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Gewerkschaften – überholt wie Pferdefuhrwerke

Der ÖGB plant einen heißen Herbst, nachdem der von ihm ausgerufene heiße Sommer im Gegensatz zur meteorologischen Realität gar nicht sonderlich heiß geworden ist. Jedoch: Es wird ihm auch im Herbst nicht viel Hitze-Erzeugung gelingen. Aus einer Vielzahl von Gründen.

Dabei ist die jüngste Provokation durch SPÖ-Noch-Chef Kern noch das geringste Problem des ÖGB – obwohl sie viele Gewerkschafter derzeit erbittert. Hat Kern doch mit seinen chaotischen Rücktritts-Aktionen den Gewerkschaften den lange inszenierten Paukenschlag für den Herbst gründlich versaut. Niemand hat deshalb die martialisch sein wollende Betriebsräte-Konferenz des ÖGB und die Rund-um-die-Uhr-Interviews des ÖGB-Chefs im ORF beachtet.

Das viel größere Problem für die Gewerkschaft ist ein grundsätzliches und strukturelles: Sie wird schlicht von Tag zu Tag mehr überflüssig. Das will man sich zwar nicht wirklich zugeben. Das spürt man aber wohl auch im ÖGB genau.

Das ist freilich kein österreichisches Problem, sondern ein globales in allen Industrieländern. Wer erinnert sich etwa noch daran, dass man früher vor jeder Italienreise checken musste, ob dort nicht wieder ein Sciopero, ein Generalstreik angesagt war? 

Der letzte größere Streik in Europa hat in Frankreich stattgefunden. Die Gewerkschaften – vor allem des öffentlichen Dienstes, also de facto der Eisenbahn – wollten so gegen einige Arbeitsrechtsreformen des französischen Präsidenten Macron kämpfen. Das führte zwar einige Tage zu Verkehrsstaus. Aber diese Aktion war in keiner Weise mehr mit früheren Arbeitskämpfen der französischen Gewerkschaften vergleichbar, deretwegen einst sogar ganze Regierungen zurücktreten mussten. Am französischen Eisenbahner-Streik nahmen am Schluss nur noch zehn Prozent der Eisenbahner teil. Womit sich Macron letztlich triumphal durchgesetzt hat.

In Amerika hört und liest man seit Jahren überhaupt nichts mehr von den einst mächtigen Gewerkschaften. Und in Ländern wie China oder Vietnam, wo wirklich noch Industriearbeiterelend wie im 19. Jahrhundert herrscht, verhindert pikanterweise ausgerechnet eine kommunistische Einparteiendiktatur jede gewerkschaftliche Regung.

In Österreich mit seiner von Klein- und Mittelbetrieben dominierten Struktur waren große Streiks immer schon sehr selten, fast nur bei Bahn und im Öffentlichen Dienst möglich. Und heute gelingt den Gewerkschaften kaum noch mehr, als die eigenen Funktionäre und Betriebsräte zu martialischen Gesten zu versammeln. 

Aber sonst?

Ja, bisweilen werden Billigfluglinien bestreikt, bei denen man die Lohnunterschiede zu Privilegienträgern der gleichen Branche besonders deutlich spürt. Ja, die deutschen Gewerkschaften versuchen seit Jahren durch vor allem vorweihnachtliche Streiks den Versandhändler Amazon in die Knie zu zwingen. Aber Amazon hat sich längst so diversifiziert und globalisiert, dass sich die Gewerkschaften alljährlich wieder eine blutige Nase holen und Amazon seine Kunden weiter bedienen kann.

Die Gewerkschaften, vor denen einst ganze Regierungen und Volkswirtschaften gezittert haben, sind weltweit zahnlose Tiger geworden. Sie versuchen zwar noch immer so laut zu pfauchen wie einst, aber ihre Pranken sind altersschwach geworden. Gewerkschaften sind zu einem Auslaufmodell geworden, das wie etwa einst die Pferdefuhrwerke langsam aus der Gesellschaft verschwindet.

Natürlich will man die eigene Schwäche nicht zugeben. Natürlich verheimlicht man deshalb auch die ständig sinkenden Mitgliederzahlen. Denn wenn sich herumspricht, wie schwach die Gewerkschaften an Wirkung wie Mitgliederstärke schon geworden sind, dann wird ihre Bedeutung automatisch gleich noch geringer werden. Daher muss der altersschwache Tiger eben weiter pfauchen.

Was aber sind die Ursachen dieser Entwicklung?

  1. Am wichtigsten ist wohl die Tatsache, dass die Industriearbeiterschaft seit Jahrzehnten in einem totalen Schrumpfungsprozess begriffen ist. Dabei war sie historisch eindeutig das Herz der gesamten Gewerkschaftsbewegung, während diese ja bei den Angestellten auch früher nicht sonderlich stark war.
  2. Auch die Eisenbahner als zweiter einst starker Arm hängen heute kraftlos am Körper der Gewerkschaften. Sie haben ihre Monopolstellung verloren. Wenn die Eisenbahn bestreikt wird, dann stehen längst nicht mehr alle Räder still, dann wird lediglich noch mehr Transport auf die Straße verlagert. Zunehmend spüren deshalb die Eisenbahner, dass sie eigerntlich nicht klug handeln, wenn sie durch einen Streik die langfristige Zukunft der eigenen Existenz gefährden. Denn Frächter, die einmal den Lkw als verlässlicher erlebt haben, kehren nach Ende eines Streiks halt oft nicht mehr zur Bahn zurück.
  3. Für fast alle Arbeiter haben sich die persönlichen Rahmenbedingungen dramatisch verändert. Sie haben längst weit mehr als die behaupteten Ketten zu verlieren, mit denen sie die von den Marxisten dämonisierten Kapitalisten angeblich fesseln. Die Arbeiter sind längst zu Kleinbürgern mit Häuschen oder komfortabler Genossenschaftswohnung, mit Auto und Auslandsurlaub geworden. Da passen das einstige Klassenkampfgerede und Arbeitskämpfe überhaupt nicht mehr dazu. Das lassen sie sich von ein paar aus der Zeit gefallenen und von noch anachronistischeren Professoren indoktrinierten Politologiestudenten auch nicht mehr einreden.
  4. Die Schwäche der Gewerkschaften hängt auch eng mit der katastrophalen Krise der Sozialdemokratie zusammen. War diese einst verlängerter Arm der Gewerkschaft, so wählen heute in vielen Ländern die Industriearbeiter mehrheitlich andere, sogenannte rechtspopulistische Parteien.
  5. Das hängt wiederum zum einen damit zusammen, dass die meisten sozialistischen Parteien von der 68er Generation übernommen worden waren, von Ideologen, die eine völlig andere Sprache und Denkwelt als die Arbeiter haben, die nur in einem erfolgreich waren: eine Arbeiterpartei in eine Studenten-, Feministen-, Schwulen- und Bobo-Partei zu verwandeln.
  6. Noch mehr hat sich dieser Effekt verstärkt, seit die S-Parteien darüber hinaus auch zu Vorkämpfern von Migration und Islamisierung geworden sind. Seither fühlen sich die Arbeiter dort noch weniger zuhause als früher. Haben sie doch überhaupt keine Sympathie für die Migranten, fühlen doch auch Arbeiter dadurch ihre Heimats-Identität bedroht, sehen sie doch die Migranten überdies als unerwünschte Konkurrenz gerade auf ihrem eigenen Arbeitsmarkt. Und eine Entfremdung von der Sozialdemokratie bedeutet automatisch in der zweiten Etappe auch eine Entfremdung von den sozialdemokratisch kontrollierten Gewerkschaften.
  7. Die Arbeitnehmer haben heute eine viel höhere Identifikation mit dem Unternehmen als einst, mit dem Arbeitgeber, mit dem Chef, für den sie – nein, mit dem sie arbeiten. Das ist nicht mehr der Klassenfeind, der in einer völlig anderen Welt mit Chauffeur und Villa lebt. Das ist einer, der im Nebenzimmer noch viel härter arbeitet als sie. Die Arbeitnehmer haben gelernt, dass ihr eigenes Glück in hohem Ausmaß mit dem Schicksal des Betriebs verbunden ist, sie fühlen sich primär mit dem Unternehmen im harten Wettbewerb solidarisch.
  8. In Österreich haben die meisten Arbeitnehmer die vorsommerliche Kampfhysterie des ÖGB gegen die neue Arbeitszeitregelung als politischen Schaukampf durchschaut, als eine Agitation von Gewerkschaftsfunktionären und Betriebsräten zur Rettung der eigenen Macht. Sie wissen, dass im Konkurrenzkampf bisweilen längere Arbeitszeit notwendig ist, und dass es dem ÖGB nur darum gegangen ist, dass die gewerkschaftliche Funktionärsklasse da weiterhin ein Zustimmungsrecht, ein Erpressungsmittel hat. Hingegen sehen viele Arbeitnehmer die positive Möglichkeit, ohne Einschaltung des Betriebsrates selbst mehr über die eigene Arbeitszeit zu bestimmen, durch längeres Arbeiten mehr zu verdienen – oder kompaktere Freizeitblöcke zu erringen (dass überdies etliche Unternehmen nachweislich nur wegen der neuen Arbeitszeitregelung mehr Mitarbeiter angestellt haben, statt wie früher bei Auftragsspitzen bloß Leiharbeiter zu beschäftigen, ist ein weiterer Vorteil der neuen Arbeitszeitregelung).
  9. Die moderne Arbeitswelt ist arbeitsteiliger geworden. Viele Bereiche sind outgesourct worden. EDV-Betreuung, Programmieren, Marketing, Reinigung, Buchhaltung, Lohnverrechnung, Logistik, das Service für einzelne Geräte usw.: All diese Dinge erfolgen heute meist nicht mehr durch Arbeitnehmer des Unternehmens, sondern durch neu entstandene Klein- oder Ein-Mann-Unternehmen. Die dort Tätigen wissen gar nicht, was ein Streik sein soll. Die Fabrik der Zukunft wird tendenziell immer mehr zu einer rein digitalen Plattform, die solche Tätigkeiten zusammenführt.
  10. Vielleicht noch wichtiger als alles andere ist die große demographische Wende, die dazu geführt hat, dass der Arbeitsmarkt zu einem Mitarbeitermarkt geworden ist. Denn in den letzten Jahren ist ein Aspekt immer wichtiger geworden, der gewerkschaftliches Denken endgültig überflüssig macht. Das ist die Knappheit von Arbeitskräften in immer mehr Branchen und Berufen. Fast überall können daher ausgebildete Arbeitskräfte ganz ohne Gewerkschaft den eigenen Preis weit stärker in die Höhe treiben, als es je die Gewerkschaft könnte. Sie wissen, dass sie nur mit einem Firmenwechsel zu drohen brauchen, oder mit einer Übersiedlung ins Ausland – und schon müssen die Personalchefs nachgeben. Das werden sie noch viel mehr müssen, wenn die Digitalisierung auch die letzte Berufsgruppe erfasst und verändert haben wird.
  11. Die gewerkschaftlichen "Erfolge" haben fast nur noch für schlecht oder gar nicht qualifizierte Arbeitskräfte Relevanz. Dort freilich haben sie einen negativen Erfolg: Die niedrig qualifizierten Jobs sind als Folge der Gewerkschaftspolitik teurer geworden. Sie sind daher wegen der geringen durch sie erzielbaren Wertschöpfung möglichst ganz wegrationalisiert oder durch Maschinen ersetzt oder ins Ausland verschoben worden. Daher gibt es bei den schlecht Qualifizierten noch strukturelle Arbeitslosigkeit.
  12. Und noch für eine zweite Gruppe hat die Gewerkschafts-Politik der vergangenen Jahrzehnte eindeutig negative Konsequenzen: für ältere Arbeitnehmer. Sie sind überall dort, wo allein die Dauer der Betriebs- oder Branchenzugehörigkeit zu höheren Bezügen führt (Biennien, Quinquennien usw.), zu teuer geworden. Deswegen haben ältere Arbeitnehmer eine deutlich höhere Arbeitslosigkeit. Dabei sind die Älteren meist aus der Lebensphase draußen, wo man sich ein Haus bauen und für die Kinder sorgen muss oder will. Sie brauchen also das gar nicht, was die Gewerkschaft einst für sie durchgesetzt hat, sondern es schadet ihnen oft. Das schadet dort zusätzlich, wo Ältere das Image haben, nicht flexibel genug zu sein, neue Technologien nicht mehr zu beherrschen, sich mit der digitalen Welt und sonstigen Umstellungen des Arbeitsablaufs schwer zu tun. Immer seltener wird hingegen im Berufsleben lebenslange Erfahrung geschätzt.

All diese Faktoren machen Gewerkschaften heute unausweichlich zu etwas völlig Überflüssigem, zu einem teuren Anachronismus, für den immer weniger Menschen teure Beiträge zu zahlen bereit sind.

Und wie ist das mit dem Arbeiterkammer-Beitrag?

Die österreichischen Gewerkschaften hätten eigentlich noch einen zusätzlichen Grund zu allen genannten Gründen, nicht allzu aggressiv aufzutreten: Denn sie sind mit den Arbeiterkammern eng verschwistert. Und diese leben derzeit geradezu fürstlich von den Zwangsbeiträgen, die jeder Unselbständige für sie abliefern muss, ob er will oder nicht. Das ist immerhin ein halbes Prozent des gesamten Lohns. Die Geldmittel, die beim ÖGB mit seiner freiwilligen Mitgliedschaft knapp geworden sind, fließen bei der AK enorm und fett. Diese Gelder haben auf heimlichem Weg auch schon mehrmals SPÖ und ÖGB geholfen.

Ist AK, ÖGB und SPÖ aber bewusst, dass dieser Zwangsbeitrag jederzeit mit einem Gesetzesbeschluss gestrichen oder halbiert werden kann? Das ist ja in der Koalition schon durchaus intensiv beraten worden. Das wäre auch durchaus populär, weil es ja jedem Arbeitnehmer bares Geld auf die Hand brächte. Jetzt ist schon ein erster Gesetzesentwurf auf die Reise geschickt worden, durch den die AK-Zwangsbeiträge für sehr kleine Einkommen gekürzt werden. Diese erste Etappe wird der Arbeiterkammer 50 Millionen kosten, weit mehr wäre möglich.

Sollte daher der ÖGB aggressiv zu werden versuchen, könnte Schwarz-Blau den Zwangsbeitrag spielend auch für andere Einkommensklassen ausdehnen. Daher sucht die Arbeiterkammer jetzt verzweifelt nach Tätigkeiten, durch die sie relevant werden könnte. Sie hat bei dieser Suche auch schon etwas gefunden, wie stolz verkündet worden ist: Sie bietet künftig Beratungen beim Pflegegeld und bei Betriebskostenabrechnungen an.

Peinlicher geht’s nimmer. Glaubt man wirklich, mit solchen Pseudotätigkeiten doch noch schnell die Begeisterung der Menschen für die Zwangsbeiträge an eine völlig überflüssige Organisation wecken zu können? Wo man doch selber ein Pflegefall ist …

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