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Genua: Die Schuldigen

Nach dem dramatischen, opfer- und folgenreichen Brückeneinsturz von Genua folgt das, was immer nach solchen Katastrophen passiert: Reihum wird, noch bevor die Toten begraben sind, auf die angeblich Schuldigen gezeigt. Die Suche nach Ursachen und Verantwortlichen ist zwar eine an sich logische Reaktion. Viele Journalisten und Juristen sehen darin überhaupt ihre Lebensaufgabe. Jedoch ist an der Genueser Ursachensuche unglaublich vieles verlogen und heuchlerisch, wie man wirklich auf die Schuldigen trifft.

Am meisten nerven jene, die es immer schon gewusst und gesagt haben wollen. Die das aber seltsamerweise immer erst im Nachhinein öffentlich verkünden. Zwar ist die Fälschung und Schönfärbung der eigenen Vergangenheit eine Gewohnheit vieler Menschen. Aber eigentlich sollten solche "Experten", die jetzt reihenweise in die Öffentlichkeit drängen, schon genauer nachweisen, wo sie VOR dem Unglück laut und deutlich vor einem solchen gewarnt haben.

Genauso widerlich sind jene "Experten", die in dem Unglück jetzt den Beweis für ihre staatssozialistischen Ideologien gefunden haben wollen. Die Behauptung, dass Staatseigentum an Autobahnen viel besser und sicherer wäre, hört sich in linken Ohren gut an, widerspricht aber allen Fakten.

  1. Oder wollen die Staatsanhänger behaupten, dass die über 50 Jahre alte Brücke bis zur Privatisierung der (vorher korruptions-zerfressenen!) italienischen Autobahngesellschaft sicher, aber danach unsicher gewesen wäre?
  2. Auch in Österreich sollte man gut in Erinnerung haben, dass Brückeneinstürze (Wiener Reichsbrücke!) oder schwere Schäden an gerade neugebauten Autobahnen (Strengberge!) bei totalem Staatseigentum leider genauso und genauso überraschend passieren wie in Genua.
  3. Der Blick auf die britischen Bahnen zeigt, dass es dort nach der Privatisierung deutlich weniger Unfälle und Verspätungen gegeben hat als in jenen Zeiten, da sie im Staatseigentum verlottert waren.
  4. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass jahrzehntelang in Österreich Kontrolle der Bahn (durch das Verkehrsministerium) und deren Betrieb (also überwiegend die ÖBB, wo das Verkehrsministerium die Eigentümerrolle spielt!) viel zu nahe beieinanderliegen. Selbst wenn sich die Mannschaft da wie dort nicht primär als Außenstelle der SPÖ fühlen würde.
  5. Gerade ist wieder (mit dem Shanghai-Index) ein Universitäts-Ranking herausgekommen. In all diesen Rankings liegen private Universitäten weit vor allen Staats-Unis an der Spitze (freilich darf nicht geleugnet werden, dass es auch sehr schlechte Privat-Unis gibt. Das zeigt aber nur, dass immer Transparenz und Wettbewerb entscheidend und nötig sind – so wie man sich ja auch in Österreich bei jedem Lebenslauf eines Bewerbers immer und zwar mit guter Kenntnis der einzelnen Studieneinrichtungen anschauen sollte, an welcher AHS ein künftiger Mitarbeiter gewesen ist, welche Studienrichtung und Uni er absolviert hat. Eine Matura, ein "Bacc", ein "Mag.", ein "Dr." alleine sagt gar nichts).
  6. Den stärksten Beweis für die Überlegenheit von privaten Betrieben haben eindeutig die Tausenden Staatsbetriebe im kommunistischen Machtbereich geliefert. Sie waren weit ärger umweltbelastend, weit unsicherer, weit korrupter und weit weniger effizient, als es dann nach der Wende sehr bald die privatisierten Betriebe geworden sind. Das zeigte sich etwa auch an den CO2-Emissionen, wo Wende und Privatisierungen in all diesen Ländern ganze ohne "Klimaabkommen" binnen weniger Jahre dramatische Verbesserungen gegenüber dem Zustand davor gebracht haben.

Das heißt nun nicht, dass private Eigentümer automatisch anständiger und moralisch sauberer wären als der Staat. Keineswegs. Der Erfolgsmechanismus läuft ganz anders: Er besteht in der Trennung zwischen dem Eigentum an Unternehmen (vom Bergwerk über die Schwerindustrie bis zur Autobahn) einerseits und der Kontrolle (von der Sicherheit bis zu den Emissionen) andererseits.

Denn auch der Staat ist nicht imstande, sich selber zu kontrollieren. Wenn er Eigentumsverantwortung wie Kontrollverantwortung gleichzeitig wahrnehmen soll, kommt beides zu kurz. Er kontrolliert Sicherheit wie Umweltstandards ganz offensichtlich nur dann effizient, wenn ihm private Personen oder Unternehmen gegenüberstehen. Freilich auch dann nicht immer: Wenn sich staatliche Aufseher bestechen lassen, wenn Staatsbeamte auch bei der Kontrolle von Privaten schlampig oder faul sind, wenn der Gesetzgeber keine ausreichenden Sicherheitsstandards und Kontrollen vorschreibt, dann hilft auch die Trennung zwischen Eigentum und Kontrolle nicht viel.

Allerdings bleibt die Kontrolle durch den Markt, insbesondere durch die Börsenkurse, auch dann noch relevant. Wenn Produkte einer Firma als unsicher gelten, wird das sowohl dem Absatz wie auch den Kursen schaden. Ein staatliches Monopol (wie im Realsozialismus) muss hingegen gar nichts fürchten. DDR-Autos mögen noch so schlecht und stinkend gewesen sein: Bei 15 Jahren Wartefristen der alternativlosen Käufer braucht der Verkäufer, brauchen die Leiter eines Staatsbetriebes gar nichts zu ändern.

In den meisten europäischen Staaten mit Privatwirtschaft haben sich jedoch ganz hervorragende Kontrollsysteme entwickelt. Man denke nur an die regelmäßigen TÜV-Kontrollen von Aufzügen oder Seilbahnen oder Kränen, man denke an Börsen- oder Wettbewerbsaufsicht. Man denke letztlich auch an die verschiedenen – von den Autofahrern oft als schikanös empfundenen – Formen der Verkehrskontrollen, die ja fast alle immer nur der Sicherheit dienen.

Dass trotzdem immer wieder Verkehrssünder erwischt werden, dass trotzdem immer wieder Unfälle passieren (wenn auch mit weit harmloseren Folgen als in früheren Jahrzehnten!) kann ja kein Argument für die Verstaatlichung aller Autos sein.

Zurück zum Fall Genua: Das alles heißt nun nicht, dass nicht nach Ursachen und Verantwortungen gesucht werden soll. Ganz im Gegenteil. Aber es soll immer nach den wirklichen Kausalitäten und Verantwortungen gesucht werden, statt aus der Hüfte zu schießen. Es sollten folgende Fragen gestellt werden:

  • Hat es in Italien ausreichende staatliche Sicherheitsvorschriften gegeben? Wenn nicht, ist der Gesetzgeber schuld.
  • Haben Beamte die vorgeschriebenen Kontrollen ordentlich durchgeführt? Wenn nicht, sind diese Beamten schuld.
  • Haben die Autostrade Italiane alle vorgeschriebenen Sanierungsmaßnahmen umgesetzt? Wenn nicht, ist das Management schuld.
  • Haben die mit der Sanierung beauftragten Baufirmen die Arbeiten vertragsgemäß umgesetzt? Wenn nicht, sind die Baufirmen schuld.

Ohne genaue Prüfung all dieser Fragen ist jede Schuldzuweisung unsinnig und verlogen. Zur Stunde kann niemand all diese Fragen seriös beantworten.

Besonders verlogen ist es, wenn jetzt von der italienischen Regierung (unter anderem) der EU die Schuld zugeschoben wird. Die EU macht viele Fehler, ist an vielem schuld. Aber sicher nicht an der Katastrophe von Genua. Sie hat im Gegenteil seit langem den jeweiligen Staaten einen genauen Pflichtenkatalog zur Kontrolle gesamteuropäisch wichtiger Verkehrsbauten auferlegt.

Schließlich sei eine persönliche Vermutung hinzugefügt: Angesichts der strategischen und (wie Merkel sagen würde) alternativlosen Nadelöhr-Funktion dieser Autobahnbrücke an der engsten Stelle zwischen Alpen und Meer werden wohl viele in Staat, Region, Stadt und Autostrade ähnlich gedacht und sich deshalb mitverantwortlich gemacht haben: "Man kann doch nicht die große Stadt Genua und den gesamten westitalienischen Straßen- (wie auch Bahn-) Verkehr lahmlegen, indem man diese Brücke abreißt, um sie neu zu bauen. Das hätte doch jahrelange katastrophale Folgen für Genua und Europa."

Nun hat man die gleichen katastrophalen Folgen. Nur etliche Jahre länger und schlimmer, als sie bei ordentlicher Umbauplanung und -vorbereitung gewesen wären. Nur mit 42 Toten und zahlreichen Verletzten mehr. Nur mit viel größeren Schäden und Kosten.

Freilich sollten wir uns grundsätzlich auch bewusst sein, dass es auch bei besten Sicherheitsmaßnahmen immer Unfälle und Katastrophen geben wird. Der Glaube an die totale Sicherheit ist eine totale Illusion und führt immer nur in den totalen Staat.

PS: Ist Privat – abgesehen von hoheitlichen Aufgaben wie Polizei, Gesetzgebung, Landesverteidigung, Justiz, Kontrolle (von Sicherheit, Wettbewerb, Ökologie) – also immer besser als Staat? Ja, denn in 90 Prozent aller Vergleichsfälle zeigt sich, dass Privat in allen Aspekten weit besser funktioniert. Dramatisch wird der Unterschied jedoch nur dort, wo auch Wettbewerb herrscht. Was bei natürlichen Monopolen weniger der Fall ist, wie also bei Autobahnen, Stromleitungen, Bahnlinien. Aber schon bei Zügen, Taxis, Stromerzeugung ist Wettbewerb meilenweit überlegen (auch wenn der ÖBB-Betriebsrat das anders sehen mag).

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