Udo Landbauer: gutes Ende, schlechtes Ende
02. Februar 2018 01:00
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 8:30
Der Rückzug des niederösterreichischen Freiheitlichen Landbauer aus allen Funktionen hat viele gute Seiten, hat viele schlechte Seiten.
Gut und notwendig ist jedenfalls der Rückzug des Mannes schon angesichts der Tatsache, dass sein Verbleib sonst als ein Signal interpretiert werden könnte, dass Antisemitismus und Aufrufe zu Massenmord in Österreich irgendwie Platz hätten.
Denn angesichts der außenpolitischen Sensibilität gilt: Entscheidend ist oft nicht das Sein, sondern der Schein, also der Eindruck, den die Außenwelt von der Affäre bekommen hat. Und der war eben eindeutig so, dass ein Verbleib Landbauers als ein Beweis angekommen wäre, dass Antisemitismus und ein Aufruf zu Massenmord toleriert würden.
Gut und notwendig war der Rücktritt auch deshalb, weil die einzige Verantwortung Landbauers absurd war: dass er – obwohl stellvertretender Vorsitzender dieser Verbindung – die Texte in deren Liederbuch nicht gekannt haben will. Das war und ist total unglaubwürdig.
Gut und notwendig ist jedenfalls auch, dass nun wohl alle Burschenschaften einen ehrlichen Prozess der Gewissenserforschung betreiben und ihre Lieder, Bücher und Reden selbstkritisch durchgehen, sofern sie das nicht schon getan haben.
Besonders gut und positiv ist, dass ich keine einzige Stimme gehört hat, die Antisemitismus oder Neonazismus zu verteidigen versucht hätte.
Zumindest aus freiheitlicher Sicht war ein Rückzug des Mannes überdies auch deshalb notwendig, weil er in der Krise völlig eingeknickt, also politisch überfordert ist.
Dennoch ist an der Entwicklung der letzten Tage vieles auch überaus bedenklich:
- Insbesondere gilt das für die dabei wieder sichtbar gewordenen Doppelstandards. So scheint der oben zitierte Satz über den Unterschied zwischen Schein und Sein in der Justiz nicht zu gelten, obwohl er dort noch viel wichtiger ist. Dort hat ja der Ehemann der Richterin im Buwog-Prozess – selbst ein Richter – mehrfach öffentlich gegen Karl-Heinz Grasser so sehr gehetzt, dass auch auf die Richterin und den Anschein ihrer Objektivität in diesem Prozess dauerhaft ein dunkler Schatten fällt.
- Mehr als seltsam ist auch, dass die Schwärzung des problematischen Liedtextes in den meisten Exemplaren bis heute unklar geblieben ist und die Medien erstaunlich wenig interessiert hat. Dessen Klärung wäre für eine objektive Beurteilung aber sehr wichtig. War das nur ein Schmäh in letzter Stunde der Bedrängnis? Oder war das schon vor vielen Jahren geschehen und damit ein Zeichen, dass man schon damals diesen Text ("Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: Gebt Gas ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million") nicht haben wollte?
- Das dritte Fragezeichen ist ein besonders großes, wenn auch subjektives. Je näher ich alle bekannten Fakten prüfe, umso stärker bekomme ich das Gefühl, dass das Ganze nicht wie behauptet ein Aufruf zum Massenmord ist (die Nationalsozialisten haben ja rund sieben Millionen Juden ermordet), sondern eine üble Geschmacklosigkeit von Gymnasiasten, die in ihrer pubertären Verwirrung, ohne irgendwie zu denken, oft nicht vor Widerwärtigkeiten zurückschrecken, sobald sie diese für Schenkelklopf-lustig halten. Oder sobald sie damit provozieren können. Wer jemals Knaben durch dieses Lebensalter begleiten durfte, kann ein Lied davon singen. Ganz ohne Liederbuch. Ähnliche ungute Geschmacklosigkeiten sind bei der letzten ÖH-Wahl übrigens auch bei internen Chat-Gruppen der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft aufgedeckt worden.
- Besonders sicher bin ich, dass der Aufreger der Nation in Wahrheit wohl nur eine studentische Geschmacklosigkeit ist, seit ich erfahren habe, dass jenes Lied – allerdings ohne die zuvor zitierte Ben-Gurion-Zeile – auch in einem alten Liederbuch des katholischen CV zu finden war. Dort stand als Anmerkung nicht nur dabei, dass das Lied ursprünglich einem Jugendliederbuch der Franziskaner entstammt (die offenbar einst gewusst haben, dass man die Jugend auch mit Frecherem als bloßen Kirchenliedern ansprechen muss). Dort kann man vielmehr auch lesen, dass das Lied ein "parodistischer Text" ist!! Er verspotte "übertriebene Deutschtümelei, insbesondere Nazismus und Rassenlehre". Das rückt die Aufregung freilich in ein ganz neues Licht. Das lässt es auch als wahrscheinlich erscheinen, dass die zu den vielen absurden Zeilen dazugedichtete Strophe ebenfalls im Dickicht aus Parodie, Farce und Provokation entstanden ist. Umso erstaunlicher, dass diese Information in den meisten Medien nicht zu finden war.
- Die Erinnerung an die erwähnten Chats der Aktionsgemeinschaft zeigt: Solche Dinge werden regelmäßig in der Schlussphase eines Wahlkampfs "entdeckt". Man kann daher ziemlich sicher sein, dass sie von linken Gruppen in Giftladen gesammelt werden, um im Wahlkampf verwendet zu werden. Das Widerwärtige daran ist, dass diesen Gruppen die Abstellung des aufgedeckten Antisemitismus offensichtlich völlig wurscht ist, sonst würden sie ihn sofort anzeigen und nicht Monate warten, um das Gefundene dann gezielt als Wahlkampfmunition einzusetzen.
- Ein noch stärkeres Indiz sind die Aktivitäten der SPÖ im letzten Nationalratswahlkampf gewesen. Offenbar hat man damals nicht genug Belastendes in der Giftlade gefunden. Da hat man Belastendes einfach erfunden, um es dann zynisch den Rechtsparteien mit Hilfe der Anonymität des Internets zu unterschieben.
- So wie bei Landbauer die Behauptung unglaubwürdig ist, er hätte nichts von dem Inhalt des Liederbuchs seiner eigenen Verbindung gewusst, genauso unglaubwürdig ist die Ausrede des Christian Kern, er hätte nichts von den Aktivitäten seiner Partei und eines von ihm selbst um viel Geld engagierten Dirty Campaigner gewusst. Daher ist klar: Kerns Rücktritt wäre genauso notwendig wie jener des Herrn Landbauer. Mindestens.
- Aber Kern ist nicht zurückgetreten. Er spielt sich jetzt sogar als Moral- und Sauberkeitsapostel auf und verlangt: "Ein Burschenschafter kann in der SPÖ keinen Platz haben." Interessant. Vielleicht weiß Kern nicht, dass sowohl Michael Häupl wie Viktor Adler (wie übrigens auch Theodor Herzl) als Studenten Mitglieder solcher Burschenschaften waren. Oder werden bei denen pubertäre Verirrungen der Vergangenheit problemlos toleriert, die bei anderen zur Staatskrise hochgespielt werden?
- Besonders grotesk und widerlich sind auch das Verhalten und der heuchlerische Moralismus vieler Medien gewesen. Bei vielen ist eindeutig geworden: Der Hauptantrieb ist der Hass auf die blauschwarze Regierung, die man mit Atombomben angreift, sobald man eine Schwachstelle entdeckt hat. Denn würde es ihnen wirklich um den Kampf gegen Antisemitismus und gegen Aufrufe zur Gewalt gehen, hätten sie genauso intensiv über zwei einschlägig in Verdacht geratene Sozialisten berichtet. Dann hätten sie vor allem mit mindestens der gleichen Intensität und Menge Zeitungsaufmacher, Leitartikel und ZiB-Sendungen gefüllt, als ein paar Wochen davor 700 Menschen auf den Straßen Wiens "Schlachtet die Juden" und "Tod Israel" gebrüllt haben.
- Mindestens ebenso widerlich ist die Polizei, von der keinerlei Aktivität bekannt ist, um die auf öffentlich zugänglichen Videos festgehaltenen Demonstranten auszuforschen. Aber freilich, das waren ja Moslems; da mag man sich nicht die Finger verbrennen, damit man nicht als Ausländerfeind dasteht. Statt dessen hat die Polizei eine Geldstrafe über (bewundernswert mutige) Israel-Freunde verhängt, die den Demonstranten am Straßenrand eine Fahne Israels entgegengehalten haben.
- Die Medien zeigen ebensowenig Interesse, dem auch heute noch – oder vielleicht sogar mehr als zu Zeiten Bruno Kreiskys und Heinz Fischers – virulenten Antisemitismus im europäischen Sozialdemokratismus nachzugehen. Besonders jenen in- und ausländischen Linksblättern, die jetzt über ein altes Liederbuch einer 70-köpfigen Provinzburschenschaft in moralistischen Furor geraten sind, wäre es gut angestanden, sich etwa mit dem letzten Labour-Parteitag auseinanderzusetzen. Diese britische Partei ist nämlich ein wenig wichtiger als ein paar Wiener-Neustädter Schüler. Sie ist unter ihrem jetzigen Chef Corbyn auf eindeutig antisemitischen Kurs gegangen – wohl aus dem zynischen Kalkül heraus, dass es in England ja heute viel mehr Moslems als Juden gibt. Auf jenem Parteitag haben britische Zeitungen Redner über den "verabscheuungswürdigen Staat Israel" herziehen gehört; dort haben Aktivisten ein Flugblatt verteilt, dass Hitler nie die Absicht gehabt hätte, die Juden auszurotten; und eine Labour-Politikerin stellte die Frage, ob es erlaubt sein solle, darüber zu debattieren, ob der Holocaust wirklich stattgefunden hat.
- Die Medien könnten auch in Wien fast täglich entsetzliche Szenen beobachten, wären sie wirklich an der Aufdeckung des Antisemitismus interessiert. Etwa wenn Anhänger des (von der Gemeinde Wien massiv unterstützten) Fußballklubs Rapid auf Austria-Anhänger prallen. Oder wenn arabische Gruppen am Denkmal des straßenwaschenden Juden vor der Albertina vorbeigeführt werden. Mir haben Fremdenführer skandalöse Äußerungen samt Fußtritten gegen den Straßenwäscher berichtet (die sie freilich nicht anzeigen, weil sie ihren Job nicht verlieren wollen).
- Eine hochinteressante Studie der Universität Bielefeld zeigt jenseits aller Einzelbeobachtungen mit wissenschaftlicher Genauigkeit, aus welchen Ecken die größten Bedrohungen der Juden kommen. Juden, die über antisemitische Taten berichteten, wurden – siehe Seite 21 dieser Studie – auch gefragt, von wem die "körperlichen Angriffe ausgegangen sind" (es waren Mehrfachantworten möglich). Die Angriffe kamen laut den Angaben von einer:
christlichen Person/Gruppe zu 13 Prozent;
rechtsextremen Person/Gruppe zu 19 Prozent;
linksextremen Person/Gruppe zu 25 Prozent;
muslimischen Person/Gruppe zu 81 Prozent.
Es ist daher eine widerliche Fake-News-Berichterstattung, wenn man in den meisten Medien immer nur von antisemitischen Vorfällen mit Tätern aus den ersten beiden Gruppen liest, aber fast nie von den viel zahlreicheren letzten beiden Gruppen.
- Rektoren und jene linken und linkskatholischen Uni-Professoren, die sich jetzt maßlos aufpudeln und generell den Ausschluss von ehemaligen Burschenschaftern aus Uni-Räten verlangen, sollten sich noch viel mehr aufpudeln über linksextreme Gruppen im Uni-Getriebe. Denn von Burschenschaftern geht seit Jahren keine Gewalt mehr aus. Jene Professoren könnten auch dafür sorgen, dass endlich auch in Österreich objektive Untersuchungen nicht nur dem rechtsextremen, sondern auch dem linksextremen und islamischen Antisemitismus nachgehen. Sie könnten dies übrigens auch deshalb tun, weil heute unglaublich viel Geld in die österreichischen Unis fließt (seit 2000 ist das Uni-Budget auf 208 Prozent gestiegen, während jenes der Gymnasien in der gleichen Zeit nur auf 161 Prozent und der Verbraucherpreisindex gar nur auf 134 Prozent geklettert ist).
- Die Einsetzung von Historikerkommissionen ist immer gut, wie sie die FPÖ angekündigt hat. Solche Kommissionen täten aber auch den Grünen und der Hochschülerschaft gut, mit all ihren nie aufgearbeiteten oder bereuten Querverbindungen zu Stalinisten, Maoisten, Trotzkisten & Co.
- Last not least findet in der öffentlichen und auch medialen Debatte derzeit eine intellektuell letztklassige Vermischung, ja Gleichsetzung von antisemitisch, neonazistisch, deutschnational, "schlagend" und farbentragend statt. Das ist nicht nur dumm, sondern auch absurd. Denn so sehr neonazistisch und antisemitisch (bei allen politischen Couleurs!!) abzulehnen und politisch völlig unakzeptabel ist, so sind die anderen drei Eigenschaften absolut legal und gesetzeskonform. Ich persönlich identifiziere mich zwar mit keiner von ihnen. Ich respektiere aber voll die freie Meinung jener Menschen,
- die irgendeiner Verbindung, Landsmannschaft oder Sängerschaft angehören (welcher Ideologie immer);
- die sich in atavistischen Männlichkeitsritualen mit Säbeln Gesichtswunden zufügen (was angesichts des weitgehenden Kopfschutzes immer noch akzeptabler ist als jene, die sich auf der Straße prügeln, die sich Eisenteile durch die Zunge jagen und so Infektionen holen, die sich rauchend oder fressend einem frühen Tod nahebringen);
- oder die mit Inbrunst die Zugehörigkeit Österreichs zur deutschen Kulturnation verfechten (obwohl ich selber mich in Budapest, Krakau, Lemberg oder Prag selbst ohne Kenntnis der Ortssprache viel vertrauter fühle als etwa in Bremen; aber ich habe tiefen Respekt insbesondere für die Nationalliberalen des Jahres 1867, die Väter des Staatsgrundgesetzes geworden sind, das bis heute unsere Grund- und Freiheitsrechte schützt).
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