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Ein neuer Krieg beginnt und die Medien sind desinteressiert

In etlichen Medien konnte man in den letzten Tagen wieder einmal ebenso scharfe wie schwachsinnige Attacken auf angebliche Kriegstreiber namens Donald Trump und H.C.Strache lesen. Dabei eskaliert seit Tagen ganz anderswo eine dramatische neue Kriegsgefahr. Aber diese ist bisher fast völlig ignoriert worden. Vielleicht gar, weil man (vorerst) weder Strache noch Kurz noch Trump die Schuld daran geben kann, sondern jemand anderer der Kriegstreiber ist?

Die neue Kriegsgefahr besteht in der massiven türkischen Mobilisierung und beginnenden Attacken gegen die syrischen Kurden, die dort im letzten Jahr dem "Islamischen Staat" ein großes Stück Territorium abgejagt haben. Man muss ernsthaft damit rechnen, dass die türkische Armee in Kürze voll angreifen wird. Die Türkei wird zwar von dort aus gar nicht bedroht, aber Diktator Erdogan fürchtet, dass nach den syrischen auch die türkischen Kurden die Unabhängigkeit verlangen könnten und will gleich abschreckend ein brutales Zeichen der türkischen Stärke setzen.

Diese Sorge Erdogans droht zu einem neuen blutigen Krieg zu führen, der an erbitterter Grausamkeit alle nahöstlichen Konflikte der letzten Jahre möglicherweise übertrifft. Denn die – bisher von den USA unterstützten und nach dem Sieg über den IS selbstbewusst gewordenen – Kurden werden sich gewiss nicht kampflos ergeben. Vor allem weil sie kampferprobt sind, weil sie von den Amerikanern im letzten Jahr als effizienteste Streitmacht gegen den "Islamischen Staat" gut aufgerüstet worden sind und weil die türkische Armee von vielen Fragezeichen umgeben ist.

Aber warum kann diese Kriegsgefahr den meisten Medien kaum entnommen werden? Ein Grund dürfte sein, dass ihnen ideologisch nicht ins Konzept passt, die Türkei zu kritisieren. Denn erstens wird die Türkei schon seit langem von Sebastian Kurz wie H.C.Strache kritisiert – da kann ein ordentlicher Linksjournalist doch nicht auf der gleichen Seite wie diese Schmuddelkinder stehen. Und zweitens will man die Türkei ja als gut und entscheidend dafür darstellen, dass der Flüchtlingsstrom über den Balkan aufgehört hat. Denn sonst müsste man dieses Aufhören ja der von Kurz orchestrierten Sperre der Balkan-Route zugute schreiben. Und das wäre wirklich das Letzte, was linksliberale Mainstream-Medien tun wollen (daher ignorieren sie in ihrer schlichten Denkweise lieber, dass sie damit die Schuld der Türkei am Millionenstrom des Jahres 2015 zugeben: Denn wenn Ankara 2016 imstande war, nach Erhalt von Geld aus Deutschland den Strom einfach zu stoppen, hätte es das ja auch vorher tun können, hat also bewusst die Massen nach Europa gelenkt!).

Zurück in die Gegenwart: Ein türkischer Angriff gegen die syrischen Kurden wäre eindeutig das Aggressivste, was ein europäisches Land – das die Türkei ja geographisch ein wenig ist – in den letzten Jahrzehnten verschuldet hat. Es übertrifft sogar die russischen Militäraktionen in der Ukraine, in Georgien oder Moldawien, da diese weniger Blut gekostet haben, als ein türkisch-kurdischer Krieg wohl kosten wird.

Daher müsste jetzt die türkische Mobilisierung gegen die Kurden eigentlich von allen Seiten verurteilt werden. Aber die Weltpolitik schaut lieber weg. Aus vielerlei Gründen:

  1. Zwischen Russland und der Türkei – seit Jahrhunderten eigentlich Erbfeinde – ist in den letzten Monaten ein erstaunliches Tauwetter ausgebrochen. Die beiden Staaten haben die vielen Kondflikte der Vergangenheit hinter sich gebracht (für Russland haben die türkischen Meerengen die einstige Bedeutung verloren; es gibt keine Grenzprobleme um Einflusssphären am Balkan mehr; die Türkei hat ihren Kampf gegen den syrischen Diktator Assad aufgegeben; und sie ist heute trotz der russischen Krim-Invasion am Schicksal der eigentlich mit ihnen verwandten Krimtataren desinteressiert, wofür die Russen dankbar sind, die sich noch an den einstigen Krimkrieg erinnern). Beiden Ländern sind viele andere Interessen wichtiger.
  2. Die USA und andere westliche Länder hüten sich gleichzeitig weiterhin, allzu kritisch mit der Türkei zu sein, ist diese doch Nato-Mitglied – auch wenn diese Mitgliedschaft einst nur wegen des türkischen Antagonismus zu Russland entstanden war.
  3. Trump hat kein strategisches Interesse, sich allzu sehr in einem weiteren Konflikt zu engagieren – nicht einmal verbal (mehr hat er eh nirgendwo getan). Er hat schon genug am Hals, und er hat intellektuell oder emotional die Kurdenfrage wohl noch gar nicht verstanden.
  4. Griechenland, ein anderer Erbfeind der Türkei, hat freundliche Töne aus der Türkei gehört, über die es sich angesichts der eigenen Problemlage innig freut.
  5. Auch viele andere europäische Länder sind ganz begeistert, dass die Türkei seit Wochen plötzlich extrem freundlich über und zu Europa spricht, dass Ankara einige vage Versprechungen zu den vielen politischen Gefangenen macht und neuerdings ganz auf die aggressiven Drohungen des Vorjahres verzichtet. Die EU-Europäer übersehen ganz, dass das nette Worte ohne echte inhaltliche Konzessionen sind (ganz ähnlich wie es übrigens auch Nordkorea mit Erfolg macht!). Dabei deutet alles darauf hin, dass die Türkei gegenüber Europa den Rücken freihaben will, damit sie sich ganz den Kurden "zu"wenden kann. Aber das begreift Europa nicht.
  6. Etliche EU-Länder wie Spanien (siehe Katalonien und Basken), Italien (Südtirol), Rumänien (Siebenbürgen) oder die Slowakei (siehe die ungarisch besiedelten Landesteile entlang der Donau) stehen emotional ganz auf der Seite der Türkei, weil sie panische Angst davor haben, dass andere Regionen und Volksgruppen nach Unabhängigkeit und Sezession rufen könnten.
  7. Die einzige politische Bewegung, die sich immer für die Kurden engagiert hat (fast jede politische Bewegung hat ja auch Verdienste), nämlich die Grünen, befinden sich europaweit heute zwischen Scheintod und Verwesung.
  8. Der gravierendste Grund, warum sich auch sonst niemand sonderlich zugunsten der von der türkischen Armee bedrohten Kurden äußert: Man hat fast nirgends eine klare Meinung zur Grundfrage, ob die Kurden das Recht auf nationale Unabhängigkeit haben oder ob sie die Oberherrschaft fremder Völker hinnehmen müssen.

Da prügelt man lieber Trump wegen seiner Tweets zu Korea – als ob er schuld sei, dass der dortige Diktator seit Jahr und Tag Atomwaffen und Interkontinentalraketen bauen lässt. Und hierzulande beschimpft man lieber – schon aus alter Gewohnheit, weil man die FPÖ immer beschimpfen muss, – Strache als Kriegstreiber. Der Grund: Strache hat sich für den Anspruch der bosnischen Serben auf Selbstbestimmung ausgesprochen.  Was in Wahrheit ein durchaus überlegenswerter und eher friedensfördernder Gedanke ist, dass der aus drei Teilen bestehende Staat Bosnien in Wahrheit nicht lebensfähig ist.

Wer diesen Anspruch bezweifelt, sollte an den Alois Mock der 80er und 90er Jahre zurückdenken. Dieser hat damals wider alle Anfeindungen als erster relevanter europäischer Politiker – aber von einem eisenfesten moralischen Fundament aus – gesagt: Ja, die Slowenen und die Kroaten haben das Recht auf Sezession aus Jugoslawien heraus, auf Freiheit und Unabhängigkeit.

Diese Völker haben dies so wie heute Kurden und Srpska eindeutig gewollt. Sie haben ein klares Siedlungsgebiet. Sie haben nie in der Geschichte einen Willen nach staatlicher Einheit mit Serben, Bosniern oder Montenegrinern etwa durch ein Referendum bestätigt.

Heute sind wir uns alle einig: Trotz mancher verbliebener Probleme ist es eindeutig gut, ethisch, natur- wie menschenrechtlich in Ordnung, dass Slowenen und Kroaten einen eigenen Staat haben.

Und es ist schlicht Verdrängung oder verlogene Heuchelei, wenn nun manche sagen (besonders die immer im Status quo verharrenden Diplomaten tun das gerne): Slowenien und Kroatien sei doch etwas ganz anderes gewesen als heute die Republika Srpska oder die Kurden. Diese Behauptung ist aber falsch. Alles Wesentliche ist gleich. Denn:

  1. Es ist geradezu lächerlich, dass die die Status-Quo-Anhänger mit der kommunistischen, von Tito dekretierten Verfassung argumentieren. Sie sagen, Slowenien und Kroatien wären damals jugoslawische Republiken gewesen, während die heutige Republika Srpska damals bloß ein Teil Bosnien-Herzegowinas gewesen sei. Das ist Mumpitz: Eine ethische oder menschenrechtliche Beurteilung kann doch nicht von einem durch einen Diktator dekretierten Verfassungspapier abhängig sein!
  2. Auch die Ablehnung einer Unabhängigkeit der syrischen Kurden oder der bosnischen Serben durch Syrien beziehungsweise Bosnien bedeutet keinen relevanten Unterschied. War doch auch das einstige von Serben beherrschte Jugoslawien striktest gegen die Sezession der Slowenen oder Kroaten gewesen (und hatte damals dabei übrigens die Unterstützung aller Linken dieser Welt, einschließlich die eines Bundeskanzlers Franz Vranitzky).
  3. Ebenso wenig können die auf die Sezession folgenden jugoslawischen Unabhängigkeitskriege als Argument herangezogen werden, dass solche Regionen keinen grundsätzlichen moralischen Anspruch auf Unabhängigkeit hätten. Im Gegenteil: Erst wenn die Welt diesen Anspruch verneint, wird jenen Regionen und Völkern vermittelt, dass sie ihre Ziele nur kriegerisch erreichen können. Es wäre geradezu Pflicht einer Friedenspolitik, sich klar und deutlich zur Selbstbestimmung zu bekennen. Dauerhafter Friede kann nicht von durch irgendwelche historischen Zufälligkeiten gezogenen Grenzlinien abhängig sein.
  4. Und ganz besonders mies wäre es, wenn hinter dem Nein mancher Österreicher zum Selbstbestimmungsrecht der Kurden und bosnischen Serben ein historisches Freund-Feind-Denken stecken sollte, das nicht darüber nachdenkt, was richtig, was gerecht wäre. Das vielmehr meint: Weil Slowenen, Kroaten und Türken im ersten Weltkrieg an der Seite Österreichs gestanden sind, müsste man jetzt umgekehrt ungeprüft immer an ihrer Seite stehen; und deshalb seien die Serben immer die Bösen.

Ein solches Denken würde sogar die Wahrscheinlichkeit künftiger Kriege erhöhen. Gerade wer damals gesagt hat "Die Serben haben kein Recht, die Kroaten oder Slowenen zu beherrschen", der kann sich heute nur dann in den Spiegel schauen, wenn er genauso sagt: "Die Bosniaken (=die muslimischen Bewohner Bosniens) haben kein Recht, die serbische Minderheit in deren heutigen Siedlungsgebieten zu beherrschen. Die Kosovo-Albaner haben kein Recht, die kleinen, aber geschlossenen serbischen Gebiete im Norden zu beherrschen. Syrien oder die Türkei haben kein moralisches Recht, den eindeutigen Unabhängigkeitswillen der Kurden zu ignorieren."

Aber all diese Fragen und Aspekte werden von der Weltpolitik ignoriert. Deswegen wird Bosnien noch lange keine gute Entwicklung haben. Deswegen wird es wohl bald in Kurdistan zu einem neuen schlimmen Krieg kommen.

Denn das Motto der Weltpolitik ist ja: Wegschauen, solange es geht.

PS: Auch die eindeutigen Kriegsverbrechen, die die Serben einst begangen haben, ändern nichts an der grundlegenden Rechtsfrage (ganz abgesehen davon, dass Kriegsverbrechen auch von anderen begangen worden sind).

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