Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Brauchen wir ein Staatsziel „Wirtschaftsstandort“?

Nein, Österreich braucht keine Staatsziele wie "Wirtschaftsstandort" in der Verfassung. Ja, wir brauchen sie sehr wohl. Ein Widerspruch? Nein, nur scheinbar.

Bei der Schaffung der Verfassung 1920 verzichtete man mit voller Logik auf "Staatsziele", auf irgendwelche philosophische, religiöse, ideologische oder schwülstig-rhetorische Präambeln. Statt dessen hat man nüchtern – "positivistisch" – geregelt, wie Gesetze zustandekommen, welche Kompetenzen jede einzelne Behörde hat, usw. Dieses kluge Gebäude hat perfekt zu den 50 Jahre davor präzise aufgelisteten Grundrechten wie Meinungsfreiheit oder Eigentum gepasst. Beides gilt bis heute. Womit Österreich eine der weltweit ältesten funktionierenden Verfassungen hat.

Die konkreten Inhalte überließ man bewusst dem normalen Gesetzgeber. Die Verfassungsväter haben ja 1920 geahnt, dass sich die inhaltlichen Auffassungen oft ändern werden. Deswegen entschieden sie sich für ein flexibles "ziel-loses" Gerüst, das dem Gesetzgeber freie Hand lässt, das zugleich Verwaltung, Bürger und Gerichte streng an die jeweiligen Gesetze bindet.

Jedoch: Im Laufe der Jahrzehnte ist das Wissen um diese Verfassungs-Philosophie verloren gegangen. Zweidrittelmehrheiten stülpten ebenso wie internationale Verträge gleichsam auf der Überholspur dem gesamten Rechtssystem inhaltliche Werte über. So finden sich nun in UN-Pakten so nette, aber rechtlich absurde Utopien wie das "Recht auf Gesundheit". So beschlossen populistische Zweidrittelmehrheiten hehre "Staatsziele", weil das bei Wahlen in irgendwelchen Ecken nützen sollte. So wurden Umwelt- oder Tierschutz eines Tages "Staatsziele". Die Politik schlug Warnungen in den Wind. Sie hielt solche Vokabel ob ihrer undefinierbaren Allgemeinheit ohnedies nur für bedeutungslose Rhetorik, mit der man irgendwelche Lobbys geschickt abspeisen konnte.

Dies ging so lange gut, bis dann Gerichte sehr wohl diese Staatsziele in ihrer Judikatur berücksichtigten. Prominentestes Beispiel war zuletzt das Verbot des Baus einer dritten Piste des Flughafens, weil sie angeblich umweltwidrig wäre.

Jetzt ist das Schlamassel perfekt. Jetzt bleibt nur noch über, auch den Wirtschaftsstandort zum Staatsziel zu erheben, damit ein Gleichgewicht entsteht und Österreich nicht ganz von Schlaraffenland-Träumern ruiniert werden kann.

Sehr befriedigend ist das alles freilich nicht. Denn mit mindestens dem gleichen Recht wie Tierschutz kann künftig noch für vieles andere die Absicherung als Staatsziel verlangt werden. Etwa für: Schutz der Heimat, Schutz des menschlichen Lebens, internationale Offenheit, hoher Sozialstandard ...

Die Folgen des einstigen Sündenfalls werden immer problematischer: Erstens wird es jeweils von Zufall und Zeitgeist abhängen, ob es eine Zweidrittelmehrheit für ein neues Ziel gibt. Zweitens werden am Ende nicht mehr die Gesetzgeber, sondern die Richter entscheiden, was wichtig ist, welchem Staatsziel sie jeweils den Vorrang geben.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung "Börsen-Kurier" die Kolumne "Unterbergers Wochenschau".

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung