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Die ganze Malaise Italiens, aber auch die höchstwahrscheinliche Zukunft Europas kann an einem relativ kleinen Unternehmen namens Alitalia abgelesen werden. Diese Fluglinie hat zwar samt Zulieferern insgesamt deutlich weniger Arbeitsplätze, als allein in den US-Supermärkten in einem einzigen Monat als Folge der Digitalisierung verloren gehen. Dennoch haben die USA Vollbeschäftigung und Wachstum. Während in Italien das Schicksal der Alitalia in die Dimension einer nationalen Tragödie gewachsen ist.
Die Fakten sind weitgehend bekannt. Der einstige Luftfahrt-Stolz Italiens hat im Laufe der Jahre Milliarden an Defiziten angehäuft, ohne dass eine Besserung in Sicht gekommen wäre. Die Linie wurde wie ein heißer Erdapfel von einem Eigentümer zum nächsten gereicht und verlor zugleich Jahr für Jahr Passagiere und Marktanteile. Heute ist längst der Billigflieger Ryanair auch in Italien die größte Fluglinie.
Nach Ablehnung eines Sanierungsplans durch die Belegschaft, der nicht nur Mitarbeiterkündigungen, sondern auch zwei Milliarden Euro an Investitionen durch die Eigentümer gebracht hätte, scheint der Konkurs der Alitalia unabwendbar geworden. So konnte man zumindest einen Tag glauben.
Aber eben nur einen Tag lang. Denn nicht länger hat es gedauert, bis die Regierung wieder frisches Geld in Aussicht gestellt hat. 300 bis 400 Millionen will sie der Alitalia geben und nennt es „Brückenkredit“. Wobei man sich in Italien unter einem „Kredit“ keinesfalls etwas vorstellen sollte, das am Ende auch zurückgezahlt wird. Während dieses frische Geld verpulvert wird, hofft man halt, wieder einen neuen Dummkopf – pardon: Käufer zu finden, der dann den Laden auf eigene Rechnung übernimmt.
Wenn man die Worte der Regierung analysiert, dürfte das einzige echte Hindernis gegen eine echte Wiederverstaatlichung der Alitalia die EU zu sein. Aber ein kleiner „Brückenkredit“ nach dem Motto „Auf das kommt‘s auch nicht mehr an“ wird ja doch wohl noch erlaubt sein. Und danach halt noch einer, den man dann wieder anders taufen wird.
Alle Welt, selbst die italienischen Gewerkschaften – also die streiklustigsten Europas! – hatten vor der Urabstimmung an die Belegschaft appelliert, den Sanierungsplan anzunehmen. Dennoch wurde dieser mit 70-prozentiger Mehrheit abgelehnt. Selbst die italienischen Gewerkschaften begreifen also jetzt offenbar – wenn auch ein paar Jahrzehnte zu spät –, was nötig wäre, um Italien und die Linie vielleicht(!!) noch zu retten. Sie sehen, dass viele andere europäische Fluggesellschaften schon darauf lauern, die italienischen Strecken zu bedienen. Nur die Belegschaft begreift noch immer nichts.
Damit sind wir beim Kern des Problems, bei der Belegschaft. Was tickt in ihr? Warum braucht sie noch viel länger zum Begreifen als einst etwa die auch lange renitent gewesene AUA-Mannschaft (die so lange gepokert hatte, bis die Linie verjuxt und in ausländischen Händen war, die aber heute erstaunlich lammfromm mit den deutschen Chefs kooperiert)?
Die starke Vermutung ist, dass die Alitalia-Menschen die Urerfahrung vieler Italiener inzwischen in den Genen haben: Man soll Warnungen nicht zu ernst nehmen. Denn am Schluss springt ja doch immer der Staat ein. Das ist in Italien seit Jahrzehnten absolut regelmäßig der Fall gewesen, noch regelmäßiger als in Österreich. Nicht nur bei der Alitalia, sondern auch bei vielen anderen größeren Unternehmen. Man muss nur ein bisschen Wirbel machen. Und schon gibt der Staat nach.
Dieser Staat ist mehr als 70 Jahre lang – mit Ausnahme der Berlusconi-Jahre – immer nur von zwei Ideologien geführt worden: entweder von kommunistisch geprägten Sozialisten oder von christdemokratischen Linkskatholiken. Oder von beiden gemeinsam. Das Ergebnis war jedenfalls immer das Gleiche: ein alljährlich sich noch mehr verschuldender Staat. Sobald eine Interessengruppe geschrieen hat: „Wir fordern Soziale Gerechtigkeit!“ ist immer der Steuerzahler herangezogen worden, die Forderungen zu erfüllen –, pardon: soziale Gerechtigkeit herzustellen. Das ist so lange gegangen, bis heute Italien das schwerst verschuldete Land Europas geworden ist.
Bei der Alitalia war diese genetische Prägung besonders stark. War sie doch stets ein Selbstbedienungsladen für den Nepotismus der politischen Nomenklatura. Man musste zumindest Großnichte oder -neffe eines Abgeordneten sein, um dort unterzukommen, hieß es lange in Italien. All die dort und in den anderen ständig staatsgeretteten Betrieben untergebrachten Italiener können einfach nicht glauben, dass ihre Privilegien heute auf einmal bedroht sein könnten.
Wenn ein Staat immer nur droht, aber dann doch immer nachgibt, wird er letztlich genauso wenig ernst genommen wie etwa Eltern, die sich so verhalten. Alle die durchaus vorhandenen Warner vor der italienischen Wohlfahrts-Schulden-Wirtschaft sind aber auch deshalb total überhört worden, weil sich auch die in Italien noch immer sehr wichtige Kirche regelmäßig auf die Seite der armen Arbeitnehmer gestellt hat. Also gegen den bösen Staat, gegen die bösen Unternehmer, gegen die böse neoliberale Vernunft. Schuldenmachen dürfte besonders unter dem jetzigen Papst wieder zum Kern der christlichen Soziallehre geworden sein.
Wenn also auch der Papst immer wieder so realitätsfremd-sozialromantisch redet, wie sollen dann die diversen Privilegienritter, die pragmatisierten Arbeiter anders denken? Die Alitalia-Angestellten sind nichts anderes als Privilegienritter. Sie sind in den Glauben eintrainiert worden, dass das ewig so weitergeht. Warum sollten sie da ob der Möglichkeit einer Arbeitslosigkeit besorgt sein? Oder ob der vielen kleinen Gewerbetreibenden, die von der Steuer (um die Privilegienarbeitsplätze zu retten) ausgequetscht täglich ums Überleben kämpfen? Oder ob der nächsten Generation, die vom katholisch-sozialistischen Sozialstaat eine buchstäblich erdrückende Schuldenlast erben wird (um die Privilegienarbeitsplätze zu retten).
Aber auch heute noch hat einer der Sprecher der Alitalia-Piloten genau dasselbe geschrieen, was wir einst von Austrian- und vielen anderen Privilegierten gehört haben: „Warum müssen immer die Arbeitnehmer für die Fehler der Manager zahlen?“
Solche Sätze sind Chuzpe pur. Es ist die billigste Selbsttäuschung von Gewerkschaftsmenschen, nie die Schuld bei sich selbst zu suchen, sondern immer nur bei den Arbeitgebern. Zu übersehen, dass fast alle nationalen Fluggesellschaften längst eingegangen sind, die ähnlich wie die Alitalia agiert haben. Zu übersehen, dass die Passagiere in Massen zu viel billigeren Fluglinien (mit halt viel weniger privilegierten Piloten&Co) gewechselt sind. Zu übersehen, dass heute nur noch totale Veränderung und auch Verzicht die Zukunft zu retten imstande wären.
Es ist einer der größten Verdienste der EU gewesen, dass sie eine Zeitlang versucht hat, diesen in vielen Ländern beliebten Wohlfahrts-Irrweg abzumauern. Sie hat die in vielen Ländern früher übliche Praxis zu bekämpfen begonnen, dass Regierungen einfach mit Schulden Staatsbetriebe, die nicht mehr konkurrenzfähig sind, dauersubventionieren – pardon: retten, und damit auch die gesunde Konkurrenz gefährden.
Freilich hat die EU diesen mühsamen wie notwendigen Kampf nur halbherzig betrieben. Jeder Politiker, auch die europäischen, will ja viel lieber Wohltaten verteilen, als Ordnungspolitik zu betreiben. Daher ist bei vielen Menschen in Europa das uralte Wissen verschüttet, dass das Arbeitsleben kein Schlaraffenland sein kann, wo man nur zu fordern braucht, damit alles erfüllt wird. Den Menschen wurde das Wissen ausgetrieben, dass jeder Mensch und jedes Land selbst für sich verantwortlich ist.
Noch viel schlimmer: Die EU ist in den letzten Jahren eindeutig wieder im Rückwärtsgang unterwegs und macht Schritt für Schritt ihr größtes Verdienst kaputt. Das sieht man auf vielen Ebenen:
Es ist ein Drama, wohin sich die einst so viel Hoffnung gebende EU entwickelt hat. Sie geht immer mehr den Weg Italiens und Frankreichs in den Untergang. Man kann die Briten immer besser verstehen, dass sie dabei nach dem Motto „Rette sich, wer kann“ nicht mehr mitmachen wollen, selbst wenn der Brexit kurzfristig für sie teuer wird.
Während die EU auf ihrem Hauptgebiet zunehmend versagt, versucht sie sich zur Abwechslung als linker Zuchtmeister Ungarns. Sie will dem Land vorschreiben, wer dort Universitäten betreiben darf. Obwohl es dafür keinen einzigen Artikel als Grundlage im EU-Vertrag gibt.
Nicht dass ich es für schlau oder positiv halte, wie Ungarn gegen die strittige Soros-Universität vorgeht. Das müsste ein so erfolgreicher Staat wie Ungarn doch aushalten! Selbst wenn es verständlicherweise schmerzt, dass die Soros-Universität ständig als Migrationsförderverein agiert. Aber das ändert nichts daran, dass sich die EU generell nur dort einmischen sollte, wo sie eindeutig den Auftrag dazu hat, also etwa bei der Sicherstellung eines fairen und subventionsfreien Wettbewerbs auch im Verkehr. Dort aber wirklich. Dass sie sich aber in allen anderen Fragen nicht wie ein Kolonialherrscher benehmen soll, wenn sie noch länger überleben will.