Ein erstaunlich brauchbares Schulkapitel
29. November 2017 02:34
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 5:00
Schwarz und Blau haben nun erstmals etwas zusammengebracht. Das für den Koalitionspakt ausgearbeitete Bildungskapitel kann sich sehen lassen, auch wenn manches seltsam unklar formuliert ist und alles noch der genauen Ausformulierung in Gesetzen bedarf.
Nicht ernstzunehmen sind die Reaktionen der SPÖ, die ja total widersprüchlich sind. Dort behauptet die bisherige Bildungsministerin einerseits, das Paket sei "inhaltsleer", und ganz ähnlich Parteichef Kern, Schwarz-Blau hätten überhaupt keine eigene Idee. Dort schreien aber andererseits die Wiener Genossen so empört auf, dass man erwarten kann, dass sie aktive Sabotage betreiben werden.
Am köstlichsten ist der Wiener Linksstadtrat Csernohorszky, der verlangt, man solle doch die Lehrer fragen, ob sie für die Rückkehr der Ziffernnoten seien. Das ist wirklich grotesk, haben doch gerade die Sozialisten in den letzten zehn Jahren wirklich alle Schulverschlechterungsreformen gegen den erklärten Willen der Lehrer durchgedrückt, und auch gegen den von Eltern und Schülervertretern.
Gewiss, vor einem endgültigen Urteil sollte man auf die genauen Gesetze warten. Aber die Absichtserklärungen sind überwiegend gut und wichtig. Vor allem, weil erstmals seit langem – seit Jahrzehnten! – ganz klar die Tendenz erkennbar ist, es gehe um Leistung und Ergebnisse und nicht darum, Schule immer noch leichter zu machen, das Niveau immer noch mehr zu senken, damit nur ja niemand "zurückbleibt". Die auffallendsten positiven Eckpunkte:
- Die Schuldirektoren erhalten die Kompetenz, sich von schlechten Lehrern zu trennen. Das ist sensationell und dient vor allem den Schülern, freilich nicht der Gewerkschaft.
- Statt neun Schuljahre einfach abzusitzen, müssen auch bloße Pflichtschüler Minimalziele im Lesen, Schreiben und Rechnen erfüllen, bevor die Schulpflicht als erfüllt gilt. Also: Nicht mehr die Jahre sind die Pflicht, sondern die Erreichung eines inhaltlichen Bildungsziels. Das ist super, auch wenn die genaue Definition noch viel Schweiß kosten wird. Denn endlich wird die Schule auf ihren wahren Zweck zurückgeführt. Und man kann sich gerade bei desinteressierten Schülern einen Motivationsschub erwarten, wollen doch die meisten normalerweise nicht ewig in der Schule hängenbleiben.
- Eltern, die überhaupt nicht mit der Schule kooperieren, müssen mit finanziellen Konsequenzen rechnen. Auch das wird bei vielen der bildungsfernen Familien ein deutlich erhöhtes Interesse auslösen, von denen sich ja viele bisher oft überhaupt nicht um die Schule gekümmert haben.
- Kinder im Kindergartenalter werden auf ihren Sprachstand getestet und müssen, wenn dieser nicht ausreichend ist, jedenfalls zwei Kindergarten- beziehungsweise Vorschuljahre absolvieren.
- Schüler, die nicht ausreichend Deutsch sprechen – das sind österreichweit 40.000! –, müssen vor dem Wechsel in den regulären Unterricht in eigene Deutschklassen gehen. Sollte das wirklich konsequent umgesetzt werden, werden gleich mehrere Ziele erreicht:
- Diesen Schülern wird viel intensiver als derzeit die primäre Aufgabe klargemacht: die Sprache. Ohne die geht gar nichts.
- In solchen Sprachklassen, wo es ein oder zwei Jahre um nichts anderes geht als eben um Sprache, kann diese viel intensiver als derzeit in ein paar Förderstunden vermittelt werden.
- Die Bedrohung, dass Kinder zuerst in eine Deutschklasse gehen müssen, wird wohl auch in den türkischen Familien registriert werden. Dort hören ja derzeit viele Kinder auch in der dritten Migranten-Generation vor Schule und Kindergarten fast nie ein deutsches Wort. Diesen Familien wird damit viel deutlicher als heute klargemacht, worauf es primär ankommt, wenn sie ihre Kinder lieben. Und das tun sie durchaus – nur hat ihnen das bisherige Schulsystem das eben nie klar genug vermittelt.
- Lehrer können sich im Unterricht in den Normalklassen wieder auf die eigentlichen Inhalte konzentrieren (was bei bildungsfernen Schülermassen aus der Dritten Welt auch ohne Sprachprobleme schwer genug ist).
- Es gibt viel weniger Kinder, die teilnahmslos – oder dann sehr oft störend – in der Klasse sitzen, weil sie ja gar nicht voll mitkriegen, was da vor sich geht.
- Die bildungsambitionierten Schüler werden nicht mehr durch die ununterbrochen im Unterricht auftretenden Sprachprobleme gebremst, sie werden also viel erfolgreicher beim Erreichen der Bildungsziele sein.
- Das linke Argument ist schlicht dumm, dass die Kinder dadurch an der Integration gehindert werden: Denn in Wahrheit ist Integration erst dann überhaupt möglich, wenn es eine brauchbare sprachliche Grundlage gibt.
- Besonders sensationell: Schulen sollen sich ihre Schüler verstärkt selbst aussuchen können. Dieser vielleicht wichtigste Schritt zur Autonomie wird allerdings durch seltsam verwaschene Formulierungen möglicherweise wieder stark relativiert: Damit seien keine Aufnahmsprüfungen gemeint (obwohl die eigentlich das Objektivste wären!). Es gehe vielmehr um eine "temporäre Möglichkeit von Eingangsverfahren". Wie bitte? Was soll denn diese Schwampfformulierung heißen? Vielleicht sollten auch Autoren von Regierungsprogrammen Deutsch lernen – dazu gehört nämlich auch die Fähigkeit, klar und verständlich zu formulieren. Das klingt nach einem typisch politischen Formelkompromiss ohne echten Konsens.
- In den Volksschulen kehren die Ziffernnoten zurück – wobei jeder Lehrer weiter verbale Beurteilungen abgeben kann. Kinder und Eltern wollen mehrheitlich eine solche Vergleichbarkeit des Schulerfolgs.
- Wer sich von Religion abmeldet, muss an einem Ethikunterricht teilnehmen (kann also nicht mehr ins Kaffeehaus gehen).
- Wenn es ernst gemeint ist, dann wird auch das angekündigte Ausmisten von Erlässen und ähnlichem Juristenkram unglaublich viel Erleichterung und Effizienzerhöhung bringen.
Was fehlt?
- Eine klarere Trennung zwischen dem, wofür die Länder verantwortlich sind, und dem, was der Bund tut.
- De Herstellung einer Querverbindung zwischen den Finanzmitteln, die eine Schule bekommt, und ihren Ergebnissen, wozu einerseits echte Spitzenleistungen, andererseits aber auch das erfolgreiche Voranbringen benachteiligter Schüler gehören können.
- Eine intensivere Befassung mit dem islamischen Religionsunterricht, damit dort nichts Grundrechts- und Verfassungsfeindliches gelehrt werden darf.
- Den auf Linkskurs segelnden Landeshauptleuten in Tirol und Vorarlberg wurde nicht die Möglichkeit genommen, Gesamtschulregionen einzuführen (was allerdings eher eine theoretische Möglichkeit sein dürfte).
Aber trotz aller kritischen Anmerkungen und trotz eines eher suboptimalen Teilnehmerkreises der Gespräche ist das vorgelegte Paket in Summe deutlich mehr, als man sich erwarten konnte.
Jetzt darf man geradezu gespannt sein, was Schwarz und Blau zur Verbesserung der schlimmen Situation an den Unis einfällt. Immerhin haben da die sonst nicht sehr produktiven Rektoren schon ein paar brauchbare Ideen vorgelegt, die man aufgreifen sollte. Freilich muss es bei Unis, Fachhochschulen und beim ganzen tertiären Sektor um noch viel mehr gehen, damit das ständige Absinken gestoppt werden kann.
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