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Die EU hat einen großen Schritt hin zu ihrem eigenen Untergang getan. Zugleich ist in Europa die einst so bedeutende Gründungsplattform des europäischen Zusammenrückens, also die liberalkonservativ-christdemokratische Parteifamilie, jämmerlich eingebrochen. Was mit dem EU-Austritt Großbritanniens begonnen hat, hat jetzt durch das auf völlig unzureichender Basis erfolgende Vorgehen gegen Ungarn gewaltige Dynamik bekommen. Das ist schade, das ist tragisch. Aber die Hauptschuldigen daran sitzen in Straßburg und Brüssel, nicht in Budapest.
Wenn EU-Parlament und -Kommission gegen ein Mitgliedsland den Vorwurf erheben, den "Rechtsstaat" zu verletzen, dann ist das eine Infamie, wenn die EU-Gremien selbst die allergrößten Verletzer der "Rule of law", der korrekten Rechtstreue sind. Denn ihr Vorgehen verletzt ein grundlegendes Rechtsprinzip, das seit der Aufklärung zentrale Basis jedes kontinentaleuropäischen Rechtsverständnisses ist. Dieses Prinzip lautet "Nullum crimen, nulla poena sine lege". Nichts darf jemandem zum Vorwurf gemacht werden, niemand darf für etwas bestraft werden, was nicht zuvor in einem genauen Gesetz festgelegt worden ist.
Genau diese Grundregel ist jetzt von der EU-Mehrheit gebrochen worden. Denn es gibt kein EU-Gesetz, keine Verordnung oder Richtlinie, die etwa Ungarn verbieten würde, NGOs einzuschränken, wenn diese gegen ungarisches Recht verstoßen und die illegale Migration fördern. Es gibt auch kein EU-Gesetz, das es einem Land verbieten würde, Privatuniversitäten administrativ zu regeln, zuzulassen oder zu verbieten (Ungarn hat die fragliche CEU-Universität von George Soros im Übrigen keineswegs verboten, wie von manchen behauptet wird. Diese nimmt vielmehr weiterhin neue Studenten auf).
Dabei sind das noch zwei der konkretesten Vorwürfe, die eine grüne EU-Abgeordnete in ihrem von Phrasen und unbewiesenen Behauptungen nur so wimmelnden "Bericht" gegen Ungarn aufgelistet hat. Dennoch hat jetzt eine Mehrheit des EU-Parlaments ein Stimmentziehungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet.
Das ist absolut ungeheuerlich, das erinnert nicht nur den ungarischen Ministerpräsidenten sehr direkt an jene kommunistischen Methoden, die er ja selber als aktiver Regimegegner gesehen hat. Das erinnert auch an den Nationalsozialismus, wo ebenfalls mit dramatisch klingenden Vorwürfen, die keinerlei konkretes Substrat hatten, Menschen vernichtet worden sind.
Besonders infam ist aber auch, dass für die antiungarische Aktion von den EU-Juristen auch noch schnell an den Verfahrensregeln gedreht worden ist, damit überhaupt die Zweidrittelmehrheit zustande kommt. Denn es haben sich ja keineswegs zwei Drittel der EU-Abgeordneten gegen Ungarn ausgesprochen. Es haben sich auch nicht zwei Drittel der abgegebenen Stimmen gegen Ungarn ausgesprochen. Beide Quoren wurden eindeutig verfehlt. Lediglich unter jenen, die entweder mit Ja oder Nein gestimmt haben, gab es eine Zweidrittelmehrheit. Jene, die ungültig gestimmt oder die sich enthalten haben, wurden gegen den eindeutigen Wortlaut des EU-Vertrags einfach nicht berücksichtigt. Denn dort heißt es:
" … beschließt das Europäische Parlament mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und mit der Mehrheit seiner Mitglieder".
Abgegeben ist abgegeben. Auch eine Enthaltung ist eine abgegebene Stimme. Es ist wirklich unfassbar, dass man in den EU-Gremien den klaren Wortlaut des Vertrages so zurechtbiegt – ausgerechnet in einer Frage, wo man einem Land vorwirft, kein Rechtsstaat mehr zu sein!
Kein Zweifel: In einer Union, die für sich Rechtsstaatsqualitäten beansprucht, hat jede konkrete Rechtsverletzung vor den Europäischen Gerichtshof gebracht zu werden. Dort wird Ungarn auch des Öfteren verurteilt – so wie es auch allen anderen Staaten regelmäßig passiert.
Aber wo es keine konkrete Rechtsverletzung gibt, dort sollte es eigentlich völlig undenkbar sein, dass es dennoch zu einem Verfahren kommt. Wo es keine Verletzung konkreter Gesetze gibt, sollte man nur politisch kritisieren können. Dort sollte es schon gar nicht möglich sein, dass eine eindeutig parteipolitisch zuordenbare Mehrheit ein Rechtsverfahren gegen ein missliebiges Land auch nur einleiten kann.
Es widerspricht jedem Rechtsdenken, wenn Anklagen wegen so vager Begriffe wie "europäischer Werte" erfolgen können. Wenn man Gummibegriffe wie "Achtung der Menschenwürde, die Freiheit, die Demokratie, die Gleichheit, die Rechtsstaatlichkeit sowie die Achtung der Menschenrechte und die Rechte der Personen, die Minderheiten angehören" anklagen kann, dann öffnet man jedem totalitären Missbrauch Tür und Tor.
Wer die angebliche Verletzung solcher Gummibegriffe plötzlich zur Grundlage der schwerstmöglichen Konsequenzen macht, der zerstört diese Union, der verwandelt ihre Institutionen zu Tribunalen politischer Schauprozesse. Jetzt zeigt sich auch, wie berechtigt vor elf Jahren die Warnungen weitsichtiger Menschen vor der Einführung dieses sogenannten Artikel-7-Verfahrens gewesen sind.
Aber findet man diese Werte nicht auch in den Verfassungen vieler EU-Länder? Ja, die findet man. Aber dort sind sie durch zahllose Gesetze und durch eine lange Tradition von Präjudiz-Entscheidungen konkretisiert. Dort drohen nicht so dramatische Konsequenzen wie der totale Entzug des Stimmrechts für ein ganzes Land. Verfassungsverletzungen führen in der Regel bloß zur Aufhebung eines als verfassungswidrig angesehenen Gesetzes samt Reparaturfrist.
Was die EU-Politiker nicht begreifen: Ein "Wert", der nicht in ein ganz konkretes, präzisen juristischen Denkregeln entsprechendes Gesetz umgesetzt wird, ist geradezu ein Un-Wert. Denn er kann beliebig instrumentalisiert werden.
Aber ist dieses Artikel-7-Verfahren nicht auch gerade auf Betreiben Österreichs eingeführt worden, weil man die antiösterreichischen Sanktionen des Jahres 2000 durch ein rechtlich sauberes Verfahren ersetzen wollte? Ja, das wollte man. Aber wenn eine Ungeheuerlichkeit durch eine andere ersetzt wird, bleibt sie dennoch eine Ungeheuerlichkeit. Wenn der Artikel 7 so angewendet werden kann, wie es jetzt im Falle Ungarns geschieht, dann beweist das: Dieser Artikel ist kein rechtsstaatlicher Weg, sondern Basis für totalitäre Willkür jeder Art.
Besonders widerlich ist, dass dieser Artikel sogar ausdrücklich behauptet, zum Schutz von Minderheit zu dienen, und dass es dann ausgerechnet ein kleines Land ist, gegen das vorgegangen wird. Man kann absolut sicher sein, dass dieser Artikel niemals gegen Frankreich oder Deutschland in Stellung gebracht wird. Obwohl man gegen beide Länder spielend genauso wirr-unpräzise Anklageschriften zusammenstellen könnte, wie es jetzt die niederländische Grüne Sargentini gegen Ungarn getan hat.
Das EU-Parlament rührte beispielsweise auch kein Ohrwaschel, obwohl es in Spanien seit einem Jahr eindeutig politische Gefangene gibt (katalanische Politiker, die auf völlig gewaltfreiem Weg ein Referendum für die Unabhängigkeit durchgeführt haben). Das ist eine wirklich aktuelle und grobe Verletzung des rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzips – aber Spanien ist zu groß, um mit diesem Vorwurf konfrontiert zu werden.
Aber braucht es nicht am Ende ohnedies die Zustimmung aller übrigen EU-Staaten, bevor einem Land das Stimmrecht endgültig entzogen werden kann? Ja, das braucht es. Nur genau das macht die Aktion des Parlaments mehrfach unsinnig:
Aber was will man: Die Europäische Volkspartei als theoretisch stärkste Kraft hat halt nicht ihre intelligentesten und fähigsten Politiker nach Europa entsandt, sondern die Herren Juncker, Weber und Karas. Die haben Probleme mit dem Vorausdenken. Und Rot-Grün und Neos-Liberal denken sowieso nicht, weder voraus noch nach, sondern sie hassen einfach.
Die einzelnen Vorwürfe gegen Ungarn erinnern in ihrer nebulosen Art massiv an Franz Kafkas "Prozess". Sie sind großteils nicht konkret fassbar; ein anderer Teil betrifft völlig irrelevante Details; und vor allem ist vieles, was den Ungarn vorgehalten wird, auch in vielen anderen Ländern ganz ähnlich. Noch dazu besteht der nun angenommene "Bericht" der holländischen Grün-Abgeordneten nur aus einem Exzerpt diverser zum Teil Jahre alter Berichte, ohne dass sie sich die Mühe gemacht hätte, diese auf den letzten Stand zu bringen, oder selbst in Ungarn vor Ort zu recherchieren.
Ungarn hat jedenfalls den einzelnen Vorwürfen mit 108 Seiten an Gegendarstellungen gekontert. Nur einige Beispiele:
Die "Delikte" Ungarns sind natürlich ganz andere als das, was in dem Bericht steht:
Aber natürlich wissen diese Linksparteien auch: Nicht nur Ungarn geht den Weg Orbans, sondern auch eine breite Front quer durch Europa tut das, von Italien bis zu den Skandinaviern. Die Linke wird daher nach den nächstjährigen EU-Wahlen schwer dezimiert sein. Umso mehr wollte sie jetzt noch einmal ihre Mehrheit ge- oder vielmehr missbrauchen.
Vor allem das unsolidarische Verhalten der "Europäischen Volkspartei", zu der ja auch die ungarische Regierungspartei gehört, ist rätselhaft. Ganz offensichtlich hat sich dort der Merkel-hörige Flügel durchgesetzt, hat sich doch erst am Tag davor der neue Spitzenkandidat der EVP ausdrücklich für eine Umverteilung der Flüchtlinge auf ganz Europa ausgesprochen.
Zweifellos hat Orban mit seiner spitzen Analyse der EVP recht: Diese tanze so, "wie die Sozialisten und Liberalen pfeifen". Die EVP habe nur ein einziges Ziel: "Oh weh, nur dass wir nicht in der europäischen Presse oder auf den europäischen Foren angeklagt werden."
Dabei hätte sich die EVP ganz einfach aus der Affäre ziehen können – mit einem Verweis auf Rumänien. Denn bei allem, was man Ungarn vorwirft, sind die Zustände in Rumänien weit schlimmer. Dort werden Methoden wie in Venezuela praktiziert. Dort werden die Korruptions-Fahnder einfach abgesetzt. Dort ist der Parteiobmann der stärksten Partei vorbestraft, kontrolliert aber dennoch die Regierung. Dort ist gegen Demonstranten mit einer an die Kommunisten erinnernden Brutalität vorgegangen worden. Dort ist selbst der eigene Staatspräsident über das Verhalten der Regierung empört.
Jedoch: Rumänien wird beinhart die Mauer gemacht. Denn in Rumänien regieren die Sozialisten und die Liberalen. Und daher blockieren in der EU die Sozialisten und Liberalen alle Maßnahmen. Daher hätte eine mit einem Rest an Selbstbewusstsein ausgestattete EVP sagen müssen: "Solange nicht zuerst oder gleichzeitig Beschlüsse gegen Rumänien fallen, stimmen wir solchen gegen Ungarn nicht zu." Aber die Juncker-Weber-Karas-EVP ist nicht einmal dazu imstande.
Einer der besonders tragischen Aspekte des EVP-Vorgehens gegen Ungarn ist die Tatsache, dass es eindeutig einen Sieg Angela Merkels über Viktor Orbán darstellt. Damit hat die feige Anpasslerin an den einstigen Sowjet-Kommunismus in der DDR, die dort als Studentin völlig unkritisch systemkonforme Funktionen ausgeübt hatte, über jenen Mann triumphiert, der damals in einer extrem mutigen öffentlichen Rede den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn verlangt hatte.
Fraglich ist nur, ob dieser Triumph auch an den Wahlurnen anhalten wird.