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Der kranke Krankenkassenkrieg und die wahren Leiden der Gesundheit

Das Gekläff zwischen Opposition und Regierung um die Gesundheitsreform löst bei den Österreichern nur noch einen Gähnreiz aus. Denn diese Auseinandersetzung geht wieder einmal total an allen – gerade in diesem Bereich riesigen – Problemen vorbei. Denn in Wahrheit sind ganz andere Fragen und Herausforderungen wichtig, die aber von Regierung wie Opposition gemieden werden.

Die Fakten und worum es wirklich rund um Gesundheitsversorgung, Krankenkassen, Spitäler, Ärzte – und Patienten gehen müsste, seit vielen Jahrzehnten aber nicht geht:

  1. Die größte Lüge rund um die österreichische Sozialversicherungsarchitektur ist zweifellos das Wort "Selbstverwaltung", die jetzt bedroht sei. Noch kein einziger sozialversicherter Patient hatte in Wahrheit bei Sozialversicherung oder Gesundheitswesen jemals irgendetwas mitzureden. Jeder von ihnen ist dort bloßes Objekt, bloßer Zahler, aber nicht Subjekt oder Mitbestimmer. Subjekt sind nur die (oft in Doppelfunktion agierenden) Sozialpartner-Funktionäre und die Landespolitiker.
  2. Die Opposition hat Recht, wenn sie der Regierung vorwirft, es ginge ihr bei den jetzigen Reformvorschlägen um die Entmachtung von Gewerkschaft und Kammern. Natürlich geht es Schwarz-Blau – auch – darum. Nur: Außer ÖGB-, AK- und WKO-Funktionären wird das niemand bedauerlich finden. Die Macht von ahnungslosen Apparatschiks ist sogar einer der dümmsten Anachronismen der gesamten Sozialversicherungsarchitektur.
  3. Die Zusammenlegung der Versicherungen bringt – im Gegensatz zu den Behauptungen der Regierung – aber auch nicht die große Einsparung. Es sind zwar gewiss etliche Verwaltungsvereinfachungen zu erwarten. So wird es viel weniger Direktorenjobs geben. So kann bei der EDV vieles rationalisiert werden. Das bringt auch den Kassenärzten Vorteile, die sich künftig nicht mehr mit so vielen unterschiedlichen Kassen herumschlagen müssen.
  4. Auch ein Wegfall der rein bürokratischen "Chefärzte", die die Patienten nie zu Gesicht bekommen, kann nur als positiv verbucht werden.
  5. Die Zusammenlegung vieler Kassen ist dennoch grundfalsch. Denn in Wahrheit hätte man unbedingt den Weg Richtung Wettbewerb, nicht den zu noch mehr Monopol gehen müssen. Man hätte den Versicherten Wahlmöglichkeiten eröffnen müssen. Man hätte sie endlich als mündige Staatsbürger und nicht als Untertanen behandeln sollen. Man hätte sie wählen lassen sollen: zwischen Kassen mit Selbstbehalt (und daher niedrigem Beitrag) und Kassen ohne Selbstbehalt; zwischen Kassen, die nur ein gesetzliches Minimum an Leistungen abdecken, die nur für die "Großschäden" zuständig sind, und Kassen, die alles abdecken. Wettbewerb und die Möglichkeit, Selbstbehalte zu vereinbaren, hätten unbestreitbar die Kassen zu mehr Anstrengung, Leistung und Effizienz angehalten. Die beiden Gegenargumente der Machthaber gegen die Umstellung auf ein solches System sind leicht entkräftbar:
    • "Es würden dann chronisch Kranke überbleiben, die keine Kasse haben will." Dieses Problem könnte man aber einfach mit Kontrahierungszwang lösen; oder mit einem Pool, den alle Versicherungen finanzieren müssen; oder wie bei der Autohaftpflicht, wo unfallfreudige Fahrer reihum genommen werden müssen.
    • "Im Wettbewerb stehende Kassen werden wie in Deutschland zu viel Geld für Werbung und Marketing ausgeben." Das kann man leicht mit Gesetzen limitieren, die Werbeausgaben pönalisieren, wenn sie über eine niedrige Grenze von etwa zwei Prozent des Umsatzes hinausgehen. Wenn das bei Wahlkampfausgaben möglich ist, muss es hier umso leichter möglich sein.
  6. Umgekehrt handelt die Politik aber auch dann falsch, wenn man hinnimmt, dass sie nicht diesen Weg von Wettbewerb und Freiheit gehen will, sondern den der Vereinheitlichung. Aber: Wenn man schon zusammenlegt, dann sollte man es komplett tun, nicht nur bei den Gebietskrankenkassen. Es wird jedoch weiterhin Sozialversicherungen erster und zweiter Klasse geben. In der ersten Klasse befinden sich der öffentliche Dienst und die Politik, in der zweiten der Plebs. Dieser Klassenunterschied wird doppelt auffällig, wenn man die Beamten sogar dann verschont, während man sonst keinen Stein auf dem anderen lässt und alles vereinheitlicht. Das ist eine absolute Zumutung für alle Nichtbeamten, die ja diese Privilegien noch dazu mit ihren Steuern zahlen. Oder ist die Gesundheit der Beamten wertvoller als die der anderen Bürger?
  7. Noch aus einem zweiten Grund ist die Zusammenlegung aller neun Gebietskrankenkassen sehr problematisch: Einsparungen auf dem Verwaltungssektor stehen sichere Mehrausgaben auf dem Leistungssektor gegenüber. Derzeit ist die eine Landeskasse bei der einen Leistung freigiebiger als die anderen, die nächste bei einer anderen Leistung. Wenn das nivelliert wird, dann mit Sicherheit nur bei allen Leistungen nach oben. Jeder Landeshauptmann würde nämlich laut aufschreien, wenn seine Landesbürger irgendeine Gesundheitsleistung nicht mehr bekämen, die sie bisher hatten. Solche Proteste werden die beiden Regierungsparteien nur ein paar Wochen lang aushalten. Und schon gar nicht, solange keine der beiden einen Sozialversicherungs- und Gesundheits-Experten hat, der auch politisch denkt.
  8. So zweifelhaft also vieles an der Gesundheitsreform ist, so klar ist dennoch, dass die derzeit viel zitierte Milliarde Euro Einsparungsvolumen durchaus erzielbar wäre. Freilich wäre das auch ohne Kassenfusion möglich. Die große Einsparung liegt nämlich nicht bei einer Reduktion der Kassenzahl, sondern eindeutig bei der sogenannten Beschaffung. Bei dieser wird sehr viel Geld verbrannt, weil jedes Spital für sich alleine und daher zu teuer einkauft. Würde von den Medikamenten bis zu den Spritzen, von den Spitalsbetten bis zu den Mullbinden alles gemeinsam eingekauft, würde sich das Gesundheitssystem sehr viel ersparen. Das verhindert aber die eifersüchtig verteidigte Autonomie von Ländern und Gemeinden, von Spitälern und Spitalserhaltern. Noch keine Regierung hat gewagt, da einzugreifen und auf Konfrontation mit den Landeshauptleuten zu gehen (was freilich auch eine Verfassungsmehrheit erfordern würde). Dabei hat die einst durchgesetzte gemeinsame Bundesbeschaffung, die alle Ministerien zwingt, vom Kanzleipapier bis zum Dienstauto alles über eine gemeinsame Plattform einzukaufen, der Republik unglaublich viel Geld erspart. Sie hat vor allem auch viele Möglichkeiten der Korruption verhindert. Die Bundesländer haben es aber geschafft, mit dem Hinweis auf angebliche Interessen regionaler Händler und Betriebe davon unberührt zu bleiben. Das kommt besonders im Spitalbereich den Steuerzahler sehr teuer. Aber über all das wird erstaunlich wenig geredet.
  9. Auch das zweite große Problem- und Einsparungsthema wird nie ernsthaft angesprochen, geschweige denn gelöst. Das ist die Polarität zwischen den Krankenkassen (=Sozialpartnern) und den Spitalserhaltern (=Ländern). Jeder will möglichst viel Kosten auf die andere Seite abschieben. Solange das nicht gelöst wird, kann man nur lachen, wenn die Politik wieder einmal von Reform brabbelt.
  10. Das Krebsübel bleibt: Die Kassen zahlen die ordinierenden Ärzte so schlecht, dass die Patienten immer mehr ins Krankenhaus abgedrängt werden. Das zeigt sich besonders intensiv bei den Spitalsambulanzen, wo man derzeit oft einen halben Tag warten muss, bis man den ersten Arzt sieht. Die Ambulanzen sind völlig überlaufen, weil viele Patienten – insbesondere türkische und andere außereuropäische Migranten – mit jeder Kleinigkeit samt mitkommender Großfamilie sofort eine Spitalsambulanz ansteuern. Weil die praktizierenden Kassenärzte immer weniger werden, zu Abend-, Nacht- und Wochenendstunden überhaupt nicht erreichbar sind, und weil sie angesichts des lächerlich geringen Kassenhonorars auch kaum Zeit für ausführliche Diagnosen haben. Dabei ist jeder Besuch in einer Spitalsambulanz viel teurer als ein Arztbesuch. Das würde selbst dann noch gelten, würde man die Kassenärzte ordentlich honorieren.
  11. Das System der gegenseitigen Kostenzuschiebung führt auch dazu, dass in Österreich im Schnitt viel mehr Nächte im Spital verbracht werden als anderswo. Denn statt teurer, aber schneller ambulanter Eingriffe werden oft Patienten tagelang im Spital konventionell behandelt. Weil das so billiger kommt …
  12. Dazu kommt, dass es zu wenige geriatrische Pflegeplätze gibt, in die alte Menschen, die kein teures Akutspital, sondern einen erschwinglichen Pflegeplatz bräuchten, gebracht werden könnten. Daher bleiben sie im normalen Spital. Überdies lassen sich Menschen, die eigentlich Pflegefälle wären, dennoch lieber ins Krankenhaus bringen. Denn das kostet sie zum Unterschied von einem Pflegeplatz nichts. Dabei ist jede Nacht eines Patienten in einem Akutspital für die Allgemeinheit viel teurer als in einem Pflegebett.
  13. Ein zusätzlich explodierendes Problem: Wir haben zu wenige Ärzte. Die Absolventen österreichischer Medizin-Universitäten gehen zu nicht weniger als 40 Prozent ins Ausland, wo sie besser bezahlt werden (weil es dort ebenfalls Ärztemangel gibt).
  14. Ein oft verbreiteter Irrtum: Medizin werde billiger, weil sie immer mehr Menschen retten kann. Das ist leider falsch. Das ist zwar ein wunderbarer Fortschritt für die Menschheit, aber keiner für die Kosten des Systems. Denn je öfter Menschen dank der Medizin früher tödliche Krankheiten oder Verletzungen überleben, umso länger leben sie und werden daher in der zusätzlichen Lebenszeit viele neue Krankheiten bekommen, die wiederum Kosten verursachen.
  15. Die schmerzhafteste Frage zum Schluss: Welchem Politiker – egal ob in Regierung oder Opposition – wäre der Mut, das Können und das Fachwissen zuzutrauen, alle diese Fragen anzugehen? Ich sehe weit und breit keinen einzigen. Und schon gar keinen, der das objektiv und ohne Eigeninteressen täte. Dabei wäre der Gesundheitskomplex nach dem Megathema Migration+Islamisierung (samt dem damit zusammenhängenden Bildungsverfall) und nach der Pensionsfrage die dritte ganz große Herausforderung für dieses Land und seine Menschen. Wäre.

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