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Die sehr lebendigen Reste des Absolutismus in Europa

Eigentlich habe ich ja geglaubt, dass die Zeiten des Absolutismus in Europa ein paar Jahrhunderte oder zumindest seit dem ersten Weltkrieg vorbei sind. Also die Zeiten, als die Bauern – die große Mehrheit der Menschen – de facto irgendwelchen Grundherrn gehörten. Als ganze Völker das alleinige Privateigentum eines regierenden Fürsten waren. Als sie von diesem wie Manschettenknöpfe an Kinder oder Neffen weitervererbt wurden. Als sich diese Fürsten wie Räuberbanden gegenseitig Länder abkämpften. Als sie in den vielen Erbfolgekriegen und Eroberungsfeldzügen nach Belieben Zehn- oder Hunderttausende ihrer Untertanen in den Tod schickten (lediglich die Habsburger konnten sagen, dass sie ihr Privateigentum mehr erheiratet als erobert hatten).

Eigentlich habe ich ja geglaubt, dass spätestens seit 1945 in Westeuropa und 1989 in Osteuropa Freiheit und Demokratie die zentralen Grundnormen sind.

Welch Irrtum: Gerade in letzter Zeit hat sich gezeigt, dass dem auch heute vielfach noch nicht so ist. Die Formel, das Recht ginge vom Volke aus, gilt nur für die Zentralvölker, aber nicht für regionale Minderheiten. Weiterhin werden so wie einst Regionen und Völker als Privateigentum – halt nicht von Fürsten, sondern von Zentralregierungen gehalten. Deren Herrschaft gründet auch heute noch lediglich auf historischer Gewalt.

Deren Herrschaft hat im Grund noch immer nichts mit Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit zu tun, auch wenn sie schon lange dauert, auch wenn sich diese Herrschaft inzwischen mit irgendwelchen "Verfassungen" tarnt. Diese sind aber den einst als Kriegsbeute eroberten Regionen einfach aufgestülpt worden. Und das ergibt bei den betroffenen Menschen auch nach Generationen ein erniedrigendes Selbstwertgefühl.

Denn es ist Tatsache, dass bis heute nie jemand in freier, geheimer und gleicher Wahl die Katalanen gefragt hat, ob sie überhaupt zu Spanien gehören und von Madrid regiert werden wollen. Niemand hat die Südtiroler gefragt, ob sie von Rom regiert werden wollen. Niemand hat die Flamen gefragt, ob sie zu Belgien gehören wollen. Niemand hat die Menschen der Ostukraine oder Krim in freier Wahl gefragt, zu welchem Staat sie eigentlich gehören wollen. Ähnliches gilt für die Basken, oder außerhalb Europas für die Tibetaner und die Kurden als größte Völker der Erde ohne eigenen Staat.

Gewiss, ein Teil dieser bis heute der Selbstbestimmung beraubten Minderheiten lebt in Europa in Bedingungen, die eine Revolution, einen gewaltsamen Freiheitskampf keinesfalls rechtfertigen würden. So, wie er zweifellos einst bei den Polen und Finnen gerechtfertigt war, die immer wieder gegen die brutale Oberhoheit der russischen Zaren aufbegehrt haben. So wie die ungarische Revolution 1956 und ähnliche Aufstände in Osteuropa gegen die sowjetische Unterjochung legitim waren.

Manche werden nun meinen: So ist es halt. Man solle über Staatsgrenzen nicht einmal nachdenken, wie auch immer sie historisch entstanden sein mögen. Das wäre doch böser Nationalismus und damit die Quelle allen Unheils.

Dazu kann man nur sagen: Welch Quatsch! Das Gegenteil ist wahr. Erst wenn Völker, Nationen, Regionen wirklich frei entscheiden könnten, wie sie regiert werden wollen, zu welchem Staat sie gehören wollen, wäre das die beste Strategie, um die historisch häufigste Ursache von Krieg und Blutvergießen auszuschalten.

Wichtig ist natürlich, dass solche Abstimmungen in Ruhe und geordnet ablaufen müssen, sodass keine Augenblicksentscheidungen möglich sind. Wichtig ist, dass alle Seiten wirklich frei und unbehindert informieren können. Notfalls wäre auch die Beiziehung internationaler Schiedsrichter sinnvoll, wenn zu viel Misstrauen herrscht.

Niemand soll sagen, das sei unrealistisch, das ginge nicht. Es gibt in der jüngeren Geschichte Europas sogar drei vorbildliche Beispiele, wie das Recht auf Sezession umgesetzt worden ist, wie dadurch Konflikte total entschärft worden sind.

  1. Nordirland: Dort hat jahrzehntelang ein blutiger Bürgerkrieg getobt, Tausende Tote gefordert und erbitterten Hass geschürt. Die katholische Minderheit wollte (und will) unbedingt zu Irland gehören, die protestantische Mehrheit wollte (und will) unbedingt bei Großbritannien bleiben. Der gordische Knoten wurde erst durchschlagen, als der britische Premier John Major verbindlich zugesagt hat, London werde respektieren, was immer die Mehrheit der Nordiren will (und nicht die des Gesamtstaates, wie Madrid in Hinblick auf katalonische Sezessionswünsche meint). Fast schlagartig war der Konflikt beendet. Und die Nordiren konzentrieren sich nun im Wetteifern um die künftige Mehrheit auf das Produzieren von Babys. Ein tausende Male sympathischerer Vorgang, als sich gegenseitig niederzuschießen.
  2. Schottland: Noch ein britisches Exempel. Die Schotten durften in einer Abstimmung über eine Loslösung von England entscheiden – und haben sich mehrheitlich für einen Verbleib entschieden. Genau das kann ja auch das Ergebnis freier Selbstbestimmung sein, und wird es auch umso eher sein, je großzügiger diese abläuft! Jetzt sind die Schotten aus eigenem Willen Teil Großbritanniens. Tausendmal besser, als sie würden sich weiterhin als Opfer verlorener Thronkonflikte empfinden (Auch in Katalonien oder Südtirol könnte ja ein solches Ergebnis herauskommen, wenn einmal wirklich frei und geordnet abgestimmt werden könnte).
  3. Die Tschechoslowakei: Die Trennung in Tschechien und die Slowakei kam 1992 extrem fair, geordnet und nach sehr korrekten Verhandlungen zustande, sodass die beiden Staaten heute die engsten Freunde sind. Einziger Minuspunkt: Die Trennung war ohne Volksabstimmung abgelaufen.

Ist einmal das Grundprinzip der Freiheit und Volkssouveränität akzeptiert, hat man einmal verstanden, dass ein Zentralstaat durch Gewährung der Selbstbestimmung nicht entwürdigt oder geschwächt wird, sondern dass er dann sogar noch viel stolzer auf sich sein kann, dann ist der Rest einfach. Dann entpuppen sich alle Gegenargumente als Mumpitz.

  • Wie etwa jenes, dass Kleinstaaterei doch zu vermeiden sei. Warum sollte diese schlimm sein? Die Zwerge Liechtenstein oder Luxemburg oder Singapur zählen heute zu den reichsten Völkern der Welt, wo jeder Bürger mit Freude seinen Pass zeigt. Wichtig ist etwas ganz anderes – auch für große Länder wie Deutschland: freier Handel, internationale Kooperation, im Idealfall ein Binnenmarkt à la EU. Das ist alles perfekt mit nationaler Souveränität vereinbar.
  • Wie etwa jenes, dass man  bei einer Sezession die EU-Mitgliedschaft verlieren würde. Das ist ein reines Formalargument. Die EU und die Mitgliedsländer wären schwachsinnig, würden sie nicht ein selbständiges Katalonien, Flandern, Südtirol, Baskenland mit Freude gleich wieder als neues Mitglied aufnehmen. Und der früher dort herrschende Zentralstaat müsste erst recht jedes Interesse an deren EU-Mitgliedschaft haben, will er sich nicht selbst schädigen.
  • Wie etwa jenes, dass sich vielleicht nicht die ganze Region vom Zentralstaat lösen will. Auch das ist kein Problem. Man denke an den Wechsel des Burgenlands von Ungarn zu Österreich: Damals beschloss man in Ödenburg/Sopron (in einer allerdings fragwürdigen Abstimmung), bei Ungarn zu bleiben. Und ist heute ganz problemlos dort

Dieser Text ist in ähnlicher Form im Magazin für Querdenker "Alles Roger?" erschienen: www.allesroger.at

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