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Selten hat sich vor den Augen der ganzen Welt eine Verschwörungstheorie so atemberaubend schnell verbreitet wie in den letzten Wochen in Italien. Jenseits aller Fakten und Wahrheiten. Ihr Kern: Nicht die Italiener und ihr jahrzehntelanges Schuldenmachen seien an der Krise des Landes schuld, sondern die Deutschen und die Märkte. Das sollte Österreicher an eine fast hundert Jahre zurückliegende Periode der eigenen Geschichte erinnern. Auch noch ein weiterer Aspekt der gegenwärtigen Commedia degli intrighi politici Italiani erinnert an gleich zwei andere – kürzer zurückliegende – Episoden aus Österreich.
Er besteht in der Frage nach der Macht eines Staatspräsidenten im parlamentarischen System. Darf er, soll er etwa vorgeschlagene Minister ablehnen? Rein juristisch ist die Lage da wie dort klar: Er darf. In der politischen Machtanalyse wird man freilich zu ganz anderen Schlüssen kommen: Er soll, er kann das nur so lange, so lange die parlamentarische Mehrheit das auch duldet.
In Österreich hat sie das sowohl im Jahr 2000 wie auch 2017 getan. Beide Male hat ein Bundespräsident im Vorfeld einer Regierungsbildung Bedenken gegen einzelne potenzielle Minister signalisiert. Diese Bedenken wurden von den jeweiligen Koalitionsbastlern auch berücksichtigt – freilich eher hinter den Kulissen, also ohne es auf eine Kraftprobe ankommen zu lassen.
Dramatisch gescheitert ist Bundespräsident Klestil 2000 hingegen mit seinem in Zusammenarbeit mit SPÖ, Kronenzeitung und Raiffeisen schon weit vorangetriebenen Plan, eine schwarz-blaue Regierung komplett zu verhindern. Er hat damals im letzten Moment sein fertig ausgearbeitetes Projekt einer Beamtenregierung wieder fallengelassen. Diese hätte mit Sicherheit keine Parlamentsmehrheit gefunden und daher unvermeidlich zu sofortigen Neuwahlen geführt (übrigens berichten mehrere damalige Schlüsselakteure, dass ein Kommentar von mir mit einer scharfen Warnung Klestil zum Umdenken gebracht hätte; eine direkte Bestätigung dafür habe ich freilich keine, da Klestil mir seit damals hasserfüllt aus dem Weg gegangen ist).
Zurück nach Italien: Auch dort hat jetzt der Präsident ganz ähnlich den Plan einer sogenannten Expertenregierung entwickelt. Und auch dort hat er diesen wieder fallen lassen müssen, weil eine solche Regierung keine parlamentarische Chance gehabt hätte. Zumindest gilt das vorerst – in Italien erfindet sich die Welt der Politik ja täglich neu.
Zumindest vorerst ist der italienische Präsident aber auch mit seinem Plan gescheitert, einen Ministerkandidaten einer fast schon fertigen Populistenkoalition herauszuschießen. Das unterscheidet ihn ganz von Klestil und Van der Bellen – oder vielmehr die italienischen Koalitionbastler von den schwarzblauen in Österreich. Denn die beiden italienischen Parteien sind im Gegensatz zu ihren österreichischen Pendants bisher hart geblieben.
Wie diese commedia weitergehen wird, ist offen. Für Italiens Politiker ist ja die Dauerkrise ohnedies nur eine unendliche Komödie, mit ständig neuen Szenen vom plötzlichen Liebespartnerwechsel bis zu Meuchelmorden und Wiederauferstehungen. Eines ist jedoch jetzt schon klar: Solche Konflikte Präsident vs. parlamentarische Mehrheit sind exemplarisch, weit über Italien und Österreich hinaus. Sie werden viele künftige Geschichtsbücher intensiv beschäftigen.
Deren Analysen werden wohl die Parlamente als letztlich immer wichtiger denn Staatspräsidenten ansehen. Diese sollten daher nur dann auf die Bühne treten, wenn sich keine Parlamentsmehrheit finden lässt. Wie es jetzt etwa in Tschechien der Fall ist oder im Herbst in Deutschland der Fall war. Sonst sollten sich Präsidenten im Interesse der Stabilität eines Landes völlig zurückhalten, auch wenn ihre inhaltlichen Bedenken gegen Absichten der Regierung im Einzelfall berechtigt sein mögen. Ein Vorbild sollte etwa die englische Königin sein, die außer Small talk nur von dem (durch Parlamentsmehrheiten getragenen) Premierminister verfasste Texte von sich gibt. Die aber völlig im Diskreten die Regierungschefs berät.
Jedes andere Verhalten könnte zu lähmenden Machtkämpfen führen, zu einem unproduktiven Wettbewerb der Eitelkeiten. Die Geschichte zeigt überdies: Wenn ein Präsident zu stark wird, dann ist die Gefahr eines letalen Ausganges für Demokratie und Rechtsstaat gefährlich groß. Siehe etwa das Putin-Russland. Selbst in eindeutigen Demokratien wie den USA oder Frankreich wird ein verfassungsmäßig eigentlich sehr starker Präsident dann schwach, wenn die Parlamentsmehrheit gegen ihn ist.
So sehr also in Sachen Ministerliste den beiden potenziellen Koalitionspartnern Italiens Recht zu geben ist, so sehr sind die von ihnen jetzt verbreiteten Verschwörungstheorien nur als absurd zu klassieren. Sie täten viel besser daran, die Verschwendungs- und Schuldenpolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte sowie die Reformunwilligkeit der diversen Links- und Berlusconi-Regierungen oder auch der einstigen Christdemokraten zu geißeln, als die "Märkte" und die Deutschen.
Wenn kluge Menschen die Italiener jetzt vor den Reaktionen der Märkte warnen, dann sind diese Warnungen keine böse antiitalienische Verschwörung, sondern wohlmeinende Hinweise auf geradezu naturgesetzlichen Folgen der angekündigten Politik. Wer aufs Eis tanzen gehen will, sollte sich selber die Folgen zuschreiben, wenn er einbricht. Und nicht dem bösen Eis oder jenen, die vor dem Eis-Ausflug gewarnt haben. Das sollte doch auch ein italienischer Politiker verstehen.
Wenn Europas schwerst verschuldetes Land ankündigt, künftig noch viel mehr Geld ausgeben zu wollen, auf derzeitige Einnahmen zu verzichten, und die bisherigen Sparversprechungen ignorieren zu wollen (und zwar noch mehr, als diese schon bisher ignoriert worden sind), dann schockiert das zwangsläufig alle jene, die diesem Land eventuell noch Geld geben könnten. Dann werden sie Italien entweder überhaupt keinen Kredit mehr geben (was mehr als logisch wäre). Oder sie werden zumindest deutlich höhere Zinsen für das dramatisch erhöhte Risiko verlangen, das verliehene Geld nie wiederzusehen.
So reagiert jede vernünftige Familie, die überlegt, um ein paar Tausend ersparte Euro Staatsanleihen zu kaufen. So reagiert jede Versicherung, die das Geld der Versicherten für spätere Pensionszahlungen anzulegen hat. So werden etwa auch die Nationalbanken Chinas, Japans und Südkoreas reagieren, die ständig nach Investitionsmöglichkeiten suchen. Sie alle sind der "Markt".
Italien sollte, statt in der Außenwelt Schuldige zu suchen, lieber täglich Hochämter für alle Nationalheiligen feiern lassen, weil es die Europäische Zentralbank gibt. Und weil diese ganz "zufällig" von einem Italiener geleitet wird. Und weil diese EZB monatlich(!) satte zweistellige Milliardenbeträge an Anleihen vor allem der maroden Staaten aufkauft, obwohl es ziemlich wahrscheinlich ist, dass die EZB das meiste davon, was sie da fast hemmungslos verteilt, nie wieder sehen wird.
Mit einem Satz: Ohne die ständige EZB-Finanzierung aus der Notendruckerei wäre Italien mit seinen 2,3 Billionen Schulden schon längst pleite. Wohlgemerkt: Billionen, nicht Millionen, nicht Milliarden.
Aber statt dass die Italiener dafür ewig dankbar wären, beschimpfen sie jetzt Europa und insbesondere die Deutschen. Es sind wohlgemerkt "die Italiener" – fast alle –, die das tun. Es sind nicht nur ein paar Politiker, die offenbar nicht bis drei zählen können.
Kein Wunder, dass weltweit die Menschen an den Bankschaltern Gold zu kaufen begonnen haben.
Wer Literatur und die Bibel kennt, weiß freilich, dass das eigentlich eine alte Geschichte ist: Fast nie ist jener der Böse, der über seine Verhältnisse lebt und leichtsinnig Schulden macht, sondern immer nur der, der ihm in der daraufhin eintretenden Not hilft und Geld leiht. Der Grund: Dieser Gläubiger hat die Frechheit, sein Geld irgendwann einmal zurückhaben zu wollen …
Italien will aber diese Billionen nicht zurückgeben, obwohl es mit Sicherheit nicht durch irgendwelche unverschuldeten Schicksalsschläge oder Naturkatastrophen in Not geraten ist.
Freilich: Eines ist den Deutschen – speziell Angela Merkel –, aber auch anderen, etwa österreichischen Euro-Politikern der letzten zehn Jahre sehr wohl und ganz heftig vorzuwerfen: Dass sie es Italien, Griechenland & Co überhaupt erst ermöglicht haben, dauerhaft auf Schulden zu leben. Bei der Gründung des Euro war hingegen das Gegenteil vereinbart gewesen, also dass es ausdrücklich verboten ist, einem anderen Land aus einer Schuldenkrise zu helfen.
Die Merkels Europas haben nicht begriffen, dass ein Verhalten wie das Italiens nur durch ein Ende mit Schrecken beendet werden kann, nicht durch eine Politik der Konflikt- und Schmerzfreiheit. Denn wenn das versucht wird, gewöhnen sich die Schuldner daran, dass man ruhig disziplinlos sein kann, dass es eh immer einen Big Spender gibt.
Und was hat das mit dem Österreich der Zwanziger Jahre zu tun? Nun, Österreich war damals in einer sehr ähnlichen Lage wie Italien heute. Es hat dringend einen großen Kredit des Völkerbundes gebraucht. Es hat diesen aber nur mit sehr strengen Auflagen auch bekommen – ganz im Gegensatz zur Zahnlosigkeit der EZB. Diese damaligen Auflagen bestanden vor allem in einem strengen Völkerbundkommissar, der in Wien residiert und die gesamte Politik mit Vetorecht überwacht hat.
Seine strengen Auflagen haben binnen Kurzem zu einer eindrucksvollen Sanierung geführt. Das war damals freilich nur deshalb möglich, weil Österreich mit Ignaz Seipel einen überaus weisen Politiker hatte, der sehr froh war, im Völkerbundkommissar einen idealen Partner zur Reform des nach dem Krieg kaputten Landes an der Seite zu haben. Diese bis zur Weltwirtschaftskrise anhalten Sanierung hätte keine österreichische Regierung alleine geschafft – nicht nur weil die Sozialisten damals wild gegen die Völkerbundüberwachung opponiert haben.
Es klingt zwar erstaunlich, aber die politische Klasse des heutigen Italiens täte gut daran, sich an Seipel ein Vorbild zu nehmen.