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Wie die herrschende Klasse ihre Glaubwürdigkeit zertrümmert

Alois Mock war zweifellos jener Minister, mit dem ich die weitaus meisten Interviews gemacht habe. So auch eines, das nie erschienen ist. Ich führte es in einem Flugzeug auf dem Weg nach Vorarlberg und zurück, wo Mock eine Rede zu halten hatte. Es war ein richtiges Durchhalte-Interview mit der Generallinie: Ich bleibe trotz aller Attacken aus dem Hinterhalt ÖVP-Obmann. Doch bevor ich noch das Interview fertig geschrieben hatte, kam der Anruf seines Sekretärs: Bitte nicht bringen, Mock tritt morgen zurück.

Doch nicht deswegen verlor ich im Laufe der letzten Politik-Jahre Mocks viel von meinem einstigen Respekt vor ihm. Dieser war einst sogar sehr hoch gewesen, weil Mock als einer von ganz wenigen Politikern mir glaubhaft den Eindruck vermittelt hatte, ihm ginge es wirklich um die Sache, um seine Überzeugungen. Er verfolgte als Außenminister  mit unglaublichem Engagement und selbstaufopfernder Zähigkeit ja vor allem zwei Ziele: Das war erstens die Befreiung von Slowenien und Kroatien aus dem serbisch-kommunistisch beherrschten Jugoslawien; das war zweitens der EU-Beitritt wider alle Bedenkenträger (vor allem bei Rot und Grün!) und wider alle Rufe "Aber wegen der Neutralität geht das doch nicht!" Doch Mock setzte die Interessen Österreichs und die Freiheit von geschichtlich eng mit Österreich verbundenen Völkern vor alle formaljuristischen oder gar ideologischen Erwägungen, über alle Veränderungs-Trägheiten.

Dennoch überwog am Schluss meine Enttäuschung: und zwar aus einem ganz anderen Grund – wegen Mocks Umgang mit seiner Parkinson-Krankheit. Auch als diese schon unübersehbar geworden war – so schleuderte er während eines Interviews seine Brille gleich mehrmals unkontrolliert in eine Ecke, weil er sie nicht mehr halten konnte –, leugnete er die Krankheit weiter konsequent. Und als ich mich einmal überwand und ihn direkt darauf ansprach, erzählte er mir eine komplizierte Lüge, dass er sich nur das Kreuz verrissen habe und das wäre in ein paar Tagen sicher vorbei.

Da begann ich mich zu fragen: Wenn mir der Mann in einer so offensichtlichen Sache eine solche Lüge erzählen konnte – wie oft hat er vielleicht sonst noch gelogen?

Die meisten Leser werden wohl erraten haben, warum mir gerade in diesen Tagen Mock und das alte Sprichwort "Wer einmal lügt …" eingefallen sind.

Denn Europa hat ja wieder einen ganz ähnlichen Fall: einen Spitzenpolitiker, der seine offensichtliche schwere Krankheit als harmloses, wenn auch schmerzhaftes Problem des Bewegungsapparats tarnt. Jean-Claude Juncker torkelt immer wieder bei öffentlichen Auftritten so arg herum und er benimmt sich oft so kasperlhaft-verwirrt, dass alle Europäer zu 99,99 Prozent sicher sind: Juncker hat ein schweres Alkoholproblem. Aber dennoch erzählt dieser Mann – und das auffälligerweise überhaupt erst, als Politiker der europäischen Opposition gewagt haben, Junckers Alkoholproblem zu thematisieren und seinen Rücktritt zu fordern – eine völlig unglaubwürdige Geschichte von einem Ischias-Leiden nach einem Jahrzehnte zurückliegenden Unfall.

Da es allein in Österreich Hunderttausende alkoholkranke Menschen gibt, da allein in Österreich Millionen schon genau gesehen oder erlebt haben, wie man sich in Alkoholisierung verhält, glaubt praktisch niemand die Ischias-Version.

Umso absurder und in hohem Ausmaß selbstbeschädigend ist es, dass in den letzten Tagen einige Politiker und Medien ausgerückt sind, um wider alle Evidenz empört jeden zu attackieren, der nicht die Ischias-Version glaubt, sondern offen vom Alkohol spricht. Besonders tun das jene Journalisten, die in den letzten Jahren Europa zur persönlichen Ersatzreligion gemacht haben, die sich über jedes Anzeichen nationaler Identität lautstark moralistisch empören, die statt dessen einen blinden EU-Chauvinismus praktizieren, der jedes Problem Europas vehement leugnet. Und sei es noch so offensichtlich.

Es ist noch irgendwie verständlich, dass der – sonst kaum jemals in Erscheinung tretende – österreichische EU-Kommissar Johannes Hahn seinem Kommissionspräsident Juncker die Mauer macht. Sitzt er doch regelmäßig diesem am Kommissionstisch gegenüber. Dass der ORF tagtäglich die Ischias-Version trommelt, hängt wiederum damit zusammen, dass der Gebührenfunk ständig jedes Thema groß aufbläst, von dem die Redaktionen meinen , dass es Schwarz-Blau blamieren würde. Weshalb er sich zuletzt täglich künstlich empört hat, dass ÖVP-Minister nichts zur Kritik des FPÖ-Generalsekretärs an Juncker sagen. Sie tun das freilich nicht aus Angst vor dem FPÖ-Mann, sondern aus Höflichkeit. Schließlich sind die österreichischen Minister ja derzeit Vorsitzende aller EU-Räte und da wäre es mehr als geschmacklos, das ohnedies schwierige europäische Klima mit Attacken auf den Präsidenten der EU-Kommission zu belasten.

Am dümmsten sind zweifellos die Wortmeldungen des schwarzen EU-Abgeordneten Othmar Karas. Dieser hat bei seiner völlig überflüssigen Juncker-Verteidigung und bei seinen Hass-Attacken auf den Koalitionspartner seiner eigenen Partei geradezu Schaum vor dem Mund bekommen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt konnte man freilich sicher sein: Karas hat keine Chancen mehr, im nächsten Jahr auf einem ÖVP-Ticket fürs EU-Parlament kandidieren zu können.

Sebastian Kurz ist viel zu klug, um sich und seiner Partei einen Karas anzutun. Hat er doch nach der Nationalratswahl etliche durchaus fähige ÖVP-Minister ins Altenteil geschickt, um zu zeigen, dass jetzt einzig und allein er das Szepter in der Hand hat. Da ist es absolut undenkbar, dass Kurz einen Mann aufstellt, der mehr als alle anderen für die ÖVP-uralt steht, und der ständig, wenn auch ohne Namensnennung, gegen ihn gestänkert und intrigiert hat.

Es ist absolut unbegreiflich, wie Journalisten und Politiker so total intelligenzbefreit sein können, dass sie nicht verstehen, wie sehr sie vor allem sich selbst und der eigenen Glaubwürdigkeit schaden, wenn sie das Alkoholproblem Junckers so plump wegzuignorieren versuchen. Sie begreifen offensichtlich auch nicht, dass ihre Juncker-Rettungsaktion genau jenen nutzt, die die politisch-mediale Klassen damit eigentlich treffen wollte: also den Freiheitlichen und den sogenannten Rechtspopulisten Europas. Diese sind vielen Menschen erst durch diese dümmliche Reaktion als jene Politiker wirklich ins Bewusstsein gerückt worden, die den Mut haben auszusprechen, dass Kaiser Juncker keine Kleider anhat.

Selbst für den absolut unwahrscheinlichen Fall, dass doch die 0,01 Prozent zutreffen sollten, dass Juncker also wirklich nur ein Ischias-Leiden hat, ist sein Verhalten nicht zu verteidigen. In diesem Fall hätte er längst selbst mit den damit verbundenen Problemen nach außen gehen müssen. So wie es international immer mehr Spitzenpolitiker aus gutem Grund mit ihren Krankheiten tun. Denn sie wissen: Die eigene Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Bürger sind die höchsten, sind fast die einzigen Güter, auf die es in einem politischen Job ankommt. Und wenn sich ein Ischias-Leiden ausnahmsweise wirklich mit so ungewöhnlichen Symptomen äußern sollte, die jeden Europäer an die Symptome eines massiven Alkoholmissbrauchs erinnern, dann müsste man erst recht von Anfang an informieren, informieren, informieren. Dann müsste man, wie es in Amerika seit langem Usus ist, Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinden. Dann müsste man absolute Transparenz zeigen.

Damit ist es also auch dann keine Entschuldigung für Juncker und alle, die ihn decken, wenn die 0,01 Prozent Wahrscheinlichkeit tatsächlich zutreffen sollten.

Dann ist er auch in diesem Fall rücktrittreif, weil er jedenfalls der Europäischen Union schweren Schaden zugefügt hat. Weil er der ohnedies in einer schweren Krise steckenden EU zusätzlich massiv Glaubwürdigkeit und Vertrauen gekostet hat. Und zwar gerade bei jenen Menschen, die sich mit so komplizierten Dingen wie Schengen oder Handelskrieg, wie Binnenmarkt oder Frontex nicht auskennen und die daher EU-Themen kaum verfolgen. Die aber ein sehr gutes Gespür dafür haben, wenn sie plump angeschwindelt werden. Und die eine EU zu verachten beginnen, an deren Spitze ein Alkoholiker steht. Selbst wenn es nur einer wäre, der sich ständig wie ein Alkoholiker verhält.

PS: Natürlich wird Juncker bleiben. Ist es doch viel zu kompliziert, ihn abzusetzen. Haben doch fast alle europäischen Regierungschefs selbst so viele Probleme, dass keiner bei einer Absetzung den Vorreiter spielen möchte. Und freiwillig geht Juncker natürlich erst recht nicht. Welcher Machtträger geht schon freiwillig? Wissen sie doch alle um das Loch, in das sie als Person nach einem Rückzug stürzen würden.Und dass das nach einem unehrenhaften oder gar alkoholbedingten Abgang noch viel schlimmer sein wird. Da klammert man sich lieber bis zuletzt an seinen Sessel.

PPS: Dass ausgerechnet dieser Juncker jetzt nach Washington ausgesandt worden ist, um im Zollkrieg eine Lösung herbeizuführen, dient auch nicht gerade dazu, um das Image der EU-Institutionen zu erhöhen.

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