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Verpasste Chance

An sich war es nur eines von vielen (auch noch bevorstehenden) Vorwahlgeplänkeln. Vor zwei Jahren hat das Finanzministerium bei einem SPÖ-nahen „Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik“ eine Studie bestellt, was die Einführung des deutschen Sozialsystems Hartz IV eigentlich in Österreich bedeuten würde. Diese Studie spielte in der Folge aber keinerlei Rolle in der politischen Debatte, wurde jedoch jetzt von einigen SPÖ-nahen Medien einige Tage lang dramatisch an die Öffentlichkeit gebracht und vom Sozialminister sofort aufgeregt als Beweis genommen, dass die neue ÖVP eine „Zerstörung des Sozialsystems“ plane.

Die ÖVP replizierte, das sei „alter Politikstil"; der neue Parteiobmann Sebastian Kurz habe die Studie nicht einmal gekannt. Daraufhin ist die Aufregung so rasch wie entstanden auch wieder abgeflaut.

Die Affäre ist jedoch eine verpasste Chance und gleich doppelt schade. Zum einen ist es immer wieder ärgerlich, wieviel Steuermillionen für Studien und Gutachten ausgegeben werden, die nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken, sondern Privatwissen einzelner Minister bleiben, oder die überhaupt ungelesen in Aktenschränken vermodern. Die Bürger hätten jedoch eigentlich Anspruch zu sagen: „Hallo, wir haben das bezahlt. Wir wollen daher die Studien lesen. Was auch immer drinnensteht.“

Zum anderen ist „Hartz IV“ ziemlich genau das, was auch Österreich bräuchte. Denn das, was unter diesem Stichwort in Deutschland passiert ist, war eindeutig die klügste Maßnahme, die seit langem in Europa realisiert worden ist. Sie hat ihrem Vater, dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Schröder, zwar einen Wahlsieg und die Abspaltung der Linkspartei (Oskar Lafontaine) von der SPD gekostet, aber Hartz IV hat Deutschland im letzten Jahrzehnt zu einem überdurchschnittlichen Wachstum und zu einem noch unglaublicheren Rückgang der Arbeitslosigkeit verholfen. Dafür schuldet Deutschland Schröder großen Dank.

Denn Deutschland stand 2006/07 genau so da, wie Österreich heute: Ein unglaublich verfilzter und teurer Wohlfahrtsstaat drohte das Land zu ersticken. Es war für viele Menschen vorteilhafter, sich in die Netze der diversen Sozial- und Arbeitslosenhilfen zu legen, als sich einen Job zu suchen und zu arbeiten.

Und auch wenn der Sozialminister meint, „Arbeitssuchende“ würden durch Hartz IV bestraft, ihnen würde „beinahe das gesamte Ersparte“ weggenommen, so zeigt doch der Realitäts-Check, dass eben erst durch Hartz IV Menschen dazu gebracht worden sind, sich Arbeit zu suchen, dass bis dahin sehr viele trotz eigenen Vermögens auf Kosten der anderen gut gelebt haben.

Ganz ähnlich läuft die heutige österreichische Version des damaligen deutschen Streits, nämlich beim Zwist um die „Mindestsicherung“. Diese ist in allen Bundesländern gekürzt worden, nur in Wien unverändert hoch geblieben. Sie ist hauptschuld daran, dass in Wien die Arbeitslosigkeit weitaus am höchsten ist, und dass das Stadtbudget an den Rand des Kollapses geraten ist.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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