine Äußerung auf Twitter gemacht, wo die Finger bei vielen oft schneller sind als das Hirn, wo nur flotte Sager gefragt sind (im Amerikanischen würde man sagen: "One Liner"). Meinls Formulierung stammt hingegen aus einer offiziellen Aussendung (die also in aller Regel vom autor mehrmals gelesen und durch mehrere Hände geht).
    • Meinl hat ihre in der Aussendung wiedergegebene Formulierung im Ausland (in Bayern) gemacht, wo man eigentlich als Möchtegern-Spitzenpolitiker noch viel mehr auf seine Worte achten sollte.

Aber in Österreich gilt ganz offensichtlich, dass es völlig gleichgültig ist, was ein Bundespräsident oder die Chefs aller drei Oppositionsparteien tun und sagen, selbst wenn es ans Strafrecht grenzt. Aber eine mutmaßliche Geschmacklosigkeit eines ÖVP-Hinterbänklers wird zum Megathema ausgerufen.

Da stimmt vieles nicht. In dieser Medienlandschaft gibt es keinerlei objektiven Maßstäbe mehr. Ganz Ähnliches war vor ein paar Monaten in der Affäre Landbauer zu beobachten. Damals haben einige geschmacklose Zeilen im Liederbuch einer FPÖ-nahen Verbindung einem FPÖ-Politiker den Landesregierungsjob gekostet, obwohl dieser erst elf Jahre alt war, als das Buch gedruckt worden war, obwohl dieser sich immer davon distanziert hat.

Aber solange die Regierungsparteien keine Medienstrategie haben (und Sebastian Kurz keine Zeit dafür), werden sie auch die nächsten vier Jahre tagtäglich hergewatscht werden. Und die Oppositionsparteien werden von den gleichen Medien völlig kritiklos behandelt werden, wie auch das Kern-Sommergespräch gezeigt hat, bei dem es keinerlei unangenehme Fragen gegeben hat. Bei dem das Auffallendste der bewundernde Blick von Frau Bernhard auf Kern war.

PS: Eine ganz persönliche Anmerkung: Wie bin ich froh, dass ich stets allen Einladungen, doch in die Politik zu gehen, eine Absage erteilt habe. Wie viel tausend Mal ist mir meine Unabhängigkeit lieber als die Abhängigkeit von irgendeinem Parteiobmann, von Parteilinien und Political-Correctness-Diktaten!

Nachträgliche Ergänzung zum obenstehenden Punkt 2: Inzwischen hat sich herausgestellt, dass der Vorwurf der Terror-Unterstützung durch einen Spar-Lehrling auf einer Verwechslung beruht und daher nicht zutrifft. Unklar ist, ob die Verwechslung auf den Grün-Politiker Anschober zurückgeht oder auf FPÖ-Politiker,

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