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Die Bildungsfrage entscheidet die Koalitionsfrage

Die Volkspartei wird früher als geplant zeigen müssen, wohin die Reise unter Sebastian Kurz geht. Und zwar beim Stichwort Bildungsreform. Wenn Kurz nicht von allen guten Geistern verlassen ist, wird die Bildungs-Reise zwar nicht dorthin gehen, wohin die SPÖ die Schwarzen haben will, nämlich Richtung Grün. Kurz wird sich aber auch nicht mit der von ihm geplanten Strategie begnügen können, die da heißt: Er lässt jene (herzlich wenigen, herzlich bedeutungslosen und gutteils herzlich teuren) Dinge abarbeiten, auf die sich die alte Regierung noch einigen kann, und startet erst im September mit Trommelwirbel sein eigenes Projekt. In Wahrheit wird das Bildungsthema schon jetzt weitgehend einbetonieren, wohin es nach der Wahl geht. Ob Kurz das wahrhaben will oder nicht.

Der neue ÖVP-Chef hat an sich vollkommen Recht, dass das von der Bildungsministerin ausgearbeitete und koalitionär bereits abgesegnete Paket ein sehr kurzer Wurf ist. Keiner der Betroffenen würde eine Träne vergießen, wenn es nicht kommt. Lediglich die üblichen Leitartikler der medialen Schnattergesellschaft würden halt schreiben: „Furchtbar! Furchtbar!“ Das wärs dann auch schon.

Aber das Paket liegt nun einmal von rot-schwarz gemeinsam abgesegnet vor. Es  braucht jedoch in einigen Punkten eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit, also entweder die Stimmen der Grünen oder der Freiheitlichen.

Beide stellen naturgemäß Bedingungen. Die SPÖ hat – wenig überraschend – sofort die Bedingungen der Grünen angenommen, nämlich dass zusätzlich noch ganz Vorarlberg mit einer Zwangsgesamtschule beglückt werden soll. Das wäre freilich absolut das Gegenteil dessen, was die allermeisten potenziellen Kurz-Wähler wollen. Ein Umfaller in Richtung Zwangsgesamtschule wäre für ihn schlicht politischer Selbstmord.

Allerdings ist der Vorarlberger ÖVP-Landeshauptmann Wallner ursprünglich für das Zwangsprojekt eingetreten. Es mag offen sein, ob er das aus Rücksicht auf seine grünen Partner in Vorarlberg getan hat oder weil er wirklich so schlicht ist, wie er oft wirkt, sodass er geglaubt hat, eine Zwangsgesamtschule wäre etwas Sinnvolles. Wenn doch so viele Zeitungen das behaupten, dann müsse es stimmen. Aber auch Wallner hat sich nun schon ein deutliches Stück vom Zwangsgesamtschulplan absentiert. Offen mag wieder bleiben: Warum? War da im Hintergrund schon die Führung von Kurz zu spüren, dem Wallner sich nolens volens beugt? Oder hat Wallner selbst begriffen, dass er außer bei einigen Journalisten und Politfunktionären bei keiner Gruppe Unterstützung für die Zwangsgesamtschule findet, dass dieses Projekt bei Eltern und Lehrern massiv wählervertreibend wirken würde, und dass auch alle seriösen Vergleiche und Pädagogik-Experten für ein möglichst differenziertes Schulsystem sprechen?

Egal, was Wallner denkt oder nicht denkt. Es scheint fast auszuschließen, dass Kurz plötzlich für die Gesamtschule eintreten wird. Dann bräuchte er gar nicht anzutreten.

Die andere Möglichkeit, die zur Zweidrittelmehrheit verhelfen würde, wäre die FPÖ. Deren vorgelegte Bedingungen müssten im Prinzip für die ÖVP eigentlich völlig problemlos sein:

  • Erbringung des Nachweises ausreichender Deutschkenntnisse (die man in eigenen Sprachklassen erwirbt) vor Eintritt in den Regelunterricht,
  • Erhalt der Sonderschulen,
  • Verzicht auf Gesamtschulmodellregionen,
  • Freiwilligkeit bei den Schulclustern (Zusammenschluss mehrerer Schulen unter einer Direktion),
  • Verbesserung der Lehrerausbildung,
  • Erleichterung des Quereinstiegs in den Lehrerberuf.

Die große Frage jedoch ist: Hat dieses Paket bei der SPÖ Akzeptanz-Chancen? An sich würde man ja aus dem Bauch sagen: Nein. Inhaltlich ist die SPÖ-Diskussion zuletzt nämlich ganz anders gelaufen. Aber gleichzeitig sollte die Kern-Partei im Eigeninteresse begreifen: Wenn sie jetzt den Freiheitlichen Njet sagt und nur auf die grüne Karte setzt, dann wäre der schöne bunte Rot-Blau-Ballon, auf den Parteichef Kern, die burgenländischen Roten und ein Teil der anderen Bundesländer setzt, schon vor dem Wahltag gescheitert. Dann steht Kern aus Eigenverschulden ohne echte Option da und ist zum Paten von Schwarz-Blau geworden. Denn zu den alternativen Hoffnungen auf eine ausreichende Mehrheit für Rot-Grün-Pink gehört schon ein gewaltiges Paket Wunschdenken. Selbst die Neos denken schon über Schwarz-Grün-Pink nach, weil sie nicht ganz übrig bleiben wollen.

Also müsste Kern, wenn er politisch zu denken versteht und sich die rot-blaue Option offen halten will, worauf derzeit alles hindeutet, ebenfalls für die Variante „Bildungsreform mit Blau“ bereit sein. Auch wenn er innerlich noch ganz den Mitterlehner-Zeiten nachhängt, wo die Schwarzen am Schluss immer umgefallen sind.

Freilich hat für Rot wie Schwarz diese FPÖ-Option einen großen Pferdefuß: Sie ist seriös nicht binnen weniger Wochen machbar. Alleine die Idee von Sprachklassen und Sprachstands-Feststellungen bräuchte intensive monatelange Beratungen und Begutachtungen, bis ein guter Gesetzestext für eine an sich sehr gute Idee fertig ist. Gleichzeitig weiß niemand, ob die Freiheitlichen – die überhaupt erst vor ein paar Wochen ihren Bildungssprecher ausgetauscht haben! – imstande und willens sind, ihre Ideen überhaupt in gesetzestauglicher Form zu präsentieren.

Es ist daher auch durchaus möglich – und dass ist vor allem für Kurz ein Risiko –, dass man jetzt ein paar Wochen intensiv verhandelt und dass dann am Schluss die Freiheitlichen doch Nein sagen. So ein Nein trotz Erfüllung der eigenen Wünsche mit irgendeinem Vorwand zu begründen, gelingt politischen Profis immer (wenn auch nicht immer glaubwürdig).

Das ist in der gegenwärtigen emotionalen Stimmung der FPÖ jedenfalls durchaus denkbar. Denn die Freiheitlichen sind derzeit von ziemlicher Panik erfüllt, weil ihnen das Antreten von Kurz einen Rückschlag bei den Umfragen gebracht hat. Daher könnten sie auch nur deshalb Nein sagen, um einen Kurz-Erfolg zu verhindern.

Andererseits: Wenn die Freiheitlichen wirklich von einem Paket abspringen, das ihre eigenen Bedingungen enthält, dann verschlechtern sie selbst ihre eigenen Chancen – am Wahltag und dann bei der Regierungsbildung. Da hilft die beste Begründung nichts.

Es wird also in den nächsten Tagen sehr viel taktiert werden. Vieles spricht dabei auch dafür, dass das gesamte Paket letztlich doch bis zur nächsten Regierung liegen bleibt, oder dass nur jene wenigen Punkte kommen werden, die auch ohne Zweidrittelmehrheit gehen.

Aber wie auch immer die Dinge in den nächsten Tagen weitergehen: Zweierlei ist klar:

  • Man wird am Schicksal des Bildungspakets ablesen können, wie es nach der Wahl weitergehen dürfte.
  • Kurz wird seine Strategie nicht durchstehen können: sich als Eminenz im Hintergrund zu halten, die alte Koalition auslaufen zu lassen und sich erst im Herbst konkret einzubringen. Eine Partei der Größe und des Anspruchs der ÖVP kann jetzt nicht zwei Monate lang nichts sagen oder nur herumreden. Aber ohne Vorgabe von Kurz traut sich derzeit niemand in der ÖVP, in einer expliziten Sachfrage eine klare Meinung zu äußern. Damit hängt er drinnen, ob er will oder nicht.

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