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Das Gleichheitsdogma

Alle Menschen sind gleich. Dieser Satz klingt in unseren Ohren völlig selbstverständlich. Er steht in vielen internationalen Konventionen und Deklarationen. Er ist geradezu zum Dogma geworden. Jedoch: Er ist in dieser Formulierung falsch, zumindest total missverständlich. Die weitverbreitete Verwirrung über die "Gleichheit" ist aber nicht nur ein intellektuelles Problem; sie hat vielmehr auch katastrophale Auswirkungen auf die Zukunft der europäischen Gesellschaft.

Sehen wir einmal davon ab, dass der Satz von der Gleichheit aller Menschen keineswegs weltweit Dogma ist. Große Kulturkreise machen ja beispielsweise einen Unterschied zwischen den Menschen, ihrem Wert, ihrer Rechtsstellung, je nachdem, ob es um "Gläubige" oder "Ungläubige" geht. Andere Kulturkreise haben Menschen rechtlich völlig unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob jemand aus der "Arbeiter- und Bauernklasse", aus der Nomenklatura oder aus dem Bürgertum kommt. Auch im europäisch-amerikanischen Kulturkreis ist von Gleichheit aller Menschen lange keine Rede gewesen. Siehe etwa Sklaverei und Leibeigenschaft; siehe etwa die aus der Abstammung abgeleiteten feudalen Privilegien; siehe etwa das Wahlrecht, das fast nirgendwo vor dem 20. Jahrhundert ein "gleiches" gewesen ist.

Zwar postuliert das Christentum schon seit 2000 Jahren die Gleichheit aller Menschen. Aber es hatte bis zur Aufklärung gebraucht, die sich erst im 20. Jahrhundert wirklich durchgesetzt hat, damit die Gleichheit wirklich zum gesellschaftspolitischen Grundprinzip geworden ist.

Inzwischen ist jedoch eine fatale Dogmatisierung der Gleichheit passiert: Das Pendel hat total in die andere Richtung ausgeschlagen. Vor allem die Sozialdemokraten (die sich neuerdings lieber als Linksliberale bezeichnen) interpretierten das Gleichheitsdogma so überschießend, dass die Folgen kaum weniger negativ sind als bei den einstigen Systemen totalitärer oder feudaler Ungleichheit.

Denn die Dogmatisierung hat aus dem christlich-aufklärerischen Postulat der gleichen Würde, des gleichen Werts aller Menschen, aus der daraus resultierenden Forderung nach Chancengleichheit die Behauptung einer Ergebnisgleichheit gemacht, beziehungsweise das Verlangen, diese in jedem Fall herzustellen. Sobald irgendwelche Fakten eine Ungleichheit zeigen, will der (in vielen Parteien vorherrschende) Sozialdemokratismus die Menschen wie in einem Prokrustesbett trotz ihrer Unterschiedlichkeit notfalls mit Zwang gleichmachen. Er behauptet dabei zynisch, das wäre "Gerechtigkeit" oder "Fairness".

Der Skandal von Gesellschaften voll unüberwindbarer Klassen- oder Standesunterschiede, voll angeborener Privilegien, in deren übelster Ausformung die Menschen sogar zu Sachen (Sklaven) degradiert worden sind, ist in die gegenteilige Absurdität umgeschlagen: in eine Gesellschaft, die jede Unterscheidung als "Diskriminierung" (was ja nur das Fremdwort für "Unterscheidung" ist) zum Megaverbrechen erhebt.

Überall dort, wo man sah, dass die Ergebnisse nicht gleich sind, wurden die Unterschiede zwischen den Menschen entweder geleugnet oder bekämpft und verdammt. Um nur einige Auswirkungen des Gleichheitsdogmas zu nennen:

  • Im Bildungssystem wurden und werden Schulnoten, Aufnahmsprüfungen, Leistungsanforderungen und jede Differenzierung zwischen den einzelnen Schulen bekämpft.
  • In sämtlichen Schulklassen soll die Inklusion gelten, also selbst Schwerstbehinderte sollen zusammen mit begabten Kindern unterrichtet werden.
  • Auch aggressive und gefährliche psychisch Kranke sollen nicht "weggesperrt" werden.
  • Bei Bestellung von Universitätsprofessoren entscheidet nicht mehr primär die wissenschaftliche Qualität, sondern die Geschlechtergleichheit.
  • Im Sexualkundeunterricht wird auch kleinen Kindern immer öfter eine angeblich völlige Gleichwertigkeit jeder Art von sexuellen Betätigungen beigebracht.
  • Gleichheitsdogmatiker bekämpfen sogar die Möglichkeit, am immer mehr versagenden staatlichen Gesundheitssystem vorbei zu ärztlichen Leistungen zu kommen.
  • In Steuerdiskussionen taucht zunehmend wieder wie im Schweden der 70er und 80er Jahre die Idee auf (die dort in den 90er Jahren zum Kollaps geführt hatte), durch konfiskatorische Steuererhöhungen alle Unterschiede im Realeinkommen und individuellem Besitz auszumerzen.
  • Und im Strafrecht taucht immer wieder der Slogan von einer gefängnislosen Gesellschaft auf.

"Selbstverständlich" verlangt diese Ideologie auch, dass bei Migration und Asyl keine Unterschiede mehr gemacht werden sollen. Als Folge ist bei Asylverfahren immer weniger unterschieden worden, ob jemand aus unmittelbarer persönlicher Verfolgung aus einem Nachbarland flüchtet (was einst laut Flüchtlingskonvention die Voraussetzung für Asylgewährung gewesen ist), oder ob er vor seinem Antrag Dutzende andere sichere Länder durchquert hat, also Asylshopping betreibt.

 Das Gleichheitsdogma lehnt auch jede Unterscheidung ab, ob jemand fundamentalistisch an eine Religion glaubt, in deren heiligem Buch zahlreiche Aufrufe zu Mord und Unterdrückung Andersgläubiger stehen und deren Angehörige für 90 Prozent aller Terrormorde der letzten Jahrzehnte verantwortlich sind.

Ja, das Gleichheitsdogma verlangt sogar eine strenge Bestrafung all jener, die diese Unterschiede sehen und Konsequenzen daraus empfehlen.

Haargenau der gleiche Unsinn der dogmatischen und realitätsfremden Gleichung Jeder-Mensch-ist-gleich-jedem-anderen-Menschen ist im Arbeitsmarkt zu finden. Das beginnt bei der Forderung nach Geschlechterquoten für Aufsichtsräte. Diese Forderung ist nicht nur eine weitere massive regulatorische Einschränkung einer ohnedies durch massive Überregulierung fast strangulierten Wirtschaft. Diese Forderung ignoriert auch, dass es in vielen Bereichen gar nicht genügend qualifizierte Frauen gibt, die sich für die herausfordernde Aufgabe eines Aufsichtsrats interessieren, dass also die Quote eine massive Schlechterstellung der vielen dafür in Frage kommenden Männer bedeutet.

Zugleich bedeutet die Realisierung von Zwangsquoten für Geschlechter auch einen dramatischen Dammbruch gegenüber sämtlichen anderen Quotenforderungen. Ob sie nun zugunsten von Moslems, Analphabeten, Legasthenikern, sexuellen Gruppen, Sektenangehörigen, Alten oder Jungen (usw.) erhoben werden. Wer einmal Quote sagt, muss immer Quote sagen. Nur dann ist das Gleichheitsdogma befolgt.

Dieser Text ist in ähnlicher Form auf Englisch in der Zeitschrift "Aspen Review Central Europe" erschienen.

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