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413 Millionen jährlich: Briten-Abschied kommt uns teuer

Österreichs Beitrag an die EU droht um nicht weniger als 15 Prozent in die Höhe zu schnellen, sobald Großbritannien die Union verlässt. Noch schlimmer: Es gibt nur drei andere Länder, für die der britische EU-Beitritt ähnlich schlimme Folgen haben dürfte. Noch schlimmer: In Österreich sind die dramatischen Folgen des britischen Votums bisher immer verheimlicht – oder nie berechnet – worden (erst ein englischer Journalist ist nun auf EU-Analysen gestoßen, die das zeigen). Am allerschlimmsten: Weder Österreich noch die anderen drei Hauptleidtragenden hatten sonderliche Initiativen gestartet, um die Briten doch noch bei der EU zu halten, obwohl dies in ihrem ureigensten Interesse wäre.

Die schwere und überproportionale Belastung Österreichs durch den Brexit wurde von dem prominenten britischen Journalisten Michael Leidig enthüllt, der von Wien aus ein in ganz Mitteleuropa tätiges Reportagen-Büro führt (Central European News Ltd).

Die anderen drei hauptbetroffenen Länder sind Deutschland, Schweden und die Niederlande. Dennoch hat sich keines dieser vier Länder – vor oder nach dem Referendum – besonders angestrengt, um den Brexit zu vermeiden. Haben sie wirklich nicht gewusst, dass sie die Hauptopfer sein werden? Oder war es ihnen egal?

Die ignorierte Zauberformel

Dabei hätte eine ganz einfache Formel die Briten wohl in der EU gehalten. Sie lautet: Die EU ermöglicht eine Teilnahme am Binnenmarkt minus der vollen Personenfreizügigkeit.

Ein solcher Modus wäre nicht nur für die Briten verführerisch. Er wäre auch für die Schweiz und andere Länder sehr attraktiv – aber auch für Österreich, das ja empfindliche finanzielle Lasten durch die hohen österreichischen Sozialleistungen für alle EU-internen Migranten (insbesondere Familienbeihilfen!) trägt.

Insbesondere Angela Merkel hätte EU-intern das Gewicht gehabt, eine solche Formel durchzusetzen. Aber sie ist ja gerade in der Zeit des britischen Referendums zur Hohepriesterin der freien Migration nach Europa mutiert und hat sich erstaunlich wenig um eine Lösung für die Briten gekümmert.

Gewiss: Bei der Personenfreizügigkeit im Rahmen des EU-Binnenmarkts geht es formal nur um EU-Bürger, nicht um die Zuwanderung aus der Dritten Welt. Aber dennoch besteht zwischen den beiden Migrationsthemen ein enger Zusammenhang. Die britischen Stimmbürger waren nämlich von den gerade in den Monaten vor dem Referendum laufenden Berichten über die nach Europa drängenden arabischen, afrikanischen, afghanischen Massen so schockiert, dass sie sich in ihrer Mehrheit auch gleich gegen die EU gewandt haben.

Sie taten dies ungeachtet der Tatsache, dass es bei der EU-Mitgliedschaft ja nur um den Zuzug anderer Europäer aus den osteuropäischen Reformländern geht. Freilich war eine Trennung dieser beiden Themen in den Augen der Öffentlichkeit nicht nur wegen des zeitlichen Zusammenfalls mit dem Höhepunkt der Völkerwanderung fast unmöglich, sondern weil ja auch die Juncker-Kommission in Brüssel selbst als Apologet der Völkerwanderung und der Migranten-Umverteilung auf ganz Europa aufgetreten ist.

Heute ist es wohl zu spät für eine Lösung der Vernunft wie die oben skizzierte. Heute bedrohen diese Versäumnisse und der dadurch mitausgelöste Brexit darüber hinaus das ganze europäische Gebäude mit seinen vielen Vorteilen, die ein gemeinsamer Markt ganz eindeutig mit sich bringt.

Dennoch dominiert in Politik und Medien der vier hauptbetroffenen Länder auch heute noch der Hohn über die Briten, wie unfähig sie sich doch anstellen und wie sehr sie sich selber schaden würden. Das dürfte zwar schon so stimmen. Aber viel wichtiger wäre es, auch den eigenen Schaden zu sehen, diesen offen einzugestehen und eben noch mit aller Kraft zu versuchen, die Folgen zu vermindern.

Nach den von Leidig recherchierten EU-Berechnungen wird die Lücke im EU-Budget, die Österreich zu schließen hat, gewaltige 413 Millionen Euro ausmachen. Und das jedes Jahr. Das hat das Generaldirektorat des EU-Parlaments für innere Angelegenheiten berechnet.

Damit ist der Schaden für die Alpenrepublik viel größer, als deren Anteil an den EU-Bürgern ausmacht. Grob gerechnet beträgt der Anteil der Österreicher an der EU-Bürgerzahl ja weniger als zwei Prozent, der Brexit trifft sie jedoch zu vier Prozent. Das Loch, das der Abschied der Briten auf der Einzahlungsseite reißt, wird rund 10,2 Milliarden jährlich ausmachen.

Der Rabatt vom Rabatt

Diese auf die vier zukommende Belastung hängt damit zusammen, dass sie sich einst einen Rabatt vom Rabatt erkämpft hatten. Der Anlass: Margaret Thatcher hatte einst für ihr Land eine deutliche Reduktion der sich auf  Grund der Verträge eigentlich ergebenden Nettozahlungspflichten um zwei Drittel erreicht. Begründung war, dass ein guter Teil des EU-Budgets in die gemeinsame Agrarpolitik fließt, Großbritannien aber alles andere als ein Agrarstaat ist.

Die Füllung der durch den Briten-Rabatt entstandenen Lücke wiederum hätte die vier genannten Länder am stärksten von allen EU-Ländern getroffen. Daher haben auch sie damals etwas durchgesetzt: nämlich, dass sie nur ein Viertel der auf sie entfallenden Last zu tragen hätten. Der Wegfall dieser Begünstigung trifft sie nun naturgemäß besonders hart, da sich ja die EU-Ausgaben nicht entsprechend reduziert haben.

Und die Österreicher trifft der Wegfall ganz besonders: In Relation zur Bevölkerungsgröße wird der Brexit überhaupt nur die Schweden noch härter treffen als sie. Diese müssen 55 Euro pro Kopf im Jahr zahlen, die Österreicher 47 Euro.

Dieser Worst-Case könnte zwar noch gemildert werden. Das wird aber angesichts der EU-internen Mehrheitsverhältnisse nur sehr schwierig zu erreichen sein. Die Milderung der Brexit-Folgen für die vier könnte darin bestehen, dass diese Folgen nicht oder nicht nur in einer Erhöhung der Beiträge für die Verbleibenden bestehen, sondern statt dessen in einer Reduktion der Leistungen der EU. Dagegen aber wehren sich wiederum die Nettoempfängerländer im Süden und Osten der EU mit Händen und Füßen.

Gelänge etwa eine gleichmäßige Aufteilung der Brexit-Konsequenzen zwischen Beitragserhöhungen und Leistungsreduktionen, dann wäre der Schaden für Österreich geringer, aber immer noch deutlich höher, als seiner Bevölkerungszahl entsprechen würde. Leidigs Recherchen zufolge würde diese hypothetische Lösung Österreich "nur noch" 253 Millionen kosten; dann gäbe es auch immerhin fünf Länder, die durch den Brexit noch härter getroffen würden als die Republik.

Diese Zahlen machen endgültig klar: Der Union dürfte ein mindestens ebenso heftiges internes Ringen um die Aufteilung des Schadens bevorstehen, wie es jetzt das im Vordergrund stehende Ringen zwischen Großbritannien und der EU um die Konditionen des Austritts und um die künftigen Beziehungen darstellt.

Sollte es wirklich zum "harten Austritt" kommen, also zu einem vertragslosen Zustand, von dem zwischen London und Brüssel immer öfter geredet wird, dann wird der Schaden noch viel größer sein. Dann werden alle Seiten durch das Ende des Freihandels schwere Wachstumseinbußen erleiden.

Allerdings sind dafür die wirklichen Kosten noch viel schwerer genau zu beziffern. Aber jedenfalls wird auch bei diesem Thema der Schaden auf beiden Seiten des Kanals eintreten, nicht nur im Vereinigten Königreich. Und für Länder, die in besonders hohem Maße vom Export leben, wird er naturgemäß besonders groß sein. Wie etwa für Österreich.

Für zusätzlichen Ärger hat der (von der Berlusconi-Partei) kommende Präsident des EU-Parlaments Antonio Tajani gesorgt. Er hat unabhängig vom Brexit vor wenigen Tagen eine Verdoppelung des EU-Budgets gefordert. Dafür erntet er zwar in den Profiteurländern des EU-Budgets wie etwa seiner Heimat Italien große Zustimmung – im Rest Europas freilich blankes Entsetzen.

Auch wenn EU-Profis wissen, dass das sicher nicht ganz so kommen wird und eher als taktische Forderung anzusehen ist, zeigt Tajanis Vorstoß, wie schlecht die Chancen für den Standpunkt von Sebastian Kurz sind. Dieser hat ja gefordert, dass der gesamte Brexit-Schaden durch Kürzungen auf der EU-Ausgabenseite zu kompensieren sei.

Hier die ausführlicher Studie des EU-Parlaments.

PS: Pikanterweise sind die vier am schlimmsten durch die bevorstehenden Beitragserhöhungen betroffenen Länder auch gleichzeitig jene vier Länder, die zumindest zeitweise weitaus am offensten für die Völkerwanderung gewesen sind. Die also ein gutes Stück schuld an dem Entsetzen sind, das wohl seinerseits zum Ergebnis des Brexit-Referendums geführt hat. Welch Ironie der Geschichte …

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