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Chemiewaffen: Was wirklich hilft

Heute nacht haben die drei Westmächte eine Reihe militärischer Ziele in Syrien attackiert. Das geschah in einer überaus erstaunlichen Weise. Das geschah, so sei hinzugefügt, nur zwei Stunden, nachdem ich den in der Folge unverändert wiedergegebenen Text veröffentlicht habe.

Doch zuvor noch eine Anmerkung zum Angriff: Dieser war ganz offensichtlich präzisest mit Russland abgesprochen. Russland war über jedes einzelne Ziel informiert. Kein russischer Soldat war in Gefahr. Russland konnte so auch dafür sorgen, dass die attackierten Objekte vorher geräumt worden sind, sodass es offenbar nur wenige Verletzte gegeben hat. Russland hat nachher zwar den Angriff kritisiert, aber in einer so kontrollierten Weise, dass da vorerst keine Eskaltion zu befürchten ist.

Das ist ein ganz außergewöhnlicher und erfreulicher Beweis, dass das Krisenmanagement zwischen den beiden Supermächten doch trotz aller Rhetorik sensationell funktioniert.

Aber ab jetzt der völlig unveränderte Text, den ich vor dem Bekanntwerden des Angriffs geschrieben habe:

Gift-Anschlag in England, Chemiewaffen-Einsatz in Syrien: Was steckt mit ganz großer Wahrscheinlichkeit hinter all diesen Bösartigkeiten? Wie ist das Verhalten des Westens zu interpretieren? Und was lehrt uns die Geschichte, dass man dagegen tun kann?

Vor wohl sämtlichen unabhängigen Gerichten der Welt hätten in beiden aktuellen Gift-Fällen die gegen Russland beziehungsweise Syrien vorliegenden schweren Indizien zu einer Verurteilung gereicht, auch wenn der Täter nicht mit der "rauchenden Pistole" in der Hand erwischt worden ist. Und im Nachhinein schon gar nicht erwischt werden kann.

Aber die gesamte Motivlage, der schon in der Vergangenheit mehrfach erfolgte Einsatz von chemischen Waffen durch Russland beziehungsweise Syrien, die eindeutig auf Russland hindeutende Herkunft des in England eingesetzten Giftes lassen wenig Zweifel zu. Jedenfalls sind schon viele Menschen bei weit schwächerer Beweislage verurteilt worden.

Diese Überzeugung schließt freilich nicht die Gewissheit ein, dass da jedes Mal der russische Machthaber Putin persönlich den Befehl dazu gegeben hätte. Fast scheint wahrscheinlicher, dass einzelne Offiziere der syrischen Armee aus eigenem Antrieb Gift eingesetzt haben, um die seit vielen Wochen nicht komplett geglückte Vertreibung von Rebellen aus einem Stadtteil von Damaskus endlich abschließen zu können. Und auch im Falle des Anschlags auf Vater und Tochter Skripal ist es recht wahrscheinlich, dass da Teile des russischen Geheimdienstes auf eigene Faust gehandelt haben. Sei es um persönliche Rache zu nehmen, sei es um allen anderen Geheimdienstangehörigen ein Warnsignal zu senden: Die Organisation erwischt euch immer.

Wladimir Putin hat sich freilich dadurch zumindest mitschuldig gemacht, dass er keinerlei erkennbare Aktionen gesetzt hat, um den Spuren dieser beiden Fälle in seinem Einflussbereich zumindest ernsthaft nachzugehen. Er hat vielmehr den ganzen russischen Propagandaapparat sofort eingesetzt, um alles zu leugnen.

Aber genau damit hat er in den Augen eines unbefangenen Beobachters Russland beziehungsweise Syrien neuerlich belastet:

  1. Wenn Russland unschuldig wäre, hätte es nicht sofort wilde Gegenanschuldigungen in die Welt gesetzt, sondern sich gelassen für jede Untersuchung offen gezeigt. "Qui se defend s'accuse" sagt ein kluges französisches Wort.
  2. Russland hat noch dazu mindestens ein halbes Dutzend völlig unterschiedlicher Gegen-Anschuldigungen in die Welt gesetzt. Ganz offensichtlich nach dem Motto: Wenn die letzte Version nur von den allerhärtesten Russland-Fans im Westen geglaubt wird, findet vielleicht die nächste mehr Abnehmer.
  3. Besonders dumm ist, was Russland in seiner jüngsten Version tut. Es hat – sogar ziemlich glaubhaft – nachgewiesen, dass am Tag davor kursierende Fernsehbilder gestellt waren, wo sich Männer mit einem Schlauch angeblich Gift abwaschen.
    Nur: Das waren keine Aufnahmen, die von den westlichen Regierungen als Beweis vorgelegt worden waren. Das war vielmehr die tausendste Wiederholung der immer gleichen, immer abgrundtief verlogenen Vorgangsweise von Fernsehmenschen. Die bei Arabern besonders üblich ist. Wenn die keine Bilder haben, machen sie sich halt welche. Bekannt ist etwa, dass immer wieder – beispielsweise – antiisraelische Demonstranten gezielt vor eine Kamera gestellt werden, um einen Masseneindruck zu fingieren oder um eine echte Demonstration zu "filmen", die man halt versäumt und nicht gefilmt hatte.
    Zurück zu Russland: Es hat gerade in Verbindung mit dieser Aufdeckung einer wohl wirklich stattgefundenen Manipulation eines Fernsehteams einen propagandistischen Fehler begangen. Denn es hat damit zugleich die absurde These wiederholt, dass es gar kein Gift gegeben hätte. Und das ist zweifellos inzwischen eine völlig unhaltbare Behauptung.
    Wäre Russlands Propaganda schlauer, hätte sie den auf den Rückzug befindlichen Islamisten die Schuld zugeschoben, zynisch die eigenen Leute vergiftet zu haben. Aber das Gift einmal für nichtexistent zu erklären und einmal dem an der Damaskus-Front gar nicht vorhandenen Westen zuzuschieben, zeigt nur von Dummheit und Hass.
  4. Es ist noch aus einem weiteren Grund die russische Version geradezu auszuschließen, dass alles vom Westen inszeniert und fingiert worden sei. Auf Grund aller Erfahrungen ist es undenkbar, dass sämtliche großen westlichen Geheimdienste eine so abenteuerliche und für den Westen völlig unübliche Konstruktion unterstützen würden, ohne dass da über irgendwelche Leaks Informationen nach außen gedrungen wären. Man denke nur an den Krieg zwischen Donald Trump und FBI, wo das FBI ständig fast alles nach außen trägt. Und Trump sowieso.
  5. Und der überhaupt stärkste Beweis liegt in der völlig chaotischen Reaktion von Donald Trump: Wäre in Syrien eine amerikanische Inszenierung passiert, hätte Trump viel geordneter, inszenierter reagiert. Dann hätte er nicht in einer ersten voll emotionalen Reaktion massive Raketenangriffe auf Syrien angekündigt, diese Drohung dann aber von Tag zu Tag mehr abgeschwächt. Das hat den eitlen Mann nur maßlos blamiert. Das kann mit absoluter Sicherheit keine Inszenierung gewesen sein.

Diese emotionale Reaktion gibt Trumps Charakter, Seriosität und Temperament freilich zugleich ein ganz schlechtes Zeugnis. Sie lässt seine Eignung für dieses Amt lebhaft bezweifeln. Sie gleicht ganz seinen anfangs ebenfalls sehr militanten Reaktionen auf Nordkoreas Atomraketen-Weiterentwicklung, die inzwischen einer überschäumenden Freundlichkeit gewichen sind. Das zeigt wie problematisch ein Choleriker als Staatsmann ist, auch wenn er sich dann immer rasch einfängt. Es zeigt freilich auch, dass hinter aller problematischen Selbstdarstellung und Impulsivität Trumps in der amerikanischen Administration nach wie vor eine sehr kontrollierte Mannschaft am Werk ist.

Nur ein Gleichgewicht des Schreckens hilft

Noch spannender ist aber die Frage: Was tun gegen Gifteinsatz?

Zuerst ein Blick in die Geschichte: Im 1. Weltkrieg wurde vor allem an der deutsch-französischen Front von beiden Seiten jede Menge Giftgas eingesetzt, mit fürchterlichen Massenfolgen. Im zweiten Weltkrieg gab es hingegen keinerlei solche Angriffe, obwohl da mit Hitler und Stalin die weitaus größten Verbrecher des 20. Jahrhundert am Befehlstelefon saßen.

Warum? Das ist eindeutig beantwortbar. Jede Seite wusste: Wenn sie auch nur einmal Gift einsetzt, tun es die anderen sofort auch. Und dieses Wissen hat in sechs Jahren Weltkrieg jeden Gifteinsatz verhindert.

Das zeigte einen ganz ähnlichen Mechanismus wie bei den Atomwaffen, einer noch schrecklicheren Waffe. Diese wurde von den Amerikanern gegen die atomwaffenlosen Japaner eingesetzt (was den Krieg allerdings sehr rasch und mit weniger Toten als erwartbar beendet hat). In den darauffolgenden 40 Jahren des Kalten Krieges ist es hingegen nie zu ihrem Einsatz gekommenen. Die Atomwaffen haben auch jeden direkten Konflikt zwischen dem Westen und dem Sowjetblock verhindert. Freilich ist es zu zahllosen Stellvertreterkriegen gekommen, etwa in Korea, Vietnam und Afghanistan, wo immer nur jeweils eine der beiden Seiten gegen Verbündete der anderen engagiert war.

Man kann also mit gutem Grund annehmen: Syrien würde kein Giftgas einsetzen, müsste es mit einer ähnlichen Reaktion rechnen. Da es das nicht muss, ist die Hemmschwelle hingegen sehr gering.

Das heißt nun freilich nicht, dass es vernünftig wäre, eine Gegenseite des Assad-Regimes zum Zweck der Abschreckung mit solchen Waffen auszustatten. Denn im Syrienkrieg gibt es außer den Kurden keine für den Westen akzeptable Kampfseite. Und die Kurden stehen nun wirklich weit weg von Damaskus, sind außerdem fast – fast – mit Assad verbündet und zusammen mit den Amerikanern jedenfalls die einzigen, die wirklich gegen den "Islamischen Staat" kämpfen.

Im Grund sollte der Westen genau das tun, was er zumindest vorerst tut: das Drohpotenzial gegen Syriens Assad zwar hochzuhalten, aber bis auf eventuelle Symbolaktionen nichts zu riskieren, was zu gefährlichen Explosionen führen könnte. Er sollte sich wohl auch mit der frustrierenden Erkenntnis abfinden, dass der Westen nicht überall als Weltpolizist fungieren kann, dass in diesem Krieg schon tausendmal mehr – und unschuldigere – Menschen umgekommen sind, als bei dieser syrischen Attacke auf Islamisten. Und noch bitterer: Man wird sich wohl mit Assad abfinden müssen, da die Alternativen noch schlimmer sind.

Eines kann man jedoch daraus lernen, auch wenn es allen Lesebuch-Weisheiten und allen Bemühungen der Diplomatenwelt widerspricht: Die gefährlichsten Waffen können leider nicht durch irgendwelche noch so ausgefeilte internationale Konventionen und Pakte aus der Welt geschafft werden. Sie können vielmehr nur durch ein Gleichgewicht des Schreckens zum Verstummen gebracht werden.

Das hat auch die Ukraine leidvoll lernen müssen, die trotz aller heiligen Versprechungen und Verträge überfallen worden ist, bald nachdem sie die letzten sowjetischen A-Waffen entsorgt hatte.

Daraus versucht Nordkorea zu lernen, das sich nur für sicher hält, wenn es selbst Atomwaffen hat …

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