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Gegen Karl-Heinz Grasser gibt es nach sieben Jahren existenzzerstörender Erhebungen nun zu zwei Vorwürfen eine Anklage. Realistisch ist gar erst nach zehn Jahren mit einem endgültigen rechtskräftigen Urteil zu rechnen. Das heißt: Im nicht ganz unwahrscheinlichen Fall eines Freispruchs wurde die Existenz eines Menschen zehn Jahre lang vernichtet, ohne dass sich je einer der dafür Schuldigen rechtfertigen müsste. Das ist aber noch keineswegs die einzige Seltsamkeit in diesem Verfahren.
Man stelle diese zehn Jahre etwa dem Strafausmaß gegenüber, zu dem einige Stunden vor dem Grasser-Urteil ein Mann verurteilt worden ist, der zwei andere Menschen in voller Absicht umgebracht hat. Er bekam bloß sieben Jahre Haft. Dieser Täter kann also voraussichtlich schon nach vier Jahren seine kriminelle Vergangenheit vergessen und eine neue Existenz aufbauen.
Überdies: In vielen Berufen kann man auch als Verdächtiger oder Beschuldigter völlig ungehindert arbeiten, solange man nicht im Gefängnis sitzt. Als Unternehmer oder Manager ist man hingegen ab der ersten Sekunde lahmgelegt, da ein Verfahren bekannt wird. Das aber ist den Staatsanwälten völlig wurscht.
Oder sie haben insgeheim sogar klassenkämpferische Aversionen gegen solche Menschen. Denn Grasser und die Mitangeklagten sind ja keineswegs die einzigen so lange von der Staatsanwaltschaft Verfolgten. In manchen Fällen haben die Staatsanwälte dann nicht einmal Anklage zu erheben gewagt, aber dennoch für viele Jahre Existenzen ruiniert. Dennoch haben sie weder disziplinär noch haftungsmäßig noch karrieremäßig mit Konsequenzen zu rechnen.
Selbst wenn da nicht ideologische Aversionen dahinterstecken sollten, beweist das Ganze jedenfalls, dass die unter Dieter Böhmdorfer beschlossene Strafprozessordnung eine Katastrophe ist, die solches ermöglicht.
Auch wenn Grasser und seine Mitangeklagten verurteilt werden sollten, ist die lange Verfahrensdauer ein rechtsstaatlicher Skandal. Dieser wird auch dadurch nicht kleiner, dass die Betroffenen in den letzten Jahren wahrscheinlich alle Möglichkeiten ergriffen haben, um gegen die Aktionen der Staatsanwaltschaft zu kämpfen. Das ist aber ihr Recht.
Wenn Österreich noch ein Rechtsstaat bleiben will, der sich von der Türkei unterscheidet, dann sollte schon das Prinzip gelten: Die Anklagebehörde hat die Schuld eines Menschen zu beweisen; und nicht der Bürger seine Unschuld. Wenn Staatsanwälte nicht ausreichend Beweise zusammenbringen, dann haben sie einzustellen. Auch wenn sie jemanden für schuldig halten. Punkt und Aus.
Sie sollten schon gar nicht ein Verfahren beginnen dürfen, das nach der Gut-Glück-Methode darauf hofft, dass sich wenigstens im Prozess doch noch brauchbare Beweise finden. Und schon gar nicht haben sie zu spekulieren, dass Grasser Richter bekommt, die ihn politisch (auch) nicht leiden können oder denen seine Eitelkeit zuwider ist.
Ein jahrelanger Skandal war aber auch die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft an drei linke Wochenmedien ständig Grasser betreffende Aktenteile durchsickern haben lassen. Wobei diese Medien auch in den vielen Punkten, wo die Staatsanwaltschaft jetzt einstellen musste, Grasser längst schuldig gesprochen haben.
Das alles läuft unter der Verantwortung des Justizministers ab. Diese hat der Minister auch durch die Einsetzung eines Weisungsrates nicht abschütteln können. Und schon gar nicht durch einen Weisungsrat, an dessen Spitze ein deklarierter SPÖ-Mann sitzt. Dieser Rat hat nur dazu geführt, dass sich Verfahren noch mehr in die Länge ziehen. Die Verantwortung des Justizministers liegt gewiss nicht darin, über Schuld oder Unschuld eines Menschen zu urteilen. Aber sehr wohl ist er hauptverantwortlich für die Verfahrensdauer und dafür, dass Staatsanwälte konsequenzenlos so lange brauchen können, statt spätestens nach drei Jahren anzuklagen oder einzustellen.
Mehr als anrüchig ist aber auch, dass dieser Weisungsrat gleichzeitig noch ein zweites Politiker-Verfahren zu behandeln gehabt hat, nämlich gegen den Kärntner SPÖ-Landeshauptmann Kaiser (Korruptionscausa „Top Team“). Dieser Fall ist aber wieder an die Staatsanwaltschaft zur Vornahme weiterer Erhebungen hinuntergeschoben worden. Damit kann sich Kaiser mindestens ein weiteres Jahr in Sicherheit fühlen.
Es lebe der kleine Unterschied.
Zurück zur Causa Grasser. 700 Einvernahmen; 600 Hausdurchsuchungen, Kontenöffnungen und Telefonüberwachungen; 40 Rechtshilfeersuchen ans Ausland: Für diesen gewaltigen an die Türkei erinnernden Aufwand ist das nun vorliegende Beweisergebnis äußerst mager. In etlichen anderen Punkten, in denen die Staatsanwaltschaft ebenfalls gegen Grasser Beweise zu sammeln versucht hat, musste das Verfahren überhaupt eingestellt werden.
In den zwei nun angeklagten Punkten scheint die Beweislage gegen etliche Mitangeklagte sehr dicht zu sein – aber gerade gegen Grasser nicht. Offensichtlich haben die Staatsanwälte nach dem Motto gehandelt: Der unklar gebliebene Teil des offensichtlich für die Weitergabe relevanter Informationen via Meischberger geflossenen Geldes wird sicher für Grasser gewesen sein. Für wen denn sonst?
Abgesehen davon, dass eine solche Vermutung eigentlich noch nicht die im Strafrecht notwendige Beweiskraft hat, so bin ich persönlich auf Grund meiner Kenntnis der Akteure überzeugt, dass es den „Wer denn sonst“ durchaus gegeben hat. Er hat nur nicht Grasser, sondern Jörg Haider geheißen. Dieser hat nicht nur in etlichen anderen Fällen erstaunliche kriminelle Energien gezeigt. Er hat auch Politik so verstanden, dass in jenen Jahren nun die FPÖ zum Abkassieren dran ist, nachdem sich so lange nur die anderen beiden Parteien den Futtertrog geteilt haben.
Haider wollte offensichtlich bei jeder größeren Transaktion der Bundesregierung mitschneiden. Vermutlich nicht für sich, sondern die Partei. Und der für solche Aktionen als Drehscheibe auserkorene Parteifreund war Meischberger.
Grasser hingegen war in seinem Ehrgeiz eher ganz von seiner persönlichen Rolle erfüllt. Er wollte unbedingt zum besten Finanzminister der Republik zu werden. Da scheint es recht unwahrscheinlich, dass er sich persönlich bestechen hat lassen. Sein Verschulden dürfte eher auf anderer Ebene gelegen sein: Er dürfte seinen Parteifreunden Haider oder Meischberger aus Parteiloyalität oder Naivität bisweilen mehr erzählt haben, bisweilen ihrem Drängen, bestimmte Entscheidungen zu treffen, mehr nachgegeben haben, als er eigentlich gedurft hätte. Das war dann wohl ein Amtsmissbrauch, aber weit weg von der angeklagten Bestechung (oder einer irgendwie mitschwingenden Erpressung).