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Österreich allein daheim

Es wird Monate dauern. Monate, in denen man auf beiden Seiten des Ärmelkanals nicht einmal weiß, worüber genau zwischen England und der Rest-EU verhandelt werden soll. Schuld daran ist nicht nur London, wo EU-Befürworter und -Gegner gleichzeitig in der Regierung sitzen. Auch in der Rest-EU herrscht völlige Verwirrung, wohin es gehen soll.

Die einen sagen: Nicht nur die Briten sind durch die übertriebene Überregulierung in der EU, die Nichteinhaltung eigentlich klarer Regeln, die Schuldenmacherei einzelner EU-Länder, die totale Personen-Freizügigkeit und die Absicht Deutschlands zu EU-Gegnern gemacht worden, andere Mitgliedsländer zur Aufnahme von Millionen „Flüchtlingen“ aus Drittweltländern zu zwingen. Daher reduzieren wir die EU wieder auf den Jahrzehnte erfolgreichen ökonomischen Kern, also den Binnenmarkt mit Abstrichen bei der Personenfreizügigkeit.

Die anderen sagen: Jetzt sind wir die Briten los, die immer gegen jeden Schritt zur Vereinheitlichung und Vertiefung gewesen sind. Jetzt können wir endlich den Weg hin zu Vereinigten Staaten von Europa weitergehen, zu einer Sozialunion und zu einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik.

Diese Spaltung zeigt sich auch daran, welche Länder überhaupt begonnen haben, gemeinsam über Europa nachzudenken. In Skandinavien und Osteuropa gibt es zwar viele Sympathien für den ersten Weg und für die Briten (was noch keineswegs automatisch massive Austrittspläne bedeutet): aber nirgendwo sieht man Zeichen, dass dort auch schon gemeinsam strategisch nachgedacht würde.

Ganz anders in den sechs Gründungsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Deutsche, Franzosen, Italiener und die drei Benelux-Staaten haben sofort nach dem Brexit gemeinsam geheim Beratungen begonnen, die dann von den drei großen Ländern noch intensiviert worden sind. In diesen drei Ländern sind überaus integrationsfreundliche Regierungen am Werk. Sie wollen offenbar vollendete Tatsachen herstellen – nicht zuletzt, weil in Frankreich und Italien die Bevölkerungsmehrheit immer mehr antieuropäisch zu werden droht.

Beginnt da der Versuch eines neuen paneuropäischen Diktats dreier großer Länder? Diese scheinen zunehmend zu spüren, dass sie zu großzügig waren bei der Aufnahme von immer mehr Staaten, die durch Neutralität, wirtschaftliche Unterentwicklung, mangelnden Integrationswillen oder endemische Korruption einfach nicht zum Ziel eines einheitlichen Europas passen.

Aber auch in Osteuropa haben die vier Visegrad-Staaten das Brexit-Referendum sofort gemeinsam intensiv beraten. Nur in Wien gibt es dazu nichts. In Österreich scheint man in der landeseigenen Provinzialität gar nicht mehr zu begreifen, dass derzeit die Weichen Europas entscheidend gestellt werden. Niemand sucht engen Anschluss an andere europäische Gruppen, um gemeinsam darüber nachzudenken, und zu handeln. Noch schlimmer: Es ist auch niemand zu hören, der das nationale Interesse überhaupt definieren könnte.

Dieses Interesse hieße ja eindeutig: Österreich müsste alles tun, dass sowohl Richtung Westen wie auch Richtung Osten in keiner Weise neue Mauern entstehen, will es nicht zwischen den Stühlen sitzen bleiben. Ob in der Regierung auch nur irgendjemand begriffen hat, dass man für dieses Ziel derzeit intensivst arbeiten müsste?

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

 

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