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Viel Aufregung um die neue Mindestsicherung. Aber dennoch könnte man fast sagen: Viel Lärm um nichts. Es ist zwar historisch fast erstmalig, dass eine Regierung den Mut hat, einmal ein Wohlfahrts-Projekt auch zu reduzieren. Bisher hat es ja in alter Kreisky-Manier immer nur ein ständiges Noch-Mehr gegeben, wie wenn das Geld aus der Steckdose käme. Zu diesem Umdenken ist der Regierung zu gratulieren. Freilich: Seinen offiziell verkündeten Hauptzweck kann das Gesetz nicht erfüllen.
Der sollte nämlich in einer deutlichen Reduktion der Anziehungskraft Österreichs für Migranten liegen, die in den letzten Jahren zu Hunderttausenden ins Land gekommen sind. Und von denen viele das Land und seine Lebensqualität nicht gerade zum Besseren verändert haben. Ob sie nun als "Flüchtlinge", als "Illegale" oder als Arbeitsmigranten gekommen sind, die – eigentlich ungeplanterweise – geblieben sind und ihre Familien nachgeholt haben, auch wenn der "Gastarbeiter"-Job längst wegrationalisiert worden ist.
Man denke – um ein konkretes Beispiel für dieses derzeit aus der Aufmerksamkeit verschwundene Problem zu nennen – an die erste Migrationswelle nach Österreich: Das waren in den 70er Jahren Zehntausende türkische Arbeiter, die in die (vor allem Vorarlberger) Textilindustrie gekommen sind. Heute sind die Textilarbeitsplätze längst in genau jene Dritte Welt hin übersiedelt, wo die Migranten hergekommen sind. Denn auch niedrige Kollektivvertragslöhne in Österreich sind viel zu hoch, um auf den Weltmärkten mit Tunesien, der Türkei oder Bangla Desh mithalten zu können. Dennoch hat Vorarlberg heute noch, nach Wien, einen der höchsten Bevölkerungsanteile türkischstämmiger Menschen.
Was damals im Kleinen, in scheinbar bloß regionalen Dimensionen und als bloße Gastarbeiterfrage begonnen hat, ist heute österreichweit zum kaum noch bewältigbaren Problem geworden. Gewiss haben sich viele der Zuwanderer sehr gut integriert. Außer ihren türkischen, arabischen oder russischen Namen erinnert nichts mehr an ihre Herkunft. Sie haben sich aus eigener Anstrengung und in Erkenntnis der persönlichen Vorteile assimiliert. Obwohl die Republik in ihrem Mangel an Erfahrungen mit Zuwanderung und in ihrer sozialistischen oder christlichen Naivität sie im Gegensatz zu den traditionellen Einwanderungsländern nie dazu gezwungen hat.
Aber viele, allzu viele haben sich nicht assimiliert, wie auch immer sie ins Land gekommen sind. Das hat zu vielen dramatisch gewordenen Problemen des heutigen Österreichs geführt. Um nur ein paar schlagwortartig aufzuzählen:
Wer die Verhältnisse in der Dritten Welt kennt, kann nur amüsiert sein, wenn jetzt viele glauben, mit einer teilweisen Reduktion der Mindestsicherung alleine wäre eine Umkehr des Migrationsdrucks erreichbar. So richtig es auch ist, erstmals Druck auf die Migranten auszuüben, besser Deutsch zu lernen; so richtig es auch ist, Menschen von der Wohlfahrts-Hängematte in den Arbeitsmarkt zu bringen.
Was aber hilft sonst? Ein zunehmender Anteil der Österreicher wie auch der Deutschen glaubt, dass gar nichts mehr hilft. Sie sehen als Folge der Fehler der letzten Jahrzehnte fatalistisch eine neue Völkerwanderungszeit aufziehen, an deren Ende nach ein paar blutigen Generationen oder Jahrhunderten völlig neue ethnische, religiöse und kulturelle Identitäten entstehen, die weit unter dem rechtsstaatlich, zivilisatorisch, ökonomischen Niveau der untergegangenen Kultur liegen. Man vergleiche nur das vom Rechtssystem bis zur Kunst hochentwickelte Römische Reich mit den sich dann aus sehr primitiven Wurzeln langsam entwickelnden germanischen, slawischen und sonstigen Gebilden.
Wer nicht so fatalistisch ist, wird hingegen alles tun, um einen solchen Prozess noch abzuwenden. Das wird freilich nicht einfach sein. Was dabei notwendig ist, sei wieder schlagwortartig aufgezählt:
Fehlt in dieser Liste nicht jener Vorschlag, den fast jeder Politiker derzeit parat hat, um nicht einen ganz ratlosen Eindruck zu erwecken? Dieser Vorschlag lautet: massive Entwicklung Afrikas und Asiens durch mehr Entwicklungshilfe, was meist im Schlagwort von einem neuen "Marshallplan" zusammengefasst wird. Hinter diesem Gerede steckt jedoch viel Ahnungslosigkeit oder Verlogenheit.
Gewiss: All diesen Weltregionen ist eine baldige Entwicklung durchaus zu wünschen. Aber es kann erstens überhaupt kein Zweifel bestehen, dass diese zu 90 Prozent von Anstrengungen und Reformen in den Ländern selbst abhängt (Abbau der Korruption, Aufbau eines Rechtsstaates, Verzicht auf radikale politisch oder islamistische Ideologien), dass Europa lediglich durch völlige Öffnung für den Handel – auch den mit Agrarprodukten – dazu beitragen kann. Und zweitens muss vor allem völlig klar sein: Etliche Generationen lang führt Entwicklung in solchen Ländern zu mehr, nicht zu weniger Auswanderung! Weil man dann überhaupt erst die Mittel hat, um Schlepper zu bezahlen, usw.
Besteht diese Liste aber nicht aus völlig utopischen Wünschen? Nun, nicht ganz: Europaweite Wahlergebnisse von Italien bis Ungarn, von Österreich bis (in Bälde) Schweden zeigen, dass die Bürger Parteien und Politik vor sich hertreiben und zunehmend dazu zwingen, sich in diese Richtung zu bewegen. Offen ist freilich, ob das den Bürgern rasch genug gelingen wird.
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.