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Wien ist anders geworden

Die Nebelschwaden von Lob und Hudel für Michael Häupl heben sich, Michael Ludwig sitzt im Wiener Rathaus. Es muss nicht gewählt werden. Und darüber freuen alle sich – nur nicht die Bürger.

Sogar die gut bestochenen Boulevard-Medien haben sich schwergetan, eine lange Liste der Verdienste des Langzeit-Bürgermeisters Häupl zusammenzustellen. Der Verweis auf 24 U-Bahnstationen findet sich da beispielsweise. Eine großartige Bilanz: Pro Bürgermeister-Jahr eine Station. Fulminant. Wären nur die Schulden unter Häupl in ähnlich gemächlichem Tempo gewachsen. Aber darum hat er sich ja nicht auch noch kümmern können. Wie um so vieles andere auch nicht.

Es ähnelt viel einem Scherbenhaufen: Etwa das einstmals funktionierende Gesundheitswesen. Gangbetten für alte Patienten, ein Spitalsneubau, dessen Kosten trotz teurer Energiekreise explodieren, Ambulanzen mit unmenschlichen Wartezeiten. Oder die Schulen, wo statt Bildung die Gewalt blüht. Oder Parallelgesellschaften, die man aus Realitätsverweigerung und Gutmenschentum nicht verhindert, sondern gefördert hat.

Aber in Kinkerlitzchen wie die diversen Probleme der Stadt hat sich Häupl erst gar nicht eingemischt. Da ließ er sein schwaches Team werken, unbehelligt, während er nach dem "Spritzwein" rief.

Und so ist Wien das geworden, was die Häupl-Partie daraus gemacht hat: Eine Stadt mit großen Problemen.

Jetzt also ist Michael Ludwig dran.

Er hat sich gegen den linken SP-Flügel behauptet und gleich so "reaktionäre" Maßnahmen wie das Alkoholverbot am Praterstern verfügt. Das lässt hoffen. Zumindest einige Probleme scheinen ihm bewusst zu sein. Bei der Mindestsicherung für Zuwanderer ist er offen für Veränderung, und gegen die Repräsentanten des linken Flügels in seinem Team hat er angekündigt, sich im Zweifelsfall durchsetzen zu wollen.

Den ererbten grünen Koalitionspartner stößt Ludwig ungeniert vor den Kopf. Das kann er auch, denn die Truppe um die Vizebürgermeisterin und Verkehrsbehinderungs-Stadträtin will nur eines: keine Wahlen. Die Gefahr, auch in Wien alles zu verlieren und aus der Regierung wie aus dem Gemeinderat hinauszufliegen, ist zum Greifen. Also werden die Vassilakou-Mannen sehr untertänig alles tun, was Ludwig will. Einen einfacheren Start in einer Koalitionsregierung kann man sich kaum wünschen.

Freilich sind die Grünen nicht die einzigen in Wien, die Wahlen scheuen, wie der Teufel das Weihwasser. Auch die Wiener ÖVP bringt nichts weiter, da ist weder ein Kurz-Effekt zu spüren, noch irgendeine kreative Stadtpolitik zu erahnen. Die Neos müssen eine neue Spitze ihrer Wiener Partei aufbauen, da Beate Meinl-Reisinger den Bundes-Pinken Matthias Strolz beerben wird, und sind daher auch für ein Auslaufen der Amtszeit Ludwigs dankbar.

Schwieriger als bei den letzten Wahlgängen ist auch die Situation der FPÖ. Auf Bundesebene wird jetzt damit begonnen, die versprochenen Veränderungen umzusetzen. Handeln hat immer noch Stimmen gekostet, besonders, wenn man ein großes Protestpotential in seiner Wählerschaft hat. Natürlich: Ludwig scheint ebenso wie der Burgenländer Niessl keine Berührungsängste mit den Freiheitlichen zu haben. Eine Regierungsbeteiligung ist also auch in Wien im Bereich des Möglichen.

Ludwig selbst braucht auch noch Zeit, bevor er sich dem Wähler stellt: die Versuche, Sebastian Kurz zu kopieren, dem es trotz langer Zeit in der Regierung gelungen ist, sich als "neu" zu verkaufen, sind nicht gerade erfolgsversprechend. Und er muss den linken Flügel, der mit ihm gar nicht glücklich ist, so weit befrieden, dass er sich bei der Wahl darauf verlassen kann, dass die Mobilisierung klappt.

Der Wahlsieg in Wien steht und fällt mit der Disziplin der eigenen Parteigänger. Um die Bewertung der Resultate des Regierens geht es dabei nicht. Was auch nicht gerade Zeichen der demokratischen Reife ist.

P.S. Die Wiener Städtische hat Ludwig ein eigenartiges Einstandsgeschenk gemacht: Auf der nun schon traditionellen sommerlichen Ringturm-Verhüllung zielt ein Mädchen mit Maschinengewehr auf uns und das Feuer des Krieges wütet. Maler Gottfried Helnwein wollte die Wiener der Präsenz von Krieg und Terrorismus aussetzen. Aber wohl fühlen sich auf den Straßen ohnehin immer weniger Menschen angesichts der zahlreichen Messerattacken, Bandenkriege und Drogendealer. Wien ist eben anders geworden.

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