Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Es wäre heftig übertrieben zu sagen, die SPÖ und ihre Vorfeldorganisationen Gewerkschaft, ORF und Arbeiterkammer hätten erstmals die Füße wieder politisch auf den Boden bekommen. Aber dennoch ist klar festzustellen: Die Frage des Zwölfstundentags zeigt die Regierung und Arbeitgeber-Vertretungen ganz schlecht aufgestellt. Damit bestätigen sich die Warnungen vor Fehlern, die schon am Beginn dieser Regierung erteilt worden sind.
Und die insbesondere auch in diesem Tagebuch mehrfach thematisiert worden sind. Es war und ist ein Fehler,
Dabei geht es neben dem zweifellos zu Recht alles andere weit in den Schatten stellende Themenfeld "Überfremdung plus Islamisierung" immerhin um die zweitgrößte Herausforderung der Politik. In der ersten schwarz-blauen Periode war der Komplex Wirtschafts- und Sozialpolitik sogar die alles andere dominierende Aufgabe, der sich von Wolfgang Schüssel angefangen eine ganze Reihe Regierungsmitglieder in geschlossener Front gestellt hat (zumindest anfangs, bis dann Jörg Haider die Nerven weggeschmissen hat).
In der Regierung Kurz herrscht hingegen breites Desinteresse an diesem Komplex. Dabei steht er eindeutig immer noch an zweiter Stelle der politischen Dringlichkeit – der objektiv zu sehenden Wirklichkeit, nicht der subjektiv von der Regierung empfundenen, wo halt Rauchen und andere Dinge wichtiger sind.
Die SPÖ hat sich nicht nur deswegen, weil es immer schon ihr Thema gewesen war, ganz auf die Sozialpolitik konzentriert, sondern auch deshalb, weil sie ja beim gesamten Bereich Migration/Europa/Islamisierung schon auf Grund ihrer schweren "Welcome-Refugees"-Fehlleistungen der Vergangenheit völlig chancenlos ist. Daher versucht sie verzweifelt davon abzulenken. Das ist taktisch natürlich legitim und ist auch vorhersehbar gewesen – auch wenn die SPÖ damit vorerst gewiss keinen Wähler zurückgewinnen kann. Aber sie braucht so ein Thema halt jetzt einmal, um sich selbst aus der Depression heraus wachzurütteln.
Umso unverständlicher ist, wie unsortiert die Koalition beim ersten – noch dazu von ihr selbst gewählten – Aufpoppen eines Sozialthemas agiert. Die Schuld liegt eindeutig an den handelnden Personen:
Wir sehen: Dort, wo nicht Sebastian Kurz die Linie vorgibt, vorgeben kann – weil auch er eben nicht auf allen Politikfeldern intim daheim sein kann –, bricht sehr leicht ein peinliches Durcheinander los. Das ist zwar noch keine Katastrophe, aber dringend verbesserungswürdig. Chaos kann ja wohl nicht die Vorgabe eines politischen "Message Control" sein. Fußballerisch gesprochen: Auch wenn man in der Offensive noch so gut ist, sollte man nicht auf eine funktionierende Defensive vergessen.
Diese schwache Defensiv-Performance ist umso erstaunlicher, weil es ja nicht ganz überraschend kommt, dass die SPÖ jetzt mit der "Lohnraub"-Legende und der Fiktion anzugreifen versucht, alle Österreicher müssten künftig tagaus, tagein 12 Stunden arbeiten. Noch skurriler ist die Behauptung einer SPÖ-Abgeordneten, dass Österreich dadurch in ganz Europa die "Work-Life-Balance" zerstöre.
Statt dass die Koalition diesen eigentlich schwachen Angriff mit drei oder vier klaren (und vorbereiteten!) Argumenten ins Leere gehen ließe, ist sie schlicht nicht präsent. Das dadurch entstandene Durcheinander bietet SPÖ, ÖGB und ORF erstmals seit langem wieder die Möglichkeit zu einem Gegenangriff.
Sie haben sich dabei jedoch über eine korrekte und harte inhaltliche Auseinandersetzung hinaus dazu entschlossen, die Politik von den gewählten Körperschaften auf die Straße zu tragen. Es ist schlicht undemokratisch und bedenklich, wenn der SPÖ-Klubobmann in vollem Ernst ankündigt, jetzt "mit allen Mitteln" gegen das Arbeitszeitgesetz zu kämpfen. Das schließt ja semantisch auch einen Bürgerkrieg und Bomben ein. Das droht der Beginn einer unheilvollen Entwicklung zu werden. Wer mit solchen Worten spielt, sollte soviel Geschichte kennen, dass er weiß, dass so etwas eine gefährliche Eigendynamik bekommen kann.
Der ORF berichtet natürlich begeistert über die Wiedergeburt der einstigen Donnerstagdemos. Er thematisiert dabei jedoch nicht, dass die SPÖ bei ihren Demos de facto eine Volksfront mit – zahlenmäßig schwachen, aber immer kampfbereiten und lautstarken – kommunistischen Gruppen bildet.
Der abgrundtiefe Hass, der aus immer mehr roten Wortmeldungen dringt, ist zutiefst erschreckend. Der Partei fehlt es noch immer an Einsicht, dass man nun mal in der Opposition gelandet und demokratisch ziemlich entmachtet ist. Worte wie "Konzernkanzler", "Lohnraub", "Arbeiterverräter" und Drohungen wie "Sie sollen sich warm anziehen" erinnern beklemmend ans Vokabular der Zwischenkriegszeit, vom Justizpalastbrand bis zur Februarrevolution.
Der ÖGB hat neben dem Versuch, den SPÖ-Leichnam parteipolitisch wiederzubeleben, noch ein zweites Motiv: Er ist zutiefst besorgt über den Abgang von WKO-Chef Christoph Leitl, der immer schützend seine Hand über Arbeiterkammer&Co gehalten hat. Jetzt aber scheint man in der Wirtschaftskammer langsam doch zu erkennen, dass im 21. Jahrhundert die "Sozialpartnerschaft" ein lähmendes Fossil geworden ist, die jede Veränderung oder gar Dynamisierung unmöglich macht.
Drittes ÖGB-Motiv: Man will unbedingt verhindern, dass man angesichts des seit Jahren anhaltenden Mitgliederschwundes in die Bedeutungslosigkeit versinkt, so wie es den Gewerkschaften schon in vielen westlichen Staaten passiert ist. Deshalb macht man einfach Krawall.
Fast einziger relevanter Inhalt des Arbeitszeitgesetzes nach seiner Zahnlosmachung durch Einfügung der "Freiwilligkeit" ist ein gewisser Bedeutungsverlust für Gewerkschaft und Betriebsrat. Diese verlieren ihre Blockademöglichkeit bei Arbeitszeit-Änderungen, mit denen es manche von ihnen Betrieben unmöglich gemacht haben, flexibel auf einen erhöhten Auftragsanfall zu reagieren.
Ein solcher Bedeutungsverlust ist natürlich für das rote Selbstverständnis schlimm. Denn ÖGB&Co leben ja wirklich in der Überzeugung, es könne in der Sozialpolitik nur in eine Richtung gehen, nämlich in die von immer noch mehr Rechten bei immer weniger Pflichten der Arbeitnehmer und vor allem der Betriebsräte.
Ansonsten bleiben vom Arbeitszeitgesetz nur noch ein paar interpretationsbedürftige juristische Finessen ohne größere Bedeutung, die zum Teil auch auf EU-Richtlinien zurückgehen.
Jenseits aller Fragen, ob man sich nicht in Sozial- und Wirtschaftsthemen personell besser aufstellen muss, haben Schwarz, Blau und Arbeitgebervertreter rund um dieses Gesetz vier große inhaltlich-strategische Fehler begangen, die allerdings nicht irreversibel sind:
Manche typischen Bürgerlichen meinen, dass man um des lieben Friedens willen doch jedenfalls eine formelle Gesetzesbegutachtung machen hätte sollen. Das wäre aber falsch und sinnlos geworden,
PS: Eigentlich müsste man es ja tadeln, dass die Regierung die von der SPÖ verlangte Sonderdebatte über das Arbeitszeitgesetz auf einen Freitagnachmittag setzt – gleichzeitig zu einem Weltmeisterschaftsspiel am letzten Schultag. Aber angesichts der Tatsache, dass die SPÖ die Dinge seit Tagen auf die Straße trägt, Dass sie ausgerechnet zum Zeitpunkt einer österreichischen EU-Präsidentschaft zum aggressiven Klassenkampf ruft, ist das eher als erster kluger Schachzug der Regierung in dieser Frage zu loben.
PPS: Ich habe diesen Text in meiner 13. Arbeitsstunde geschrieben, und fühle mich eigentlich auch nach ein paar Jahrzehnten dieser Arbeitsintensität recht gesund und munter. Aber wahrscheinlich fehlen mir die gewerkschaftlichen Gene des prinzipiellen und ewigen Jammerns und - auf gut Wienerisch - Abizahn …