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Der europäische Kolonialismus ist schon lange zu Ende gegangen. Der deutsche vor rund hundert Jahren, der britische und französische vor fünfzig bis siebzig, der portugiesische vor rund vierzig Jahren. Dieses Ende geschah teils friedlich, teils aber auch erst als Folge langer blutiger Befreiungskriege. Heute sind sich alle Seiten einig, dass das Ende der Kolonialismus richtig war (auch wenn es manchen Ex-Kolonien nachher eher schlechter gegangen ist). Umso erstaunlicher ist, dass die EU seit mehr als zwanzig Jahren nun selber eine Kolonie hat. Ein Umstand, der von Jahr zu Jahr schwachsinniger wird.
Zwar verwendet niemand den Ausdruck „Kolonie“ für Bosnien-Herzegowina. Aber es ist eine. Die oberste Macht, die letzte Instanz liegt nicht bei den Bürgern, einer Institution oder einer Persönlichkeit dieses Landes, sondern außerhalb, nämlich bei der EU, die nach Bosnien einen Kolonialgouverneur entsandt hat, der formal „Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina“ genannt wird. Dieser hat Rechte wie ein Diktator, wie der Vizekönig einer Kolonialmacht (zur Zeit ist das der österreichische Diplomat Valentin Inzko; die Kritik an der Situation hängt aber nicht mit seiner Person zusammen).
Es ist höchste Zeit, diesen Status zu beenden – vor allem, solange das die EU noch erhobenen Hauptes tun kann. Solange sie nicht am Ende in einen neuen Konflikt hineingezogen wird. Solange sie noch zu einer guten und sinnvollen Lösung beitragen kann.
Es ist höchste Zeit, auch für Bosniens Völker das Selbstbestimmungsrecht als fundamental anzuerkennen. Hat man dieses doch längst auch allen afrikanischen Ländern zugebilligt. Das Selbstbestimmungsrecht hat sich weltweit als wirksamstes Instrument erwiesen, um Konflikte zu verhindern oder zu beenden. Und das ist es auch für Bosnien-Herzegowina:
Um nicht missverstanden zu werden: Das einstige Eingreifen des Westens in den jugoslawischen, insbesondere den bosnischen Krieg war eindeutig legitim und ethisch positiv. Hat dieser doch bis dahin mindestens 100.000 Tote gefordert – wahrscheinlich mehr –, sowie mehr als zwei Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Dazu kommen Zerstörungen, Kriegsverbrechen, Folter, Vergewaltigungen in großer Zahl. Es war also absolut gerechtfertigt und moralisch wünschenswert, militärisch einzugreifen, um all diese Grässlichkeiten zu beenden. Das war vor allem den USA zu verdanken.
Diese haben sich freilich inzwischen aus dem Balkan zurückgezogen. Verständliches Motto: „Wir Amerikaner haben anderswo genug Sorgen und Probleme; um den Balkan kümmert ihr Europäer euch nun künftig selber.“
Die Europäer haben das seither auch getan, militärisch, juristisch, finanziell. Jedoch haben sie das auf einer letztlich unbrauchbaren Grundlage gemacht, die Erbschaft nicht zuletzt der einstigen US-Politik gewesen ist. Das ist das sogenannte Dayton-Abkommen. Dieses hat dem Balkanland eine unbrauchbare Struktur aufgezwungen. Dadurch gibt es heute Hunderte Minister in neun einzelnen Entitäten Bosniens und in einem darüber gestülpten, komplizierten zweistufigen Gesamtstaatsgebilde. In dieser Konstruktion legen sich die einzelnen Nationalitäten ständig gegenseitig lahm und sabotieren sich.
Das führt auch wirtschaftlich zu verheerenden Folgen. Diffuse, unklare staatliche Rahmenbedingungen sind Gift für jeden potenziellen Investor. Weil kaum jemand in Bosnien investieren will, herrscht dort eine gewaltige Arbeitslosigkeit von mehr als 27 Prozent. Das einzige was in Bosnien blüht, ist die Korruption.
Nach einem Vierteljahrhundert muss man daher einfach laut und klar sagen: Das funktioniert hinten und vorne nicht. Und es wird auch nie funktionieren können.
Zwar mögen manche einwenden: In der Schweiz funktioniert ein relativ ähnliches Gebilde doch auch nahezu perfekt, das einen Ausgleich und eine Balance zwischen verschiedenen Sprachgruppen und Religionen herstellt. Dieses Argument vergisst nur das Wichtigste: Diese Konstruktion ist der Schweiz nicht von außen aufgestülpt worden, sondern von den Schweizern selbst über Jahrhunderte entwickelt. Die Schweizer Konstruktion wird daher von allen Schweizern auch innerlich voll bejaht, was sich etwa in der großen Wehrbereitschaft ihrer Bürger zeigt. Im übrigen hat es einst auch in der Schweiz zwischen den einzelnen Gruppen durchaus wilde Konflikte gegeben. Aber diese sind eben von den Schweizern selbst inzwischen entschärft und gelöst worden. Und nicht von irgendwelchen Kolonialherren.
In Bosnien hingegen haben die Völker, die man da zusammenzwingen will, noch vor 25 Jahren erbittert Krieg miteinander geführt. Umso schlimmer ist jedoch: Solange dort nicht wieder Blut fließt, interessiert das Land keinen EU-Minister, kein westliches Medium wirklich. Aber dennoch ist klar: Wenn nicht sehr bald eine gute Lösung gefunden wird, ist die Rückkehr zu einer Fortsetzung des Bürgerkrieges durchaus wahrscheinlich. Denn ein weiteres Vierteljahrhundert wird Europa schon auf Grund seiner vielfältigen eigenen Krisen weder imstande noch willens sein, dort zu hohen Kosten militärisch präsent zu sein.
Es kann heute keinen Zweifel mehr geben: Der Antagonismus zwischen (orthodoxen) Serben, (katholischen) Kroaten und (muslimischen) Bosniaken lässt sich auf dem Dayton-Weg nicht überwinden. Vor allem die Serben mit ihrer „Republika Srpska“ wollen aus Bosnien weg. Sie setzen eine Provokation nach der anderen, um sich dem benachbarten Staat Serbien anschließen. Und die bosnischen Kroaten warten nur darauf, dass dies geschieht, dann wollen auch sie weg und sich Kroatien anschließen. Keine der beiden Volksgruppen will in einem muslimisch geprägten Staat leben.
Die Bosniaken sind heute – nicht zuletzt auf Grund von saudi-arabischen Geldern und Predigern – deutlich islamischer als einst, da der diktatorische Tito-Kommunismus und ein künstlicher Jugoslawismus alle Volks- und Religionsgruppen unterjocht hat. Dieses Tito-Modell hat aber nicht mehr funktioniert, sobald auch in Jugoslawien die Epoche der Diktatur zu Ende gegangen ist. Dann haben sich Slowenen, Kroaten, Bosniaken, Kosovo-Albaner und Mazedonier nacheinander aufgelehnt gegen eine Oberhoheit der Serben, zu der der kommunistische Jugoslawismus mutiert war.
Heute sieht die Welt die Unabhängigkeitsbestrebungen dieser Völker weitgehend als legitim und gerechtfertigt an. Kaum noch jemand weiß, wie sehr einst Alois Mock dafür gescholten worden ist, dass er als erster westlicher Staatsmann das richtig gesehen und für das Selbstbestimmungsrecht gekämpft hat. Das bleibt ein historischer Verdienst des seit vielen Jahren schwer kranken Mannes, der aber zweifellos einer der wenigen Österreicher mit staatsmännischem Format gewesen ist.
Nur: Diese Legitimität der Selbstbestimmung muss auch den Serben selbst zugestanden werden. Alles andere wäre zutiefst ungerecht und würde eine anfangs moralische Haltung zutiefst diskreditieren. Ein von außen oktroyiertes Abkommen, das nie funktioniert hat, und eine EU-Kolonialherrschaft können kein Gegenargument sein zum moralischen Anspruch der Serben, auch selbst – in den serbisch bewohnten Gebieten der Republika Srpska sowie eines kleinen Teils des Kosovo – den von ihnen gewählten staatlichen Weg gehen zu dürfen.
Gewiss: Die Bosniaken und die Kosovo-Albaner werden dies nicht gerne sehen. Eine starke und weitblickende europäische Politik müsste ihnen deshalb klar sagen: Nur durch das westliche Eingreifen seid ihr vor der serbisch-jugoslawischen Gewaltherrschaft befreit worden und heute unabhängig. Jetzt müsst auch ihr den Serben in ihren Gebieten den Weg in die Freiheit gestatten, sonst gerät ihr in Isolation.
Natürlich wäre es vor 25 Jahren leichter gewesen, das zu sagen und zu realisieren. Aber die Geschichte und ihre Fehler lassen sich nun mal nicht mehr ändern. Umso klarer sollte man sehen, dass jedes Jahr, in dem man weiterhin den Mut dazu nicht aufbringt, die Dinge noch schlimmer macht.
Aber würde man dadurch nicht serbische Kriegsverbrechen und Vertreibungen im Nachhinein belohnen? Nein, und zwar gleich aus fünf Gründen:
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.