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Was bedeutet der Coup in der Türkei?

Auch wenn der Erfolg des – total überraschenden – Staatsstreichs der türkischen Armee noch völlig offen ist, so lässt sich über dessen Bedeutung und Folgen schon etliches sagen. (Mit nachträglicher Ergänzung)

Vorerst aber droht der Putsch in einen echten Bürgerkrieg auszuarten. Denn die Polizei setzt sich offenkundig geschlossen den putschenden Teilen der Armee entgegen. Auch in der Armee gibt es Teile etwa in der Luftwaffe, die gegen den Putsch auftreten. Und vor allem Machthaber Erdogan ist alles andere als ein Typ, der leicht aufgibt. Aber was lässt sich über den Putsch selber sagen?

  1. Die Türkei hat sich in den letzten Jahren nach innen und außen so negativ entwickelt, dass man gewillt ist, in den Staatsstreich fast mehr Hoffnungen als Befürchtungen zu setzen. Das ist eine völlig ungewohnte Reaktion auf einen militärischen Staatsstreich. Solche sind ja zuletzt überhaupt weltweit – sogar in Lateinamerika – völlig außer Mode gekommen. Lediglich in Thailand hat es in den letzten Jahren einen gegeben. Ein Erfolg in der Türkei könnte aber in vielen Ländern wieder zu Nachahmung führen, nicht zuletzt in der völlig chaotischen islamischen Welt.
  2. Ähnlich dürfte man auch in vielen westlichen Kapitalen denken. Auch dort  wird es in Zeiten globaler Turbulenzen als zunehmend wichtiger erachtet, dass sich ein Land berechenbar und vernünftig verhält, als ob es dort unbedingt demokratische Wahlen gibt. Offiziell muss aber natürlich jede Abkehr von der Demokratie getadelt werden.
  3. Allerdings hat Machthaber Erdogan in den letzten Wochen an einigen Fronten kleine Andeutungen eines Rückziehers von seiner aggressiven Haltung der letzten Jahre gemacht. Gegenüber Russland, gegenüber Israel, gegenüber der EU, ja sogar gegenüber Syriens Präsident Assad. Hat er diese für die Außenwelt verwirrenden und keineswegs eindeutigen Versöhnungssignale schon unter wachsendem (wenn auch im Ausland nicht bemerktem ) Druck der Armee machen müssen? Oder hat die Armee gar geputscht, weil Erdogan da anderen Ländern gegenüber Konzessionen gemacht hat? Mir scheint die erstgenannte Alternative deutlich plausibler. Aber noch plausibler ist, dass der Putsch nicht primär außenpolitisch motiviert ist.
  4. Nicht überzeugend scheinen mir die Gerüchte, dass der israelische, syrische oder russische Geheimdienst in die Putschpläne involviert gewesen wären.
  5. So gut wie sicher ist, dass ein Erfolg des Staatsstreichs die progressive Islamisierung der Türkei rückgängig machen würde. Die Armee war fast hundert Jahre lang immer ein Hüter der laizistischen Entwicklung der Türkei und Zurückdrängung des Islamismus. Es ist unvorstellbar, dass das jetzt anders wäre.
  6. Insbesondere werfen viele Offiziere Erdogan vor, lange zu eng mit dem „Islamischen Staat“ kooperiert zu haben. Daher hat es etliche Wahrscheinlichkeit, dass Erdogans Niedergang auch mit jenem des IS zu tun hat, der ja militärisch überall schwer geschlagen worden ist.
  7. Auch die linken wie klassisch liberalen Intellektuellen, Bürgerschichten und Studenten sind in den letzten Jahren wachsend zornig auf die repressive Politik Erdogans geworden. Daher wird auch von dieser Schicht, die sonst nie Sympathien für Militärs oder gar Militärputschs hat, zumindest in der ersten Zeit wohl kein Widerstand gegen die Armee ausgehen.
  8. Der Putsch dürfte keineswegs zufällig eine Nacht nach dem Blutbad von Nizza losgebrochen sein. Zu solch einem Zeitpunkt kann keine westliche Regierung – bei aller Naivität der USA – ernsthaft gegen die Militäraktion sein. So dürften zumindest die Offiziere kalkuliert haben.
  9. Erdogan hat sich nicht nur mit aller Welt (außer Saudiarabien) verfeindet, sondern auch mit der Armee selber. Er hat in dieser allzu brutale Säuberungen versucht, um seine eigene Macht abzusichern.
  10. In Sachen Korruption scheinen einander Armee und der Erdogan-Clan „ebenbürtig“ zu sein.
  11. Am spannendsten aber ist: Was bedeutet der Armeeputsch in der Kurdenfrage? Die türkische Armee ist traditionell sehr nationalistisch und hatte nie viel für die Kurden über. Auf der anderen Seite spricht aber etliches dafür, dass es eine wachsende Zahl von Offizieren gibt, die des zermürbenden und nicht zu gewinnenden Krieges gegen die kurdische PKK und der Partisanenkriegsführung müde sind. Wenn ständig Soldaten von einem nie wirklich entscheidend besiegbaren Feind getötet werden, dann frustriert das jeden Offizier auf Dauer. Freilich scheint es doch recht unwahrscheinlich zu sein, dass einer der türkischen Generäle, oder eine von ihnen eingesetzte Regierung, staatsmännisch so klug und zugleich so stark wird, dass es endlich zu einer guten Lösung mit den Kurden kommt. Denn eine solche wäre vielen nationalistisch gesinnten Türken zutiefst zuwider.
  12. Es hat durchaus viele Militärputschs in der Geschichte gegeben, die anfangs in der Bevölkerung auf Grund der vielen Fehler der gestürzten Regierung mehrheitlich klare Unterstützung bekommen haben. Aber fast alle Militärregime haben den Zeitpunkt versäumt, wo sie noch bei gutem Wind rasch wieder der Demokratie weichen hätten können. Fast immer begannen dann Repressionen, die den Offizieren jeden späteren Dank des Vaterlands wieder gekostet haben.

Wir haben jedenfalls sehr spannende Tage und Wochen vor uns, die erst zeigen werden, wer zum einen die Oberhand behält, und welche der hier getroffenen Annahmen und Erwartungen sich zum anderen auch wirklich realisieren wird.

Nachträgliche Ergänzung: Das offensichtliche Ende des Militärcoups kam dann doch überraschend schnell. Das deutet auf eine ziemlich amateurhafte Durchführung des Coups hin, hinter dem nur einzelne Teile der Armee gestanden waren. Das zeigt aber auch, dass eine klare Mehrheit der Türken hinter Machthaber Erdogan steht, trotz der heftigen Proteste der letzten Jahre und trotz vieler außenpolitischer Fehlschläge. Und das lässt befürchten, dass er jetzt noch rascher als gedacht die letzten Schritte zu einer De-Facto-Diktatur gehen wird.

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