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Syrien: Grund zum Jubel, Grund zur Verzweiflung

Zwei Diktatoren haben einen wichtigen Ansatz zu dem geschaffen, was dieses Tagebuch seit drei Jahren als relativ besten Weg zur Beendigung des opferreichen Syrien-Krieges bezeichnet: den einer Teilung Syriens. Westliche Regierungen und Nahost-„Experten“ hingegen haben an ein solches Tabu nicht einmal zu denken gewagt. Der Weg zur Teilung wäre aber dennoch richtig und positiv, wären da nicht zwei mächtige Kräfte, die beim russisch-türkischen Syrien-Deal nicht eingeschlossen worden sind.

Daher stehen auf der einen Seite jedenfalls noch langwierige Schlachten mit dem „Islamischen Staat“ bevor. Das ist unvermeidlich. Aber auf der anderen Seite wurden bedauerlicherweise auch die Kurden übergangen. Diese werden sich das sicher nicht gefallen lassen. Daher wird der Syrienkrieg jetzt wohl nur in eine neue Etappe übergehen – und vielleicht sogar in einem Völkermord enden.

Aber zuerst zur (offiziell noch nicht ausgesprochenen) Teilung Syriens als Folge der nun verhängten Waffenruhe. Diplomaten und Völkerrechts-Puristen wollen eine solche ja nie akzeptieren, weder in Syrien noch sonstwo. Und doch kommt es oft zu Teilungen, wenn auch leider immer erst nach langen blutigen Kriegen.

Ein Waffenstillstand ist zwar noch keine Friedensvertrag geschweige denn die Anerkennung neuer Staatsgebilde und Grenzen. Aber die Welt ist voller Beispiele, wo ein bloßer Waffenstillstand über Jahrzehnte zu einer De-Facto-Teilung geführt hat, ohne dass es je einen Friedensvertrag gegeben hätte.

Selbstbestimmung und Teilungen würden viele Kriege verhindern

Eine am Schlachtfeld herbeigeführte Teilung ist gewiss alles andere als eine gute oder gar Wunsch-Lösung. Eine solche würde vielmehr in der Ausübung des nationalen oder regionalen Selbstbestimmungsrechts mit oder ohne nachfolgende Teilung bestehen, ohne dass es vorher zu einem Krieg gekommen wäre. Aber dieser Weg wird in der internationalen Politik leider noch immer fast nie akzeptiert, obwohl er die beste Grundlage für einen wirklich dauerhaften Weltfrieden wäre.

Eine Teilung als Beendigung eines Krieges ist aber jedenfalls immer noch in den meisten Fällen besser als eine Fortsetzung eines blutigen Krieges. Die Exempel sind zahlreich, wo ein vor Jahrzehnten geschlossener Waffenstillstand zu einer bis heute wirksamen – wenn auch oft nicht völkerrechtlich anerkannten – Grenzveränderung geführt hat:

  • Die Annexion der japanischen Kurileninseln durch Russland;
  • Die Teilung Zyperns durch eine türkische Invasion;
  • Die Teilung in Nord- und Südkorea;
  • Die Besetzung von Berg-Karabach durch das von Russland unterstützte Armenien;
  • Die russischen Okkupationen in Georgien und Moldawien;
  • Die russische Annexion beziehungsweise Okkupation zweier großer ukrainischer Gebiete;
  • Die israelische Besetzung des gesamten Jordan-Westufers und der Golanhöhen;
  • Die Teilungen Jugoslawiens;
  • Die Teilungen des Sudan.

Nicht ganz vergleichbar, aber doch auch sehr ähnlich sind folgende Fälle:

  • Manches Mal kommt es Jahrzehnte nach einer solchen kriegsbedingten Teilung zu einer friedlichen Wiedervereinigung, wie etwa das Beispiel Deutschlands zeigt.
  • In Vietnam hingegen ist die Teilung durch einen langen blutigen Krieg rückgängig gemacht worden.
  • Leider gibt es nur wenige Beispiele friedlicher Teilungen: Dazu zählt etwa jene der Tschechoslowakei.
  • Zu einem gewissen Ausmaß war auch der Zerfall der Sowjetunion friedlich.

In fast all diesen Fällen war die Teilung oft schlecht und ungerecht, aber wohl immer besser als die Führung oder Fortsetzung eines blutigen Krieges.

Das gilt eindeutig auch für Syrien. Auch wenn weder die syrische, noch die türkische, noch die russische Regierung bisher ein Wörtchen über eine solche Teilung gesagt haben, ist diese Folge nun fast zwingend. Denn es ist ganz unvorstellbar, dass die beiden jetzt unter Druck aus Ankara und Moskau die Waffenruhe verkündenden Teile Syriens in absehbarer Zeit wieder friedlich zusammenleben könnten. Der laizistische, christliche, alewitische und schiitische Teil des Landes wird sich nur unter dem Assad-Regime sicher fühlen. Und der mehr oder weniger fundamentalistische sunnitische Teil wird das nie und nimmer akzeptieren.

Gewiss wird es in Syrien noch etliche weitere Grenzbereinigungen geben müssen, damit das Ganze lebensfähig ist. Aber seit Aleppo sind diese denkbar geworden und könnten auch relativ unblutig ablaufen.

Gewiss wird der Assad-Teil mehr oder weniger dauerhaft von Russland und Iran abhängig sein. Als eine Art Satellit.

Gewiss wird der sunnitisch-islamistische Teil mehr oder weniger dauerhaft von der Türkei abhängig sein. Als eine Art Satellit.

Damit haben die beiden Diktatoren in Moskau und Ankara (wobei derzeit sicher jener in Ankara der weitaus schlimmere ist) jedenfalls große Siege errungen. Die Türkei hat nach Nordzypern ein zweites Satrapenterritorium an ihrer Südgrenze und fühlt sich damit nach hundert Jahren wieder als Großmacht. Dass der fast hundert Jahre laizistische Staat mit seinen syrischen Aktivitäten nun eindeutig als sunnitisch-islamistisch entlarvt ist, wird Herrn Erdogan hingegen wenig stören.

Russland wiederum hat ein Vierteljahrhundert der Rückschläge überwunden. Es hat sich als Weltpolizist mit massivem Eigeninteresse zurückgemeldet. Es hat die lange diese Rolle spielenden, aber derzeit schwer verunsicherten USA zumindest vorübergehend marginalisiert. Es hat vielen Ländern in Asien und Osteuropa gezeigt, dass Russlands Freunde wieder einen starken Schützer haben (was sich am Balkan auch schon in Wahlergebnissen niedergeschlagen hat). Und es hat sich endgültig seinen einzigen Hafen im Mittelmeer gesichert.

Die Verlierer

Es gibt aber nicht lauter Sieger. Verlierer sind vor allem die USA und Europa. Washington hat bei den zahllosen Geheimverhandlungen der letzten Monate zweifellos von Moskau einen ähnlichen Deal vorgeschlagen bekommen, wie er jetzt zwischen Moskau und Ankara gelaufen ist. Aber Washington wollte die syrischen Rebellen nicht fallenlassen, Assads Überleben nicht akzeptieren und eine Teilung nicht akzeptieren.

Jetzt sind die Rebellen in die Hände der Türkei geraten. Aleppo ist als Folge russischer (wahrscheinlich kriegsverbrecherischer, weil gegen Spitäler gerichteter) Luftschläge gefallen. Die Russen sind der große Deal-Macher und zentrale Drehscheibe im Nahen Osten geworden. Und Assad bleibt.

Das ist wirklich ein toller Erfolg der US-Politik. Von Frankreich & Co gar nicht zu reden, die ursprünglich sehr die Rebellion gegen Assad unterstützt haben, wenn auch nur verbal.

Der "Islamische Staat" wird noch viele Schlachten kämpfen

Es bleiben aber neben der völlig offenen Frage, ob der türkisch-russische Deal angesichts der vielen unberechenbaren Partner wirklich dauerhaft hält, noch zwei viel größere Fragezeichen: Der „Islamische Staat“ und die Kurden. Beide sind ja von dem Deal nicht erfasst.

Werden Ankara und Moskau genügend Energie dahinter setzen, dass der Islamische Staat nun wirklich besiegt wird? Dafür werden ein paar Luftangriffe jedenfalls nicht ausreichen. Man kann vorerst nur hoffen, dass es nun endlich ernsthaft und nicht bloß verbal an die gemeinsame Bekämpfung des allerschlimmsten Verbrechersystems in der gesamten Region geht. Auch wenn dort überhaupt nur wenige Sympathieträger zu finden sind, muss man den „Islamischen Staat“ ja eindeutig als schlimmer als alles andere ansehen. Er ist nicht nur fundamentalistisch, sondern auch unerträglich totalitär.

Großes Unrecht an den Kurden

Das allergrößte Fragezeichen aber sind die Kurden. Sie sind absurderweise jetzt ausdrücklich von der Waffenruhe ausgenommen worden.

Auch wenn man nicht die genauen Vereinbarungen zwischen Putin und Erdogan kennt, scheint klar: Die Türkei hätte den großen Erfolg für Russland nie akzeptiert, wenn Moskau einen kurdischen Quasi-Staat tolerieren würde. Das ist für Ankara das absolut Wichtigste. Nur deswegen dürften sie die doppelte Niederlage ihrer jetzt  fast zu Bauernopfern degradierten syrischen Verbündeten akzeptiert haben. Ankara hat bisher auch selbst immer mehr Energie und Emotion im Kampf gegen die Kurden als in jenem gegen Assad oder IS gezeigt.

Würden die Kurden wirklich, wie nun zu befürchten ist, zu Opfern des Deals, dann wäre das ein wirkliches großes Verbrechen. Möglicherweise droht damit sogar der erste große Völkermord des 21. Jahrhunderts. Das wäre auch grob ungerecht. Die Kurden haben nämlich weitaus am tapfersten gegen den IS gekämpft. Sie haben in ihrem Territorium auch die im Vergleich zu allen anderen Kriegsparteien toleranteste Herrschaft ausgeübt.

Aber die Kurden waren zuletzt auch die weitaus engsten Verbündeten Amerikas und Westeuropas. Sie haben von dort viele Waffen, logistische Unterstützung und ein paar Instruktoren bekommen. Daher wäre es umgekehrt ein wirklich riesiger Triumph für Putin (und Erdogan sowieso), wenn jetzt die Schützlinge der Amerikaner und Europäer ins Gras beißen müssten.

Normalerweise würde der Westen das nicht zulassen. Aber den Westen gibt es derzeit fast nicht. Deutschland, Frankreich, Großbritannien: Das ist derzeit nur noch ein Trauerspiel in drei Akten – nicht zuletzt als Folge der absurden Willkommenspolitik Angela Merkels, die ja auch zum Brexit-Votum beigetragen hat. Und in Amerika herrscht derzeit sowieso ein totales Machtvakuum. Jetzt tritt in Washington überhaupt ein Präsident an, der nicht einmal genau wissen dürfte, wer die Kurden sind. Der in Sachen Weltpolitik noch viel ahnungsloser ist als sein Vorgänger.

Das wäre ein „idealer“ Zeitpunkt vollendete Verhältnisse zu schaffen, notfalls auch verbunden mit einem kleinen Völkermord. Der Umstand, dass die islamistisch gewordene Türkei und das sich als angeblicher Schützer der Christenheit verkaufende Russland eigentlich überhaupt nicht zusammenpassen, stört derzeit keines der beiden Länder. Und man vergreift sich nicht ganz in der Geschichte, wenn man darauf hinweist, dass ja auch 1939 eine ähnliche Konstellation die Herren Molotow und Ribbentrop nicht gestört hat …

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