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Die Überstunden, der Überlebenskampf des ÖGB und die Hasskampagne der SPÖ

Es wäre heftig übertrieben zu sagen, die SPÖ und ihre Vorfeldorganisationen Gewerkschaft, ORF und Arbeiterkammer hätten erstmals die Füße wieder politisch auf den Boden bekommen. Aber dennoch ist klar festzustellen: Die Frage des Zwölfstundentags zeigt die Regierung und Arbeitgeber-Vertretungen ganz schlecht aufgestellt. Damit bestätigen sich die Warnungen vor Fehlern, die schon am Beginn dieser Regierung erteilt worden sind.

Und die insbesondere auch in diesem Tagebuch mehrfach thematisiert worden sind. Es war und ist ein Fehler,

  • dass die ganze Koalition komplett und ausschließlich auf die beiden Chefs zugespitzt ist und niemand sonst ein Thema zu führen legitimiert oder auch imstande ist;
  • dass man rundherum nur Wasserträger ins Rennen geschickt hat;
  • und dass die Regierungsspitze dem Themenfeld Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt, weil eben Sebastian Kurz wie H.C. Strache alles andere als große Experten für die Sozial- und Wirtschaftspolitik sind.

Dabei geht es neben dem zweifellos zu Recht alles andere weit in den Schatten stellende Themenfeld "Überfremdung plus Islamisierung" immerhin um die zweitgrößte Herausforderung der Politik. In der ersten schwarz-blauen Periode war der Komplex Wirtschafts- und Sozialpolitik sogar die alles andere dominierende Aufgabe, der sich von Wolfgang Schüssel angefangen eine ganze Reihe Regierungsmitglieder in geschlossener Front gestellt hat (zumindest anfangs, bis dann Jörg Haider die Nerven weggeschmissen hat).

In der Regierung Kurz herrscht hingegen breites Desinteresse an diesem Komplex. Dabei steht er eindeutig immer noch an zweiter Stelle der politischen Dringlichkeit – der objektiv zu sehenden Wirklichkeit, nicht der subjektiv von der Regierung empfundenen, wo halt Rauchen und andere Dinge wichtiger sind.

Die SPÖ hat sich nicht nur deswegen, weil es immer schon ihr Thema gewesen war, ganz auf die Sozialpolitik konzentriert, sondern auch deshalb, weil sie ja beim gesamten Bereich Migration/Europa/Islamisierung schon auf Grund ihrer schweren "Welcome-Refugees"-Fehlleistungen der Vergangenheit völlig chancenlos ist. Daher versucht sie verzweifelt davon abzulenken. Das ist taktisch natürlich legitim und ist auch vorhersehbar gewesen – auch wenn die SPÖ damit vorerst gewiss keinen Wähler zurückgewinnen kann. Aber sie braucht so ein Thema halt jetzt einmal, um sich selbst aus der Depression heraus wachzurütteln.

Umso unverständlicher ist, wie unsortiert die Koalition beim ersten – noch dazu von ihr selbst gewählten – Aufpoppen eines Sozialthemas agiert. Die Schuld liegt eindeutig an den handelnden Personen:

  • Die Sozial- wie zum Teil auch die Wirtschaftsministerin sind zwar sachlich zuständig, aber politisch so unbegabt und zum Teil desorientiert, dass offensichtlich ihre eigenen Parteiführungen sie schon aus Sicherheitsgründen derzeit von Mikrophonen fernhalten (oder dass sie von selbst aus Angst diesen fernbleiben).
  • Der an deren Stelle ins Feuer geschickte ÖVP-Klubobmann ist genau so schwach, wie vom ersten Tag an zu erwarten war.
  • Das sind aber auch die Chefs der beiden Arbeitgeberverbände, die sich zu einer Diskussion über das Gesetz ins Fernsehen setzen, ohne dessen Details überhaupt zu kennen, und die sich daher dann am nächsten Tag von den eigenen (wirklich guten und sachkundigen!) Kammerexperten korrigieren lassen müssen.
  • Der – freilich nicht wirklich zuständige – Finanzminister schweigt sowieso (und macht statt dessen gerade merkwürdige Aussagen, dass auch Österreich so wie Frau Merkel und Herr Macron ein Eurozonen-Budget für "in Summe positiv" halten würde, obwohl viele Ökonomen davor warnen, dass dies nur ein neues Faulbett für Schuldenmacher-Länder wäre, obwohl die eigentlich ähnlich denkenden Niederlande dieses Projekt schon glatt abgelehnt haben).
  • Der – notwendigerweise – täglich zu einer anderen europäischen Front eilende Bundeskanzler hat lediglich so viel Detailkunde und Zeit, dass er bloß allgemein gehaltene Wohlverhaltens-Mahnungen absetzen kann.
  • Und der Vizekanzler macht aus Rom einen Rückzieher, der überhaupt die ganze Reform zur Makulatur zu machen droht, indem Strache das Machen von Überstunden zu einer bloß freiwilligen Angelegenheit erklärt. Er zeigt damit auch Schwäche, dass er vor Gegendruck sofort einknickt.

Wir sehen: Dort, wo nicht Sebastian Kurz die Linie vorgibt, vorgeben kann – weil auch er eben nicht auf allen Politikfeldern intim daheim sein kann –, bricht sehr leicht ein peinliches Durcheinander los. Das ist zwar noch keine Katastrophe, aber dringend verbesserungswürdig. Chaos kann ja wohl nicht die Vorgabe eines politischen "Message Control" sein. Fußballerisch gesprochen: Auch wenn man in der Offensive noch so gut ist, sollte man nicht auf eine funktionierende Defensive vergessen.

Diese schwache Defensiv-Performance ist umso erstaunlicher, weil es ja nicht ganz überraschend kommt, dass die SPÖ jetzt mit der "Lohnraub"-Legende und der Fiktion anzugreifen versucht, alle Österreicher müssten künftig tagaus, tagein 12 Stunden arbeiten. Noch skurriler ist die Behauptung einer SPÖ-Abgeordneten, dass Österreich dadurch in ganz Europa die "Work-Life-Balance" zerstöre.

Statt dass die Koalition diesen eigentlich schwachen Angriff mit drei oder vier klaren (und vorbereiteten!) Argumenten ins Leere gehen ließe, ist sie schlicht nicht präsent. Das dadurch entstandene Durcheinander bietet SPÖ, ÖGB und ORF erstmals seit langem wieder die Möglichkeit zu einem Gegenangriff.

Sie haben sich dabei jedoch über eine korrekte und harte inhaltliche Auseinandersetzung hinaus dazu entschlossen, die Politik von den gewählten Körperschaften auf die Straße zu tragen. Es ist schlicht undemokratisch und bedenklich, wenn der SPÖ-Klubobmann in vollem Ernst ankündigt, jetzt "mit allen Mitteln" gegen das Arbeitszeitgesetz zu kämpfen. Das schließt ja semantisch auch einen Bürgerkrieg und Bomben ein. Das droht der Beginn einer unheilvollen Entwicklung zu werden. Wer mit solchen Worten spielt, sollte soviel Geschichte kennen, dass er weiß, dass so etwas eine gefährliche Eigendynamik bekommen kann.

Der ORF berichtet natürlich begeistert über die Wiedergeburt der einstigen Donnerstagdemos. Er thematisiert dabei jedoch nicht, dass die SPÖ bei ihren Demos de facto eine Volksfront mit – zahlenmäßig schwachen, aber immer kampfbereiten und lautstarken – kommunistischen Gruppen bildet.

Der abgrundtiefe Hass, der aus immer mehr roten Wortmeldungen dringt, ist zutiefst erschreckend. Der Partei fehlt es noch immer an Einsicht, dass man nun mal in der Opposition gelandet und demokratisch ziemlich entmachtet ist. Worte wie "Konzernkanzler", "Lohnraub", "Arbeiterverräter" und Drohungen wie "Sie sollen sich warm anziehen" erinnern beklemmend ans Vokabular der Zwischenkriegszeit, vom Justizpalastbrand bis zur Februarrevolution.

Der ÖGB hat neben dem Versuch, den SPÖ-Leichnam parteipolitisch wiederzubeleben, noch ein zweites Motiv: Er ist zutiefst besorgt über den Abgang von WKO-Chef Christoph Leitl, der immer schützend seine Hand über Arbeiterkammer&Co gehalten hat. Jetzt aber scheint man in der Wirtschaftskammer langsam doch zu erkennen, dass im 21. Jahrhundert die "Sozialpartnerschaft" ein lähmendes Fossil geworden ist, die jede Veränderung oder gar Dynamisierung unmöglich macht.

Drittes ÖGB-Motiv: Man will unbedingt verhindern, dass man angesichts des seit Jahren anhaltenden Mitgliederschwundes in die Bedeutungslosigkeit versinkt, so wie es den Gewerkschaften schon in vielen westlichen Staaten passiert ist. Deshalb macht man einfach Krawall.

Fast einziger relevanter Inhalt des Arbeitszeitgesetzes nach seiner Zahnlosmachung durch Einfügung der "Freiwilligkeit" ist ein gewisser Bedeutungsverlust für Gewerkschaft und Betriebsrat. Diese verlieren ihre Blockademöglichkeit bei Arbeitszeit-Änderungen, mit denen es manche von ihnen Betrieben unmöglich gemacht haben, flexibel auf einen erhöhten Auftragsanfall zu reagieren.

Ein solcher Bedeutungsverlust ist natürlich für das rote Selbstverständnis schlimm. Denn ÖGB&Co leben ja wirklich in der Überzeugung, es könne in der Sozialpolitik nur in eine Richtung gehen, nämlich in die von immer noch mehr Rechten bei immer weniger Pflichten der Arbeitnehmer und vor allem der Betriebsräte.

Ansonsten bleiben vom Arbeitszeitgesetz nur noch ein paar interpretationsbedürftige juristische Finessen ohne größere Bedeutung, die zum Teil auch auf EU-Richtlinien zurückgehen.

Jenseits aller Fragen, ob man sich nicht in Sozial- und Wirtschaftsthemen personell besser aufstellen muss, haben Schwarz, Blau und Arbeitgebervertreter rund um dieses Gesetz vier große inhaltlich-strategische Fehler begangen, die allerdings nicht irreversibel sind:

  1. Sie haben nicht einmal versucht zu kommunizieren, dass nach zehn Jahren totalen Stillstands dringend ein paar Reformen notwendig sind, um Österreich wettbewerbsfähig zu halten, um die Betriebe und damit Arbeitsplätze im Land zu halten, um das Land überlebensfähig zu machen, wenn der gegenwärtige globale Konjunkturboom in absehbarer Zeit unweigerlich abbrechen wird. Die Herren Kurz und Strache können ja nicht im Ernst glauben, dass dieser Boom ihretwegen ewig weitergehen wird.
  2. Sie haben nicht verstanden, das durchaus große Interesse sehr vieler Arbeitnehmer an drei arbeitsfreien Tagen pro Woche für die Reform zu nutzen und zu thematisieren. Dabei ist völlig klar: Das geht meist nur dann, wenn man an Tagen davor mehr arbeitet.
  3. Sie haben nicht verstanden, es zu nutzen, dass sehr viele Arbeitnehmer genau wissen, wie notwendig bei großem Auftragsanfall das Machen von Überstunden ist, damit es dem eigenen Unternehmen gut geht, damit der eigene Arbeitsplatz gesichert ist.
  4. Wirtschaftskammer und Industrie haben am meisten auf dieses Gesetz gedrängt, aber sie sind bisher nicht imstande gewesen, der Öffentlichkeit konkret aufbereitete Beispiele für die Notwendigkeit zu bieten, sondern nur eine allzu plakative Kampagne im Stile einer Werbeagentur versucht, die sie dann mitten im Fluss zurückziehen mussten.
  5. Sie haben nach innen noch nicht begriffen, dass in ganz Europa Reformen nur noch in Konfrontation mit den Gewerkschaften möglich geworden sind. Von Griechenland bis Frankreich und Schweden mussten selbst linke Regierungen jede einzelne Änderung mühsam den Gewerkschaften im Kampf abzwingen. So sind in Frankreich die Bahnstreiks gegen die Reformen von Präsident Macron jämmerlich zusammengebrochen, ohne dass dieser nachgegeben hätte. Das ist sicher auch in Österreich notwendig, aber dabei ist eben auch notwendig, dass man für diese Auseinandersetzung inhaltlich hochprofessionell aufgestellt ist. Argumentativ, juristisch, personell. Dieser Notwendigkeit sind sich die Herren Kurz und Strache aber wohl selbst noch gar nicht bewusst. Der Umgang mit Gewerkschaften gehört eben in keiner Weise zum bisherigen Erfahrungsschatz der beiden Politiker. Und sie glauben beide, dass Politik nur Wohlfühlpolitik zu sein hat, wo man stets eine breite Mehrheit hinter sich hat.

Manche typischen Bürgerlichen meinen, dass man um des lieben Friedens willen doch jedenfalls eine formelle Gesetzesbegutachtung machen hätte sollen. Das wäre aber falsch und sinnlos geworden,

  • weil es der SPÖ eben um das Kampagnisieren und nicht um ein besseres Arbeitszeitgesetz geht (daher wäre es völlig aussichtslos, eine konstruktive Zustimmung der SPÖ zu erhoffen),
  • weil dann die Hasskampagne von SPÖ und ÖGB ein noch viel breiteres Feld gehabt hätte,
  • weil genau diese Frage der Arbeitszeitneuregelung schon monatelang, wenn auch ohne Ergebnis, zwischen den Sozialpartnern genau diskutiert worden ist,
  • weil selbst der SPÖ-Vorsitzende schon vor eineinhalb Jahren fast genau dasselbe vorgeschlagen hat ("Plan A"): Zwar hat er dies eingebunden in neue teure Sozialleistungen sehen wollen, aber jedenfalls hätte der Kern-Vorschlag genau dieselben schlimmen "gesundheitlichen Konsequenzen" gehabt, die das Gesetz angeblich laut ein paar SPÖ-Ärzten auslöst.

PS: Eigentlich müsste man es ja tadeln, dass die Regierung die von der SPÖ verlangte Sonderdebatte über das Arbeitszeitgesetz auf einen Freitagnachmittag setzt – gleichzeitig zu einem Weltmeisterschaftsspiel am letzten Schultag. Aber angesichts der Tatsache, dass die SPÖ die Dinge seit Tagen auf die Straße trägt, Dass sie ausgerechnet zum Zeitpunkt einer österreichischen EU-Präsidentschaft zum aggressiven Klassenkampf ruft, ist das eher als erster kluger Schachzug der Regierung in dieser Frage zu loben.

PPS: Ich habe diesen Text in meiner 13. Arbeitsstunde geschrieben, und fühle mich eigentlich auch nach ein paar Jahrzehnten dieser Arbeitsintensität recht gesund und munter. Aber wahrscheinlich fehlen mir die gewerkschaftlichen Gene des prinzipiellen und ewigen Jammerns und - auf gut Wienerisch - Abizahn …

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