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Zwei Referenden mit lehrreichem Ausgang

Das ungarische Referendum in Sachen Migranten-Umverteilung hat eine Schlappe für Viktor Orban gebracht. Gleichzeitig hat auch die kolumbianische Regierung ein als historisch empfundenes Referendum verloren. In Ungarn haben nur 40 Prozent der Bürger an der Abstimmung teilgenommen, womit das in der ungarischen Verfassung stehende Gültigkeits-Quorum von 50 Prozent deutlich verfehlt worden ist. Das hat sowohl sehr negative wie auch sehr positive Seiten.

Massiv negativ und problematisch ist zweifellos, dass das ungarische Resultat bei anderen europäischen Regierungen die Motivation reduziert, aus Angst vor den Wählern die Massenzuwanderung zu beenden. Etliche der professionellen Orban-Prügler auf der Linken stellen sogar den Ausgang des Referendums als indirekte Zustimmung der Ungarn zur Einwanderung von „Flüchtlingen“ dar.

Was freilich völlig absurd ist. Denn:

  1. Das zeigt schon die 98-prozentige Absage an die Immigration bei jenen, die am Referendum teilgenommen haben.
  2. In Ungarn ist die Wahlbeteiligung traditionell sehr gering. So nahmen dort an den letzten Parlamentswahlen lediglich 62 Prozent teil. 38 Prozent der Ungarn zeigten sich also an Staat, Parlament und Politik uninteressant. Die einstigen realsozialistischen Pseudowahlen mit 98-prozentiger Beteiligung haben viele Osteuropäer total skeptisch zu jeder Form von Wahl gemacht. Daher können in einer korrekten Analyse höchstens jene 23 Prozent als Anti-Stimmen gewertet werden, die bei der Parlamentswahl teilgenommen haben, beim Referendum aber nicht.
  3. An der letzten Wahl zum Europaparlament haben sich gar nur 29 Prozent der ungarischen Stimmbürger beteiligt. Und auch beim EU-Beitritt haben weniger Prozent als beim jetzigen Referendum zugestimmt. Nach der krausen Logik der jetzt so lautstarken Orban-Kritiker würde das eindeutig bedeuten, dass die Ungarn nicht mehr EU-Mitglied sein wollen!
  4. Noch viel aussagekräftiger als dieser Vergleich mit der letzten ungarischen Wahl ist der Vergleich mit der Schweiz, dem Mutterland der direkten Demokratie. Dort nehmen nur ganz selten 50 Prozent an einer Abstimmung teil (trotz der bequemen Möglichkeit einer Briefwahl). Im Vorjahr waren es im Schnitt aller Referenden 43 Prozent. Es gab sogar schon Jahre, wo die durchschnittliche Beteiligung bei 32 Prozent gelegen ist. Trotzdem bezeichnet niemand den Ausgang eines Schweizer Referendums als irrelevant. Trotzdem versucht dort niemand, die Zahl der Nicht-Abstimmenden zu Nein-Stimmen umzumünzen.

Nur in Ungarn ist dies möglich. Aus drei Gründen:

  • Zum ersten, weil Ungarn-Prügeln in der linksdominierten Medienszene zur alltäglichen und längst unreflektierten Pflichtübung gehört (So bringen die ORF-Journalisten jetzt schon im halbjährigen Abstand ohne irgendeinen Objektivitätsversuch Anti-Ungarn-Hetzbücher heraus).
  • Zum zweiten, weil Ungarn die 50-Prozent-Grenze einst ohne jeden objektiven Grund in die Verfassung geschrieben hat. Einziges Motiv dafür war die Angst der Mächtigen vor zu viel Bürgermitsprache. Dieser wollte man daher möglichst hohe Hürden in den Weg  legen.  
  • Zum dritten ist diese Grenze vor allem auch deshalb nicht zu rechtfertigen, weil weltweit Parlamente und Präsidenten auch dann gültig gewählt sind, selbst wenn weniger als 50 Prozent an der Wahl teilnehmen. Etwa die USA erreichen oft nur knapp 50 Prozent Wahlbeteiligung, und lagen einmal sogar darunter. Und die Schweiz hätte überhaupt seit den siebziger Jahren kein gültig gewähltes Parlament mehr, wenn dort eine solche 50-Prozent-Klausel gelten würde. Niemand aber hält die Schweiz deswegen für undemokratisch.

Diese Klausel ist ein durch nichts zu rechtfertigender Schwachsinn. Und zwar immer, nicht nur, wenn die linke Migrationslobby jetzt wegen der geringen Beteiligung in Ungarn plötzlich behauptet, die Ungarn wären auf ihrer Seite.

Harte Lehre für Orban

Viktor Organ geschieht aber dennoch recht, wenn er jetzt gedemütigt dasteht. Das sollte ihm und allen anderen Machthabern eine deutliche Lehre sein.

  1. Er hätte nämlich erstens die Möglichkeit gehabt, bei der unter seiner Ägide erfolgten Neuformulierung der Verfassung die unsinnige 50-Prozent-Klausel zu eliminieren. Er hat das aber nicht getan.
  2. Zweitens und vor allem: Orban hat das Referendum selbst und ohne jede Notwendigkeit bloß aus taktischen Gründen angesetzt.
  3. Dieses hätte auch bei einer „gültigen“ Beteiligung absolut die gleichen rechtlichen Konsequenzen gehabt, die Orban mit seiner Parlamentsmehrheit auch ohne Referendum realisieren hätte können. Und die er nun sowieso umsetzen will: Das sind ungarische Gesetze, die den zwangsweisen Transfer von Migranten durch die EU nach Ungarn untersagen.

Freilich: Europäisch gesehen sind gegen EU-Recht verstoßende nationale Gesetze sowieso irrelevant. Ob 10 oder 90 Prozent teilnehmen. Die Weigerung Ungarns (und etlicher anderer Staaten), Flüchtlinge zu übernehmen, wird jetzt jedenfalls vor dem EU-Gerichtshof landen.

Daher ist es auch völliger Unsinn, was an diesem Wochenende eine einst bürgerliche Zeitung geschrieben hat: „Die Idee einer zwangsweisen Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Mitgliedsstaaten ist längst vom Tisch, weil zuwenige mitgemacht haben.“ Wahr ist vielmehr, dass ganz im Gegenteil der diesbezügliche EU-Beschluss und die ungarische Weigerung, ihn umzusetzen jedenfalls vor dem EU-Gerichtshof landen wird. (Ebenso unglaublicher Unsinn ist es übrigens, wenn man im gleichen Text liest, dass das „Durchwinken Tausender Flüchtlinge“ durch Orban die deutsche und österreichische Flüchtlingspolitik ausgelöst hätte. Aber offenbar ist jeder Unsinn medial erlaubt, wenn man damit nur Orban attackieren kann.)

Lehren für die direkte Demokratie

Interessant war dieses Referendum aber auch ganz unabhängig von Ungarn, vom Thema Migrantenumverteilung und der EU. Es gehört international gesehen zur Gruppe jener Volksabstimmungen, die von Regierungen mutwillig und ohne objektiven Grund aus rein taktischen Gründen vom Zaun gebrochen worden sind. Solche Referenden enden fast immer mit einer Schlappe für die jeweilige Regierung. Das war bei Kreiskys Zwentendorf-Referendum genauso wie bei Camerons Brexit-Referendum. Und natürlich erst recht bei den SPÖ-Befragungen zu Wehrpflicht und Ceta (auch wenn diese rechtlich eine ganz unterschiedliche Qualität hatten).

Das heißt aber ganz und gar nicht, dass die direkte Demokratie falsch wäre. Im Gegenteil. So wie in der Schweiz kann sie aber nur dann das perfekte demokratische Instrument sein, wenn sie von den Bürgern selbst aktiviert wird. Wenn also ein Teil der Bürger Politik und Gesetzgebung in eine andere Richtung lenken will, als von Regierung oder Parlament gesteuert. Hingegen ist der Einsatz von Referenden durch Regierungen ohne jeden Zwang für rein propagandistische Zwecke ein übles Verhalten. Und wird deshalb von der Bevölkerung immer öfter bestraft.

  • Denn erstens reagieren die Bürger dann bei solchen Abstimmungen ihre aus hunderten verschiedenen Gründen entstandene Unzufriedenheit mit der Obrigkeit gebündelt ab. Vor allem, wenn solche Abstimmungen ganz selten sind. Sie gehen entweder gar nicht hin, oder stimmen anders ab, als die Regierung will (Das wird wahrscheinlich in wenigen Wochen auch Italiens Premier Renzi passieren, wenn die Italiener über ein – an sich urvernünftiges – Verfassungsänderungsprojekt des Premiers abstimmen müssen).
  • Und zweitens signalisiert eigentlich ein solches Referendum den Bürgern unterschwellig Unsicherheit der Regierung. Diese fragen sich: Warum fragen sie uns? Warum beschließen die nicht einfach mit ihrer Mehrheit ein Gesetz? Sind die zu feig? Ist da am Ende ein Pferdefuß versteckt? Oder wollen sie uns gar als Jubelperser missbrauchen?

Regierungen sind zum Regieren da. Und Referenden sollten nur für die Bürger da sein, um die Regierung bisweilen zu korrigieren, wenn es einer Mehrheit als notwendig erscheint.

So bleibt zu hoffen, dass die Politik in Europa künftig die direkte Demokratie nicht mehr für illegitime Zwecke missbrauchen wird. Dass aber zugleich die Verfassungen wie in der Schweiz der direkten Demokratie endlich den dringend notwendigen Platz einräumen:

  • Ohne Quorum,
  • nur dann, wenn ein vom Volk ausgehendes Begehren mit ausreichender Unterschriftenzahl das verlangt, also nie auf Beschluss einer Regierung,
  • und mit Bindungswirkung auch für die Verfassung.

Die Kolumbianer wollen keinen Frieden um jeden Preis

Dass Referenden oft eine Absage an die Regierung bringen, wenn sie nicht so zur ununterbrochenen Selbstverständlichkeit gehören wie in der Schweiz, zeigt auch der Ausgang des am gleichen Tag stattgefundenen Referendums in Kolumbien. Obwohl dieses als Abstimmung „Wollt ihr Krieg oder Frieden?“ verkauft worden ist, was eigentlich hundert Prozent Zustimmung einbringen müsste, hat sich eine knappe Mehrheit der Kolumbianer gegen den von der Regierung vorgeschlagenen (und ausgerechnet von Kuba ausgehandelten) Frieden mit der FARC-Guerilla gewandt. Denn sie wissen: Dieser Frieden hätte eine Amnestie für die älteste Guerilla-Truppe der Welt bedeutet, deren Wüten unzählige Opfer gefordert hat.

Das will eine – wenn auch knappe – Mehrheit der Kolumbianer nicht akzeptieren. Sie will Gerechtigkeit, die Bestrafung von Mördern und nicht blindes Verzeihen. Was mir freilich – wenn auch aus weiter Ferne – recht riskant erscheint. Denn es könnte jetzt zu weiterem Blutvergießen kommen. Auch wenn das große (und trotz FARC-Rebellion seit Jahren blühende) Land eindrucksvolle Erfolge gegen die Guerilla erzielt hat.

 

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